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Plenarsitzung

Transkript

Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat ist Frau Kollegin Grimm-Benne zur Stunde in Verhandlungen mit dem Bundesgesundheitsminister. Sie hat mich deshalb darum gebeten, ihre Rede Ihnen zu Gehör zu bringen, und zugleich darauf hingewiesen, dass der Text etwas ausführlicher ist, weil er eine Vielzahl von Fragen und Aspekten versucht aufzugreifen. Ich versuche, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Erlauben Sie mir also einige grundsätzliche Ausführungen zu dem hier in Rede stehenden wichtigen sozialpolitischen Aufgabengebiet.

Die Sicherstellung und die Weiterentwicklung der Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung sind zentrale Anliegen der Landesregierung. Die Eingliederungshilfe, die seit dem Jahr 2020 mit dem Bundesteilhabegesetz in das Recht der Rehabilitation und Teilhabe des SGB IX aufgenommen worden ist, soll Menschen mit Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entsprechend ihren Vorstellungen und Wünschen ermöglichen.

Neben den Leistungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation liegt ein Schwerpunkt der Eingliederungshilfe bei den Leistungen der sozialen Teilhabe.

Träger der Leistungen der Eingliederungshilfe ist das Land und, so sagt es Ministerin Frau Grimm-Benne, liebe Fraktion DIE LINKE, das Land schlägt mit Verweis auf das von Ihnen angemeldete Debattenthema keinen Alarm. Als Träger der Eingliederungshilfe trägt das Land deren Kosten in voller Höhe.

Die Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe werden zum einen zentral von der Sozialagentur Sachsen-Anhalt und zum anderen von den Landkreisen und kreisfreien Städten wahrgenommen, sodass eine wohnortnahe und flächendeckende Aufgabenerledigung im Kontext und in Kontakt mit den Leistungsberechtigten gewährleistet ist.

In den vergangenen Jahren erhielten nahezu gleichbleibend jährlich 27 600 leistungsberechtigte Personen in Sachsen-Anhalt Leistungen der Eingliederungshilfe. Gleichzeitig stiegen die Kosten von 2019 bis 2022 um 16,4 %, mithin jährlich um ca. 5 % bis 6 % und beliefen sich im Jahr 2022 auf rund 598 Millionen €.

Durch das Bundesteilhabegesetz wurde die Eingliederungshilfe deutlich weiterentwickelt. Zur Umsetzung des neuen Leistungsrechts haben die Verbände der Leistungserbringer und das Land als Träger der Eingliederungshilfe im Jahr 2019 einen Rahmenvertrag nach § 131 SGB IX geschlossen. Dieser sieht eine Übergangsregelung vor. Diese Übergangsregelung wurde auf Antrag der Verbände der Leistungserbringer bis in das laufende Jahr hinein verlängert.

Zur Sicherung der Leistungen der Eingliederungshilfe und der damit zusammenhängenden Anpassung der Finanzierung wurde zwischen dem Land als Träger der Eingliederungshilfe und den Leistungserbringungsverbänden vereinbart, dass während der Geltung dieser Übergangsregelung hinsichtlich der Personalkosten jährlich prospektiv pauschale Anpassungen der Vergütungen unter Berücksichtigung der Steigerung von Tarifen bzw. unter Berücksichtigung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen oder von anderweitigen tatsächlich angewandten Vergütungssystemen bis zur Höhe des TVöD/TV-L erfolgen.

Für andere, nicht unter die Tarifregelung fallende Leistungserbringer werden Personalkostensteigerungen in Höhe der am 31. Dezember des Vorjahres geltenden Grundlohnsumme im Sinne des § 71 Abs. 3 SGB V gewährt. Zusätzlich wird den Leistungserbringern für den Mehraufwand während der Geltung der Übergangsregelung ein Überleitungszuschlag in Höhe von 1,29 € pro leistungsberechtigte Person und Tag in den besonderen Wohnformen erstattet.

Für den Sachkostenanteil der Fachleistung wurde ein Vergütungszuschlag in Höhe von 1,8 % jährlich vereinbart. Weiterhin wird auch die rechtliche Vorgabe der Trennung von Fachleistungen der Eingliederungshilfe und existenzsichernden Leistungen am 1. Januar 2020 auf der Grundlage der derzeit gewährten Leistungen umgesetzt. Diese Regelungen gelten bis zum heutigen Tage fort. Im Zuge der Coronapandemie und des Krieges gegen die Ukraine wurden in den vergangenen Jahren zusätzliche Vereinbarungen notwendig und getroffen.

Mit dem Beginn der Coronapandemie erfolgte auch in den Fällen, in denen die Leistungserbringung zum Zwecke des Infektionsschutzes eingeschränkt war, eine Weiterfinanzierung der Leistung durch Eingliederungshilfe. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie erfolgte für die Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe eine erste Anpassung der Übergangsregelung. Danach erhielten die Einrichtungen statt des vereinbarten Zuschlags in Höhe von 1,8 % eine zusätzliche Sachkostenfinanzierung ab dem 1. Januar 2022 in Form eines Zuschlags in Höhe von 2,3 %. Darüber hinaus stellt das Land umfangreich Materialien und Ausrüstung zum Schutz vor Infektionen zur Verfügung. Beispielhaft zu nennen sind ca. eine Million Handschuhe, 4,6 Millionen Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und weitere Materialien.

Unmittelbar im Anschluss an die Pandemie waren und sind zudem die Folgen des Krieges gegen die Ukraine und der Energiekrise zu bewältigen. Obwohl also die Vertragsparteien des Rahmenvertrags ursprünglich eine pauschale Steigerung des Sachkostenanteils der Fachleistung in Höhe von 2,3 % für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2022 vereinbart hatten, wurden als Reaktion auf die sich abzeichnenden Preissteigerungen infolge des Krieges Verhandlungen über ergänzende Sachkostensteigerungen aufgenommen. Im Ergebnis dieser Verhandlungen wurde am 21. Juli 2022 eine außerordentliche Sachkostensteigerung in Höhe von 6,6 % ab dem 1. August 2022 beschlossen. Damit steigerten sich die Leistungen für den Sachkostenanteil um insgesamt 8,9 %. Eine derartige Nachverhandlung mit einer Steigerung in dieser Größenordnung stellt eine Maßnahme zur Festigung der sozialen Infrastruktur im Bereich der Eingliederungshilfe dar, die im gesamten Bundesgebiet einzigartig war.

Aufgrund der volatilen Preisentwicklung auf dem Energiemarkt und der Heterogenität der Einrichtungen im Land gestaltete sich die Suche nach einem pauschalen Betrag zur Steigerung der Sachkosten für das Jahr 2023 im Rahmen der Übergangsregelung schwierig. Im Ergebnis wurde eine Erhöhung der Sachkosten um 3,9 % als Beschlussvorschlag in das Umlaufverfahren gegeben und zugleich die Möglichkeit eröffnet, deutlich höhere Sachkostensteigerungen individuell auszuhandeln. Zwei Leistungserbringerverbände stimmten der Beschlussvorlage nicht zu. Aufgrund des rahmenvertraglich vereinbarten Prinzips der Einstimmigkeit kam es nicht zu der entsprechenden Beschlussfassung. Damit blieb die Übergangsvereinbarung unverändert bestehen.

Vor dem Hintergrund der krisenbedingt stark gestiegenen Energiepreise hat der Bund umfassende Hilfsmaßnahmen zur finanziellen Entlastung unter anderem von Unternehmen beschlossen und mit der Schaffung eines Hilfsfonds für Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen die Empfehlung einer eigens eingesetzten Expertinnenkommission für einen Teil der sozialen Infrastruktur umgesetzt.

Einrichtungen, die aufgrund bundesgesetzlicher Regelungen von den Ländern und Kommunen zu finanzieren sind, werden hieraus jedoch nicht unterstützt. Deshalb wird die Schaffung eines Hilfsfonds des Landes Sachsen-Anhalt zum Ausgleich gestiegener Energiekosten in Einrichtungen der Eingliederungshilfe als notwendig erachtet. Ein Konzept zur Umsetzung eines solchen Hilfsfonds liegt vor. Der Haushaltsgesetzgeber hat hierfür Mittel in den Haushaltsplan 2023 eingestellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Leistungserbringer hatten im Herbst 2022 Frist wahrend Aufforderungen zu Verhandlungen an die Sozialagentur gemacht. Gleichzeitig wurden, wie oben beschrieben, die Verhandlungen auf Landesebene über die pauschale Steigerung der Sachkosten geführt.

Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen, die in der Sozialagentur tätigen Kolleginnen und Kollegen leisten gute Arbeit, auch wenn die antragstellende Fraktion dies heute, aber auch schon in den vergangenen Monaten infrage zu stellen versucht.

Seit der Ablehnung des Beschlusses durch die Leistungserbringungsverbände wurden mit allen Leistungserbringern die Verhandlungen für das Jahr 2023 geführt, die zu Verhandlungen aufgerufen wurden. Von den 769 betroffenen Einrichtungen haben für den Zeitraum ab dem Jahr 2023 bereits 383 Einrichtungen pauschale Angebote angenommen. Für diesen Zeitraum wurden nach Kenntnis der Sozialagentur insgesamt 493 Verfahren bei der Schiedsstelle eingeleitet. Darin enthalten sind auch Anträge, die sich in der Sache durch die Annahme des pauschalen Angebots bereits erledigt haben.

Bei der Schiedsstelle nach § 133 SGB IX handelt es sich um eine gesetzlich vorgesehene Einrichtung. Die Schiedsstelle wird von den Rahmenvertragsparteien gemeinsam gebildet und paritätisch besetzt. Ihre Mitglieder sind ehrenamtlich tätig und an Weisungen nicht gebunden. Die Schiedsstelle ist insoweit auch nicht Teil des Sozialministeriums oder einer nachgeordneten Behörde.

Die auf insgesamt 770 Verfahren angestiegene Zahl der offenen Schiedsverfahren für die Jahre 2020 bis 2023 begründet sich mit der Besonderheit der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen. Danach sind die Vereinbarungen vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode für einen künftigen Zeitraum abzuschließen. Nachträgliche Ausgleiche sind nicht zulässig. Lediglich ein rechtzeitiger Antrag bei der Schiedsstelle vor dem 1. Januar 2023 ermöglicht das Inkrafttreten der Vergütungssätze dann auch rückwirkend am 1. Januar 2023.

In der Übergangsregelung zum Rahmenvertrag ist zudem geregelt, dass im Übergangszeitraum alle Vereinbarungen mit allen Einrichtungen bis zum 1. Januar eines Jahres abzuschließen sind. Damit entsteht jedes Jahr ein Nadelöhr und zum Ende eines Jahres ein enorm hohes Arbeits- und Verhandlungsaufkommen. Wenn dann, wie im Jahr 2022, aufgrund der verzögerten Regelung der Bundesregierung erst spät Verhandlungen aufgenommen werden, dann führt dies aufgrund der gesetzlichen Regelung zu einem erhöhten Antragsaufkommen in der Schiedsstelle. Die Sozialagentur verhandelt aber unabhängig von anhängigen Schiedsstellenanträgen weiter.

Die in den Jahren 2020 bis 2023 vor der Schiedsstelle anhängig gemachten Schiedsverfahren betrafen bis zum Jahr 2022 durchschnittlich 25 Leistungserbringer. In den noch offenen 770 Schiedsverfahren wurden bereits im Zeitraum von 2020 bis 2022 für 151 Einrichtungen Vereinbarungen geschlossen bzw. es wurde eine Einigung erzielt, die Gültigkeit entfaltet. Damit sind diese Schiedsverfahren dem Grunde nach erledigt. In diesen Fällen ist Zahlung bereits veranlasst bzw. steht unmittelbar bevor.

In den 493 Schiedsverfahren für den Zeitraum ab dem Jahr 2023, die von 42 Leistungserbringern angestrengt wurden, konnten bereits mit 45 Einrichtungen Vereinbarungen abgeschlossen werden bzw. es konnte eine Einigung erzielt werden. Die Schiedsverfahren müssen nun noch formal abgeschlossen werden. Damit sind noch 448 Verfahren dem Grunde nach offen. Davon betreffen 149 Verfahren, 33 %, die Mitglieder eines einzelnen Verbandes. Diese Verfahren umfassen neben den Sachkosten- auch Personalkostensteigerungen, die aufgrund der tariflichen Anpassung im Jahr 2023 womöglich erst im Herbst Wirkung entfalten werden.

Lassen Sie mich abschließend feststellen: Nicht nur den Antrag, sondern eine Vielzahl von parlamentarischen Anfragen zum Thema Schiedsstellenverfahren habe ich zum Anlass genommen, mit der Sozialagentur die aktuelle Situation zu erörtern. Klar ist, die Sozialagentur versucht auf hohem Niveau sowohl den Anforderungen gerecht zu werden als auch die Interessen der Betroffenen und ihre Rechte umzusetzen.

Zusammenfassend ist hervorzuheben, die Träger der Eingliederungshilfe, insbesondere die Sozialagentur und das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, arbeiten intensiv und verlässlich an der Bewältigung der aktuell vorliegenden großen Herausforderungen. Neben Arbeiten, die aufgrund der Pandemiefolgen zu leisten sind, stellen die Entwicklungen seit dem vorigen Jahr alle Akteure vor neue große Herausforderungen. Diese konnten im Jahr 2022 bestmöglich bewältigt werden. Das Vertragsrecht der Eingliederungshilfe wie auch der Pflege gelangt bei unsicherem Planungshorizont an seine Grenzen. Daher setzen wir ergänzend auch in der Eingliederungshilfe auf einen Hilfsfonds. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)