Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Rentenversicherung in Deutschland war bei ihrer Einführung im Jahr 1889 vorbildhaft in Europa. Erstmals gab es strukturelle Vorsorge für die arbeitende Bevölkerung, die zuvor bei Invalidität und im Alter von Verelendung bedroht war. Die Sozialgesetzgebung der Jahrhundertwende löste das Armutsproblem der Gründerjahre selbstverständlich nicht, dafür waren die Herausforderungen zu groß. Aber sie begründete das Prinzip Vorsorge für breitere Bevölkerungsschichten.
Die Rentenversicherung steht seitdem auch für ein grundsätzliches Gerechtigkeitsversprechen: Lebensleistung lohnt sich. Wer es etwas nüchterner mag: Meine Rente wird im Alter meinen Lebensstandard sichern. Der Rentenbescheid soll deshalb kein Armutszeugnis sein. Aber wir wissen, dass die Realität für viele Rentnerinnen eine andere ist
(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)
und dass es gerade hier viele Menschen gibt, bei denen auch das Gerechtigkeitsversprechen nicht trägt.
Beim Übergang des Rentensystems der ehemaligen DDR in ein bundesweites Rentensystem sind zahlreiche Menschen schlechtergestellt oder schlicht und ergreifend vergessen worden; die einbringende Fraktion und auch die Ministerin haben das ausführlich dargestellt. Die Diskussion dazu wurde hier bislang ergebnislos geführt. Im Falle der in der DDR geschiedenen Frauen ist das Anliegen sogar bis vor die UN getragen worden. Aber außer Worten haben diese Frauen von der deutschen Politik bisher nichts bekommen.
Auch der rentenrechtliche Umgang mit den sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlingen ist - gelinde gesagt - skandalös. In den Ursprungsländern erworbene Rentenansprüche sind quasi mit der Einreise nach Deutschland verwirkt. Eine Aufnahme in das Fremdrentengesetz hat diese Gruppe nicht erfahren - eine Ungleichbehandlung zu den Spätaussiedlern, die gerade ob der deutschen Geschichte zutiefst beschämend ist.
Auch wenn rein finanziell gesehen für die meisten der jüdischen Kontingentflüchtlinge eine Rente gemäß Fremdrentengesetz keine Verbesserung mit sich bringen würde, so stellt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seinem diesbezüglichen Gutachten von 2018 fest ich zitiere : Die finanzielle Situation der jüdischen Zuwanderer dürfte sich auch bei einer Gleichstellung mit Spätaussiedlern kaum ändern. Aufgrund der Kürzungsregelungen des § 22 Abs. 4 des Fremdrentengesetzes ist die nach diesem Gesetz zu zahlende Rente grundsätzlich auf 60 % zu begrenzen, sodass sich in vielen Fällen weiterhin lediglich ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter ergeben würde. So ist die Gruppe der Spätaussiedler gleichermaßen von Altersarmut betroffen.
Dennoch: Wenn Jüdinnen und Juden jahre-, wenn nicht jahrzehntelange Beitragszeiten in ihren Herkunftsländern hierzulande nicht anerkannt bekommen, dann führt das noch direkter in die Altersarmut.
Eine diesbezügliche Kleine Anfrage von meinem Kollegen Sebastian Striegel und mir hätte eigentlich vorige Woche beantwortet werden müssen. Die Antwort liegt noch nicht vor. Neben der Frage nach den Betroffenenzahlen interessiert uns insbesondere die Position der Landesregierung zu diesem Thema. So richtig ausführlich haben wir heute dazu auch nichts gehört.
Die damalige schwarz-rote Bundesregierung hat dazu Verabredungen und Prüfaufträge in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 formuliert.
Im Jahr 2019 gab es einen gemeinsamen Antrag von Abgeordneten der Fraktionen der FDP, DIE LINKE und der GRÜNEN. Geschehen ist leider nichts, obwohl damals wie heute die Feststellung aus der damaligen Antragsbegründung galt und gilt; nur weiteres Nichthandeln sollte keine Option sein.
Dies sah Schwarz-Rot damals anscheinend anders und handelte bis 2021 nicht. Jetzt liefert die Ampelbundesregierung. Zur Schaffung eines entsprechenden Härtefallfonds liegt ein Eckpunktepapier vor. Vorgesehen sind die Gründung einer Stiftung und die Bereitstellung von 500 Millionen € seitens des Bundes. Für die Betroffenen soll damit eine Einmalzahlung in Höhe von 2 500 € verbunden sein. Das haben wir alles schon gehört. Diese Zahlung soll im besten Fall durch den Beitritt der Länder zur geplanten Stiftung verdoppelt werden.
Natürlich muss sich das Land diesbezüglich finanziell engagieren. Nicht prüfen, sondern umsetzen; das steht für mich und meine Fraktion außer Frage.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Selbstverständlich ist eine Einmalzahlung nur die minimale Variante, um zumindest ein Stück weit Rentengerechtigkeit zu erzeugen. Das wird viele Betroffene nicht zufriedenstellen, aber immerhin wird dann endlich gehandelt - für zahlreiche Betroffene im Übrigen zu spät, weil längst verstorben.
Lassen Sie uns zumindest jetzt zügig handeln und der Stiftung als Land ohne Wenn und Aber und ohne Gefeilsche beitreten und den Betroffenen damit neben dieser Zahlung ganz klar und deutlich zeigen: Ihr seid nicht vergessen, wir erkennen die gelebte Ungerechtigkeit an und wir stellen für euch das Gerechtigkeitsversprechen zumindest nominell wieder her. Das Gerechtigkeitsversprechen des Rentensystems wird auch in eurem Falle nicht gebrochen, wenn auch nicht so viel Ehrlichkeit muss sein gänzlich erfüllt. Vielen Dank.