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Plenarsitzung

Transkript

Rüdiger Erben (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Herr Kirchner, also eines muss man Ihnen attestieren: Im Wettbewerb darum, wer die menschenverachtendste Rede in diesem Haus hält,

(Zurufe: Oh! - Phrasendrescher! - Buh!)

können Sie mit Ihrem Vorgänger Poggenburg mittlerweile locker mithalten.

(Zustimmung - Zurufe)

An der Stelle sind Sie dem Herrn ebenbürtig.

(Oliver Kirchner, AfD: Wissen Sie, was menschenverachtend ist? Wir haben viele Gründe, Politik als menschenverachtend anzusehen!)

Ich glaube, es ist mehr als berechtigt, dass sich der Verfassungsschutz für die AfD interessiert.

(Zustimmung - Zurufe)

Sie haben es wirklich geschafft, in Ihrem gesamten Antrag und in Ihrer gesamten Rede nicht ein einziges Mal darauf hinzuweisen, wer aktuell der Täter ist. Es ist Lukaschenko.

(Zustimmung)

Es ist der weißrussische Diktator Lukaschenko, der diese Krise ausgelöst hat.

(Zustimmung)

Das erwähnen Sie überhaupt nicht.

(Zurufe)

Wir alle kennen die entsetzlichen Bilder aus dem weißrussischen Grenzgebiet zu Polen und den baltischen Staaten, die uns vor allem in den letzten zwei Wochen erreicht haben. Wahrscheinlich sind es Tausende Menschen, die dort an der Grenze gestrandet sind, angeleitet von belarussischen Sicherheitskräften, die ihnen gewaltsam den Rückweg versperren.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Kinder, Frauen und Männer kampieren in Eiseskälte ohne ausreichende Begleitung unter freiem Himmel. Mittlerweile sind auch Menschen ums Leben gekommen. Die belarussischen Behörden tun kaum etwas, um diese Menschen vor Kälte und Hunger zu schützen. Verantwortlich für dieses Leid sind Herr Lukaschenko und seine Helfer in Minsk. Ich will an dieser Stelle sagen: Unabhängig von anderen politischen Diskussionen, die in der Europäischen Union mit Polen geführt werden, ist das Problem in dieser Frage nicht Polen, sondern das Problem sind Lukaschenko, Belarus und das dortige Regime. Deshalb hat Polen in dieser Situation auch und berechtigterweise die Solidarität der Europäischen Union verdient.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Machthaber in Minsk brachten Migrantinnen und Migranten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Weißrussland, um sie von dort in Richtung Europäische Union zu schicken. Ohne jeden Skrupel missbrauchen sie Tausende von Menschen als Geisel für das zynische Machtspiel. Sie wollen die Europäische Union und einzelne ihrer Mitgliedstaaten, insbesondere Polen, aber auch Litauen, unter Druck setzen. Sie spielen dabei skrupellos mit Menschenleben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Situation und in einer emotionalen Lage, in der wir erst einmal nur auf Lukaschenko schimpfen. Aber das reicht eben bei Weitem nicht aus. Deswegen war es überfällig, dass auf EU-Ebene gegen ihn auch endlich die richtigen Konsequenzen gezogen wurden.

(Zustimmung)

Was ist jetzt notwendig? Erstens. Die humanitäre Versorgung der Menschen im belarussischen Grenzgebiet hat Priorität für uns, besonders in Anbetracht des angebrochenen Winters.

(Zustimmung)

Zu den Grundwerten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten gehört, dass wir Menschen in Not nicht alleine lassen.

(Beifall)

Diese gemeinsamen Werte werden wir auch an unseren Außengrenzen hochhalten müssen. Denn das Völkerrecht gebietet es, gerade in dieser Situation humanitären Zugang zu gewähren. Internationale Hilfsorganisationen stehen bereit, um den Menschen in Polen, aber auch in Belarus zu helfen, und das muss möglich gemacht werden.

Wenn es dazu erforderlich ist, auch mit jemandem wie Lukaschenko zu reden, dann muss man das auch tun. Deswegen kann ich nicht verstehen, warum aktuell, angeführt von der „Bild“-Zeitung, über die amtierende Bundeskanzlerin hergefallen wird, nur weil sie eben diese Gespräche führt.

Zweitens. Nach anfänglichem Zögern geht die Europäische Union nunmehr auch gegen die illegalen Schleusungen durch Belarus massiv vor. Niemand soll sich ungestraft an einem Schleuserring beteiligen können. Das ist eine Botschaft an die Transitstaaten, an die Herkunftsstaaten und an die Fluggesellschaften, mit denen die Migrantinnen und Migranten nach Minsk gebracht werden. Ihnen muss klargemacht werden, dass die Europäische Union nicht bereit ist, ihr Tun hinzunehmen.

Diese Botschaft kam offensichtlich auch an. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass im Irak und in Jordanien Flüge nach Minsk eingestellt wurden. Auch der Druck auf die Fluggesellschaften hat gewirkt. Es ist für Europa rechtlich nicht einfach, Fluggesellschaften zu sanktionieren; dabei gibt es formalrechtliche Probleme. Aber die Landerechte erteilen nun einmal die einzelnen Mitgliedstaaten, und es ist offensichtlich bei den meisten Fluggesellschaften auch angekommen, dass man mit dem Feuer spielt und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch ernst machen werden.

Drittens. Die Europäische Union hat ihre Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime ausgeweitet und verschärft. Die Personen und Unternehmen, die sich an den gezielten Schleusungen beteiligen, werden weiter sanktioniert, und zwar überall auf der Welt. Das Ganze muss natürlich Belarus hart treffen, und deswegen ist es völlig richtig, auch die dortige Kaliindustrie zu sanktionieren.

(Zustimmung)

Das trägt die Mehrheit der Europäischen Union mit.

Schließlich ist es richtig, dass die Bundesrepublik die Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten forciert. Das wird zwar hin und wieder unterschätzt, aber jeder, der das in Zweifel zieht, sollte einige Jahre zurückdenken und wird erkennen, dass diese deutsche Aufklärungsarbeit auch im Westbalkan Früchte getragen hat und die Migrantinnen und Migranten nicht den Falschinformationen der Schleuser überlassen hat. Deswegen ist es auch richtig, dass diese Aufklärungsarbeit durch den Präsidenten der Bundespolizei direkt an die Bevölkerung im Irak und in den Kurdengebieten gerichtet ist.

Es mag Ihnen, meine Herren von der AfD, nicht gefallen, aber wir stehen in dieser Situation solidarisch zu unseren europäischen Partnern. Die Ereignisse an den Grenzen von Belarus nach Polen und Litauen zeigen aber auch einmal mehr, wir brauchen in der Europäischen Union eine nachhaltige und menschliche Lösung in den Bereichen Flucht und Migration. Das bedeutet Fortschritte hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem. Das bedeutet die Bekämpfung von Migrationsursachen. Das bedeutet den Schutz der europäischen Grenzen und das bedeutet vor allem, solidarisch zu sein.   Herzlichen Dank.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Erben, Herr Lieschke möchte eine Kurzintervention machen und Herr Dr. Tillschneider möchte eine Frage stellen.   Würden Sie die beantworten?


Rüdiger Erben (SPD):

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ja. Dann ist erst Herr Lieschke an der Reihe und dann Herr Dr. Tillschneider.


Matthias Lieschke (AfD):

Eine Kurzintervention von mir.   Herr Erben, Sie sagten zu Beginn Ihrer Rede, Herr Lukaschenko sei schuld an der ganzen Situation. Sie irren sich komplett. Schuld ist Deutschland, weil Deutschland die Arme in alle Richtungen öffnet und sagt, kommt alle her. Es kommen eben auch alle. Wenn sich Deutschland an die Regeln halten würde und Gesetze einhalten würde, dann würden diejenigen, die nicht hierhergehören und die keinen Anspruch auf Asyl haben, wieder zurückgeschickt und wir hätten nicht diese Situation. Andere Länder, wie Australien, können das; sie sagen „No way“. Kriegsflüchtlinge, okay, können einen Antrag auf Asyl stellen.

(Zuruf)

Aber zu uns kommt jeder, weil jeder weiß, wenn er es erst einmal in das heilige Deutschland geschafft hat, dann bekommt er Geld und kann Geld nach Hause schicken. Genau deswegen machen sich Hundertausende und Millionen auf den Weg hierher. Wir brauchen in Deutschland klare Grenzen. Wenn Deutschland die Hausaufgaben machen würde, dann hätten wir die Situation in Weißrussland nicht. Sie irren sich komplett.

(Zustimmung - Zurufe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Erben, wollen Sie reagieren?


Rüdiger Erben (SPD):

Herr Lieschke, Sie geben meiner Einleitung recht. Es ist ja offensichtlich so, dass Sie von der AfD solche Typen wie Lukaschenko besonders gut finden. Deswegen solidarisieren Sie sich auch mit solchen Leuten regelmäßig. Ich habe es leider nicht noch einmal recherchieren können   vermutlich waren auch AfD-Bundestagsabgeordnete zur Wahlbeobachtung vor einigen Monaten dort und haben anschließend bestätigen können, dass alles sauber gelaufen ist.

(Zustimmung - Zurufe)

Aber es ist doch wohl zweifelsohne so, dass hinter dem, was Lukaschenko macht, ein Geschäftsmodell steht, nämlich in zweierlei Hinsicht: zum einen, dass sich Leute, die dem Lukaschenko-Regime sicherlich wohlgesonnen sind, mit dieser ganzen Aktion die Taschen füllen,

(Zurufe)

und dass Lukaschenko zum anderen versucht, sich die Taschen zu füllen, nämlich indem er versucht, die Europäische Union zu erpressen, um letztlich an EU-Gelder zu kommen, an deutsche Zahlungen und was man sich sonst noch so alles vorstellen kann.

Deswegen beharre ich darauf: Derjenige, der das auslöst, ist Lukaschenko und sein Regime.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Dr. Tillschneider, bitte.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Herr Erben, Sie haben Lukaschenko den Schwarzen Peter zugeschoben. Vorweg: Wie Lukaschenko reagiert, ist nicht legitim und ist zu missbilligen, ganz klar. Aber er reagiert. Und worauf reagiert er? Er reagiert auf jahrelange wiederholte impertinente, übergriffige Versuche, sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einzumischen. Das, was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis dieser Politik. Hätten wir uns aus den inneren Angelegenheiten Weißrusslands herausgehalten, wäre nicht das passiert, was jetzt passiert.

(Zustimmung - Zurufe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Erben.


Rüdiger Erben (SPD):

Herr Dr. Tillschneider, herzlichen Dank für diese Einlassung. Denn sie widerlegt eins zu eins das, was Herr Lieschke eben in seiner Kurzintervention gesagt hat. Sie haben nämlich gesagt, Lukaschenko ziehe diese ganze Aktion durch, weil er sich gegen die vermeintliche Einmischung in seine inneren Angelegenheiten aus Europa wehre. Also war er es ja offensichtlich doch. Das haben Sie bestätigen können. Allerdings hätten das Herr Lieschke und Sie untereinander ausmachen können.