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Plenarsitzung

Transkript

Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Herr Präsident, vielen Dank. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Am 3. Juni 2024 - das ist wenige Tage her - verkündete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ein Soforthilfeprogramm angesichts des Jammers, das sich ihm in Passau an der Donau zeigt. Und er verkündet 100 Millionen € plus x als Programm der Bayerischen Staatsregierung für diejenigen, deren Existenz durch die Fluten einmal mehr infrage steht. Gestern war der bayerische Ministerpräsident mit den Worten zu hören: Wir verdoppeln diese Soforthilfe auf 200 Millionen €. 

Die Auszahlungen laufen bereits und das Geld fließt, und dort, wo die Existenz gefährdet ist, gibt es bis zu 100 % Ersatz. Das ist die klassische, die seit Jahren typische Reaktion der Politik auf immense Schäden, die Hochwasser in Deutschland immer wieder anrichten. Dabei ist längst allen klar, dass diese ereignisbezogene singuläre Schadensregulierung in Zukunft so nicht mehr weitergeht.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich will dabei jetzt nicht über den Klimawandel reden. Das tut man ja unter ernstzunehmenden Leuten auch gar nicht mehr, 

(Zuruf von der AfD: Nein, gar nicht!) 

sondern darüber, dass wir in Sachsen-Anhalt ebenfalls in diesem Dilemma stehen. Wir reden nicht über eine wolkige Zukunftsprognose, sondern wir haben auf dramatische Weise selbst erlebt, was Extremwetter anrichtet. Im Jahr 2002 war ein zweistelliger Millionenbetrag erforderlich, um Privaten Hilfe zu leisten, im Jahr 2013   350 Millionen € allein, um die Hochwasserschutzmaßnahmen zu ertüchtigen, und 1,8 Milliarden € für Infrastruktur und für Entschädigung von Unternehmen und Privaten.

Das jüngste Winterhochwasser, meine Damen und Herren, das sich zum Jahreswechsel 2023/2024 ereignete, das Sie alle noch in Erinnerung haben, wird einen Instandsetzungsbedarf von rund 25 Millionen € auslösen. Das Ahrtalhochwasser im Jahr 2021, jene katastrophale Flut, erfordert mehr als 30 Milliarden €, die übrigens aufgeteilt sind zwischen Bund und Ländern. Das Land Sachsen-Anhalt beteiligt sich solidarisch daran.

Es liegt auf der Hand, meine Damen und Herren, dass Bund und Länder nicht auf Dauer in der Lage sein werden, diese Schäden mit Soforthilfen immer wieder aufs Neue zu regulieren. Wir brauchen eine nachhaltige Lösung für die Regulierung von Schäden. Ich bedauere, dass das bislang nicht gelungen ist. 

Dabei müssen wir zwei Dinge auseinanderhalten. Es ist unsere öffentliche Verpflichtung, unsere Verpflichtung als Staat, für die Instandhaltung, für die Hochwasserschutzmaßnahmen zu sorgen.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

In Sachsen-Anhalt tun wir das seit 2002, weil wir gelernt haben. 1,4 Milliarden € - und jedes Jahr, wenn es hier in die Haushaltsverhandlungen geht, tritt der Umweltminister oder auch schon mal eine Umweltministerin vor Sie hin und bittet um Geld für den Hochwasserschutz. Das sind in aller Regel dreistellige Millionenbeträge. Das ist gut investiertes Geld. Frau Abg. Kleemann hat gerade auch erklärt, zu welchem Sicherheitsstandard das inzwischen bei uns geführt hat.

(Zustimmung bei der SPD, von Guido Kosmehl, FDP, und von Andreas Silbersack, FDP)

Nun sind die hier angesprochenen Elementarschadensversicherungen kein Novum. In Baden-Württemberg kennt man sie bereits. Baden-Württemberg war von diesem Hochwasser der letzten Wochen ähnlich stark betroffen wie Bayern. Doch es ist nicht zu vermuten, dass man in Baden-Württemberg ein Soforthilfeprogramm zur Entschädigung Privater und der Wirtschaft auflegt; denn im Ländle gab es bis 1994 eine Wohngebäude-Pflichtversicherung, die auch die Elementarschäden beinhaltete und dazu führt, dass noch heute 94 % aller Gebäude versichert sind. Der Staat steht also weniger in der Pflicht.

Ganz anders sieht es aus, wenn wir uns die bundesweite Statistik ansehen. Diese ist seit Jahren nahezu unverändert. Die Versicherungsquote liegt bei etwa 50 %, über die Republik verteilt. Am schlechtesten ist die Versicherungsquote übrigens bezeichnenderweise in Bremen und in Mecklenburg-Vorpommern mit 31 % bzw. 33 %, obwohl diese Länder bekanntlich Küstenanrainer sind. In Nordrhein-Westfalen ist sie im Bundesvergleich mit 56 % noch am besten. Aber Sie sehen, dass im Grunde nur etwa die Hälfte der Gebäude versichert ist. Bei uns in Sachsen-Anhalt liegt die Quote bei 49 %. 

Die Quote ändert sich nicht. Sie ändert sich erstaunlicherweise auch nach Schadensereignissen nicht. Der Effekt, den man eigentlich vermuten würde, dass Menschen daraus lernen, wenn sie erleben, dass Schäden eintreten und eine Versicherung helfen könnte, tritt nicht ein. Deshalb überschrieb „Die Zeit“ vor einer Woche einen Beitrag mit dem Titel: Was hilft eigentlich gegen Hochwasserdemenz? Denn in der Tat ist in den Regionen nicht festzustellen, dass es zu einer höheren Quote bei freiwilligen Versicherungen kommt. 

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: In welcher Region? In der Hochwasserregion?)

- Einfach mal zuhören, dann kann man sich das leicht erschließen. Diese Frage hat hier kein anderer gestellt. In den Regionen, in denen die Schäden eintreten. 

(Zuruf von der AfD: Ist doch schon klar!) 

Und es ist auch eigentlich kein Wunder; denn man kann im Zweifelsfall darauf vertrauen, dass es jede Landesregierung - jede, völlig farbenunabhängig - so machen wird wie Herr Söder oder wie Frau Rehlinger zu Pfingsten: Man tritt vor die Geschädigten und sagt: Wir helfen Ihnen.

So haben wir auf der einen Seite das politische Dilemma, dass wir helfen wollen und müssen, auf der anderen Seite ein geradezu kollektives Sankt-Florians-Denken all jener, die nämlich sagen: Irgendwer wird schon dafür aufkommen, da verzichte ich doch auf die Versicherung.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Die Pflichtversicherung ist so interessant, weil sie, wenn sie sich über alle Haushalte, über alle Gebäude erstreckt, als Solidarmodell natürlich die Prämierung erleichtert und damit zu einer einfacheren Schadensprämierung kommt. 

Sie haben vorhin nach Frankreich gefragt. Ich muss Ihnen ehrlicherweise sagen, lieber Herr Kosmehl, dass ich die Frage, ob dort tatsächlich wirklich alles zu 100 % ersetzt wird, aus dem Stand auch nicht hätte beantworten können. Natürlich müssen wir über Selbstbehalte reden. Das kann man übrigens auch bei einer Pflichtversicherung tun. 

(Guido Kosmehl, FDP: Das müssen Sie den Menschen auch sagen!)

- Ich bin doch dabei. 

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

- Ich habe noch drei Minuten Redezeit. 

(Guido Kosmehl, FDP: Dankenswerterweise!)

- Dafür bedurfte es gar keines Impulses, ich tue es doch. 

Natürlich kann man über solche Ausgestaltungen reden, aber das entscheidende Modell ist die Versicherungspflicht und damit die Streuung des Risikos. Sie führt übrigens in der Schweiz interessanterweise dazu, dass man gar nicht mehr Lagerisiken bewertet - das ist übrigens auch ein Land mit Pflichtversicherung  , sondern zu einer einheitlichen Bewertung kommt und damit auch zu einheitlichen Tarifen. In Frankreich sind die übrigens relativ niedrig; sie sollen im Jahr 2025 auf 41 € pro Jahr steigen.

(Guido Kosmehl, FDP: Ja, genau!) 

Die Prämie war bislang mit 26 € jährlich angesetzt. Der Verzicht auf aufwändige Prüfungen - so hören wir dort - würde es den Versicherern erleichtern, günstige Prämien anzubieten. 

Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns das Ganze ruhig undogmatisch betrachten. Es hat mich natürlich geärgert, dass bei diesem Auftrag, der erteilt wurde - übrigens zuerst aus der Umweltministerkonferenz, Herr Abg. Erben, dann in die Ministerpräsidentenkonferenz getragen wurde, jetzt noch einmal erneuert in der Umweltministerkonferenz in der letzten Woche und auf die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz in der nächsten Woche gesetzt; ein Anliegen, das von unserem Ministerpräsidenten in der Tat nachdrücklich verfolgt wird  , noch immer kein Weg nach vorn führt. 

Nachdem wir jahrelang darüber gestritten haben - Herr Kollege Kosmehl, ich spreche Sie jetzt als Juristenkollegen an  , dass es verfassungsrechtliche Bedenken geben könne, sind diese inzwischen ausgeräumt. Darüber sind wir sehr froh. Mit diesem fundamentalen Eingriff, den auch niemand hätte vornehmen wollen, wäre es tatsächlich nicht gegangen. Inzwischen ist aber auch die Expertise sowohl im BMJ als auch in der Wissenschaft zu dem Ergebnis gekommen: Nein, man kann so etwas einführen. Und warum sollte man es nicht tun? 

Die Erfahrungen der letzten Jahre sprechen jedenfalls dafür. Und sie sprechen tatsächlich auch für ein Pflichtversicherungsmodell, das nicht nach dem Opt-Out-Prinzip gebaut ist. Einen Vorschlag, der im Moment im Raum ist, will ich hier gleich einführen, nämlich die Frage, dass mit jeder Gebäudeversicherung, die angeboten wird, obligatorisch das Angebot unterbreitet werden muss, eine Elementarschadensversicherung abzuschließen, und man ausdrücklich - Opt-out - erklären muss, dass man das nicht will. Konsequenterweise müsste dann darunter die Belehrung stehen: Wenn Sie das nicht wollen, verzichten Sie zugleich auf die staatliche Entschädigung im Fall eines eintretenden Schadens.

(Zustimmung bei der SPD - Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Ministerpräsidenten, die Ministerpräsidentin möchte ich sehen, die sich dann hinstellen und sagen: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Wenn du falsch optiert hast, interessiert uns dein Jammer nicht mehr. 

Das, liebe Freundinnen und Freunde der liberalen Seite, ist meines Erachtens falsch verstandene Freiheit. 

(Kathrin Tarricone, FDP: Eigenverantwortung!)

Deshalb auch von meiner Seite der Appell: Lassen Sie uns weiter am Ball bleiben, hin in Richtung der Einführung einer solidarischen und bezahlbaren Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Nicht nur Markus Söder will es. Anke Rehlinger, unser Ministerpräsident, die komplette Umweltministerkonferenz, die Ministerpräsidentenkonferenz wollen es. Die Zustimmung zu diesem Modell ist so groß. Man sollte sich ihr nicht weiter entgegenstellen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Willingmann. - Es gibt eine Frage von Herrn Redlich.


Matthias Redlich (CDU): 

Vielen Dank. - Mich würde jetzt noch kurz interessieren, wofür genau Sie sich dabei einsetzen. Sie sagten jetzt: solidarisch. Von Herrn Erben haben wir gehört: Pflicht, aber individuell. Sie haben aber in der Rede immer wieder gesagt: solidarisch, aber doch mit angepassten Beiträgen.

Deswegen interessiert mich, was die Stoßrichtung sein soll. Denn „solidarisch“ heißt, dass alle den gleichen Beitrag zahlen.

(Rüdiger Erben, SPD: Nein! - Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD, und von Guido Kosmehl, FDP)


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Nein.


Matthias Redlich (CDU): 

Doch, an sich schon.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Herr Redlich    


Matthias Redlich (CDU): 

Deswegen frage ich nach, wie Sie es verstehen. 


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Zunächst, Herr Redlich: Sie werden in einer laufenden Debatte Politikern, die sich mit dem Thema beschäftigen und es an dieser Stelle auch ernst meinen, durchaus zubilligen, dass sie das in Nuancen unterschiedlich sehen. Das werden Sie an dem Beitrag von Kollegen Erben und mir gesehen haben.

(Guido Kosmehl, FDP: Oh!)

Das Grundmodell ist aber völlig identisch. Alle sollen hinein. „Solidarisch“ heißt, dass die Bedingungen für alle vergleichbar sind. Natürlich heißt es auch, dass die Beträge, die daraus erstattet werden, entsprechend solidarisch verteilt werden. 

Das Entscheidende am Solidarmodell ist: Sie bekommen durch die große Streuung die Prämiengestaltung flexibler und weiter nach unten. Sie haben mehr Verpflichtete, die mit einem geringeren Beitrag dazu beitragen, dass alle versichert werden. Das ist das Modell. 

Über alles Weitere können wir im Einzelnen reden, auch über die Frage von Selbstbehalten, auch über die Frage von Ausschlüssen. Die sollten allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht allzu groß sein. Wenn es nämlich am Ende zwar eine Pflichtversicherung gibt, in der dann aber doch nicht alle versichert sind, dann haben wir auch nichts gewonnen. 

Nur muss uns eines klar sein. Seit 20 Jahren wird darüber geredet, dass die Versicherungswirtschaft es schon schafft, die Quote der Elementarschadenversicherung zu heben. - Sie ist im Bundesdurchschnitt seit fast 20 Jahren bei 49 %. Das ist zu wenig und hilft uns angesichts der fortschreitenden Klimaereignisse mit Schadensfolgen wirklich nicht weiter. - Vielen Dank. 

(Beifall bei der SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Willingmann.