Tagesordnungspunkt 8
Risse, Schlaglöcher, bröckelnde Brücken - Verkehrsinfrastruktur an der Belastungsgrenze
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/5036
Die Redezeit beträgt je Fraktionen zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde die folgende Reihenfolge vereinbart: GRÜNE, CDU, AfD, SPD, Die Linke, FDP. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Lüddemann das Wort. - Bitte sehr.
(Guido Heuer, CDU: Jetzt kommen die Schlaglöcher!)
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Jetzt kommen die Schlaglöcher.
(Zuruf von Guido Heuer, CDU)
- Du, ich fahre auch Auto. Das macht mir Sorgen.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie haben das Wort.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürgerinnen und Bürger, die sie jeden Tag die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland nutzen, aber die sie auch jeden Tag bezahlen! In diesem Land ist nicht nur die Brandmauer nach rechts in einem beklagenswerten Zustand, auch so bröckelt es an Straßen, Schienen und Brücken. Der Einsturz der Carola-Brücke am 11. September 2024 steht dabei symptomatisch für den Zustand unserer Verkehrsinfrastruktur.
Die Sparpolitik des Bundes und des Landes der vergangenen Jahrzehnte hat zu gravierenden Mängeln an Straßen und Brücken geführt. Darauf will ich mich im Folgenden auch konzentrieren. Diese Mängel können immer schwieriger mit den weniger werdenden finanziellen Mitteln behoben werden.
Unsere Verkehrsinfrastruktur ist das zentrale Nervensystem unserer Gesellschaft. Ohne funktionierende Verkehrswege können Menschen nicht zur Arbeit kommen, können keine Güter transportiert werden und sozialer Austausch kann ebenfalls nicht stattfinden.
Deutschland hat das zehngrößte Straßennetz der Welt, obwohl es von der Fläche her nur Platz 62 belegt. 830 000 km müssen dafür instandgehalten werden. Dass wir hierbei in den letzten Jahren einiges verschlafen haben, zeigt die Statistik. Denn dieses große Straßennetz belegt in der Qualität nur Platz 22. Auch hier hat konservative Politik versagt. Ähnlich wie bei der Klimakrise wurde jahrzehntelang weggesehen, ignoriert, auf führende Experten wurde nicht gehört.
(Guido Kosmehl, FDP: Das ist doch wohl!)
Es zeigt sich ein strukturelles Versagen nicht nur im Verkehr. Krankenhäuser, Bibliotheken, Schwimmbäder sind alles Beispiele dafür, wie öffentliche Einrichtungen vernachlässigt und kaputtgespart wurden. Ein „Weiter so“ kann nicht akzeptiert werden. Wir können dann nicht die Schuldenbremse einhalten, wenn unter unseren Füßen Brücken kaputtgehen und Menschen gefährdet werden.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Welche Zukunft bieten wir damit unseren Kindern und Enkelkindern? Können wir guten Gewissens die Schuldenbremse vor uns hertragen und rechtfertigen, wenn wir aber dafür keine funktionierende Infrastruktur haben?
(Zuruf von Jörg Bernstein, FDP)
Diese ähnelt nämlich immer mehr Kollege Heuer sprach ja bereits von den Straßenlöchern in weiten Teilen des Landes einem Schweizer Käse. Warum ist das so? - Schauen wir in das letzte Jahrhundert. Durch den Zweiten Weltkrieg war unsere Infrastruktur zerstört worden. In kurzer Zeit musste umfassend neu gebaut werden. Damals wurde größtenteils Spannbeton für den Brückenbau eingesetzt.
Das Problem ist, dieser ist stark korrosionsanfällig. Mit der Zeit ermüdet das Material und es kommt zu Rissen.
(Guido Kosmehl, FDP: Das stimmt nicht!)
Das Problem verstärkt sich. Denn unser Verkehr hat sich seit den 60er-Jahren deutlich verändert. Die Quantität hat zugenommen: abends bestellt, morgens geliefert. Das erhöht den Druck im Güterverkehrsbereich.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Zum anderen sind die Verkehrsmittel, also Pkw und Lkw, deutlich schwerer geworden. Während im Jahr 1960 noch 32 t Zuggewicht erlaubt waren, so fahren heute standardmäßig 40 t über unsere Straßen und beanspruchen sie entsprechend. Ein Lastwagen mit 10 t Achslast beansprucht die Verkehrswege damit 160 000 Mal mehr als ein Pkw mit einer Achslast von 0,5 t.
Der Fall der Carola-Brücke zeigt: Die Risse im Spannstahl haben sich Stück für Stück bei jeder Beanspruchung vergrößert. Je mehr Verkehr, desto höher die Belastung. Bis es schließlich durch die fehlende Sanierung zum Einsturz kam.
Unsere Brücken erreichen nun ein Alter, bei dem die Kosten für die Instandsetzung überproportional hoch sind oder aufgrund des hohen Alters eine Erneuerung kaum noch möglich und auch nicht sinnvoll ist. Sie halten der heutigen Belastung kaum noch stand.
Obwohl sich die Landesregierung dieses Zustandes bewusst sein sollte,
(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)
wird weiter gespart. Auch im Landeshaushalt wurde stark gekürzt. Während im Jahr 2024 noch ca. 62 Millionen € für die Instandhaltung und für den Bau von Landesstraßen zur Verfügung standen, werden für das Jahr 2025 nur noch 39 Millionen € eingeplant.
(Guido Kosmehl, FDP: Wie jetzt?)
- Das ist das, was mir im Haushaltsplanentwurf vorliegt. Und an dieses Material, das mir die Landesregierung zur Verfügung gestellt hat, halte ich mich.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Und das Thema Radwegebau daran will ich nur am Rande einmal erinnern würde noch dazu kommen. Und so werden mutmaßlich wird es im Haushaltsplan dann auch so kommen, wie es im Entwurf steht wieder zwei Jahre vergangen sein und die Infrastruktur wird weiter vor sich hin bröckeln.
Niemand kann sagen, dass das ein neues Phänomen ist. Denn bereits vor zehn Jahren warnte das Deutsche Institut für Urbanistik den Zustand der kommunalen Straßen an. Die Studie zeigt, dass es um die Brücken nicht gut aussah. Schon damals wurde gefordert, dass mehr Geld in die Infrastruktur investiert werden muss.
Im laufenden Jahrzehnt werden schätzungsweise Investitionen in die kommunale Verkehrsinfrastruktur im Umfang von 372 Milliarden € erforderlich - 372 Milliarden €, das entspricht rund 8 % unseres Bruttoinlandsproduktes. Und nur ein kleiner Bruchteil davon wird auch tatsächlich investiert.
Eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik ist unumgänglich. Wir können nicht mehr neu bauen, wenn wir nicht einmal den Bestand erhalten können. Wir brauchen jetzt ein Neubaumoratorium. „Erhalt vor Neubau“ muss das Motto sein.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Als Politikerinnen tragen wir die Verantwortung, mit den zur Verfügung stehenden Geldern umzugehen. Eine Lösung wäre es, einen Fonds aufzubauen, sodass es dann das muss natürlich gesetzlich normiert sein möglich ist, vom Neubau an so anzusparen, dass nach 30 Jahren wieder ein Neubau finanziert werden kann.
Wir können es uns nicht mehr erlauben, nur Pflaster zu verteilen. Jede zweite Landesstraße in Sachsen-Anhalt ist in einem Zustand, dass diese einer Erhaltungsmaßnahme bedarf. Das Durchschnittsalter liegt in Deutschland bei 30 Jahren. Viele sind somit bereits am Ende ihrer Lebensspanne. Mit einem einfachen Löcherstopfen wird hier nichts mehr zu machen sein.
Das dauerhafte Verschieben dieser Problematik hat uns an einen Punkt gebracht, der kritisch ist. Wir stehen vor einem wichtigen Scheidepunkt. Wir leben in Deutschland von unserer Infrastruktur; sie ist zentral, und wir können es uns nicht leisten, diese zu vernachlässigen. Wenn wir jetzt nicht anfangen, großflächig in unsere Verkehrsinfrastruktur zu investieren, dann bricht sie tatsächlich in ein paar Jahre im wahrsten Sinne des Wortes weg.
Wenn wir jetzt nicht investieren, dann werden wir in zehn bis 15 Jahren das Drei- oder Vierfache aufwenden müssen. Dann werden wir in jedem Landkreis ein Bad Schandau haben. Sie haben von der Brücke gehört, die gesperrt werden musste und die Menschen müssen einen Umweg von 30 km plus x in Anspruch nehmen. Das ist nicht zumutbar. Und deswegen ist es notwendig, dass Bund und Land gemeinsam Verantwortung übernehmen.
Bereits vor Jahren stießen Kommunen mit der Instandhaltung an ihre Grenzen. Besonders die kleinen Kommunen müssen verhältnismäßig viel zahlen, da hier die Kosten für das Straßennetz auf wenige Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu verteilen sind.
Im Jahr 2025 hat sich die Finanzlage der Kommunen noch weiterer verschärft, während die Anforderungen gewachsen sind. Denn neben der finanziellen Ressource, die aufzuwenden ist, zeigt sich ein Mangel an Fachkräften und ein Mangel an Ingenieuren und Baufirmen. Ohne erfahrene Planerinnen und Planer kommt es aber oft zu falschen Mittelverwendungen. Denn Bauvorhaben werden dann nicht adäquat priorisiert oder man greift einfach zu dem, was einfach ist, sodass man eben nicht groß planen muss. Zum Beispiel wird die Straße dann nur abgedeckt, anstatt sie tatsächlich grundhaft zu sanieren. Und das führt uns dann irgendwann zum nächsten Problem.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Besser werden müssen wir auch beim Planungs- und Genehmigungsrecht.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Unter der aktuellen Bundesregierung ist es gelungen, einen wichtigen Schritt zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich zu gehen.
(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)
Gemeint ist der Wegfall der Genehmigungspflicht für Brücken, die im Zuge der Sanierung erweitert werden sollen. Während vorher die Sanierung einer Brücke bis zu 18 Jahre dauerte, konnte jetzt immerhin der Planungs- und Genehmigungszeitraum halbiert werden.
Dennoch ist es weiterhin wichtig und notwendig, Bürokratie abzubauen und das Vergaberecht zu modernisieren. Es darf nicht so sein wie in Sachsen, wo jetzt allein für die Ausschreibung, um die eingebrochene Brücke auf den Weg zu bringen, 13 Monate veranschlagt werden, weil es eine europäische Ausschreibung ist. Da müssen wir deutlich besser werden.
(Unruhe bei der CDU und bei der AfD)
Auch die Digitalisierung kann helfen. Sie bietet z. B. bei den Brücken durch den Einsatz von KI und mittels Sensoren, die in der Brücke verankert sind, die Chance, dass die Brücke sich quasi selbst überwacht, dass sie zählt, wie viele Lkw mit welcher Belastung darüberfahren, und dann monitort, was zu welchem Zeitpunkt zu tun ist, um die Lebensdauer zu erhalten und am Ende vielleicht sogar zu verlängern.
Es ist erschreckend, wie lange schon mit dem Problem gelebt wird. Wir haben uns offensichtlich an die Schilder, an gesperrte Brücken, an Umwege und an Schäden an Autos, verursacht durch Schlaglöcher, gewöhnt. Wir rennen sehenden Auges in eine Situation hinein, die nicht mehr zu bewältigen sein wird, wenn wir jetzt nicht dringend handeln.
Am Ende meiner Rede will ich auch noch einen Punkt ansprechen, der zur Überbeanspruchung der Infrastruktur führt. Wir müssen unser Leben ändern. Denn dadurch, dass wir infolge der Globalisierung Verkehrswege verlängern, dass wir Lagerhallen aufgegeben haben und man sich lieber für lange Transportwege entschieden hat, anstatt Regionalität und kurze Wege in den Blick zu nehmen, müssen wir ändern. Das hat schwerwiegende Folgen für die Infrastruktur und für die Umwelt.
Mit einem bewussten Kaufverhalten, mit der Nutzung lokaler Angebote und mit der Wahl eines klimafreundlichen öffentlichen Transportmittels können wir hier einen Beitrag leisten. Es gibt eine Menge zu tun. Das Bundesverkehrsministerium prognostiziert eine Zunahme der Verkehrsleistung um rund 30 %. Da sollten wir ran. Das sollte nicht so viel werden. Aber auch dann, wenn es weniger wird, brauchen wir ein besseres und hoch belastbares Bestandsnetz.
Wir brauchen
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Lüddemann,
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
schnellere
Vizepräsident Wulf Gallert:
Warten Sie mal ganz kurz, Frau Lüddemann. Wir haben ein technisches Problem. Es sind Ihnen fünf Minuten zu viel Redezeit angegeben worden.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Ich habe noch zwei Minuten.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Wenn Sie noch zwei Sätze vortragen und die nicht unendlich lang sind, dann ist das alles in Ordnung, weil es unser Fehler war. Aber es wäre schön, wenn Sie jetzt zum Ende kommen. Danke.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Okay. Dann versuche ich jetzt, das nochmal zusammenzufassen.
(Zuruf von der CDU: Ach, nee! - Zurufe von der AfD: Nein, oh!)
Vizepräsident Wulf Gallert:
In zwei Sätzen, Frau Lüddemann, das hatten Sie mir versprochen.
(Zuruf von Andreas Silbersack, FDP)
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Wir brauchen schneller umsetzbare Planungsprozesse,
(Andreas Silbersack, FDP: Bei den Umweltstandards!)
mehr ausgebildetes Personal,
(Andreas Silbersack, FDP: Das funktioniert gar nicht!)
fortschrittliche automatisierte technische Lösungen und eine langfristige Finanzierung. Dafür müssen wir als Land
(Andreas Silbersack, FDP: Also!)
besser mit dem Bund, mit den Kommunen und mit den Praktikerinnen vor Ort zusammenarbeiten.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Andreas Silbersack, FDP: Das geht alles gar nicht!)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Kosmehl hatte noch eine Frage. Wollen Sie die beantworten?
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Ich kann es versuchen.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Ja, sie würde es versuchen. Dann können Sie sie stellen, Herr Kosmehl.
Guido Kosmehl (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Lüddemann, Sie sind zumindest in einem Punkt konsequent. Sie haben nämlich schon im Landtagswahlprogramm für die Landtagswahl 2021 „Erhalt vor Neubau“ tituliert. Jetzt haben Sie an mehreren Stellen z. B. auch ein vereinfachtes und schnelleres Planungsrecht gefordert.
Jetzt habe ich bisher die GRÜNEN auf der Bundesebene immer so wahrgenommen, dass dann, wenn es darum ging, das Planungsrecht zu beschleunigen, nicht nur beim Schienenverkehr oder bei den Wasserstraßen, sondern auch bei Straßenprojekten,
(Oliver Kirchner, AfD: Die A 14!)
genau das bei Ihnen sozusagen immer auf Widerstand trifft.
(Zustimmung bei der FDP)
Wenn Sie jetzt
(Zuruf von der CDU)
tatsächlich den Vorschlag machen, dass wir ein besseres und schnelleres Planungsrecht brauchen, heißt das, dass Sie das insbesondere für den Straßenbau z. B. unter Weglassung oder eingeschränkter Umweltverträglichkeitsprüfung zulassen und vielleicht eine Rückstellung des Verbandsklagerecht befürworten, damit wir zur Sanierung von Straßen kommen?
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Also, ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt, dass wir uns annähern müssen. Der lautet: Erhalt vor Neubau. Wenn wir eine Straße mit derselben Streckenführung neu bauen, dann ja. Wenn wir eine Brücke, die vor 30 Jahren gebaut wurde ich habe eben versucht, das auszuführen ersetzen, weil sie damals eine andere Belastung hatte, weil sie vielleicht von der Breite und von den Materialien her anders geführt wird, die jetzt möglicherweise ein Stück breiter wird, weil man dort Radverkehrsanlagen mit aufsetzen will, dann ja.