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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 18

Beratung

Solidarisch aus der Pandemie - Pandemierat unverzüglich einberufen mit dem Ziel einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz des Pandemie- und Pandemiefolgenmanagements

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/630

Änderungsantrag Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/679


Frau von Angern steht schon bereit. Sie möchten den Antrag gern einbringen. - Sie haben das Wort, Frau vor Angern.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Coronakrise beeinflusst unser Alltagsleben in einer nie da gewesenen Art: Abstand halten, Maske tragen, Kontakte vermeiden, Impfen, der Zugang zu Bildung und Kultur - wir sprachen gerade darüber - Gastronomie, Hotels und Sport wird eben oft nur eingeschränkt möglich, Intensivstationen, die bis an ihre Grenzen ausgelastet sind, wirtschaftliche Folgen wie Insolvenzen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit.

Ja, die letzten zwei Jahre, sie waren anstrengend, sie waren beschwerlich und eben auch nervenaufreibend. Und ja, selbstverständlich auch wir sind genervt, ungeduldig, ermattet und müde. Ständig werden wir Abgeordnete nach Antworten gefragt, wenn es um Wege aus der Coronakrise geht, sowie um Einschätzungen und Prognosen, möglichst wissenschaftlich fundiert, gebeten. Doch können wir das alle wirklich leisten? Sind wir dazu wirklich in der Lage? Und ehrlicherweise: Reden wir nicht selten wie die Blinden von der Farbe? Selbst ernannte Virologen auch in diesen Reihen helfen niemandem weiter.

Damit aber kein falscher Eindruck entsteht: Politische Entscheidungen haben selbstverständlich wir zu treffen. Diese wollen wir uns auch nicht aus der Hand nehmen lassen. Auch darüber haben wir hier mehrfach debattiert. Wir müssen darüber entscheiden, unter welchen Bedingungen Schulen oder auch Kultureinrichtungen offen gehalten werden können bzw. welche Maßnahmen denn tatsächlich sinnvoll, um die Coronapandemie zu beenden.

Meine Damen und Herren! Doch entscheidend ist: Wenn wir sagen, wir sind genervt oder wir haben keinen Bock mehr auf das alles, dann jammern wir im wahrsten Sinne des Wortes auf sehr hohem Niveau.

(Zustimmung)

Wenn wir in Quarantäne müssen, erhalten wir trotzdem jeden Monat unsere Diäten. Wenn wir unsere Kinder zu Hause beschulen müssen, dann sagen wir Termine ab, ohne dass wir Gefahr laufen, eine Kündigung zu erhalten.

Damit will ich niemandem in diesem Haus unterstellen, dass Ihnen oder uns die Situation einer alleinerziehenden Mutter von zwei oder mehr Kindern, die im Supermarkt an der Kasse sitzt oder im Pflegeheim in Schichten arbeitet, unbekannt ist. Aber objektiv sind wir eben nicht in ihrer Situation. Wir können es uns auch nur bedingt vorstellen - bis auf eine Aufnahme -, wie es für eine Krankenschwester auf einer Intensivstation ist, die täglich um das Leben von Coronakranken kämpft und die auch Angehörigen immer wieder, teilweise auch täglich, erklären muss, dass der Kampf verloren wurde.

Niemand von uns kann sich wirklich vorstellen, was gerade in Pflegekräften vor sich geht, wenn Menschen - egal ob als bürgerlich deklariert oder offen radikal - bei sogenannten Spaziergängen zu Hunderten ohne Maske und ohne Abstand die Diktatur und den Faschismus skandieren. Was muss erst in den Köpfen von Überlebenden des Holocaust vorgehen und an Emotionen hochkommen, wenn Teilnehmerinnen bei Protesten gegen die Coronamaßnahmen gelbe Sterne tragen? Das ist eine unerträgliche Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen.

(Zustimmung)

Damit werden Jüdinnen und Juden erneut zum Opfer gemacht.

Was ich jedoch dank eines Austausches mit Eltern, Lehrerinnen und auch Schülerinnen eine Woche nach Schulbeginn ganz konkret weiß, ist, dass tatsächlich sehr viele Ängste bestehen. Eltern haben Angst, dass in den Schulen Kinder erkranken, dass ihre Kinder als Kontaktpersonen angesteckt werden und dann in Quarantäne müssen und dass sie ihre eigenen Jobs verlieren, wenn sie zu lange in Quarantäne sind. Die Lehrkräfte selbst haben Angst zu erkranken. Sie stehen vor fragenden Eltern und können teilweise selbst die Antworten nicht geben.

Kindern haben natürlich auch Angst. Der tägliche Test ist nervenaufreibend. Sie haben Angst, die Krankheit mit nach Hause zu bringen und Familienangehörigen, möglicherweise Oma und Opa, anzustecken. Die häufigsten Worte, die ich in diesem Gespräch gehört habe, waren Angst, Hilflosigkeit, fehlende Unterstützung und eben das Gefühl, alleingelassen zu sein.

Ich könnte noch viele Beispiele für Sorgen, Ängste Unmut und eben auch Frust vortragen. Aber ich will es dabei belassen; denn es wird bei all dem schon jetzt deutlich: Wir müssen reden und wir müssen vor allem handeln.

Deswegen, meine Damen und Herren, startet meine Fraktion in dieser Wahlperiode zum ersten Mal, aber - einigen ist es bekannt - in diesem Parlament zum dritten Mal den Versuch, in Sachsen-Anhalt einen Pandemierat einzurichten. Wir wollen die Idee ergänzen um ein Mehr an Bürgerbeteiligung.

Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe tatsächlich Angst um unsere Demokratie. Wir verlieren Menschen für die Demokratie, wenn wir sie nicht mehr ernst nehmen, wenn wir mit ihnen nicht respektvoll umgehen, wenn wir ihnen nicht mehr die Chance geben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, d. h. auch, wenn wir nicht mehr mit ihnen reden.

Und ja, ich weiß, wir haben bereits Menschen verloren. Wir haben Vertrauen verloren, und vor allem bei den Menschen, die auf der Straße sind, werden wir es wohl kaum zurückgewinnen. Ich sage aber auch ganz deutlich: Ich versuche natürlich bei Rechtsextremen oder extremen Querdenkern auch nicht, dieses wieder zurückzugewinnen.

Allerdings - das muss uns immer wieder deutlich bewusst sein - gehen viele Menschen eben nicht zu diesen sogenannten Spaziergängen auf die Straße. Das ist die Mehrheit der Bevölkerung, auch wenn bei diesen Kundgebungen gern der Ruf „Wir sind das Volk!“ skandiert wird. Es haben sich viele Menschen in unserem Land freiwillig ohne Impfkampagne dafür entschieden, sich impfen zu lassen. Viele Menschen zeigen beim Eintritt in Gaststätten, Restaurants, Kino und Theater wie selbstverständlich ihren Impf- oder Testnachweis vor.

Täglich lassen sich unsere Kinder in den Schulen ganz unproblematisch testen. Sporttrainer testen sich, bevor sie ihre Kinder trainieren. In vielen Einrichtungen wird ganz selbstverständlich die Mühe, die die Einhaltung der Hygienestandards mit sich bringt, auf sich genommen.

Dennoch: Das Wort „coronamüde“ ist ein Wort, das uns allen bekannt ist, das wir alle nicht nur selbst ausgesprochen haben, sondern immer wieder gehört haben.

(Zuruf: Die Rede muss man wirklich veröffentlichen! Das müssen die Leute draußen mitkriegen, was Sie hier für einen Blödsinn erzählen! Wirklich wahr!)

Je länger die Pandemie dauert, je unverständlicher und wenig nachvollziehbar das Handeln zwischen Bund und Ländern oder zwischen den Ländern selbst ist,

(Zuruf: Sie können wirklich eine Einheitspartei gründen!)

umso mehr Menschen verlieren wir auf dem Weg.

(Zuruf: Da könnt ihr SED drüberschreiben!)

Sie verlieren den Glauben an politische Entscheidungen. Sie stellen in letzter Konsequenz die Parteien und auch die Demokratie infrage. Das, meine Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, dürfen wir nicht sehenden Auges zulassen.

(Zustimmung)

Ich sage ganz deutlich - das ist ein Lob an die Ampelregierung -: Es war ein wichtiger Schritt, als eine der ersten Amtshandlungen ein Expertengremium einzuführen, ein Expertengremium für ein wirksames Pandemiemanagement, dem sogar ein Landrat aus Mecklenburg-Vorpommern angehört.

Wir als Politikerinnen sind eben nicht allwissend. Wir sind nicht fehlerfrei. Doch die Fehler, die wir durch eine wissenschaftlich fundierte bzw. fachliche Beratung vermeiden können, müssen wir vermeiden. Es sind Fehler gemacht worden; das wissen wir alle. In Sachsen-Anhalt sind vor allem Fehler bei der Kommunikation gemacht worden.

Es ist alles andere als glücklich, wenn der Ministerpräsident dieses Landes innerhalb der Ministerpräsidentenkonferenz kein Wort dazu sagt, dass er nicht beabsichtigt, die vereinbarte 2-G-plus-Regelung in den Gaststätten in Sachsen-Anhalt einzuhalten, die Entscheidung dann diesbezüglich so durchläuft, und direkt im Nachgang der Ministerpräsidentenkonferenz presseöffentlich erklärt, dass er den Beschluss, der gerade getroffen worden ist, nicht umzusetzen gedenkt.

(Zuruf: Das ist doch in Ordnung!)

Damit sage ich noch gar nichts über den Inhalt dieser Entscheidung, sondern ich sage, dass das ein kommunikatives Desaster ist. Es ist für Menschen nicht mehr nachvollziehbar, was hier geschieht.

(Zuruf: Aha!)

Sie wollen - das kann ich nachvollziehen - verständliche Maßnahmen. Sie wollen klare Entscheidungen. Wenn diese schon nicht im Angebot sind, dann müssen sie für sie zumindest nachvollziehbar sein.

Noch versuchen Menschen, mit uns zu reden. Noch schreiben die Menschen uns und die Landesregierung an. Mich lässt es tatsächlich ratlos zurück, wenn ich immer öfter höre: Wir haben die Landesregierung angeschrieben, aber wir haben keine Antwort bekommen.

Meine Damen und Herren! Entscheidende Bedeutung für die Akzeptanz der Beschränkungsmaßnahmen, zu denen wir als Opposition grundsätzlich stehen, ist die Transparenz der Entscheidungen und eine Einbindung von Wissenschaftlerinnen, von Expertinnen, aber eben auch von Expertinnen in eigener Sache, nämlich Bürgerinnen und Bürgern des Landes Sachsen-Anhalt.

Um diesen Anspruch gerecht zu werden, werbe ich für die Zustimmung zu unserem Antrag. Ich werbe dafür, einen Pandemiestab einzurichten. Wir haben sehr viele benannt, die darin mitarbeiten könnten. Selbstverständlich kann ich den Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Landespflegerat teilen. Mich lässt ehrlicherweise ratlos zurück - aber das sagt vielleicht noch die Rednerin der Fraktion -, warum Landtag und Landesregierung in einem solchen Gremium nicht sitzen sollen; denn genau das ist das, was wir als LINKE uns unter lebendiger Demokratie und unter Einbeziehung der Menschen vorstellen, um eben für eine höhere Akzeptanz der Maßnahmen zu werben. Es geht darum, mit den Menschen zu reden, also nicht über sie zu reden und nicht ihre Dinge dann im Nachgang schriftlich anzuhören. Wir wollen tatsächlich mit ihnen reden.

Insofern hoffe ich, dass dieser Antrag heute hier eine Mehrheit findet. Sollte das nicht der Fall sein, werde ich mich natürlich am Ende der Debatte noch einmal äußern.

(Zustimmung)

- Herr Borgwardt meldet sich.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Sie noch nicht - Zunächst spricht Herr Tillschneider, dann hat Herr Borgwardt das Wort.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Drei Dinge. Ich stelle erst einmal fest: Der Pandemierat - -

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Tillschneider, Ihre Frage wird nicht beantwortet.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Ich habe aber eine Intervention angemeldet.

(Zuruf: Dann hätte er stehen müssen!)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Nein, haben Sie nicht. Sie haben eine Frage angemeldet.

(Zuruf: Er steht doch!)

- Nein. - Noch einmal zum Sachverhalt: In § 60 Abs. 4 GO.LT ist Folgendes geregelt:

„Bei Zwischenfragen bleibt das Mitglied des Landtages in der Fraktion sitzen und hebt den Arm zur Antragstellung.“

- Genau das haben Sie gemacht.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Gut, dann stelle ich mich jetzt hin und melde eine Intervention an.

(Zurufe - Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Das ist jetzt zu spät.

(Zustimmung - Unruhe)

Es tut mir leid. Das müssen Sie während der Rede machen.

(Olaf Meister, GRÜNE: Das ist ja die 1. Sitzung! - Zurufe)

An dieser Stelle wirklich eine reine Fachfrage. Sie können das demnächst wieder tun, aber daran muss man sich gewöhnen. Man muss sich wirklich daran halten. Also, § 60 Abs. 4 noch einmal genau durchlesen. - Jetzt die Frage von Herrn Borgwardt.


Siegfried Borgwardt (CDU):

Danke schön. - Herr Präsident! Sehr geehrte Eva von Angern! Zwei kurze Anmerkungen von mir bzw. dann noch eine Frage.

Erstens hat unser Ministerpräsident im Bundesrat deutlich gemacht, dass er gegen eine 2-G-plus-Regelung ist.

Zweitens. Ich weiß nicht, ob Sie zur Kenntnis genommen haben - das wäre meine Frage -, dass der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt dabei nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal hat. Der sehr verehrte Ministerpräsident von Bayern - damit man nicht denkt, es sei ein A/B-Problem - und der sehr geehrte Ministerpräsident von Niedersachsen haben bis heute keine 2-G-plus-Regelung umgesetzt. Haben Sie das zur Kenntnis genommen?

(Zuruf: Thüringen! - Unruhe)


Eva von Angern (DIE LINKE):

Kann ich antworten?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ja, bitte.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Her Borgwardt, Sie haben mir nicht zugehört. Ich habe gesagt, dass sich der Ministerpräsident unseres Landes in der Runde der Ministerpräsidentenkonferenz nicht zu Wort gemeldet hat,

(Zuruf)

dass er dort nicht gesagt hat, dass er nicht gedenke, diese Regelung, diese Vereinbarung in Sachsen-Anhalt umzusetzen.

(Zurufe)

Ich habe dem Grunde nach darüber nichts gesagt. Ich habe das nicht bewertet. Ich habe die Kommunikation nach außen, die Wirkung auf die Menschen, die so eine geknickte Kommunikation - - Dabei habe ich noch nichts darüber gesagt, dass, ich glaube, vier Tage später im Mitteldeutschen Rundfunk Petra Grimm-Benne, die ich inhaltlich darin ausdrücklich unterstütze, gesagt hat, dass sie das, was der Ministerpräsident - ich sage es einmal etwas salopp - natürlich selbstverständlich sehr schnell als Position einkassiert, wenn die Zahlen hier steigen. - Das hat sie nun nicht getan. Das ist eine politische Entscheidung, diese muss das Kabinett vertreten. Aber die Frage ist doch - darüber habe ich hier gesprochen -: Wie funktioniert Kommunikation? - Und diese läuft in diesem Land sehr, sehr schlecht, bezogen auf diese Landesregierung, Herr Kollege.

(Zustimmung)