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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 29

Beratung

Neuansiedlungen ersetzen keine Innovationsstrategie

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3731

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/3778


Einbringen wird den Antrag nun Herr Gallert.


Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Danke, Frau Präsidentin. - Ein schweres Thema zum späten Abend.

(Guido Kosmehl, FDP: Oh!)

Aber ich sehe schon, wie Herr Silbersack und Herr Kosmehl sich darauf freuen. Damit sind wir zumindest schon einmal drei.

(Dr. Katja Pähle, SPD, und Andreas Silbersack, FDP, lachen)

Es geht um die Innovationskraft des Landes. Die Innovationskraft des Landes Sachsen-Anhalt ist kein Selbstzweck. Denn wir müssen darüber im Klaren sein: Die Innovationskraft unserer Wirtschaft, aber möglicherweise auch der Gesellschaft insgesamt ist das, was über die Zukunft dieses Landes entscheidet.

Wir können uns hier und heute gern über Wirtschaftsdaten unterhalten. Sie sind nicht immer besonders gut. Wir wissen, dass im ersten Halbjahr 2023 bei der Wirtschaftsleistung ein Minus von 3,6 % zu verzeichnen war. Die Frage ist allerdings tatsächlich, wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird. Darüber entscheidet die Innovationskraft der Wirtschaft. Denn - auch das wissen wir - als reine verlängerte Werkbank oder nur Ausführende werden wir keine gesicherte Zukunft haben. 

Wir wissen, dass eine Industrie, eine Wirtschaft, die nicht in der Lage ist, aus sich heraus Innovationen zu entwickeln, extrem von Weltmarktlagen abhängig ist. Sie ist selten wirklich krisenfest und sie bildet immer einen gewissen Unsicherheitsfaktor. Wir haben das hier im Land auch nach 1990 schmerzhaft erlebt. Wir alle haben erlebt, mit welchem riesigen Boom der Solarindustrie wir vor allen Dingen im Bereich von Bitterfeld-Thalheim zu tun hatten und was der radikale Absturz dieser Industrie bedeutete, weil sie im Wesentlichen auf Produktion beruhte, die man woanders billiger machen konnte. Es stand nicht ausreichend Innovationskraft dahinter.

Wir brauchen also dieses Wachstum aus der Wirtschaft heraus. Man nennt das endogene Wachstumsfaktoren. Diese Wachstumsfaktoren sind deshalb so wichtig, weil wir uns mit ihnen unabhängig davon machen, ob andere entscheiden, sich hier ansiedeln zu wollen. Vielmehr geht es um das, was sich in unserer eigenen Wirtschaft entwickelt und die Zukunft bedeutet. 

Nun habe ich den Antrag mit der Überschrift „Neuansiedlungen ersetzen keine Innovationsstrategie“ überschrieben. Das hat einen Grund. Das hat deswegen einen Grund, weil die Freude über die Intel-Ansiedlung und einige andere Ansiedlungen hier schon sehr, sehr breiten Raum eingenommen hat.

(Ulrich Thomas, CDU: Wir freuen uns mit!)

- Wir freuen uns mit. - Aber, Herr Thomas, wir gehen darüber hinaus.

(Ulrich Thomas, CDU: Es gibt kein Aber! Freuen Sie sich mal!)

Wir sprechen mit Unternehmern, wir sprechen mit Verbandschefs, wir sprechen mit Universitätsrektoren. Sie sagen: Leute, zurzeit passiert Folgendes - alle schauen auf Intel, wenige oder niemand schaut mehr auf uns. Einer der prominentesten Vertreter war erst vor Kurzem in einem großen Artikel in der „Volksstimme“. Derjenige, der Ambulanzwagen herstellt und weltweit exportiert, sagt explizit: Alle reden über Intel, aber wir kommen in dieser ganzen Debatte nicht mehr vor. Sprechen Sie übrigens einmal mit dem Chef des IT-Verbandes des Landes Sachsen-Anhalt.

(Ulrich Thomas, CDU: Das tue ich! Ja, das tue ich!)

Dessen Beurteilung der Lage lautet so, dass ich sie hier aus Anstandsgründen lieber nicht wiederholen will.

(Daniel Roi, AfD: Machen Sie doch mal!)

Wenn Sie dessen Urteil über die Situation in diesem Bereich erfahren würden, dann würden Sie feststellen, dass die Bauern dagegen noch sehr zurückhaltend gewesen sind.

(Daniel Roi, AfD: Jetzt wollen wir es aber hören!)

Wir sind jetzt in der Situation, dass wir nach der Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage tatsächlich einmal wissen: Wie sehen eigentlich die harten Fakten aus, was die Innovationskraft und die Entwicklung von neuen Ideen bei uns im Wirtschaftsbereich anbelangt. 

Ich komme auf drei Punkte zu sprechen. Erstens. Das Land Sachsen-Anhalt hat es inzwischen geschafft, die rote Laterne bei der Anmeldung von Patenten zu bekommen. Mit Mecklenburg-Vorpommern gab es ein langes, langes Wettrennen um diese rote Laterne. Wir haben es jetzt für uns entschieden. Pro 100 000 Einwohner haben wir im Vergleich zu der gesamten Bundesrepublik Deutschland die geringste Zahl an Patentanmeldungen zu verzeichnen. Wir sind an der Stelle schlechter als Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg - und das, obwohl wir eine viel, viel größere Hochschul- und Universitätsstruktur und sehr viel mehr Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen als diese Länder haben. 

Ich will über Vergleiche mit Thüringen und Sachsen übrigens gar nicht erst anfangen zu reden, über die westdeutschen Bundesländer auch nicht; nein. Zu der Ausrede, wir haben leider keine großen Konzernzentralen, deswegen sind die Dinge bei uns so schlecht: Das trifft auf alle ostdeutschen Bundesländer zu. Ich sage ganz klar: Wenn wir im Verhältnis zu Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern noch schlechter sind und die rote Laterne halten, dann ist das ein Grund, kritisch über die Dinge zu reden. Deswegen stellen wir diesen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun gibt es seitens der Koalition einen Alternativantrag: Patente sind doch nicht wichtig, Patente sind nur ein kleiner Ausschnitt. Dazu gibt es einen schönen Spruch in der deutschen Sprache. Er ist schon relativ alt, stimmt aber noch immer: Die Trauben, die hoch hängen, sind sauer. Ich stelle mir einmal vor, wir würden bei der Patententwicklung unter den ostdeutschen Bundesländern jetzt wirklich nach vorn schießen. Also, die Pressemeldungen aus der Koalition und aus dem Wirtschaftsministerium     Wir könnten uns vor Erfolgsmeldungen gar nicht retten. Hierbei sind wir jetzt die Letzten, aber Patente sind nicht wichtig. 

Na ja, gut, wenn denn Patente nicht wichtig sind, dann kommen wir zu einer zweiten Kennzahl. Die zweite Kennzahl ist die sogenannte Forschungs- und Entwicklungsintensität am Bruttoinlandsprodukt. Diese ist nun wirklich ein Hard Fact. Dabei kann man auch nicht mehr darüber reden, dass Patente vielleicht eigentlich nicht so wichtig sind. Dazu sage ich ganz klar: rote Laterne, ohne Konkurrenz. Wir liegen zurzeit für FuE bei 1,5 %, 1,6 % des Bruttoinlandsproduktes. Selbst Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg liegen mit 1,7 % und 1,8 % weiter vorn. Sachsen liegt bei mehr als 3 %, Thüringen bei etwa 2,8 %. Wir halten also mit Abstand die rote Laterne. Wenn man bei der Forschungs- und Entwicklungsintensität mit Abstand die rote Laterne hält, dann muss man sich übrigens auch nicht über die Frage der stark sinkenden Zahl der Patentanmeldungen in Sachsen-Anhalt wundern.

Fakt 3. Bei der Europäischen Union gibt es einen sogenannten regionalen Innovationen-Scoreboard. Den kennen vielleicht nicht viele. Aber damit werden sämtliche Regionen der Europäischen Union danach sortiert, wie stark ihre Innovationskraft ist. Ich bin bei solchen Bewertungen immer bisschen skeptisch, weil schlecht nachvollziehbar ist, was dort hineinkommt; aber gut.

In der in dem Alternativantrag der Koalition erwähnten Regionalen Innovationsstrategie, übrigens geschrieben von einem Technologiezentrum aus Düsseldorf für knapp 45 000 €

(Ulrich Thomas, CDU: Das ist hilfreich!)

- ja, das will ich ganz klar sagen, Herr Thomas  , ist nicht alles schlecht. Aber ich werde gleich etwas zitieren, und dann wissen wir, worum es geht. In dieser Innovationsstrategie ist z. B. ein Ziel definiert worden. 

(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

In der Innovationsstrategie steht bspw., dass wir gemäß diesem vergleichenden Scoreboard zurzeit bei einer Zahl von 93 sind. Dann wird erklärt, was das bedeutet. Die durchschnittliche Innovationskraft innerhalb der Regionen der Europäischen Union wird mit 100 angegeben. Wir sind bei 93. Unser Ziel muss es sein, die 100 zu überschreiten. Übrigens sind alle anderen ostdeutschen Bundesländer bei mehr als 100 angelangt. Wissen Sie, wo wir heute, anderthalb Jahre nachdem die Innovationsstrategie veröffentlicht wurde, angelandet sind? - Gemäß dem regionalen Innovationen-Scoreboard sind wir jetzt bei unter 90 angelandet. Das heißt also, die Entwicklung ist negativ. Das sind die harten Fakten.

Damit, liebe Kolleginnen, kommen wir zu dem eigentlichen Problem. Das eigentliche Problem vor dem Hintergrund dieser harten Fakten lese ich Ihnen kurz vor. Das ist die Begründung zu dem Alternativantrag der Koalition:

„Die Wissenschaftslandschaft in Sachsen-Anhalt ist durch innovative Technologien, exzellente Forschung und visionäres branchenübergreifendes Denken geprägt. Zahlreiche Projekte bestimmen seit Jahren Entwicklungsrichtungen oder übernehmen Vorreiterrollen. Die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft wurde nachhaltig ausgebaut und der Wissens- und Technologietransfer hat wichtige Impulse erhalten.“ 

Wie kann man Realität so leugnen, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der LINKEN)

In allen harten Kriterien die rote Laterne halten und sich hier selbst in einer Weise abfeiern, dass man sich fragt, wo man denn hier gelandet ist. Nehmen Sie wenigstens die Realitäten zur Kenntnis, liebe Kolleginnen von der Koalition. Wenigstens dazu sollte man in der Lage sein. Denn wenn man das nicht tut und kann, dann wird man die rote Laterne nie los. Dann wird man nie wirklich besser werden.

Das ist das Problem, vor dem wir hier heute stehen. Deswegen ist unser erster Punkt eine kritische Analyse: Was geht denn schief? Wenn man allerdings liest, wie sich die Koalition für den Iststand abfeiert, dann frage ich mich wirklich: Sind wir denn nicht dazu in der Lage, wenigstens einmal eine realistische, kritische Analyse darüber anzustellen, warum wir jetzt dort angekommen sind, wo wir sind? - Offensichtlich nicht. Bloß: Wenn man das nicht will, dann wird man die Situation nicht ändern. Die Situation muss aber geändert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben einige Dinge aufgeschrieben. Über diese können wir alle gern diskutieren, auch gern im Ausschuss. An einer Stelle steht in der Begründung zu dem Koalitionsantrag übrigens etwas Richtiges. Wir haben tatsächlich, auch im Verhältnis zu anderen Bundesländern, eine sehr intensive Forschungslandschaft und eine öffentlich geförderte Forschung, übrigens überproportional. 

Sachsen-Anhalt leidet an dem zentralen Problem, dass wir das, was hier entwickelt wird, nicht auf die Unternehmen dieses Landes übertragen können. Der Flaschenhals sind die KMU. Sie sind so entwicklungs- und innovationsschwach - das kann man übrigens an 0,4 % des BIP in diesem Bereich sehen; das ist schwächer als in fast allen anderen Regionen der Bundesrepublik Deutschland  , dass wir dort den Flaschenhals zu verzeichnen haben. Den müssen wir aufweiten. Dafür brauchen wir Ideen. Das ist wichtig. Deswegen stellen wir diesen Antrag und würden über diesen gern mit Ihnen beraten, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Danke.