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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 18

Beratung

Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen. Bundesratsinitiative auf den Weg bringen - Schwangerschaftsabbrüche endlich außerhalb des Strafgesetzbuches regeln

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4685


Einbringerin ist Frau Sziborra-Seidlitz. 

(Unruhe)

- Ich bitte um Ruhe, damit die Einbringung erfolgen kann. - Sie haben das Wort.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erzähle Ihnen zum späten Abend die Geschichte einer jungen Frau aus den USA. Ihr Name war Amber Nicole T. Sie war alleinerziehende Mutter eines sechsjährigen Jungen. Mit ihrem Sohn ging sie gern in den Zoo. Sie besuchten gemeinsam Museen oder fuhren an den Strand. 

Als sie gerade frisch mit ihrem Sohn umgezogen ist und einen Ausbildungsplatz in der Krankenpflege begonnen hatte, wurde sie ungewollt schwanger. Ihr war klar, ein weiteres Kind zu versorgen, das kann sie sich gerade nicht leisten. Doch der Zeitpunkt für ihre Entscheidung war denkbar schlecht. Denn genau zu diesem Zeitpunkt hatte Georgia, der Bundesstaat, in dem sie wohnte, aufgrund der Entscheidung des Supreme Courts zu Roe versus Wade Schwangerschaftsabbrüche ab der sechsten Schwangerschaftswoche verboten. Leider hatte sie diesen Zeitraum bereits überschritten. 

In einem Bundesstaat mit einem liberaleren Abtreibungsrecht konnte sie in einer Klinik einen Termin für einen operativen Schwangerschaftsabbruch bekommen. Sie machte sich früh morgens um vier Uhr gemeinsam mit ihrer besten Freundin auf den Weg zur Klinik und blieb im Stau stecken. Die Klinik konnte mit der Operation nicht länger als 15 Minuten auf sie warten. Sie verpasste den OP-Termin. 

Stattdessen erhielt sie dann die Erklärung, wie sie mit der Einnahme von Tabletten selbst einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch durchführen kann. Amber T. nahm also die Tabletten wie vorgeschrieben ein und fuhr wieder nach Hause. Normalerweise sind medikamentöse Abbrüche relativ sicher. Schwerwiegende Komplikationen sind dabei selten. 

Doch bei Amber T. traf das Schlimmste ein. Ihr Körper hat das Fötusgewebe nicht komplett ausgeschieden und entwickelte eine Sepsis. Sie wurde in ein Krankenhaus in Georgia eingeliefert. Doch die Ärztinnen waren verunsichert: Würde es das gerade in Georgia verabschiedete Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch verletzen, wenn sie das infizierte Fötusgewebe entfernen? Denn den Ärztinnen drohte eine Gefängnisstrafe, wenn sie dagegen verstießen. Also warteten die Ärztinnen erst einmal ab. 

20 Stunden dauerte es, bis sie Amber T. endlich notoperierten. Doch es war zu spät - sie verstarb. Sie wurde nur 28 Jahre alt und hinterließ einen sechsjährigen Sohn, der nun ohne Mutter aufwachsen muss. 

Die Einschränkung beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen hat an dieser Stelle also nicht das ungeborene Leben geschützt. Das ist das, was einige bei dem Thema so gern in den Vordergrund stellen. Ganz im Gegenteil: Aufgrund der Verschärfungen beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, in einigen Bundesstaaten der USA sogar das komplette Verbot, wurde ein Leben genommen - das Leben einer jungen Mutter. 

(Jörg Bernstein, FDP: Wir sind aber in Deutschland! - Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Einige werden jetzt vielleicht sagen: Die USA sind weit weg. Wir haben hier nicht die gleichen Zustände. Selbstverständlich haben Sie damit recht. Aber das Beispiel aus den USA zeigt, was passiert, wenn man keinen gesetzlichen Anspruch auf den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen schafft und wenn man nicht dafür sorgt, dass es diese Zugänge gibt. Es führt eindringlich vor Augen, dass auch wir den Zugang zu medizinischen Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen müssen, damit das Leben und die Gesundheit von ungewollt Schwangeren oder Frauen, die einen medizinischen Abbruch benötigen, in Deutschland geschützt werden. Denn Schwangerschaftsabbrüche finden statt, ob sie legal oder illegal sind. 

(Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Doch momentan wird unser Recht diesem Anspruch nicht gerecht. § 218 des Strafgesetzbuches stellt den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland als illegal und nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Damit werden sowohl die Frauen als auch die Ärztinnen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, kriminalisiert. Das hat weitreichende Konsequenzen. 

Durch die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in § 218 werden diese weder in der medizinischen Grundausbildung, noch in der gynäkologischen Weiterbildung umfassend gelehrt. Das führt zu einem Mangel an praktischen Kenntnissen und an Erfahrungen bei angehenden Ärztinnen. Das berichten nicht nur Medizinstudierende, sondern auch Fachärztinnen. Letztlich führt es dazu, dass es immer weniger Frauenärztinnen gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen können oder es tun. Die Konsequenz davon spüren wir im Übrigen auch in Sachsen-Anhalt. Seit 2017 ist die Anzahl der Frauenärztinnen, die einen Abbruch durchführen, von 40 auf 30 gesunken. 

Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führt auch zu einer Stigmatisierung und oft auch zur Isolation von Frauen, die einen Abbruch durchführen lassen, und von Ärztinnen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Radikale - sogenannte Lebensschützerinnen -, die Frauen und Ärztinnen vom Gehweg aus, vor der Praxis, vor der Klinik oder in den sozialen Medien belästigen, tun dafür ihr Übriges. Es ist gut, dass die Bundesregierung letztlich dagegen ein Gesetz auf den Weg gebracht hat. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Doch die schwerwiegendste Konsequenz hat § 218 für die Gesundheit von Frauen; denn kein sicherer Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gefährdet die Gesundheit von Frauen. Nichts gefährdet den sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland so sehr wie § 218. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deswegen kann man es nicht laut und deutlich genug sagen: § 218 muss weg. Dieser Paragraf muss aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. 

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Es bedarf einer Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches. Der Schwangerschaftsabbruch in der Frühschwangerschaft muss legalisiert werden. Genau das hat auch die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin in ihrem Abschlussbericht vom 15. April 2024 empfohlen, und zwar aus genau den Gründen, die ich eben genannt habe. 

Doch trotz dieser eindeutigen Empfehlungen der Kommission ist bisher nichts passiert. Auch wenn sich unsere bündnisgrüne Bundestagsfraktion ganz klar positioniert hat und fordert, Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln, gibt es beim Rest der Ampelkoalition keinen erkennbaren Willen, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren und diese unsägliche Situation für Frauen und Frauenärztinnen zu beenden.

(Guido Kosmehl, FDP: Das ist in der Praxis schwierig! Das wissen Sie genau!)

- Das weiß ich.   Es ist aber keineswegs so, dass es keine Vorschläge gäbe, wie der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden könnte. In der letzten Woche hat ein Bündnis von insgesamt 26 Verbänden und Organisationen einen umfassenden Gesetzentwurf per Petition an den Bundestag übergeben.

(Zuruf)

Darin haben die Autorinnen aufgeschrieben, wie die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland geregelt werden könnte, indem Schwangerschaftsabbrüche zu einer rechtmäßigen medizinischen Gesundheitsleistung werden. 

Um den Horrorszenarien entgegenzutreten, die in den sozialen Medien und auch jetzt wieder kolportiert werden: In dem Expertinnenbericht wird ausdrücklich von der Frühschwangerschaft gesprochen. Niemand in Deutschland außer der AfD spricht von der Abtreibung ausgereifter Babys.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken)

Gradmesser ist immer mindestens die eigenständige extrauterine Lebensfähigkeit. 

Und ja, zur Frage der Grenzen beim Schwangerschaftsalter es gibt unterschiedliche Haltungen. In manchen Ländern gibt es gar keine Fristen, und trotzdem - das lässt sich für Kanada, ein solches Land ohne Fristen, belegen - finden dort Schwangerschaftsabbrüche regelhaft in der Frühphase statt, weil Frauen nämlich - oh Wunder! - vernunftbegabte und empathische Wesen sind, die sehr wohl zwischen einem Fötus und einem lebensfähigen Embryo unterscheiden können und die genau das auch tun. 

In dem Gesetzesvorschlag wird ein sehr weitgehender Vorschlag gemacht und auch begründet. Darüber kann und sollte man mit Fachleuten diskutieren, ohne Horrorgeschichten und ohne Hetze. Ich und meine Fraktion stehen zu der Zwölfwochenfrist, die sich in Deutschland aus guten Gründen bewährt hat. Wir stehen dazu, weil das verinnerlicht worden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken)

In dem Entwurf wird auch klargestellt, was für mich völlig logisch ist, aber von Abtreibungsgegner*innen gerne gegenteilig behauptet wird, dass Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen einer Schwangeren selbstverständlich unter Strafe stehen. 

Gleichzeitig - das ist auch wichtig - sollen Ärztinnen weiterhin die Möglichkeit haben, sich aus persönlichen Gründen gegen das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen zu entscheiden. Die Beratungspflicht soll nach diesem Entwurf abgeschafft und stattdessen ein Rechtsanspruch auf Beratungsangebote geschaffen werden. 

(Zuruf von der FDP)

Ebenfalls sehr wichtig: In dem Gesetzentwurf des Bündnisses ist die Übernahme der Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch durch die Krankenkassen enthalten. Denn das ist bisher nur in Ausnahmefällen möglich. 

Und ja, das ist ein Vorschlag. Man kann und muss über vieles in diesem Vorschlag diskutieren. Aber hiermit liegt ein Vorschlag auf dem Tisch. Wenn der Bundestag das nicht alleine hinbekommt und dort die Initiative fehlt, dann muss man eben über den Bundesrat gehen und nachhelfen. Deshalb fordern wir Bündnisgrüne die Landesregierung zu einer Bundesratsinitiative zur Abschaffung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches auf. 

Im Interesse der Frauen müssen die Länder jetzt im Bundesrat aktiv werden. Deshalb fordern wir Sie auf, sich für die Gesundheit der Frauen einzusetzen; denn Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen, und die Frauengesundheit gehört nicht ins Strafgesetzbuch. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. -  Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt zwei Fragen aus der FDP-Fraktion. Wir befinden uns in einer Dreiminutendebatte. - Der Kollege Pott hat das Wort für eine Minute.   Bitte sehr.


Konstantin Pott (FDP): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau Sziborra-Seidlitz, Sie haben ja in Ihrem Antrag stehen und in Ihrer Rede noch einmal betont, dass Sie gegen diese Zwölfwochenfrist überhaupt nichts haben. 

Jetzt haben wir eine Regelung auch in § 218. Meine Frage richtet sich darauf: Was würde sich konkret für die betroffenen Frauen ganz praktisch ändern, wenn wir das außerhalb des Strafgesetzbuches regeln würden? Würden Sie mir zustimmen, dass das nicht eigentlich eine symbolische Debatte ist, die wir hier führen?

(Unruhe bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zurufe von Eva von Angern, Die Linke, von Kristin Heiß, Die Linke, von Stefan Gebhardt, Die Linke, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Ich finde, die Tatsache, dass Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, damit eine illegale Handlung begehen, und zwar unabhängig    

(Unruhe - Zuruf: Ach! -  Eva von Angern, Die Linke: Machen sie doch nicht! - Zuruf von der FDP: Was soll denn das? - Weitere Zurufe von Kristin Heiß, Die Linke, von Stefan Gebhardt, Die Linke, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

- Es ist illegal, aber straffrei.

(Anhaltende Unruhe - Zuruf von der Linken: Nein!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Sziborra-Seidlitz, warten Sie! - Es wurde eine Frage gestellt. Bitte lassen Sie die Rednerin antworten. - Bitte, Frau Sziborra-Seidlitz.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Das ist nach wie vor ein Stigma. Das führt auch dazu, dass auch Ärztinnen stigmatisiert werden. Das ist im Übrigen gerade in den Bundesländern, in denen das besonders ausgeprägt ist, 

(Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

auch ein Grund, warum Ärztinnen das häufig nicht anbieten oder nicht darüber sprechen, dass sie es anbieten. Es ist für Frauen schwieriger, diese Orte zu finden. Zudem kann es, wenn es nicht mehr im Strafgesetzbuch steht, wenn es also nicht mehr grundsätzlich strafbar und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei ist, auch regulär und offensiver in der Ausbildung gelehrt werden. Das ist relevant, weil die Frauenärztinnen, die das in der DDR gelernt haben, wo es ein deutlich liberaleres System gab, jetzt massenhaft in den Ruhestand gehen.

(Zurufe von der AfD und von der Linken - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das ist echt ein Problem!)

Das Problem mit den früher 40, jetzt 30 Ärztinnen, die das anbieten, wird sich in den kommenden Jahren noch sehr, sehr viel deutlicher stellen, wenn wir an dieser Stelle nicht nachsteuern.