Tagesordnungspunkt 25
Tag der Befreiung als gesetzlicher Feiertag
Antrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/5322
Einbringen wird diesen Antrag Frau von Angern.
(Zustimmung bei der Linken)
Eva von Angern (Die Linke):
Sehr geehrte Frau Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der 8. Mai, der Tag der Befreiung, muss nach Ansicht meiner Fraktion Feiertag werden.
(Beifall bei der Linken)
Mit dieser Forderung folgen wir der verehrten Esther Bejarano, Überlebende von Auschwitz, die sich bis zu ihrem Lebensabend für Erinnerungsarbeit und Begegnung engagiert hat, die leidenschaftlich gegen Antisemitismus und gegen Rassismus gekämpft hat.
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Was man ja von Ihnen nicht sagen kann!)
Diese Forderung bekräftigt ebenso die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Sachsen-Anhalt. 80 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges sagt Die Linke, es ist endlich an der Zeit, den Tag der Befreiung als gesetzlichen Feiertag anzuerkennen.
(Beifall bei der Linken)
Meine Fraktion fordert daher, den 8. Mai als ein zentrales Element unserer demokratischen Erinnerungskultur im Sonn- und Feiertagsgesetz zu verankern.
Der 8. Mai 1945 markiert ein weltgeschichtliches Datum. Er ist der Tag, an dem die Menschheit vom Nationalsozialismus befreit worden ist. Mit der bedingungslosen Kapitulation, die die Alliierten von den Deutschen erzwangen, endete ein nie dagewesener Vernichtungskrieg in Europa. Wenige Monate später endete der zweite Weltkrieg auch in Asien.
Wenn wir von Befreiung reden, geht es vor allem um die Perspektive jener, die unter dem NS-Regime gelitten haben, der Opfer und Verfolgten, der Menschen unter der Besatzung. Wir erinnern damit insbesondere an die Opfer des Holocausts, an den Mut und die Verzweiflung der Verfolgten und der Gegnerinnen, an den Einsatz der Befreier. Dieser Tag muss ein Tag der Reflexion und des Gedenkens sein, ein Tag, der uns mahnt, nie zu vergessen.
(Beifall bei der Linken - Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Das Grundgesetz ist in vielerlei Hinsicht ein Zeugnis des Neuanfangs und eine Reaktion auf die Aushöhlung der Weimarer Demokratie. Diese Erfahrungen haben den Grundstein für einen Rechtsstaat gelegt, der auf Menschenwürde, dem Sozialstaatsprinzip, Gleichberechtigung und Freiheit fußt.
Doch wenn wir auf die vergangenen Jahrzehnte zurückblicken, dann wird schnell klar: Eine lange Zeit wurde der NS-Zeit und den Verbrechen des Regimes nicht in der erforderlichen Tiefe und Gerechtigkeit begegnet; die allermeisten Täter kamen davon.
Vieles, was wir heute als Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft verstehen, wurde unter dem Schatten einer Politik der Verdrängung aufgebaut. Erst mit wachsendem zeitlichen Abstand zu den Taten und Tätern, zu Mitläufern und Profiteuren im Nationalsozialismus wurde eine kritische Reflexion der Beteiligung an Völkermord und Menschheitsverbrechen ermöglicht.
Es dauerte Jahre und Jahrzehnte, bis es zu Prozessen kam, bis Einrichtungen wie die Gedenkstätte „Haus der Wannseekonferenz“ oder das Holocaustmahnmal entstanden. Noch im Jahr 1995 ich erinnere Sie daran demonstrierten nicht nur Neonazis gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“, sondern auch Vertreter und Vertreterinnen der CDU und CSU.
(Oh! von der AfD)
Bis heute liegen die wissenschaftliche Forschungslage und das öffentliche Gedächtnis zum NS oft weit auseinander. Auch wenn manche uns heute einreden wollen, wir wären 80 Jahre lang in Selbstreflexion zerflossen, das Gegenteil ist der Fall. Die Forderung nach einem Schlussstrich, also einem Ende der kritischen Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Verantwortung, wurde bereits 1945 erhoben, wie wir aus den historischen Berichten wissen.
Mehr als zwei Drittel der Deutschen glauben laut Studien der Uni Bielefeld, dem sogenannten Erinnerungsmonitor, dass ihre Vorfahren keine NS-Täter waren. Fast 30 % meinen sogar, dass ihre Vorfahren potenziellen NS-Opfern geholfen haben. Mit den Fakten hat das wenig zu tun. So gehen historische Schätzungen davon aus, dass nur etwa 0,3 % der deutschen Bevölkerung tatsächlich Helferinnen und Helfer waren.
Der 8. Mai ist deshalb auch ein Tag der Selbstbefragung. Wie sind gesellschaftliche Verrohung und Mittäterschaft an solchen Verbrechen möglich? Diese Auseinandersetzung ist nicht vorbei; sie kann nicht vorbei sein.
(Beifall bei der Linken)
Wir setzen diesem Vergessen unsere Forderung entgegen, den 8. Mai als Feier- und Gedenktag zu verankern. Die Aufnahme des 8. Mai in das Sonn- und Feiertagsgesetz ist ein symbolischer Akt, der in der Verantwortung der Landespolitik liegt. Die Verankerung eines nationalen Gedenktages obliegt der Entscheidung der Bundesebene - aus meiner Sicht wäre beides richtig.
Es ist ein politisches und gesellschaftliches Statement, das klarmacht: Wir ehren die Perspektive der Opfer und Verfolgten, und wir betonen unsere Demokratiegeschichte, die Werte des Grundgesetzes. In einer Zeit, in der rechte Tendenzen und Geschichtsverfälschungen wieder an Boden gewinnen, setzen wir ganz bewusst ein deutliches Zeichen, ein Zeichen, das sagt: Wir erinnern, wir mahnen und wir handeln - für eine Zukunft, in der Freiheit und Menschenwürde unantastbar bleiben.
Der 8. Mai als Tag der Befreiung muss als ein Tag der Besinnung und Mahnung in das kollektive Gedächtnis aufgenommen werden.
(Beifall bei der Linken)
Es ist an der Zeit, dass auch unser Land Sachsen-Anhalt als Teil der bundesdeutschen Erinnerungskultur diesen Tag in die gesetzliche Feiertagsregelung aufnimmt. Am 26. März, also in dieser Woche, hat der sächsische Landtag auf Antrag der Linksfraktion beschlossen, dass der 8. Mai zum Gedenktag in Sachsen wird. Ich finde, wir sollten es den Kolleginnen und Kollegen nachmachen.
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle meine Rede beenden. Sie wissen, es ist üblich, vor oder während der Landtagssitzung schon einmal zu horchen, wie mit den Anträgen umgegangen wird: Gibt es einen Alternativantrag? Wird der Antrag überwiesen? - Das habe ich bei dem 8.-Mai-Antrag nicht für erforderlich gehalten, habe dann aber doch kurz vorher die Kollegin Frau Dr. Pähle von der SPD gefragt, die mir sagte: Wir lehnen diesen Antrag ab.
(Zustimmung bei der CDU und bei der AfD)
Wir hören, wer dort Beifall klatscht. Ich sage jetzt bewusst: Bitte nehmen Sie sich ein Beispiel an Sachsen!
Lassen Sie uns darüber reden, ob dieser Tag nicht wenigstens ein Gedenktag werden kann. Ich möchte sehr bewusst Ministerpräsident Kretschmer zu diesem Thema zitieren. Auch wenn „die zweite deutsche Diktatur präsenter sei“ mahnte der Ministerpräsident „[…] hätte es den 8. Mai nicht gegeben, wäre das Morden, das Sterben nicht zu Ende gewesen. […] nicht die Deutschen haben […] diesen Diktator gestürzt. Es war nur möglich, weil wir befreit worden sind.“
Lassen Sie uns nach Sachsen schauen. Bitte denken Sie noch einmal darüber nach, ob wir nicht doch im Ausschuss darüber reden. Wir sind offen, darüber zu diskutieren, ob es kein gesetzlicher Feiertag, sondern ein Gedenktag wird. Aber ich finde, im 80. Gedenkjahr wäre das angemessen gewesen.
(Rüdiger Erben, SPD: Das hätte man auch aufschreiben können!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der Linken)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau von Angern, es gibt eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider und eine Frage von Frau Dr. Richter-Airijoki. - Beides lassen Sie zu. - Sie lassen die Frage zu. Herr Dr. Tillschneider ist aber zunächst mit seiner Intervention an der Reihe.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Ihr Ansinnen, den 8. Mai zum Feiertag zu erklären, befremdet uns sehr.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Nazis haben Naziprobleme!)
Natürlich war dieser Tag für einige Befreiung; denn ein Unrechtsregime wurde beseitigt. Zugleich war er aber auch die größte Katastrophe in unserer Geschichte.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Die geschah vorher! Die geschah vorher!)
Für die kämpfenden Soldaten war er schlicht eine Niederlage. Dieser Tag ist kein Grund zu trauern, weil er auch Befreiung war. Er ist aber auch kein Grund zu jubeln; denn er war die größte Katastrophe in unserer Geschichte war. Dieser Tag entbehrt der Eindeutigkeit, die er brauchte, um Feiertag zu sein.
Was Sie hier also tun, ist eine ganz scheußliche Vereinfachung, eine tumbe Instrumentalisierung unserer Geschichte. Sie entpuppen sich damit als dumme Linkspopulisten.
(Beifall bei der AfD - Oh! bei der Linken - Zuruf von Kerstin Eisenreich, Die Linke)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau von Angern.
Eva von Angern (Die Linke):
Ich stelle zum wiederholten Male fest: Immer wenn Sie keine klugen Argumente haben, müssen Sie beleidigend werden. Wenn wir mit unserem Antrag bei Ihnen für Befremden gesorgt haben, dann haben wir alles richtig gemacht. Ich wiederhole den Satz: Am 8. Mai 1945 wurde die Menschheit von einer schrecklichen Katastrophe befreit.
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das war 1989, was Sie meinen! - Lothar Waehler, AfD: Am 9. November 1989! - Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Nicht verwechseln bitte! - Zuruf: Von der SED befreit!)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Jetzt kommt die Frage von Frau Dr. Richter-Airijoki.
Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Das war als Intervention gedacht.
Eva von Angern (Die Linke):
Stimmt, Sie standen.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Ich hatte die Zeichen erst als „zur Geschäftsordnung“ und dann als Frage verstanden. Es ist eine Intervention. - Bitte schön.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Ich bin aufgestanden, aber ich hatte mich wieder gesetzt. - Erst einmal vielen Dank für die Erinnerung daran, wie wichtig die Auseinandersetzung damit ist,
(Guido Kosmehl, FDP: Ihr habt doch einen Redebeitrag!)
Eva von Angern (Die Linke):
Herr Kosmehl, Sie hat aber auch das Recht, eine Intervention zu tätigen.
Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
wie es zum Zweiten Weltkrieg, zum Holocaust, zu dem, was der Historiker Meinicke mit Recht „die deutsche Katastrophe“ nannte, gekommen ist. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir uns damit aktiv auseinandersetzen, das in Erinnerung behalten.
(Zuruf: Immer wieder! Immer und immer wieder! - Zuruf von Hendrik Lange, Die Linke: Ja! Immer wieder! Immer und immer wieder!)
Ich möchte dies auch zum Anlass nehmen, darauf hinzuweisen, wie wichtig die historische Friedensforschung ist, auch und gerade in unserer heutigen Zeit. Ich glaube, sie müsste sogar noch verstärkt werden.
Ein Aspekt ist z. B. die Befassung mit der Rolle des deutschen Widerstands. Es gibt ein Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags dazu, dass der deutsche Widerstand unterschätzt wurde in den Möglichkeiten, mit ihm zusammenzuarbeiten, um möglicherweise doch zu einer früheren und anderen Beendigung des Krieges mit sehr viel weniger Opfern des Krieges und des Holocausts zu kommen, durch eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem deutschen Widerstand. Die Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation als dem einzig Möglichen hat dies erschwert.
(Tobias Rausch, AfD: Wie lange denn noch? Eine Minute ist vorbei!)
Das ist eine Ausarbeitung der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags. Ich glaube, wir müssen eine solche differenzierte Betrachtung vornehmen.
(Unruhe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Dr. Richter-Airijoki, wir sind in einer Dreiminutendebatte.
Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Ja.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Sie haben jetzt schon länger als eine Minute geredet.
Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Alles klar. Gut, dann belasse ich es dabei. - Danke.
(Beifall bei den GRÜNEN - Lachen bei der AfD - Zuruf von der AfD: Alles klar!)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau von Angern, wollen Sie doch noch reagieren?
Eva von Angern (Die Linke):
Ja, vielen Dank. - Zum einen möchte ich die Möglichkeit zu reagieren auch dafür nutzen zu sagen, dass ich es wirklich unerträglich finde, wie sich hier über einen Redebeitrag wie Ihren lustig gemacht wird, wie Sie schäbig gemacht werden. Das finde ich absolut unangemessen.
(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Henriette Quade, fraktionslos - Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Schämen Sie sich!)
Aber ich danke Ihnen tatsächlich für das Anführen der weiteren historischen Aspekte. Sie bestärken mich darin, dass es gut und klug gewesen wäre, diesen Antrag in den Ausschuss zu überweisen, darüber zu reden, ihn gern inhaltlich zu erweitern. Darin wäre ich ganz frei gewesen.
Denn wir müssen natürlich einmal öfter darüber reden, wie Erinnerungskultur ausgestaltet werden kann, wie sie nahbar gemacht wird, wie sie fühlbar gemacht werden kann. Aus meiner Sicht ist das dringend erforderlich, gerade jetzt. Denn ich glaube noch immer dran: Wir sind mehr, Frau Richter-Airijoki. - Danke.