Tagesordnungspunkt 20
Schwitzend lernt es sich nicht gut. Schulische Bildung an zunehmende Hitzephasen anpassen.
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4228
Einbringen wird diesen Antrag Frau Sziborra-Seidlitz für die Fraktion die GRÜNEN.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der letzten Woche, der zweiten Schulwoche in diesem Jahr, fiel in der Klasse meiner Tochter die Hälfte aller Schulstunden aus - hitzefrei. Ich will nicht mutmaßen, ob es zum vollständigen Unterricht überhaupt genügend Lehrkräfte gegeben hätte, aber das war angesichts der Temperaturen offensichtlich ohnehin nicht relevant. Diese Frage können und müssen Schulleitungen in Sachsen-Anhalt mit aller Kraft im kommenden Monat wieder beantworten, aber jetzt ist erst einmal Sommer.
Es ist August in Europa. Die Temperaturen klettern auf über 30 Grad. Empfehlungen zum Umgang mit besonderen Hitzetagen erreichen uns alle über die Medien. Super Sommerferienwetter, aber einige, wie unsere Landeskinder, gehen seit Anfang August wieder in die Schule. Kaum dort angekommen, finden verkürzter Unterricht oder verkürzte Schultage statt. Das geht gar nicht anders, zeigt aber die Unsinnigkeit von Sommerferien, die bereits im Juni beginnen.
Andere Länder, die sich schon länger mit höheren Temperaturen auskennen, wie Italien, Frankreich und Spanien, sind da schlauer. Im Hochsommer findet dort keine Schule statt. In Italien beginnen die Sommerferien in der Regel im Juni und enden im September. Die genauen Termine variieren je nach Region, wobei der Höhepunkt der Ferienzeit im August liegt, insbesondere rund um den Feiertag Ferragosto am 15. August. Spanien hat eine ähnliche Struktur mit Sommerferien, die in der Regel von Juni bis Mitte September dauern. Auch dort gibt es regionale Unterschiede, wobei in vielen Teilen des Landes der August der bevorzugte Monat für Urlaub ist. In Frankreich sind die Sommerferien bekannt als „les grandes Vacances“ - keine Ahnung, wie man das ausspricht, ich hatte kein Französisch - und auf die Zeit von Anfang Juli bis Anfang September gelegt.
Es geht also nicht nur um die Länge der Sommerferien - aber warum sollten die nicht mehr als die bisher bei uns üblichen sechs Wochen dauern? Die meisten von uns erinnern sich noch an acht Wochen Sommerferien -, sondern auch um den genauen Zeitraum.
Von den Ländern im Süden Europas können wir hier lernen. Diese kennen heiße Sommer schon länger als wir in den vormals gemäßigten Breiten, und es liegt doch nahe, sich an diesen Erfahrungswerten zu orientieren.
Klar ist, der August scheidet im Grunde für ein wirklich produktives und gesundes Lernen aus. 30 schwitzende Kinder in warmen, stickigen Räumen, die nur mit Innenvorhängen vor dem direkten Sonnenlicht geschützt sind, plus eine Lehrkraft, die quasi auch im eigenen Saft schmort, sind Bildungsprozessen absolut abträglich. Das liegt auf der Hand. Das zeigen aber auch Studien zum Zusammenhang von Hitze und Leistungsfähigkeit deutlich. Grundsätzlich gilt: Je wärmer es ist, desto mehr Energie wird dafür benötigt, den eigenen Körper bei Temperatur zu halten, und das geht auch am Gehirn nicht spurlos vorbei, da dann für mentale Prozesse weniger Energie zur Verfügung steht.
Das zeigte beispielsweise eine Studie von John (?) et al. 2018, die die Leistungen von Studierenden aus Wohnheimen mit und ohne Klimaanlage verglich. Im Ergebnis brauchten die Studierenden im Wohnheim ohne Klimaanlage 13 % länger für die Lösung der vorgelegten Aufgaben, vom Wohlbefinden einmal ganz abgesehen; denn klebrig und schwitzig in eng besetzten Räumen zu sitzen und zuhören zu müssen, wenn draußen die Sonne vom wolkenlosen Himmel brennt, macht weder Spaß, noch fühlt sich irgendjemand bei so etwas wohl.
Daher haben wir Regeln zum verkürzten Unterricht bzw. das allseits bekannte Hitzefrei an unseren Schulen. Wenn unsere Kinder im August aufgrund der Temperaturen ohnehin nur reduzierten Unterricht haben, ist es absolut sinnvoll, darüber nachzudenken, in dieser Zeit die regulären Ferien zu platzieren. Ja, das wendet sich gegen das traditionelle Rotieren der Ferienzeiten in Deutschland. Aber nur am Rande erwähnt, in Bayern und Baden-Württemberg ist im August trotz Rotation immer Ferienzeit. Warum die Kinder in den anderen Bundesländern im August zur Schule müssen, ist jetzt angesichts der zunehmenden Hitzesommer in Deutschland ungerecht und absolut diskussionswürdig.
Über Klimafolgenanpassung im Bildungsbereich zu reden, heißt mehr, als nur über Sommerferien zu sprechen. Wir müssen auch über hitzeresiliente Schulgebäude sprechen, über verschattete Schulhöfe, über Trinkwasserbrunnen, über grüne Klassenzimmer und über flexible Lernformen. Bei grünen Klassenzimmern handelt es sich um Unterrichtsräume im Freien, die bewusst in die Natur integriert werden. Diese Klassenzimmer gibt es bereits an einigen Schulen in Deutschland, wie zum Beispiel in Berlin und in Nordrhein-Westfalen, wo sie als Modellprojekt gestartet sind. Auch in Schulen in Sachsen-Anhalt habe ich schon grüne Klassenzimmer gesehen. Das grüne Klassenzimmer fördert nicht nur das Lernen unter freiem Himmel, sondern auch das Wohlbefinden der Schülerinnen durch die Verbindung mit der Natur. Studien zeigen, dass der Aufenthalt im Freien Stress reduziert, die Konzentrationsfähigkeit steigert und das Lernen dort nachhaltiger macht. Angesichts der zunehmenden Hitzebelastung kann das grüne Klassenzimmer auch dazu beitragen, für angenehmere Lernbedingungen zu sorgen. Lernen im Freien tut immer gut, in Hitzesommern unter Bäumen sicherlich noch mehr.
Bei flexiblen Lernformen meine ich Ansätze des sogenannten Blended Learning. Das ist eine Mischung aus traditionellen Präsenzveranstaltungen und digitalen Lernformaten. Viele Studierende kennen das bereits. Mit diesem Ansatz lässt sich flexibel auf unterschiedliche Bedingungen reagieren, zum Beispiel auf Sommerhitze. Blendet Learning kann beispielsweise bedeuten, dass Schülerinnen und Schüler an besonders heißen Tagen von zu Hause aus arbeiten und dennoch durch digitale Tools und Plattformen voll in den Unterricht integriert sind. Das gilt im Übrigen auch für Eisglätte im Winter.
(Zuruf von der CDU)
Das kann auch heißen, digitale Lernphasen an kühleren frühen Abendstunden durchzuführen und dafür am Mittag frei zu haben, also quasi die Möglichkeit einer Siesta im Bildungsbereich zu bieten.
Herausforderungen für unsere Schulen durch die Klimakrise gibt es viele. Mögliche Ansätze und Lösungen gibt es ebenso viele. Was nun nötig ist, ist, sich hier mit anderen Bundesländern auseinanderzusetzen und abzustimmen; denn heißer wird es von Kiel bis München und von Aachen bis Frankfurt an der Oder. Ebenso gilt es, mit den Kommunen ins Gespräch zu kommen. Als zuständig für die Schulgebäude haben diese auch eine zentrale Rolle. Denn eines darf eigentlich nicht mehr passieren: dass wir Schulen oder Schulhöfe sanieren und neu gestalten und dann etwa ein schattenfreier reiner Steinpausenhof wie beim Editha-Gymnasium in Magdeburg entsteht. Das ist fatal im August.
Pausenhöfe ohne Grün, ohne Verschattung waren nie schön, aber jetzt sind sie als Hitzeinseln geradezu gefährlich; denn Kinder schwitzen weniger als Erwachsene. Das heißt, sie können ihren Körper weniger gut abkühlen. Weniger Schweiß bedeutet, es wird weniger Wärme abgegeben. Gleichzeitig verschärfend erzeugen Kinder bei körperlichen Aktivitäten und großer Anstrengung mehr Stoffwechselwärme als Erwachsene. Bei extremer Hitze und Anstrengung gelingt es dem kindlichen Körper oft nicht mehr, seine Temperatur genügend abzusenken. Folgen können Hitzeerschöpfung oder sogar ein Hitzschlag sein. Das müssen wir verhindern, und hierzu braucht es Konzepte, bauliche Maßnahmen und eine neue Sommerferienorganisation.
Wir wollen den Anstoß dafür geben, die Schulferien in Deutschland neu zu denken. Wir wollen das Thema hitzeresiliente Schulen auf die Agenda setzen. Dass der Weg steinig werden kann, ist klar. An die Diskussion und Schwierigkeiten zu Luftfiltern in Schulen und die Möglichkeit zum Lüften im Rahmen der Coronapandemie können sich sicherlich noch einige erinnern. Jetzt haben wir eine ähnliche Herausforderung, die aber zum Glück - zum Glück für die vorherige Herausforderung - nicht nur einzelne Jahre der Pandemie betrifft, sondern diese Herausforderung ist langfristig und zunehmend.
Wir alle wissen oder sollten wissen, dass die Herausforderungen in der schulischen Bildung in den Sommern 2030, 2035, 2040 noch weit höher sein werden als heute. Also lassen Sie uns doch heute mit der Lösungssuche und der Lösungsfindung beginnen, damit die heute geborenen Kinder bei ihrer Einschulung 2030 das nicht in flirrender Hitze erleben müssen, weil die Einschulung mitten im August ansteht, sondern dass sie ihre Schullaufbahn angenehm im September beginnen können - in begrünten Schulgebäuden mit Außenmarkisen, auf Schulhöfen mit Wasservernebelungsanlagen, Trinkbrunnen, schattigen Bäumen - diese Schulhöfe könnten auch für die Unterrichtsstunden genutzt werden - und, ja, sicherlich auch mit Räumen, die klimatisiert sind; denn Bildung braucht kühle Köpfe. Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder in der Schule lernen und nicht schwitzen. - Ich freue mich auf die Debatte zu diesem Antrag. Vielen Dank.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Nachfrage von Herrn Heuer. - Herr Heuer, bitte schön.
Guido Heuer (CDU):
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kollegin, ich habe für vieles Verständnis. Ich freue mich auch nicht, wenn unsere Kinder während der Hundstage, die in der Regel die wärmsten Tage des Jahres sind, in die Schule gehen. Aber einmal die Frage: Es gibt zwei Bundesländer, die sich aus dem KMK-Beschluss zurückgezogen haben. Dazu gehört Baden-Württemberg, meines Wissens seit 2011 grün regiert. Warum können die sich herausziehen? Wenn sie das nicht täten, würde das uns helfen, weil wir dann einmal öfter später Ferien hätten. Wie stehen Sie dazu, was der Ministerpräsident Kretschmann da macht?
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Bayern und Baden-Württemberg!)
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank für die Frage. Das habe ich tatsächlich in meiner Rede kritisiert, dass gerade die Kinder in Baden-Württemberg und Bayern immer im August Ferien haben und auch, dass das ungerecht ist. Diese Kritik teile ich absolut, und ich finde, da muss insgesamt anders miteinander umgegangen werden. Da müssen sich die Bundesländer zusammensetzen. Es ist im Übrigen nicht nur für unsere Kinder Mist, im August in die Schule zu gehen, das ist für alle Mist. Deshalb braucht es da insgesamt neue Regelungen für alle Kinder. Aber wir kümmern uns hier um die Kinder in Sachsen-Anhalt.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Frau Sziborra-Seidlitz.