Eva von Angern (Die Linke):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich war im Jahr 2005 drei Wochen lang in den USA
(Zuruf: Aha!)
und kann ich mich erinnern, dass ich dort das erste Mal mit dem Thema Antidiskriminierungsstelle, Beratung, gesetzliche Grundlagen zu tun hatte. Die schauten mich ein bisschen erstaunt ob meiner Fragen an, weil sie jahrzehntelange Erfahrung damit hatten und ganz entspannt damit umgegangen sind.
Ich gebe zu, als dann 2006 im Bundestag das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft getreten ist und ich damals die Protokolle gelesen habe, dachte ich: Mein Gott, wie weit sind wir entfernt von einem modernen Staat, einem modernen Umgang mit Diversität, mit Diskriminierungsfreiheit. Ich bin erschrocken darüber, dass wir 18 Jahre danach noch so eine rückwärtsgewandte Debatte führen, dass noch so alte Ressentiments gepflegt werden.
(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD)
Ich hätte nicht gedacht, dass das passiert. Ich kann mich auch erinnern, dass damals von einer Klagewelle gesprochen worden ist, die auf die Gerichte zukommt. Sie blieb komischerweise aus. Ich meine, das lag nicht etwa am AGG, sondern das lag auch an vielen - insofern danke auch noch einmal an Frau Ministerin - Beratungsstellen, viel Aufklärungsarbeit, viel Sensibilisierung. Genau das, was erwartet worden ist - dass alle sich jetzt einfach mal diskriminiert fühlen und deswegen aus Spaß an der Freude zum Gericht gegangen sind , ist nicht erfolgt.
Ich habe mich im Jahr 2020 auch darüber gefreut, dass ein Bundesland den Mut hatte, diesen Weg zu gehen und ein eigenes Landesgesetz für die öffentliche Verwaltung - denn dafür sind wir zuständig - zu erlassen. Ich danke heute BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür, dass sie uns auf der Basis eines solchen Gesetzentwurfs - der ja gerade bei den Diskriminierungsmerkmalen noch ein bisschen weiterentwickelt worden ist - die Chance geben, darüber zu diskutieren.
(Zustimmung bei der Linken - Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Ich möchte daran erinnern, dass wir im Land Sachsen-Anhalt in Hoheit des Landesfrauenrates fast acht Jahre lang eine Netzwerkstelle AGG hatten. Ich möchte auch daran erinnern, dass das damals ein Sozialdemokrat, nämlich Jens Bullerjahn, angestoßen hat, was uns ein bisschen überrascht hat, aber was uns gemeinsam mit Angela Kolb gefreut hat. Es ging vor allem um Aufklärung und um Sensibilisierung. Schon damals in diesen Jahren sind eben nicht nur private Unternehmen auf die hoch engagierten Mitarbeiterinnen des Landesfrauenrates zugekommen, sondern auch schon damals wurden diese Angebote durch öffentliche Einrichtungen nachgefragt, auch durch Hochschulen.
Ich erinnere mich an ein sehr heftiges, intensives Fachgespräch im Rechtsausschuss zu dieser Thematik, bei dem deutlich geworden ist, in welcher Wüste wir uns diesbezüglich noch befinden, wie viel eben rechtlich noch ungeklärt ist, welch geringe Möglichkeiten des Schutzes vor Diskriminierung Betroffene haben. Insofern kann ich Herrn Striegel, der die Folgen von Diskriminierung, die sich nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich sehr, sehr negativ auswirken können, benannt hat, nur Recht geben.
Das eine ist, dass wir tatsächlich jede Fachkraft im Arbeitsmarkt brauchen, um jede Fachkraft kämpfen müssen. Aber das andere ist eben unter dem Stichwort der sozialen Spaltung deutlich zu machen, dass wir Gruppen haben, die eben - ich sage es einmal im Jargon - gedisst werden von dieser Gesellschaft, von einer Gruppe innerhalb dieser Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die so etwas zulässt, ist für mich keine liberale Gesellschaft.
Ich habe keine Angst vor diesem Gesetz. Aus den Worten, die ich heute hier hören musste, habe ich auch Angst gehört. Ich werbe dafür, dass wir es schaffen, im Rechtsausschuss und in anderen Ausschüssen tatsächlich einmal angstfrei über diese Debatten zu reden. Die Chance einer Ombudsstelle ist - und die Erfahrung der Ombudsstelle in Berlin zeigen das auch schon , dass auch nach einem solchen Landesgesetz keine Klagewelle zu erwarten ist; dass also solch eine Ombudsstelle sehr häufig sehr frühzeitig eingreifen und Dinge regeln kann.
Ich will nur zwei Beispiele aus der Ombudsstelle Berlin nennen. Diese machen deutlich, dass sie zu einem Rechtsstreit hätten führen können, der wahrscheinlich für beide Seiten nicht nur kräftezehrend gewesen wäre, sondern der auch nicht erfolgreich ausgegangen wäre. Ein Beispiel: Ein jugendlicher Rollstuhlfahrer wird von einem Busfahrer der BVG beschimpft und lächerlich gemacht, als der Fahrer die Rampe anbringt.
(Zuruf von Thomas Staudt, CDU)
Die Ombudsstelle hat interveniert; die BVG bittet um Entschuldigung.
Ein anderes Beispiel: Ohne Anlass kontrollieren Polizisten eine schwarze Person, während weiße Passantinnen nicht kontrolliert werden.
(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Ja klar! Um Gottes willen! Die sind auch häufiger kriminell! Das wissen wir doch! Ist doch klar! Drogendealer! Illegale Einwanderer!)
Als die Kontrollierte protestiert, bekommt sie sogar noch einen Platzverweis. Die Ombudsstelle übernimmt den Fall, hört Zeuginnen, prüft widersprüchliche Aussagen und spricht eine offizielle Beanstandung gegen die Polizei aus. Die Polizei entschuldigt sich.
(Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Mir ist klar, dass Polizistinnen und Polizisten das nicht gerne machen. Wir wissen aus der eigenen Kindheit oder der Erziehung, dass es nicht einfach ist, jemanden zu einem „Entschuldigung“ aufzurufen. Aber ich sage Ihnen, auch das hat einen wahnsinnig wichtigen gesellschaftlich nachhaltigen Wert.
(Guido Kosmehl, FDP: Nee! - Zuruf von der AfD)
Insofern lassen Sie uns im Ausschuss darüber diskutieren, wie es uns gelingen kann, tatsächlich auch in Sachsen-Anhalt die Folgen von Diskriminierung zu bearbeiten, und über solch ein Gesetz reden, wovor, denke ich, niemand Angst haben muss.
(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Frau von Angern.