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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 26

Beratung

Modellprojekt anonymer Kranken-/Behandlungsschein starten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2515


Frau Anger wird den Antrag einbringen.

(Die Rednerin dreht sich zum Präsidenten um)

- Sie müssen nicht auf mich warten.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht und Menschenrechte sind unteilbar. So legt es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fest. Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik folgt man dem und sagt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, zu dieser Aufzählung gehört auch unsere Landesverfassung, die Folgendes festlegt: “Jeder hat das Recht auf Leben sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit.“

Leider ist die Realität selbst in einem Rechts- und Sozialstaat wie der Bundesrepublik eine andere. Oft fallen Menschen, die unter anderem ohne Papiere, ohne Wohnsitz, ohne gültigen Aufenthaltsstatus hier leben, Menschen in prekären Lebenssituationen und mit finanziellen Problemen aus dem Versorgungssystem heraus.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Für Körper und Psyche der Betroffenen bedeutet dies oftmals ein Martyrium, denn es geht   das ist mitnichten übertrieben, meine Damen und Herren   um Leben und Tod.

(Tobias Rausch, AfD: So ein Schwachsinn! Das stimmt gar nicht!)

Die Gruppe der betroffenen Menschen, also der Menschen, die nicht krankenversichert sind und damit nicht einfach mal zum Arzt gehen können, ist mitunter größer als manch einer es zunächst vermutet. Ich will Ihnen gern einmal aufzuzeigen, wer in diesem Land alles von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten ist - trotz verfassungsrechtlicher Bestimmungen, trotz internationaler Vereinbarungen und trotz der allgemeinen Versicherungspflicht.

(Oliver Kirchner, AfD: Das steht doch in dem Antrag!)

Das sind Selbständige, die nach der Coronapandemie und den Kostensteigerungen die privaten Versicherungsbeiträge nicht mehr bezahlen konnten. Übrigens ist dies für viele Selbstständige auch schon vor der Pandemie eine Gratwanderung gewesen.

(Ulrich Siegmund, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

Menschen, bei denen der Übergang von einem Pflicht- in ein freiwilliges Versicherungsverhältnis nicht funktioniert, oder diejenigen, die nach einer privaten Krankenversicherung wieder in eine gesetzliche wechseln wollen, sind häufig betroffen, weil selbst hier oft die Prozesse nicht reibungslos und erfolgreich verlaufen.

Auch ehemalige Inhaftierte haben nach dem Strafvollzug oft große Schwierigkeiten, wieder in ein Krankenversicherungsverhältnis einzutreten. Ähnlich verhält es sich mit Auslandsrückkehrer*innen,

(Lachen bei der AfD)

denen die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung verweigert wird. Das sind aber auch Menschen ohne festen Wohnsitz, die ihre Sozialleistungen nicht geltend machen können. Ebenso betroffen sind EU-Bürger*innen,

(Lachen bei der AfD)

die in Deutschland und ihren Herkunftsländern keinen ausreichenden Versicherungsschutz haben oder nachweisen können, Drittstaatler*innen,

(Lachen bei der AfD)

deren Versorgungsbedarf das Leistungsspektrum der Auslands- und Reiseversicherung übersteigt sowie Menschen, die aufgrund der Übermittlungspflicht entsprechend dem Aufenthaltsgesetz ihren Leistungsanspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht wahrnehmen können oder wollen.

(Zuruf von der AfD: Hat die einen an der Waffel?)

Meine Damen und Herren! Das sind auch nur Schlaglichter; denn es gibt viele andere Umstände und auch Einzelfälle, die ebenso durch das Netz fallen und die mit schlimmen Folgen für die Gesundheit verbunden sein können.

(Ulrich Siegmund, AfD: Leute, Leute!)

Eine zu späte Diagnose einer Erkrankung führt dazu, dass sie nicht behandelt wird. Dies wiederum kann eine Chronifizierung und im schlimmsten Fall auch den Tod zur Folge haben. Aber auch zu Pflegeleistungen haben die Betroffenen keinen Zugang. Auch Schwangerschaft und Geburtshilfe sind in diesem Zusammenhang zu nennen.

In manchen Fällen finden die Betroffenen erst dann den Weg zum Arzt oder zur Ärztin, wenn die Symptome so schwerwiegend sind, dass ihnen keine andere Wahl bleibt. In manchen Fällen aber auch dann nicht. So kommt es vermehrt zu medizinischen Notfällen, die zum einen hätten vermieden werden können und zum anderen Kosten nach sich ziehen. Diese Kosten können von den Menschen unmöglich selbst getragen werden.

Die Krankenhäuser stehen dann vor dem Problem, die Kosten von der Krankenversicherung nicht zurückzubekommen. Das führt auch dazu, dass Menschen abgewiesen werden. Ein unhaltbarer Zustand, der mitnichten dazu beiträgt, das Recht der Betroffenen auf Unversehrtheit, Gesundheit und Menschenwürde zu wahren.

Diese grobe Versorgungslücke muss im Land Sachsen-Anhalt zwingend geschlossen werden,

(Beifall bei der LINKEN)

um unserem eigenen Anspruch, der durch das Grundgesetz und auch die UN-Menschenrechtskonvention verbrieft ist, gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren! In vielen Bundesländern, und zwar in zehn, um genau zu sein, gibt es bereits einen anonymen Behandlungsschein, und es gibt Clearingstellen, die Betroffenen helfen, den Weg zurück in die Krankenversicherung zu finden. Die Kostenübernahme im Falle der Inanspruchnahme des anonymen Behandlungsscheins wird oft aus sogenannten Behandlungsfonds des Landes realisiert.

Für Sachsen-Anhalt wäre es ein guter Anfang, ein Modellprojekt für einen anonymen Kranken- und Behandlungsschein ins Leben zu rufen.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Können wir bitte mal die Gespräche einstellen? Herr Borchert vielleicht auch und Herr Borgwardt und Frau Eva von Angern? - Danke.


Nicole Anger (DIE LINKE):

Dies muss zeitnah geschehen, um die Behandlungsdefizite der Betroffenen schnellstmöglich zu beheben und ihnen zumindest eine gesundheitliche Versorgung zu garantieren.

Das Konzept für das Modellprojekt sollte unter Mitwirkung von Expert*innen

(Lachen bei der AfD)

aus den medizinischen Fachbereichen und der Kranken- und Pflegekassen erarbeitet werden. Mit Sicherheit wäre es auch hilfreich, aus den bereits hier aktiven Bundesländern Erfahrungen und Kenntnisse zum anonymen Kranken- und Behandlungsschein zu nutzen.

Das Konzept sollte im dritten Quartal dieses Jahres in den zuständigen Ausschüssen vorgestellt und diskutiert werden. Selbstredend muss auch im Landeshaushalt ab dem Jahr 2024 eine entsprechende finanzielle Vorsorge getroffen werden, sodass das Projekt ohne Verzögerung mit einer angemessenen Finanzierung beginnen kann.

Das Modellprojekt soll zudem ab dem ersten Jahr seines Einsetzens regelmäßig evaluiert werden. Gleichzeitig soll ermittelt werden, wie viele Menschen von einem anonymen Kranken- und Behandlungsschein Gebrauch machen, um ggf. nachsteuern zu können.

Den Menschen,

(Christian Hecht, AfD: Mensch*innen!)

die im Land Sachsen-Anhalt aktuell ohne oder bestenfalls mit lückenhafter medizinischer Versorgung leben müssen, läuft die Zeit davon. Sie haben keine Grundgesundheitsversorgung. Sie leben mitunter mit unerkannten, chronischen oder sogar lebenszeitverkürzenden Krankheiten und haben keine Chance auf eine adäquate Versorgung.

(Christian Hecht, AfD: Oh, mein Gott!)

Das ist ein unhaltbarer Zustand.

(Beifall bei der LINKEN)

Für meine Fraktion und mich stehen auch diese Menschen mit ihren Bedürfnissen und Bedarfen im Mittelpunkt unserer Tätigkeit, und das ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, ihres Einkommens oder ihres Aufenthaltsstatus.

(Zurufe von Christian Hecht, AfD, und von Ulrich Siegmund, AfD)

Gesundheitsversorgung und Gesundheitsvorsorge, meine Damen und Herren, dürfen nicht zur Disposition stehen, für keinen Menschen, ob nun mit oder ohne Krankenversicherung.

(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Siegmund, AfD: Wer bezahlt das?)

Denn Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht und Menschenrechte sind unteilbar. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Siegmund, AfD: Abschieben! - Weitere Zurufe bei der AfD: Abschieben!)