Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir debattieren heute über einen Koalitionsvertrag, der die Uneindeutigkeit zum Standard erhoben hat, einen Koalitionsvertrag, dem weder ein erkennbarer Plan noch eine große Richtung, schon gar nicht eine große Entwicklungsperspektive für dieses Land zugrunde liegt.
Die drei Partner haben offensichtlich - am Ende muss es ja auch schnell gehen - ein Sammelsurium an Maßnahmen und Ideen zusammengetragen. Das ist unverständlich vor allen Dingen in den Bereichen, in denen dieses Land schon weiter war. Ich will ein konkretes Beispiel nennen: Die Beteiligung der Bevölkerung am Ertrag von Erneuerbare-Energien-Anlagen soll verbessert werden - so steht es im Koalitionsvertrag. Dabei waren wir doch schon weiter. Dann kann man doch gleich schreiben: Wir wollen, dass die Leute vor Ort daran partizipieren, dass bei ihnen im Ort eine Windenergieanlage steht.
Die Ministerin Claudia Dalbert hat dazu schon vor mehr als einem Jahr einen konkreten Vorschlag gemacht, genannt Außenbereichsabgabe.
(Zustimmung)
Aber wahrscheinlich macht diese Unkonkretheit aus der Sicht der beteiligten Personen sogar Sinn. Denn alles, wirklich alles unterliegt einem Finanzierungsvorbehalt; nichts ist so wichtig, dass es unbedingt gemacht werden muss. Das war in der Kenia-Koalition, an der wir GRÜNEN beteiligt waren, anders. Damals standen die Kernprojekte, die wir gemeinsam wirklich umsetzen wollten, vor der fiskalischen Klammer.
Das jetzige Vorgehen halte ich für gefährlich. Der Schattenministerpräsident sitzt im Finanzministerium und blockiert undurchsichtig den Geldhahn.
(Zuruf: Der Schattenministerpräsident?)
Angesichts der Erfahrungen aus der letzten Wahlperiode ist klar, dass damit jeglichen Versuchen, Sachsen-Anhalt ökologischer, sozialer und gerechter zu machen, schwerer Widerstand entgegenschlagen wird. An dieser Stelle zeigt sich sehr klar, was passiert, wenn CDU und SPD zu lange Verantwortung tragen. Es kommt maximal zu einer Verwaltung des Bisherigen, zum Stillstand. Kein Aufbruch, keine Zukunftsvision, keine Zukunftsgestaltung. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern gerade in dieser Zeit nahezu gefährlich.
(Beifall)
Denn wir stehen kurz vor dem Punkt, dass wir die größte Menschheitsaufgabe, nämlich die Klimakrise, nicht bewältigen können. Das ist eine Aufgabe, die jetzt ansteht,
(Zuruf)
nicht in der Zukunft, sondern ganz aktuell. Jeder, der Nachrichten sieht, spürt die Auswirkungen. Auch bei uns vor Ort passieren Dinge, die wir noch kurz vor ihrem Eintreffen nicht für möglich gehalten hätten. Bis zur Katastrophe im Ahrtal hätte doch fast jeder in diesem Land geleugnet, dass es solche schrecklichen Flutbilder aus Deutschland überhaupt geben kann.
(Zuruf: Die gab es schon immer!)
Starkregenereignisse haben dies aufgrund des menschengemachten Klimawandels verursacht.
(Zurufe: Niemals! - Unsinn! - Die gab es schon immer mal!)
Bei uns in Sachsen-Anhalt sind trotz erfreulichen Regens in diesem Sommer Tiefenwasserspeicher nicht gefüllt, Wetterextreme nehmen zu, nicht heimische Arten breiten sich aus.
(Unruhe)
Wir müssen - oder müssten, muss man sagen - Millionen zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners aufwenden. CDU, SPD und FDP ignorieren diese Aufgabe.
(Zustimmung)
Zur Bekämpfung der Klimakrise braucht es konkrete Maßnahmen, die in einem rechtsverbindlichen Klimaschutzgesetz festgelegt werden. Nur wenn wir jetzt handeln, werden wir die Zukunft überhaupt gestalten können.
Wenn ich diesen Vertrag lese, dann wird mir - mit Verlaub - sehr klar, warum wir als GRÜNE nur eineinhalb Sondierungsgespräche hatten und dann nicht mehr eingeladen wurden. Es ist ganz klar: Verbindlicher Klimaschutz ist von der CDU nicht gewollt. Da mag das Wort Klima - das habe ich zur Kenntnis genommen - 84 mal in diesem Vertrag stehen,
(Zuruf: Na ja, was ist denn dann das Problem?)
das kann sein, aber Konkretes, um die Klimakrise wirklich zu bewältigen, findet sich in diesem Vertrag nicht.
(Beifall)
Das ist bitter; denn bald gibt es keine Chancen mehr, die man noch verschenken könnte. Wenn die Menschen im Jahr 2030 feststellen, dass es deutlich zu heiß, dass es zu trocken ist,
(Lachen - Zuruf: Das haben wir ja nun in diesem Jahr nicht gehabt!)
dass Stürme und Starkregen toben, dann können die Versäumnisse des Jetzt eben nicht mehr nachgeholt und aufgeholt werden. Was weg ist, ist weg,
(Lachen - Zuruf: Manches kommt aber wieder!)
und die Zukunftschancen gleich mit.
Die Generation, die heute regiert, also Sie, Herr Ministerpräsident Haseloff, und Ihre Ministerinnen und Minister, sollte Verantwortung tragen für diese zentrale Aufgabe. Sie haben Verantwortung gegenüber der jungen Generation und allen kommenden Generationen. Stattdessen werden die nächsten fünf Jahre der Legislaturperiode hinsichtlich des Erreichens des 1,5-Grad-Pfades von Paris verschenkte Jahre sein - und das angesichts einer Generation, die gerade in den vergangenen Jahren, Covid 19-bedingt, so viel auf sich genommen hat, so viel geleistet hat und so viel geopfert hat gegenüber den älteren Generationen, und jetzt nichts zurückbekommt. Das ist einfach bitter.
Die Antwort der schwarz-gelben Koalition auf die Klimakrise ist es, einen Klimakongress zu veranstalten. Aber das brauchen das Land und seine Steuerzahlerinnen nun wirklich nicht. Das heißt, Sie wollen reden, aber nicht handeln.
Meine Damen und Herren! Wir haben doch kein Erkenntnisproblem an dieser Stelle, darüber haben wir schon sehr oft in diesem Hohen Hause debattiert. Das haben uns unzählige Wissenschaftler in alle möglichen Stammbücher geschrieben. Wir haben ein massives Umsetzungsproblem. Wir haben auch dafür gute Vorarbeiten aus der letzten Legislaturperiode. Die grüne Umweltministerin und Energieministerin Claudia Dalbert hat in der letzten Legislaturperiode das Klima- und Energiekonzept auf den Weg gebracht. Darüber muss nicht geredet werden, das muss umgesetzt werden.
(Beifall)
Richtig wäre es, an dieser Stelle den Kohleausstieg vorzuziehen; denn jedes Jahr zählt. Aber diese Regierung behält sich sogar vor, den Kohleausstieg noch weiter nach hinten zu schieben, sollte er aus ihrer Sicht kostenungünstig sein. Richtig wäre es, den Nahverkehr massiv auszubauen und eine alternative Möglichkeit zum Auto zu schaffen. Richtig wäre es, 2 % der Landesfläche für erneuerbare Energien, in dem Fall für Windkraft, im Landesentwicklungsgesetz vorzusehen.
(Zustimmung)
Auf jedes Dach gehört eine Solaranlage, beginnend mit Neubauten und Sanierung. Das wäre richtig.
Auch auf den anderen Feldern sucht man Aufbruchstimmung und Klarheit vergeblich. Green Economy und ökologische Transformation hin zu klimaneutraler Wirtschaft sind nicht ausbuchstabiert. Es fehlt das eindeutige Bekenntnis zum Glasfaserausbau. Die Naturgipsgewinnung soll zulasten von FFH-Gebieten vorangetrieben werden.
Statt unserer - ich hoffe, man muss nicht sagen, noch - starken Automobilzulieferindustrie in dem Transformationsprozess hin zur Elektromobilität deutlich zu helfen, ist hier das vorhin von Ihnen, Herr Ministerpräsident, noch einmal öffentlich proklamierte Bekenntnis zur Technologieoffenheit zu finden. Das ist falsch. Das steht für Nichtstun und Festhalten an veralteten Geschäftsmodellen. Damit ist unsere mittelständische Industrie in diesem Bereich schon bald nicht mehr konkurrenzfähig.
Statt den bisherigen Kurs fortzusetzen, der Sachsen-Anhalts Rolle als Müllimportland beendet hätte, sollen nun sogar mehr und größere Deponien realisiert werden. Vom Abschießen des Wolfes entgegen dem EU-Recht will ich gar nicht weiter reden.
Völlig aus der Zeit gefallen scheint der alibihafte Bereich der Demokratieförderung. Es wird kein Demokratiefördergesetz geben, keine Absenkung des Wahlalters, deutlich zu wenig im Kampf gegen rechtes Gedankengut und rechte Gewalt, nichts Konkretes im Kampf gegen Hasskriminalität, und das im Land des Attentats von Halle. Das macht mich fassungslos.
(Beifall)
Und, verehrte Kollegin Pähle, da mag ja die Lyrik wie an vielen Stellen des Koalitionsvertrages eine schöne sein, aber nichts Konkretes findet sich.
Und mit Blick auf Kinder und junge Menschen, die die Erben der Folgen dieses Koalitionsvertrages sein werden, sage ich: Diese Landesregierung verspielt auf allen Ebenen deren Zukunft.
(Zuruf: Humbug ist das!)
Abgesehen davon, dass das Klima nicht geschützt wird, wird das Wahlalter nicht abgesenkt, werden die Beteiligungsrechte nicht erweitert und wird eine Kindergrundsicherung nicht angestrebt.
Aber vor allem: Welche Finanzen hinterlassen wir ihnen? - Dieser Teil des Koalitionsvertrages offenbart das Fatale, wenn man sich nicht auf einen klaren Kurs mit festen Prioritäten einigt. Alles Inhaltliche ist weitestmöglich offen formuliert. Wie erwähnt, liegt der Finanzvorbehalt über allem. Wie aber werden 1,5 Milliarden € strukturelles Defizit und 1,5 Milliarden € Corona-Sondervermögen künftige Handlungsspielräume beeinflussen?
Meine Damen und Herren! Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Land eine klare Prioritätensetzung in Richtung Zukunft braucht. Da diese von der derzeitigen Landesregierung nicht zu erwarten ist, verspreche ich, dass meine Fraktion konstruktive Oppositionsarbeit machen wird. Wir werden nicht opponieren um des Opponierens willen. Wir werden Defizite benennen und, wie man so schön sagt, den Finger in die Wunde legen. Wir werden aber auch immer und an allen Stellen konkrete Vorschläge machen, wie man die Dinge für eine nachhaltige Zukunft für die Menschen in Sachsen-Anhalt besser machen kann. - Vielen Dank.
(Zustimmung)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Es gibt eine Zwischenintervention. Die hat der Kollege Herr Räuscher mit seinem Stehen am Mikrofon bereits angemeldet. Herr Räuscher, Sie haben zwei Minuten Zeit. Und Sie achten bitte darauf, dass das Mikrofon eingeschaltet ist.
Alexander Räuscher (CDU):
Das werde ich schaffen,
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dann haben Sie jetzt das Wort. - Bitte.
Alexander Räuscher (CDU):
in zwei Minuten.
Frau Kollegin Lüddemann, Sie sprechen von Nachhaltigkeit und von dem, was Sie erreicht haben.
(Unruhe - Zuruf: Mikro!)
- Es leuchtet. Vielleicht muss man es lauter stellen.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Oder ein bisschen näher ran.
Alexander Räuscher (CDU):
Dann kann ich auch reinbeißen.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Jetzt ist es besser.
Alexander Räuscher (CDU):
Ist es jetzt besser? - Ja.
Noch einmal: Frau Kollegin Lüddemann, Sie haben von Nachhaltigkeit und von dem gesprochen, was Sie erreicht haben und wofür Sie sich einsetzen. Und Sie haben von Ihrer Angst vor der Klimakrise gesprochen.
Ich darf Sie gerade als Harzer darüber informieren, dass in der Amtszeit der ehemaligen Ministerin Dalbert der Nationalpark komplett abgestorben ist. Und zu Ihrer Information:
(Lachen)
Da werden gerade 2,5 Millionen t CO2 durch die Bäume freigesetzt. Wir brauchen ungefähr 200 Jahre, bis das wieder gebunden wird. Deutschland hat nach Aussagen der Bundesumweltministerin im letzten Jahr das Klimaziel um 2 Millionen t CO2 verfehlt. Allein Ihre Politik hat dafür gesorgt, dass wir das nicht einhalten können.
Vielleicht wissen Sie es noch nicht. Deshalb sage ich es hier gern mal. Pro Tonne Baum sind 500 kg CO2 gebunden.
Und übrigens steht im Nationalparkgesetz auch, dass das großflächige Waldsterben hätte verhindert werden müssen. Das haben Sie nie verstanden und haben schlicht und einfach nicht das umgesetzt, was im Nationalparkgesetz steht. Wenn Sie es genau nachlesen wollen: Es steht in § 11 Satz 2, nur mal zur Info.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Danke.
Alexander Räuscher (CDU):
Insofern beachten Sie das doch in Zukunft, wenn Sie behaupten, Sie wollen das Klima retten.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können antworten.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Ich will nicht antworten, sondern ich will an der Stelle eine eigene Zwischenintention machen.
Kollege Räuscher, wir haben uns heute hier erst kennengelernt. Es ist schade, dass ich sagen muss, dass wir aufgrund Ihrer Intervention in dieser Legislaturperiode vermutlich keine Freunde werden.
(Heiterkeit und Zurufe)
Denn ganz ehrlich: Ich war in diesem Sommer so oft wie in den Jahren zuvor im Harz. Dass der Nationalpark - das mögen mir jetzt die Kolleginnen und Kollegen aus dem Harz bestätigen - komplett abgestorben ist, ist erstens komplett falsch.
(Zuruf: Das haben Sie wunderbar gemacht!)
Und zweitens.
(Zuruf: Fahren Sie doch mal hin!)
Das, was Sie beklagen, ist ja genau das, was mich umtreibt, nämlich, dass es in Teilen wirklich dramatisch ist. Aber genau deswegen treibt es mich um, dass wir an die Ursachen herangehen müssen,
(Zustimmung)
dass wir die Ursachen bekämpfen müssen, die genau zu diesen Zuständen führen.
(Zustimmung)
Wenn Sie das leugnen, dann werden wir hier nicht auf einen Nenner kommen.
(Zurufe: Oh!)