Ulrich Thomas (CDU):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Es ist ein ureigenes Interesse und Anliegen meiner CDU-Fraktion, gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land zu haben.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Wenn man es möchte, dann muss man natürlich alle Bedingungen diskutieren. Ich habe in meiner Lebenszeit oft Wellen erlebt, in welchen die Menschen aus der Stadt auf das Land gegangen sind, weil die Baupreise günstiger waren. Dann verlief die Welle wieder anders herum. Momentan ist es so, dass viele junge Menschen überlegen: Wo finde ich meinen Lebensmittelpunkt und wo lasse ich mich nieder? Natürlich ist der örtlicher Nahversorger dabei ein Aspekt. Wir haben dahin gehend weiße Flecken in Sachsen-Anhalt, meine Damen und Herren. Wir müssen uns überlegen, wie gehen wir mit diesen weißen Flecken um, wie können wir die weißen Flecken beleben und attraktiver machen.
(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)
Dazu gibt es die wundervolle Idee von den kleinen Dorfläden, die ein Angebot präsentieren; deren Betreiber uns aber ganz klar gesagt haben: Das funktioniert betriebswirtschaftlich nur dann, wenn wir an sieben Tage in der Woche 24 h geöffnet haben dürfen. - So weit, so gut.
(Olaf Meister, GRÜNE: Ja!)
Nun überlegen wir uns im Parlament das ist ein wunderbares Beispiel für die unterschiedlichsten politischen Gruppierungen , wie wir mit diesem Problem umgehen. Es gibt die, die hier links vor mir sitzen, die gleich wieder in Superlative, in Extreme verfallen.
(Olaf Meister, GRÜNE: Der GBD! Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst!)
Sie äußern Bedenken und sagen: Wir müssen regulieren. Wir müssen bürokratisieren. Das können wir so nicht zulassen. Dabei schwingt immer die Keule mit, dass es ja beklagt werden könnte und das Gesetz einkassiert wird.
(Olaf Meister, GRÜNE: Der GBD!)
Wenn wir als Gesetzgeber uns davon beeindrucken lassen, dann können wir ein Stück weit den Geschäftsbetrieb in diesem Parlament einstellen, meine Damen und Herren.
(Zustimmung bei der CDU - Olaf Meister, GRÜNE: Es ist doch der GBD! - Zuruf von Thomas Lippmann, Die Linke)
Dazu sage ich Ihnen: Dabei sind wir mutiger als Sie, Kollege Meister. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Sie wollen es an der Quadratmeterzahl festmachen. Lassen Sie uns 150 m² nehmen. Ein Investor kommt in einen solchen kleinen Ort und sagt: Mensch, hier ist eine leere Scheune, hier ist ein leeres Gebäude. Das ist dumm. Es hat 220 m². Das sind 20 m² darüber. Was machen wir jetzt? - Dann geht es wieder los. Wir müssen einen Ausnahmeantrag stellen. Dann müssen wir auf eine Genehmigung warten. Dann kommt die ganze Behördenwelt wieder in Bewegung.
(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Es gibt ja einen Ermessensspielraum!)
Dann sagt der Investor: Freunde, kommt hört auf. Das lohnt sich nicht. Das wollen wir nicht.
Nein, unser Ansatz ist ein anderer.
(Olaf Meister, GRÜNE: Ich merke es! Aber es hilft ja nicht!)
Wir vertrauen diesem Modell. Wir vertrauen der örtlichen Verfassung. Wir vertrauen dem Markt. Es ist doch irrsinnig zu behaupten, dass jetzt jeder Rewe- oder Ikea-Markt am Sonntag automatisiert aufmachen würde, nur weil wir es erlauben.
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
Das ist doch nicht die Realität, meine Damen und Herren!
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Olaf Meister, GRÜNE)
Das ist nur dann dazu da, wenn man etwas verhindern will; wenn man verhindern will, dass die Menschen in den kleinsten Orten in diesem Land die Möglichkeit bekommen, einzukaufen.
(Zustimmung bei der CDU)
Zum Thema Rechtsprechung. Schauen Sie sich einmal das Verkehrsrecht an. Dort kenne ich mich ein bisschen aus.
(Stefan Gebhardt, Die Linke: Wir sind aber nicht im Verkehrsrecht!)
Die Rechtsprechung im Verkehrsrecht ist dermaßen dynamisch, dass es sich bei bestimmten Dingen alle zehn bis 15 Jahre fundamental ändert.
(Olaf Meister, GRÜNE: Seid hundert Jahren! - Andreas Silbersack, FDP: So ist es!)
Ich sage Ihnen auch: Warum es sich ändert. Die Lebensrealität in diesem Land ändert sich, meine Damen und Herren.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Wem gegenüber wollen Sie denn auf dem Dorfplatz argumentieren und sagen: Wir müssten uns leider nach dem richten, was vor 100 Jahren in der Weimarer Verfassung beschlossen wurde.
(Olaf Meister, GRÜNE: Nein, was das Gericht entscheidet!)
Dazu sage ich Ihnen: Die Leute haben bereits ganz anders entschieden. Sie entscheiden bereits, wie sie am Sonntag einkaufen gehen. Sie sitzen nämlich am Sonntag auf dem Sofa, schalten ihren Computer an, ihr „iPhone“, ihr „iPad“ und fangen an, sich die Dinge im Onlineshop zu kaufen und zu bestellen.
(Olaf Meister, GRÜNE: Das stimmt! - Hendrik Lange, Die Linke: Genau!)
Sie bestellen sich es am Sonntagnachmittag ganz individuell auf einem Sofa.
Im Übrigen finde ich das nicht gut. Das ist im Übrigen ein großer Vorteil dieser Dorfläden. Dort würde man sich einmal treffen, man könnte sich austauschen, man hätte soziale Kontakte ein nicht zu unterschätzender Aspekt in diesem Zusammenhang , statt anonym zu Hause zu sitzen und zu schauen, was ich so bekommen kann.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Dann stellen wir auch nicht die Frage: Wenn ich etwas am Sonntag bestelle, wie kann es dann eigentlich sein, dass es am Montag bereits bei mir ankommt? Wer organisiert eigentlich am Sonntagabend den Online-Handel? - Den Einzelhändler, der einen Online-Shop hat und Bestellungen am Sonntag noch bearbeitet, disqualifizieren wir auch nicht, sondern wir sagen: Das ist dein gutes Recht. Du hast es entschieden. Wenn du meinst, du musst das am Sonntag machen, dann tu es auch.
Meine Damen und Herren! Das ist die große Konkurrenz, die wir an dieser Stelle haben. Das wollen wir nicht. Wir wollen wieder eine Gemeinsamkeit. Wir wollen, dass die Menschen hier zu ihrem Recht kommen. Dazu möchte ich gern weil Sie heute sehr fiktional unterwegs sind aufzeigen, was alles passieren könnte. Man könnte vermuten, eines Tages kommt ein Fahrzeug am Sonntag, ohne Fahrer, autonom, oder eine Drohne kommt geflogen und liefert mir am Sonntag meine Bestellung, die ich haben wollte.
Es wird sich niemand beklagen und sagen: Am Sonntag darf keine Drohne fliegen, am Sonntag darf das Auto nicht fahren, im Gegenteil: Es wird womöglich Realität werden.
(Jörg Bernstein, FDP: Drohen sind auch nur Menschen!)
Es wird bei älteren Menschen Realität werden müssen, damit sie im flachen Land bleiben und in ihrem Dorf weiterhin leben können.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Wenn Sie damit anfangen ich bleibe bei Ihrer Argumentation : Die Drohne darf aber nur acht Flügel haben und nicht neun, sonst darf sie nicht fliegen, dann ist es genau das, was ich gerade beschreibe. Diese Bürokratie ist wirtschaftsfeindlich und das machen wir nicht mit.
(Olaf Meister, GRÜNE: Der GBD! Geh doch den GBD an!)
Ich bin darauf sehr stolz und bin meinen Koalitionspartnern außerordentlich dankbar, dass wir hierbei wirklich einmal zu einem unbürokratischen Gesetz gekommen sind. Wir müssen den Mut haben, das durchzutragen.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Kettensäge!)
Denn für künftige Gesetzgebungsverfahren ist es beispielgebend, weil wir von vornherein sagen: Wir machen es einmal einfach und nicht immer kompliziert. Wir machen den Ausnahmetatbestand nicht zur Regel, meine Damen und Herren.
Deswegen bitte ich Sie alle um Unterstützung. Damit auch Sie in Ihrem Wahlkreis sagen können: Auch du darfst in deinem Dorf, wo auch immer, am Sonntag automatisiert einkaufen gehen.
(Olaf Meister, GRÜNE: Ihr lest das alle nicht?)
Wir sind nicht dagegen. Wir machen das nicht an irgendwelchen scheinheiligen Gegenargumenten fest. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Thomas, es gibt eine Nachfrage, und zwar von Herrn Gallert.
Ulrich Thomas (CDU):
Bitte schön.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert, bitte schön.
Wulf Gallert (Die Linke):
Warten wir einmal ab, ob diese sogenannten scheinheiligen Gegenargumente nicht dazu führen, dass das Gesetz in einem halben Jahr wieder aufgehoben wird.
(Oh! bei der CDU - Zuruf von Guido Heuer, CDU)
Meine Frage ist aber eine andere.
Sie haben gesagt, die Konkurrenz dazu sind die Leute, die auf dem Sofa sitzen und Online-Bestellungen tätigen. Dazu haben Sie relativ breit ausgeführt. Wissen Sie, wie hoch der Anteil des Online-Umsatzes bei den sogenannten Waren des täglichen Bedarfs ist, um die es bei diesen Dorfkonsums oder Dorfläden geht? Wie hoch ist der in Deutschland? Können Sie mir das sagen?
Ulrich Thomas (CDU):
Herr Gallert, Sie werden jetzt nicht erwarten, dass mir dazu eine Zahl vorliegt.
(Dorothea Frederking, GRÜNE: Doch! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Doch!)
Ich bin nicht das Statistische Landesamt. Aber ich will Ihnen etwas anderes sagen. Schauen Sie sich einmal junge Leute an, die bei einem Unternehmen in Magdeburg ihr Essen im Karton bestellen.
(Zuruf von der CDU: HelloFresh!)
- Ich wollte es nicht sagen, das war ein Zuruf. Ich wollte jetzt keine Werbung machen.
(Lachen bei der CDU)
Das, was dieses Unternehmen liefert, sind auch Waren des täglichen Bedarfs. Schauen Sie sich an, wie viele das mittlerweile tun, und das mit viel Inbrunst, gerade die Generationen, die nach uns kommen. Ich bin ja froh, wenn Sie eine Frau haben, die noch einkaufen geht, oder wenn Sie einkaufen gehen, wenn Sie noch kochen können.
(Lachen bei den GRÜNEN - Sebastian Striegel, GRÜNE: Was für ein schlimmes Geschlechterbild! - Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)
Die jungen Leute tun das nicht mehr. Damit wissen Sie, was uns bevorsteht und wie das zukünftig aussehen muss.
Ich möchte Ihnen auch noch einen Tipp geben: Schauen Sie sich einmal bei den örtlichen Fernsehsendern die Werbungen an. Schauen Sie sich an, welche Lieferanten dort Werbung machen, was man Ihnen mittlerweile alles gern nach Hause bringt.
(Zuruf von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)
Das ist die Realität. Davor können Sie sich verschließen ich finde es auch nicht schön , aber so ist das nun einmal. Deswegen machen wir ein Gesetz, das dieser Realität Rechnung trägt.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert, noch eine kurze Nachfrage?
Wulf Gallert (Die Linke):
Das ist die Geschichte mit den gefühlten Wahrheiten. Natürlich kenne ich das alles. Natürlich weiß ich das. Machen Sie sich um mein Essen keinen Kopf: Ich kaufe selbst ein und koche auch selbst.
(Jörg Bernstein, FDP: Schmeckt‘s denn?)
Das ist jetzt nicht die Frage. Man kann ruhig auch einmal protzen.
Ich kann Ihnen sagen: Deutschlandweit beträgt der Umsatz in diesem Bereich 3 %. Dabei sind die großen Städte weit führend, weil es dort natürlich ein viel stärker ausgebautes Netz an Lieferdiensten gibt
(Jörg Bernstein, FDP: Ja!)
und die Leute in den großen Städten zum großen Teil kein Auto mehr haben. Deswegen gibt es einen relativ hohen Anteil an Lieferdiensten, der ihnen diesen Einkauf nach Hause bringt. In Sachsen-Anhalt reden wir hierbei über einen Anteil von 1,5 % bis maximal 2 %; dieser hat sich übrigens in den letzten zehn Jahren nicht dynamisch entwickelt hat.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Thomas?
Ulrich Thomas (CDU):
Vielen Dank, Herr Gallert. Wenn ich hier einen Meister der gefühlten Wahrheiten kenne, dann sind Sie das.
(Zustimmung von Stefan Ruland, CDU)
Ich habe Ihnen gerade beschrieben, was uns bevorsteht. Wenn wirklich autonomes Fahren kommt, wenn hier wirklich Drohnen autonom durch die Gegend fliegen, dann werden Sie etwas ganz anderes haben. Sie argumentieren so, wie wir über den Internethandel diskutieren würden, wenn es keine Smartphones gäbe. Dann würde man auch denken: Das Paket muss kommen, und wenn es nicht kommt, dann haben wir ein Problem.
In der Zukunft wird es eine sehr rasante Entwicklung geben. Ich glaube, einige von uns wissen das; Sie werden das irgendwann sicherlich auch wahrnehmen - ich will jetzt nicht das Wort „begreifen“ benutzen. Aber wir sollten uns dieser Entwicklung nicht verschließen. Deswegen ist der Gesetzentwurf, den wir vorlegen, ein Weg in die richtige Richtung, mit dem wir Dinge ermöglichen und versuchen, diese Dinge zumindest sozialverträglich zu gestalten und von der Landesentwicklung her auch im flachen Land so zu begleiten, dass alle Menschen in Sachsen-Anhalt einen Vorteil dadurch haben.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Jörg Bernstein, FDP: Sehr gut!)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Herr Thomas.