Guido Kosmehl (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte gern über das Thema „75 Jahre Grundgesetz“ geredet. Im Zusammenhang mit der heute durch die AfD angemeldete Aktuelle Debatte werden wir aber diesem Jubiläum nicht gerecht. Das hat nicht nur etwas mit dem Antrag zu tun, sondern sicherlich auch mit der Rede des Fraktionsvorsitzenden der AfD.
Ich hätte erwartet, Herr Kirchner, dass Sie den 75. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes dazu nutzen, ein Loblied auf das Grundgesetz zu halten,
(Oliver Kirchner, AfD: Überschrift lesen!)
weil Sie doch als AfD wie kaum eine andere politische Partei davon profitieren, dass das Grundgesetz durchaus Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Berufsausübungsfreiheit ermöglicht.
(Oliver Kirchner, AfD: Wenn man es einhält, ja! Ich habe erklärt, dass man es nicht einhält!)
Sie kennen mich mittlerweile, ich bin ja dafür bekannt, dass ich immer zunächst auf das Kritische schaue und dann das Positive nenne. Wir können im Detail lange über die Frage von Grundrechtsbeschränkungen während der Coronapandemie diskutieren. Dazu habe ich auch dezidierte Meinungen.
(Oliver Kirchner, AfD: Auch über Haushalte?)
Aber was von Ihnen immer negiert wird, ist, die Grundrechte aus unserem Grundgesetz sind nicht schrankenlos. Sie sind von Anfang an einschränkbar,
(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Ja, durch allgemeine Gesetze!)
und zwar unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen, nämlich die Verhältnismäßigkeit, die Geeignetheit, die Angemessenheit im engeren Sinne, unterliegen wiederum dem Rechtsschutz der Gerichte.
(Oliver Kirchner, AfD: Auch eine demokratische Wahl, Herr Kosmehl?)
Deshalb hatten wir an ganz vielen Stellen Gerichtsurteile, mit denen die Coronaverordnung für teilweise verfassungswidrig oder rechtswidrig erklärt wurden; dafür mussten Änderungen beschlossen werden.
(Zuruf von Daniel Roi, AfD)
Aber die große breite Linie blieb doch: Es ist immerhin gelungen - darauf und auf das Grundgesetz bin ich stolz , Versammlungen nicht komplett zu verbieten. Auch das hatten einige vor, aber sie konnten unter Auflagen stattfinden.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Ja!)
Das zeigt doch, dass die Versammlungsfreiheit gemäß dem Grundgesetz Bestand hat, auch in einer solchen Situation, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Zuruf von Lothar Waehler, AfD - Oliver Kirchner, AfD: Betretungsverbote durch Allgemeinverfügungen! Das war Ihr Ministerpräsident!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Meinungsfreiheit schützt Bürger vor Repressalien durch den Staat, und zwar auch dann, wenn sie sich verfassungsfeindlich äußern. Allerdings, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos, vielmehr sind bspw. Beleidigungen, Erniedrigungen bei uns strafbar. An dieser Stelle endet eben die Meinungsfreiheit.
Deshalb sage ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz deutlich: Meinungsäußerungsfreiheit heißt eben nicht - ich bin hierbei ganz nah bei Frau Dr. Pähle , dass nur ich meine Meinung sagen und niemand anderes mir widersprechen oder irgendwas sagen darf. Meinungsfreiheit heißt, dass ich auch akzeptieren muss, dass jemand anderes sagt: Das sehe ich anders; ich habe eine andere Meinung.
(Zuruf von Daniel Rausch, AfD)
Das muss man aushalten, gerade wenn man wie Sie darauf pocht, dass es Meinungsfreiheit geben muss.
(Zustimmung bei der FDP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht wäre es ein Anfang, eben nicht - das trifft nicht allein auf Sie zu, Herr Kirchner, das habe ich auch aus anderen politischen Richtungen gehört - immer nur das Negative zu sehen und immer nur zu sagen - gerade war das Thema: wir haben noch immer eine Ost-West-Spaltung und dergleichen , man kann seine Meinung nicht mehr äußern. Vielmehr sollte man akzeptieren, dass es Meinungsfreiheit gibt, dass man seine Meinung sagen kann, dass man aber nicht immer gleich sagt: Ja, aber das darf man eigentlich nicht mehr sagen. - Doch, solange Sie sich im Rahmen des Strafrechts bewegen und solange Sie es so formulieren, dass es nicht strafbar ist, können Sie es sagen. Deshalb ist die Meinungsfreiheit nicht in Gefahr.
(Oliver Kirchner, AfD: Aber darum geht es doch gar nicht!)
Lassen Sie uns doch wirklich daran arbeiten und genau gegen das Gefühl, das Sie beschreiben, nämlich dass die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger glauben würden wie es in der „Zeit“-Umfrage deutlich geworden ist , sie könnten ihre Meinung nicht mehr äußern, vorgehen, indem wir sie ermutigen, weiterhin ihre Meinung zu sagen und offen zu diskutieren. Das heißt aber nicht „AfD-Meinung und Ende“, sondern es heißt, dass wir einen Austausch über Meinungsvielfalt haben.
(Zustimmung bei der FDP - Oliver Kirchner, AfD: Herr Kosmehl! Hier wurden Leute eingesperrt!)
In dem Zusammenhang - ich habe lange überlegt, wann dieser Satz passen könnte, aber ich glaube, an der Stelle passt er ganz besonders zitiere ich, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Freude den ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel:
„Aber das macht nicht den verantwortungsbewussten Politiker aus, Meinungsforschung zu treiben, um zu wissen, was populär ist, was ankommt, und dann das Populäre zu vertreten. Die Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“
(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und bei der SPD)
Genau in diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir uns weiterhin mit Meinungen äußern. Wir werden versuchen, auch mehr Bürgerinnen und Bürger mit der Botschaft zu erreichen, dass Politik auf dem Boden des Grundgesetzes in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung möglich ist; dass wir in Deutschland und insbesondere in Sachsen-Anhalt in den vergangenen 34 Jahren viel geschafft haben, gut vorangekommen sind und das auch weitermachen werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Zustimmung bei der FDP und von Olaf Feuerborn, CDU)
Eine letzte Bemerkung sei mir als Jurist mit Blick auf 75 Jahre Grundgesetz noch gestattet. Als Jurist ist man
(Marco Tullner, CDU: Volljurist! - Lachen bei der CDU und von Oliver Kirchner, AfD)
- Volljurist, jawohl; im Übrigen war das mein Berufsabschluss, bevor ich in den Landtag gekommen bin.
(Zustimmung von Marco Tullner, CDU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Jurist ist man immer geneigt bzw. es wird einem unterstellt, man braucht immer Regelungen, damit man etwas zu tun hat. Aber ich sage Ihnen: Das Grundgesetz, das, wie gesagt, vor 75 Jahren in Kraft getreten ist, ist aus meiner persönlichen Sicht durchaus in den letzten Jahren, Jahrzehnten, insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten, ein bisschen zum Spielball geworden im Sinne dessen, was wir in unserer Verfassung nicht noch alles regeln müssen. Ich sage Ihnen als Jurist: Ein schlanker Text hat uns über viele Jahrzehnte gut geholfen.
Deshalb warne ich immer davor, das Grundgesetz bei jeglicher Möglichkeit um noch eine Nuance, um noch eine Norm zu erweitern. Das macht es nicht besser. Unser Grundgesetz hat sich in 75 Jahren bewährt und es beginnt in Artikel 1 mit: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. - Vielen Dank.