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Plenarsitzung

Transkript

Juliane Kleemann (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die von der FDP-Fraktion erbetene Debatte über das Thema der Atomenergienutzung überrascht nicht. Ebenso wird nicht überraschen, was ich für meine Fraktion, die Sozialdemokraten, dazu zu sagen habe.

Diese Aktuelle Debatte rahmt das Jahr 2023 ein. Das ist irgendwie auch schön.

(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)

Wir sind mit einer Atomdebatte hineingegangen, jetzt gehen wir mit einer Atomdebatte hinaus. Die Emotionen haben gezeigt, wir alle haben es offensichtlich irgendwie auch genossen; seis drum. 

(Hendrik Lange, DIE LINKE, lacht - Zuruf von Marco Tullner, CDU)

Zunächst halte ich fest: Der Antragstellerin ist die Reduktion der Treibhausgasemissionen wichtig. Ich halte also fest, dass dazu Anstrengungen und Entwicklungen nötig sind. Dann, liebe FDP-Fraktion, lassen Sie uns doch gern eine breit gefächerte Diskussion nicht nur über die potenziellen Auswirkungen und Herausforderungen dieser Allianz der 22 führen, sondern das gesamte Thema aufdröseln. Das ist in Teilen schon durch meine Vorredner passiert.

Übrigens - darauf hat der Minister auch schon hingewiesen - haben nicht nur 22 Staaten eine gemeinsame Erklärung unterschrieben. Vielmehr haben auf der COP mehr als 120 Staaten eine Erklärung zum massiven Ausbau der erneuerbaren Energien abgegeben. Ich finde durchaus, man darf die Quantitäten in Betracht ziehen und erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass manche sowohl bei der einen Erklärung als auch bei der anderen Erklärung auftauchen. 

Das 1,5-Grad-Ziel bei der Reduzierung der Erderwärmung ist ein Zukunftsziel für ein Leben aller Menschen insgesamt auf unserem Erdball.

(Nadine Koppehel, AfD: Aller Menschen! - Unruhe)

Insofern ist es ein Ziel der menschlichen Solidarität. Insofern ist es ein Ziel für einen gesunden Egoismus - ein Egoismus nämlich, der weiß, dass es mir selbst und meinen Nachkommen nur dann gut geht, wenn es weltweit lebenswerte Regionen gibt, wenn der Anstieg der Meeresspiegel aufgehalten wird, wenn Erdrutsche in den Alpen Ausnahmen bleiben, wenn die Biodiversität erhalten bleibt, wenn Waldbrände kein Normalfall werden.

Vor diesem Hintergrund hoffe ich sehr, dass der aktuelle Streit um das Abschlusspapier der COP in Dubai sich wirklich zum Guten auflöst. Das, was wir dort gerade erleben, empfinde ich im Moment jedenfalls als einen desaströsen Zwischenstand. 

(Zustimmung von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD, und Hendrik Lange, DIE LINKE - Unruhe)

Wenn nun in der Debatte um die Erreichung des existenziell wichtigen Klimaziels immer wieder die Atomenergie beschworen wird, dann wundert mich das allerdings doch sehr. Ja, die Verstromung durch Kernspaltung erzeugt selbst eher wenig CO2. Aber, lieber Kollege Silbersack, es ist keine nachhaltige Form der Energiegewinnung. Warum das so ist, sind die bleibend aktuellen Gründe. Von diesen haben wir heute schon mehrmals gehört.

Der Betrieb von Atomkraftwerken war und ist ökonomisch nicht sinnvoll. Milliarden an Mark und Euro sind in den vergangenen Jahrzehnten über Finanzhilfen und Steuervergünstigungen geflossen: für Forschung, für Aufbau und Abbau der Anlagen, für Zwischenlagerung und jetzt für die Suche nach einem Endlager. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages geben zwar in ihrer Ausarbeitung    

(Anhaltende Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Meine Damen und Herren! Sie machen es der Rednerin wirklich leichter, wenn Sie hier im Saal eine gewisse Ruhe halten könnten. - Frau Kleemann, bitte.


Juliane Kleemann (SPD): 

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages geben zwar in ihrer Ausarbeitung „Strom aus Kernenergie: Kosten und Subventionen“ den Hinweis, dass eine Aufschlüsselung der Kosten wegen verschiedener Ansätze bei den Berechnungen externer Kosten und Folgekosten wie bei einem GAU und Umweltschäden sowie nicht externer Kosten schwierig ist. Dennoch: Die ausgewerteten Studien sprechen von Summen in Höhe von 287 Milliarden € im Zeitraum von 1955 bis 2022 bzw. von 237 Milliarden € in einem etwas kleineren Zeitraum von 1970 bis 2016.

Realität ist: Es gibt keine gesetzliche Grundlage für die Wiederaufnahme der Nutzung der Atomkraft. Alle noch bestehenden inaktiven Meiler müssten aufwendig untersucht und ggf. saniert werden. Personal müsste geschult werden. Die meisten der ehemals 2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind mittlerweile in anderen Berufen tätig und haben ihre Berufsbiografie deutlich neu ausgerichtet. Auch müsste man neue Brennelemente beschaffen. Es müsste Betreiber geben, die sagen: Ja, wir betreiben wieder ein Atomkraftwerk. Sie alle sind nicht mehr da.

(Ulrich Thomas, CDU: Die gibt es doch aber! Die gibt es doch!)

Ein Neubau eines AKW dauert durchschnittlich 16 Jahre - das haben wir auch schon gehört - und ist extrem teuer. Das Beispiel Frankreich ist schon genannt worden. Die Kosten von ehemals 3 Milliarden € sind mittlerweile auf 20 Milliarden € angestiegen.

Die Befürworter der Kernkraft schauen gern sehnsuchtsvoll nach Frankreich: das Land der vermeintlich heilen Atomkraftwelt.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Nun hat der Staat dort nach massiven Verlusten die Übernahme des Stromkonzerns EDF im Sommer abgeschlossen. Viele AKW sind in überholungswürdigem Zustand und konnten wegen der Trockenheit, also fehlender Kühlung, nicht genug produzieren. Strom musste teuer zugekauft werden. Wir wissen, dass der Strompreis auch in Frankreich steigen wird, um die Sanierung und den weiteren Ausbau zu bezahlen. Daneben steuert aber auch Frankreich jetzt - horch, horch - auf Offshore-Windenergie zu. 

(Ulrich Thomas, CDU: Zusätzlich!)

Realität bleibt auch, dass kein Rückversicherer die Risiken des Betriebs von AKW übernimmt. Kalkulierte Jahresbeiträge von 72 Milliarden für die Haftpflichtversicherung - ich möchte wissen, wer das wirklich freiwillig bezahlen will. 

(Ulrich Thomas, CDU: Die Münchener Rück macht das!)

Das DIW hält in einer Studie aus dem Jahr 2019 fest - ich zitiere  : 

„Privatwirtschaftliche Investitionen waren in der Vergangenheit […] unrentabel; dies gilt auch für Neuinvestitionen [in Kernkraftwerke].“

Aufgrund der Gefahr radioaktiver Emissionen und der Verbreitung ist die Kernenergietechnik hoch riskant. An dieser Stelle, finde ich, dürfen wir durchaus der Vergesellschaftung von Kosten ein Ende setzen.

(Zustimmung bei der SPD, von Hendrik Lange, DIE LINKE, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Zu einem weiteren Punkt, warum die Atomenergie zum Glück ein Auslaufmodell ist: die Endlagerung des Atommülls. Wir suchen und suchen und sind noch immer nicht angekommen.

(Jan Scharfenort, AfD: Weil es nicht gewollt ist!)

In Deutschland gibt es kein Endlager für stark radioaktiven Atommüll. 

(Zuruf: Brauchen wir auch nicht mehr!)

Finnland baut nun eines. Schweden hat sich nach knapp 50 Jahren nun für einen Lagerort entschieden. Daran sehe ich: Der These, dass es nur in Deutschland so etwas wie eine German Angst vor den Strahlen der Atomkraft gibt, kann ich aus der Perspektive, dass Schweden 50 Jahre gebraucht hat, um einen Ort zu finden, und noch nicht angefangen hat zu bauen, nicht folgen kann.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Wir haben nicht nur kein Endlager, sondern das Problem des anfallenden Mülls ist generell nicht geklärt. Hier ist also eine rote Linie. 

Und ja, auch das haben wir heute schon gehört: Transmutation, AKW neuester Generationen, Kernfusion. Das dauert bloß alles. Wenn wir bauen würden, dann aber nur, wenn wir schon wüssten, dass die Technologie ausgereift ist. 

(Ulrich Thomas, CDU: Ist das der Doppelwumms? Das ist nicht mal eine Wasserpistole!)

Diejenigen, die daran forschen und die Testanordnungen betreiben, sagen selbst: Das ist in den Kinderschuhen, wir sind noch nicht marktreif, das dauert noch 25 bis 35 Jahre. 

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Und das sagen wir schon 30 Jahre lang!)

Wir müssen unsere Energieprobleme jetzt angehen und lösen. 

Zu der Frage der Sicherheit und der Unabhängigkeit in der Energieversorgung. Woher kommt noch mal der Rohstoff für die Brennelemente? - Genau, aus Russland, aus Kasachstan. Wir wären töricht, wenn wir an dieser Stelle neue Abhängigkeiten beschließen würden.

(Ulrich Thomas, CDU: Bei Frankreich machen wir das!)

Es bleibt eine Realität, dass Kernkraftwerke nicht nur bei Klimakatastrophen schlicht nicht laufen, sondern auch bei anhaltenden klimatischen Veränderungen wie Hitze und daraus resultierenden überheizten Flüssen mit niedrigen Pegelständen. Bei den Störfällen können wir noch so oft davon reden, wie sicher unsere AKW wären - ein Restrisiko bleibt. Für die dann aufkommenden Schäden an Mensch und Umwelt und die lange Zeit unbelebten Regionen will hier in diesem Hause sicherlich niemand die Verantwortung übernehmen.

Von entscheidender Bedeutung, um den Debatteneinbringer zu zitieren, ist die Feststellung, dass die Kernfragen der Kerntechnologie, nämlich die Sicherheit und vor allem die Endlagerung des Atommülls nach wie vor nicht geklärt sind. Deshalb ist es auch kein Weg, der einzuschlagen ist. Die Kernenergie löst nicht unsere Energieprobleme.

(Zustimmung von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD, und bei den GRÜNEN)

Um den weißen Elefanten, der im Raum steht, noch zu benennen: Lieber Kollege Silbersack, wenn Sie im Wahlkreis unterwegs sein sollten und erklären, dass Sie gern ein AKW an die Saale 

(Marco Tullner, CDU: An die Elbe!)

und daneben vielleicht ein Endlager für stark radioaktiven Müll bauen wollen, dann komme ich gern mit. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Thomas? - Die Meldung war gerade noch so während der Rede. Bitte.

(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Nee! - Weiterer Zuruf)

- Eine Frage, ja. Es war gerade noch während der Rede.

(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Nee, er war schon durch!)

Frau Kleemann, lassen Sie die Frage von Herrn Thomas zu? 


Ulrich Thomas (CDU): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kleemann, ich habe eine Frage. Sie haben auf Störfälle in Atomkraftwerken abgehoben. Wissen Sie denn, wie viele Atomkraftwerke weltweit gerade in Betrieb sind? Wissen Sie, wie viele Störfälle es in Bezug auf diese Anzahl an Atomkraftwerken in den letzten Jahren gab? 

Ich beziehe mich speziell auf das Jahr 2022, weil Sie auf Störfälle abgehoben haben.


Juliane Kleemann (SPD): 

Ich weiß, dass in Frankreich von den 56 Atomkraftwerken mindestens 29 nicht am Netz waren. 

(Daniel Rausch, AfD: Die waren gewartet worden! - Ulrich Thomas, CDU: Ich frage nach Störfällen!)

- Zu Störfällen kann ich Ihnen im Moment nichts sagen.


Ulrich Thomas (CDU): 

Ich möchte für das Plenum feststellen, dass es 422 Atomkraftwerke gibt. 


Juliane Kleemann (SPD): 

416. 


Ulrich Thomas (CDU): 

Im Jahr 2022 waren es 422 Atomkraftwerke. - Kollegin Kleemann wusste nicht über einen Störfall zu berichten. - Danke schön. 

(Zustimmung bei der CDU - Oh! bei der SPD und bei den GRÜNEN) 


Juliane Kleemann (SPD): 

Oh!