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Plenarsitzung

Transkript

Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mit der im Jahr 2005 erfolgten Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II und den dazugehörigen Reformen traten tiefgreifende Veränderungen in Kraft, die auf mehr Aktivierung, Arbeitsvermittlung und Eigenverantwortung setzten. Gleichzeitig war die Reform mit sozialen Härten verbunden, die über Jahre hinweg immer wieder - das sage ich ganz deutlich - richtigerweise zu An-passungen geführt haben.

Das SGB II war von Anfang an aber mehr als nur eine finanzielle Unterstützung für Menschen in schwierigen Lebenslagen. Es war und ist ein Werkzeug, um Menschen Perspektiven zu geben, sie bei der Aufnahme von Arbeit zu unterstützen und ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Besonders in unserem Land wurden in den letzten 20 Jahren eindrucksvolle Fortschritte erzielt. Die Arbeitslosenquote, die zu Beginn der 2000er-Jahre noch zweistellig war und regional sogar bei mehr als 20 % lag, konnte signifikant gesenkt werden. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst der engagierten Arbeit der Jobcenter, sei es in gemeinsamer Trägerschaft oder in alleiniger kommunaler Verantwor-tung.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit der Einführung des Bürgergeldes wurde ein neuer so-zialpolitischer Meilenstein erreicht, der soziale Sicherheit gewährleistet, aber - das sage ich ganz be-wusst - entgegen der öffentlichen Darstellung auch klare Anreize zur Arbeitsaufnahme setzt. Das Bürgergeld ist eben nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen vergleichbar. Die Kritik, die in dieser Debatte von der antragstellenden Fraktion geäußert wird, ist nicht neu. Sie greift das Bürger-geld als unzureichend an und unterstellt, dass die geplanten Änderungen einen Rückschritt in Rich-tung Hartz IV bedeuten.

Die Reformen, die nun von den voraussichtlich regierungstragenden Parteien CDU, CSU und SPD ge-plant sind, sollen eine Anpassung an die Erfordernisse eines sich wandelnden Arbeitsmarktes und ei-ne Weiterentwicklung unserer sozialen Sicherung darstellen. Im Sondierungspapier wurde vereinbart, dass die Vermittlung in Arbeit wieder stärker in den Fokus rückt. Ein weiterer wichtiger Punkt des Pa-piers betrifft verschärfte Regelungen für sogenannte Totalverweigerer.

Die geltende Rechtslage sieht bereits vor, dass Mitwirkungspflichten bestehen und dass Leistungs-minderungen erfolgen können, wenn diesen nicht nachgekommen wird. Wer sich wiederholt und ohne sachlichen Grund weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, soll dem Sondierungspapier zufolge auch weiterhin mit Konsequenten rechnen müssen. Dies ist nicht nur eine Frage der Fairness gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber denjenigen, die sich aktiv um Arbeit bemühen.

In den letzten Jahren lag die Leistungsminderungsquote in Sachsen-Anhalt allerdings jeweils lediglich bei etwa 1,2 bis 1,3 %. Diese Zahlen zeigen, dass nur sehr wenige Bürgergeldbeziehende gegen ihre Pflichten verstoßen.

Ich wiederhole immer wieder, dass wir in Sachsen-Anhalt ca. 162 000 Bürgergeldempfängerinnen und Bürgergeldempfänger haben. Darunter sind etwa 38 000 Kinder unter 15 Jahren. Das entspricht ca. 24 %. Zudem sind rund 22 500 Leistungsempfänger sogenannte Aufstocker und Aufstockerin-nen. Damit liegt deren Anteil bei ca. 14 %. Bei den zuletzt Genannten würde übrigens ein höherer Mindestlohn oftmals dazu führen, dass die Inanspruchnahme des Bürgergeldes nicht mehr erforder-lich wäre.

Ein weiterer Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ist in dem Sondierungs-papier der Kampf gegen Sozialleistungsmissbrauch. Eine bessere Verzahnung der Behörden und ein effektiverer Datenabgleich insbesondere auf europäischer Ebene sind angezeigt. Sozialbetrug, Mehr-fachbezüge und nicht deklarierte Einkünfte, z. B. aus Schwarzarbeit, müssen konsequenter aufge-deckt werden, um das Vertrauen in unser Sozialsystem zu stärken.

Zudem wird an einer besseren Koordinierung der Sozialleistungen gearbeitet. Die Zusammenführung bestimmter Leistungen, bspw. von Wohngeld und Kinderzuschlag, kann Bürokratie abbauen und die Inanspruchnahme erleichtern. Dadurch wird das System transparenter, effizienter und zielgerichte-ter. Die Betroffenen sollen nicht mit komplizierten Antragsverfahren überfordert werden.

Meine Damen und Herren Abgeordnete! Natürlich wissen Sie genauso wie ich, dass ein ganz über-wiegender Teil des Sozialrechtes Bundesrecht ist. Dennoch bringen sich die Länder etwa über die Ar-beits- und Sozialministerkonferenz mit ein. Im Rahmen der diesjährigen ASMK haben die Länder da-her die „Zukunftsinitiative Sozialstaat“ gestartet. Dieses interdisziplinär besetzte Gremium wird sich intensiv mit der Neugestaltung des deutschen Sozialleistungssystems auseinandersetzen.

Das Ziel ist es, die Komplexität des Sozialstaates zu verringern, Leistungen zu bündeln und eine kon-sequente Vereinfachung des Rechtsrahmens zu erreichen; denn, meine Damen und Herren Abgeord-nete, wir brauchen ein Sicherungssystem, das leicht zugänglich ist und sich flexibel an gesellschaftli-che und wirtschaftliche Entwicklungen anpasst.

Jetzt gestatten Sie mir noch ein persönliches Wort. Genauso wie Sie alle weiß auch ich, dass mittler-weile alle Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Internet zu finden sind. Sie sehen insbesondere bei dem Bereich Arbeit und Soziales, dass wir von Einigungen noch sehr weit entfernt sind. 

Einen roten Faden - das möchte ich aber trotzdem sagen - brauchen wir nach wie vor. Wir können die Menschen in schwierigen Situationen nur dann in Beschäftigung bringen, sie nachqualifizieren etc., wenn wir die Jobcenter und die Agenturen für Arbeit finanziell so ausstatten, dass sie diese Maß-nahmen tatsächlich durchführen können. Nach meinem Dafürhalten sind insbesondere alle diese Punkte in den Arbeitsgruppenpapieren strittig. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gibt zwei Nachfragen, zum einen von Herrn Gallert und zum anderen von Herrn Striegel. - Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (Die Linke):

Ich frage Sie jetzt mal als Vertreterin der Landesregierung, die natürlich auch eine Perspektive - das haben Sie eben schon angedeutet - auf die jetzigen Koalitionsverhandlungen hat. Nikolaus Blome, der Politikchef des Senders RTL und „Spiegel“-Kolumnist, sagt ja, der Kampf gegen das Bürgergeld ist für ihn die Mutter aller Schlachten. 

Wir wissen jetzt - Sie haben die Zahlen vorgelesen -, dass wir in Sachsen-Anhalt in etwa über 600 bis 1 000 Betroffene reden, wenn wir über diejenigen reden, die von Leistungskürzungen betroffen sind. Wir haben 60 000 erwerbslose - arbeitslose, so muss man es sagen - Bürgergeldempfänger. Wir ha-ben eine Reduktionsquote von etwa 9 %. Wir reden also hierbei über eine Geldsumme in Höhe von 350 000 €, um die die Ausgaben innerhalb eines halben Jahres in Sachsen-Anhalt reduziert worden sind.

Jetzt gibt es diese Verhandlungen, die bisher sozusagen mit sehr martialischen Begriffen hierher-kommen, wenn es um die Kürzungen geht. Haben Sie irgendwie einen Überblick oder haben Sie einen Eindruck davon, um wie viel Geld es hierbei eigentlich geht, wie viel man hier kürzen will? Man hat trotzdem noch das Bundesverfassungsgericht, das gesagt hat, dass es eine gewisse Untergrenze für das Existenzminimum geben muss. Um wie viel geht es hierbei eigentlich? Oder soll der Personenkreis ausgeweitet werden, gegen den man vorgehen will? Können Sie uns da aufklären, Frau Ministerin?

(Guido Kosmehl, FDP: Wartet doch einfach mal die Zeit ab!)


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung): 

Ich habe mich schon zu Zeiten des Bundestagswahlkampfes sehr um eine Versachlichung bemüht und auf die Daten und Zahlen, die ich von den Jobcentern und von der Arbeitsagentur erhalten habe, hingewiesen. Auf diese Zahlen - ich habe sie heute hier wiederholt - möchte ich mich nicht zurückzie-hen. Aber ich habe mir vorbehalten, in dieser Sachlichkeit nach wie vor weiterzugehen.

Man muss tatsächlich sehen, dass wir insbesondere mehr Kontrollen hinsichtlich der Schwarzarbeit brauchen. Da muss tatsächlich eine Verstärkung sein, 

(Eva von Angern, Die Linke: Da haben Sie uns sofort auf Ihrer Seite!) 

damit tatsächlich der Anreiz da ist, dass man nicht im SGB-II-Bezug und dem Hinzuverdienst durch Schwarzarbeit bleibt. Wenn man die Kontrollen des Zolls verfolgt, dann sieht man, dass es immer noch sehr viele gibt, die meinen, dass das bei der Sicherung ihres Lebensunterhaltes der gangbare Weg wäre.

Wir haben immer schon gesagt, diese Art Totalverweigerer oder das, was man angeblich hat, das ha-ben wir hier in Sachsen-Anhalt nicht. Und es ist eine kleine Gruppe. 

(Eva von Angern, Die Linke: Das ist ein Popanz, der da aufgebaut wurde!) 

Dort hat man - das sind jetzt aber meine ganz persönlichen Worte - meiner Meinung nach populis-tisch eine Grenze überhöht, sodass es ganz schwierig ist, jetzt wieder zur Sachlichkeit zurückzukeh-ren.

Wir haben uns sehr bemüht, die Agentur für Arbeit und die Jobcenter so zu ertüchtigen, dass sie nicht nur, so wie es eine Zeit lang war, hinsichtlich der Arbeitslosigkeit Angebote unterbreiten kön-nen. Wir haben sehr viel Wert auf Sprachförderung, Weiterqualifizierung, Teilqualifizierung etc. ge-legt, um tatsächlich Menschen wieder in den regulären Arbeitsmarkt zu bringen. 

Ein großer Punkt - deswegen sind wir hier in Sachsen-Anhalt auch immer für eine Mindestlohnerhö-hung - ist, dass wir tatsächlich die Aufstockerinnen- und Aufstockerzahlen vermindern. Ich bitte ein-fach darum. Alles andere können Sie sehen. Das ist dann auf der großen politischen Ebene. Dazu ha-be ich natürlich eine Auffassung. Das kann man in diesen Arbeitsgruppenpapieren sehen. Da werden Sie sehen können, wie es im weiteren Verhandlungsverlauf, wenn es zu einer Koalitionsvereinbarung kommt, gestaltet wird.

Aber der Weg, gegen die Totalverweigerer vorzugehen, wird nicht die Milliarden bringen, 

(Eva von Angern, Die Linke: Da sind wir uns einig! - Olaf Meister, GRÜNE: Ja!) 

die man in der Erwartungshaltung hat, um sie für andere Bereiche nutzen zu können. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Jetzt ist Herr Striegel an der Reihe.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Frau Ministerin, Sie haben es gerade gesagt: Die Totalverweigerer sind offensichtlich vor allem ein Po-panz, der da aufgebaut wird. Bei den Zahlen zum Sozialleistungsbetrug habe ich gelesen, dass wir über einen nicht unwesentlichen Betrag, über mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr reden. Bei Steuerhinterziehung reden wir über einen jährlichen Schaden von mindestens 100 Milliarden €. Mei-ne Frage an Sie wäre: Plädieren Sie dafür, dass der Staat ebenso engagiert gegen diejenigen vorgeht, die Steuervermeidungspraktiken betreiben, 

(Andreas Silbersack, FDP: Das macht das Finanzamt!)

die Steuerhinterziehung betreiben, 

(Jörg Bernstein, FDP: Das macht das Finanzamt, Herr Kollege Striegel!) 

also gegen diejenigen, die in dieser Richtung unterwegs sind? Und brauchen wir nicht auch eine öffentliche Debatte darüber, dass wir gegen Steuerhinterzieher, 

(Konstantin Pott, FDP: Können Sie doch beantragen! - Kerstin Godenrath, CDU: Können Sie doch je-derzeit beantragen! - Konstantin Pott, FDP: Aber das ist doch Whataboutism, was Sie hier machen!) 

die uns allen miteinander schaden, wirklich ebenso engagiert vorgehen?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Ministerin.

(Guido Kosmehl, FDP: Es trifft die Arbeitnehmer!) 


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung): 

Ich glaube, wir sollten uns in allen Bereichen an Recht und Gesetz halten. Ich kann mich daran erin-nern, dass die Finanzminister immer anonymisierte Listen erhalten haben, um dem Missbrauch tat-sächlich begegnen zu können. Es ist immer auch eine Frage der Kontrollmöglichkeiten. Und natürlich sollte das bei allen gleichermaßen passieren.

Ich will noch eine Zahl nennen. Vielleicht ist das vorhin untergegangen. Es geht um die Leistungsmin-derungsquote. Wir haben bei dem ganzen Aufwand nur 1,2 % bis 1,3 % in der Leistungsminderung gehabt. 

(Eva von Angern, Die Linke: Ja, eben! Aber es werden halt alle verunglimpft durch die Debatte; das ist das Problem!) 

Das habe ich immer in Abwägung gebracht. Es kann sich jeder ausrechnen, was das im Land ist.