Henriette Quade (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, etwas zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu sagen, weil ich mich in meiner Einbringungsrede auf unseren Antrag konzentriert habe.
Auch unser Antrag nimmt nicht für sich in Anspruch, alle auftretenden Fragen, Probleme und Baustellen abzuräumen. Das ist objektiv unmöglich. Mit Blick auf den Antrag der Koalitionsfraktionen muss ich allerdings sagen, ich bin dann doch etwas irritiert und hätte zumindest ein bisschen mehr erwartet. Sie bleiben ja dabei stehen, Dinge rhetorisch zu begrüßen, die es schon gibt, und zu unterstützen, was schon vorhanden ist. Sie gehen nicht darüber hinaus. Ihr Antrag beinhaltet kaum eine Maßnahme, die es nicht schon gibt. Und Sie machen Handlungsbedarfe kenntlich, wie bei den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten. Das ist legitim und notwendig - eine Regierung müsste allerdings einen Lösungsansatz haben. Den sehe ich bei Ihrem Antrag nicht.
Die ganz offensichtliche Besonderheit dieser Gruppe Schutzsuchender, die gerade aus der Ukraine hierher kommen, nämlich die Tatsache, dass es überwiegend Frauen, Kinder und Ältere sind, die hier ankommen und die eben besondere Bedürfnisse und eben auch spezifische Schutzbedarfe haben, hat zwar Frau Dr. Pähle in ihrer Rede erwähnt, sie spielen aber in dem Antrag keine Rolle. Sie werden nicht mit einer Silbe erwähnt. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich verstehe es nicht und es wird der Lage, in der wir und in der die Schutzsuchenden sind, schlichtweg nicht gerecht.
(Zustimmung)
Und ja, auch ich kann nicht abschließend sagen, wie wir es schaffen, alle Frauen davor zu schützen, in ihrer Notlage ausgenutzt zu werden, oder wie wir es schaffen zu verhindern, dass angesichts der immensen Bedarfe an Unterbringung in den Kommunen sichergestellt wird, dass es nirgendwo dazu kommt, dass Frauen einen Preis für die Hilfsbereitschaft zahlen sollen und sexuell bedrängt, missbraucht oder genötigt werden. Aber dass wir das Problem auf dem Schirm haben müssen, liegt doch auf der Hand. Und es liegt auf der Hand, dass wir hier darüber reden müssen und dass es auch in den Anträgen vorkommen muss, und nicht nur in den Reden, Frau Dr. Pähle. Wir haben die Fachstellen, wir haben die Kompetenzen der Frauenzentren und der Netzwerke. Wir müssen sie erstens stärken und zweitens nutzen, und zwar schnell.
(Zustimmung)
Das ist eine offensichtliche Fehlstelle des Antrags der Koalitionsfraktionen.
Im Bereich der Bildung das hat hier schon eine Rolle gespielt stellen Sie zutreffend fest: Von Krieg und Flucht traumatisierte Kinder, die nach Sachsen-Anhalt kommen, brauchen nicht nur eine sichere Unterkunft, sondern auch eine gelingende Aufnahme in Kita und Schule. Der Spracherwerb in der Gemeinschaft mit Gleichaltrigen ist der beste Weg zur Integration. Zugleich befürworten Sie in Ihrem Antrag ein Konzept, das zentrale Schulstandorte und eine gesonderte Beschulung vorsieht. Das ist nicht nur extrem widersprüchlich, das ist auch das Gegenteil von Integration.
Angesichts der Dinge, die Frau Dr. Pähle gesagt hat, die der Ministerpräsident gesagt hat, die Frau Feußner gesagt hat, und angesichts dessen, was ich dem Schulleiterbrief entnehme, scheint es hierzu dringenden Klärungsbedarf innerhalb der Landesregierung zu geben, was denn nun der Ansatz ist.
(Zustimmung)
Dass wir ein Problem wegen der zu wenigen Lehrkräfte haben, dass wir schnell Spracherwerb organisieren müssen, dass die vorhandenen Strukturen dafür nicht ausreichen - ja, das trifft zu und das ist weder neu noch überraschend. Das Problem wird aber nicht durch Desintegration gelöst, sondern verstetigt. Dass der Antrag diesen Punkt so aufmacht, ist umso verwunderlicher angesichts der Tatsache, dass im Bildungsausschuss etwas anderes besprochen worden ist, dass der Schulleiterinnenbrief etwas anderes sagt und dass Frau Dr. Pähle etwas anderes gesagt hat. Das ist in der Tat verwirrend.
Es ist richtig und notwendig, ukrainische Pädagoginnen in den Blick zu nehmen und schnell einzubeziehen. Und ja, es ist richtig: Es gibt keine Gewissheiten. Wir wissen nicht, wie lange Ukrainerinnen hier bleiben werden. Auch die Ukrainerinnen selbst wissen es im Moment nicht. Auch ich kenne die Gespräche mit Ukrainerinnen, die mir sagen, sie hoffen darauf, in wenigen Wochen zurückreisen zu können. Ich kenne aber auch die Gespräche mit den völlig desillusionierten Ukrainerinnen, die sagen: Wir wollen versuchen, uns hier ein neues Leben aufzubauen, weil wir dazu gezwungen sind, weil meine Heimatstadt nicht mehr existiert, weil es für mich kein Zurück gibt. Deswegen kann Aussonderung nicht der Weg sein. Es braucht flexible Lösungen, es braucht kreative Lösungen, aber nicht Aussonderung.
(Zustimmung)
Ja, es liegt auf der Hand, dass es schnell eine Sonderausschreibung für DaZ-Lehrerinnen braucht, dass es mehr pädagogische Mitarbeiterinnen, mehr Schulsozialarbeit, multiprofessionelle Teams und eben kreative Lösungen und weniger bürokratische Hürden geben muss, z. B. bei der Reaktivierung von Lehrerinnen, die aus dem Schuldienst ausgeschieden sind, sich aber vorstellen können zurückzukehren.
Es ist schon absurd: Ich höre und lese regelmäßig von ukrainischen Kindern, die am Online-Unterricht mit ihren Lehrerinnen und Lehrern entweder noch in der Ukraine oder selbst als Geflüchtete unterwegs teilnehmen. Sämtliche Unterrichtsmaterialien sind online verfügbar, für alle Schuljahrgänge.
(Zustimmung)
Daran zeigt sich doch nicht nur, wie wirklich unterentwickelt Deutschland im digitalen Bereich ist, es stellt sich doch auch die Frage, wie wir das hier in der Situation, in der wir jetzt sind, im Interesse flexibler und kreativer Lösungen nutzen und einbauen können, und zwar im Interesse der Kinder. Warum sollte diese Ressource für die Anfangszeit nicht genutzt werden und mit Spracherwerb, dem Ankommen in einer regulären Schule im Wohngebiet, nicht an einem zentralen Schulstandort, und pädagogischer Begleitung ergänzt werden? Das wäre ein Ansatz. Im Antrag der Regierungsfraktionen steht nichts davon. Ich glaube, es wäre notwendig, das zu verfolgen.
(Zustimmung)
Wir wissen, dass der Lehrerinnenmangel ein strukturelles Problem ist, das so oder so endlich und strukturell gelöst werden muss. Ausschluss, Absonderung und zentrale Schulstandorte sind nicht die Lösung.
Meine Damen und Herren, es ist richtig: Meine Fraktion verfolgt in Fragen der Migration und Zuwanderung einen anderen Kurs als diese Landesregierung und auch als die Bundesregierung. Das ist in vielen Debatten deutlich geworden. Das wird auch heute sichtbar, wenn wir Schutzlücken und den Umgang mit Geflüchteten ohne ukrainischen Pass reden oder eben auch nicht reden. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
In dem Antrag, den wir heute vorgelegt haben, geht es aber weniger um diese Grundsatzdebatte als vielmehr um den akuten Handlungsbedarf im Land in unterschiedlichen Bereichen und um konkrete Vorschläge dazu, dass das Land Sachsen-Anhalt diejenigen, die aus der Ukraine und vor der russischen Aggression fliehen, gut aufnehmen und ihren besonderen Bedürfnissen entsprechen kann.
(Zustimmung)
Frau Dr. Pähle, ich glaube nicht, dass es diesem Haus schadet, zwei Anträge zu diesem Thema zu beschließen, zumal in Ihrem Antrag so wenig steht, das die Realität im Vergleich zu jetzt verändern würde. - Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag.
(Zustimmung)