Sebastian Striegel (GRÜNE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe überlegt, ob ich jetzt eher einige grundlegende Bemerkungen zu dem Thema Migration vorbringe oder ob ich eng am Antrag bleibe. Ich habe mich jetzt doch für das Letztere entschieden.
(Zuruf von der AfD: Sehr gut!)
Zu den Sachleistungen. Sind sie zielführend? Sind sie kein zielführender Ansatz? Zur Begründung von Sachleistungen in Form von Bezahlkarten für Asylbewerber oder abgelehnte Asylbewerber wird angeführt, dass Anreize zur Einreise in die Sozialsysteme entfallen würden. Nur gibt es leider keinerlei empirische Evidenz für eine solche Annahme.
Erstens. Menschen migrieren aufgrund von Krieg, Klimakrise oder aus anderen Gründen, derentwegen sie keine Perspektive sehen. Sie migrieren im Rahmen ihrer eigenen finanziellen Möglichkeiten dorthin, wo sie sicher sind, meistens in die Nachbarländer oder sogar nur im eigenen Land. Deutschland ist ein beliebtes Zielland aufgrund seiner Sicherheit
(Stefan Ruland, CDU: Nein! Aufgrund seiner Sozialleistungen!)
und seiner wirtschaftlichen Kraft. Das, meine Damen und Herren, möchte doch vermutlich niemand aufgeben.
Über unser Sozialsystem macht sich dabei eher niemand Gedanken, genauso wenig wie über den Umstand, dass sie hier möglicherweise über lange Zeiträume hinweg in großen Aufnahmeeinrichtungen leben - isoliert vom Rest der Gesellschaft, ohne eine Chance, die Sprache zu erlernen, mit einem Arbeitsverbot belegt und all die problematischen Folgen, die so ein Leben für Menschen haben kann.
Zweitens. In ein Dumping von Standards innerhalb von Europa einzutreten ist kontraproduktiv. Neben den hochproblematischen rechtlichen Folgen bei solchen Ansätzen sind verpflichtende und verbreitete Integrationsstandards in Europa eine entscheidende Voraussetzung für eine gelingendes Verteilsystem. Nur ein Verteilsystem, das in der Praxis funktioniert, wird zu einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen in Deutschland beitragen.
Auch Griechenland - der Innenausschuss war gerade dort - bietet bspw. für viele Geflüchtete gute Gründe, um dort zu bleiben. Ihnen müssen dort nur Perspektiven geboten werden.
(Matthias Lieschke, AfD: 95 % hauen ab!)
Drittens. Der Vorwurf der Überweisung von Sozialleistungen ins Ausland ist eine bloße Behauptung.
(Zuruf von der AfD: Was? Das ist nachgewiesen!)
Ich kenne keine Veröffentlichung,
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das ist nachgewiesen! Dazu gibt eine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag! - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
auf die hier Bezug genommen werden könnte, außer vielleicht auf die gleiche Behauptung von vor 20 Jahren, die man jetzt wieder aus der Schublade gekramt hat.
Viertens. Das ist in unserer Debatte möglicherweise der wichtigste Punkt; denn er betrifft auch uns als Land und unsere Kommunen. Die sogenannte Migrationskrise
(Daniel Roi, AfD, lachend: „Sogenannte“! Alter Falter! - Weitere Zurufe von der AfD)
ist in Wirklichkeit eine Verwaltungskrise. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass ein großer Teil an Belastungen, die wir wahrnehmen, aus der Überforderung unserer Verwaltung herrührt. Das liegt zum Teil an falschen Strukturen, mangelnder Zusammenarbeit zwischen den Behörden, fehlender Digitalisierung und personell schlecht ausgestatteten Ausländerbehörden.
(Zuruf von der AfD: Nimm sie doch bei dir zu Hause auf!)
Um es einmal deutlich zu sagen: Wenn das Ganze im Bereich der Kfz-Zulassungen so laufen würde, hätten wir die Probleme in diesem Land längst gelöst. Wir brauchen nicht mehr Sachleistungen, sondern endlich einen gesellschaftlichen Konsens, politische Entscheidungen zu einer realistischen Migrationspolitik. - Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN - Nadine Koppehel, AfD: Herr Striegel, haben Sie denn schon welche aufgenommen?)