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Plenarsitzung

Transkript

Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Man könnte die Situation sehr deutlich   und das möchte ich auch tun   zusammenfassen: Die Koalition baut Schulsozialarbeit ab, und das ist, finde ich, ein Skandal.

(Zustimmung)

Der Umgang mit der Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt zeigt einmal mehr, wie unwichtig der Landesregierung offenbar die Anliegen und Bedürfnisse junger Menschen in Sachsen-Anhalt sind. Anders kann ich mir nicht erklären, dass Sie, Frau Feußner, zulassen, dass in unserem Bundesland, dem Land mit der bundesweit höchsten Schulabbrecherquote   ich habe es mir extra noch einmal angeschaut; sie ist doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt  , Schulsozialarbeit künftig abgebaut statt aufgebaut wird.

Noch im Koalitionsvertrag haben die koalitionstragenden Fraktionen versprochen, sich für eine Verstetigung der Schulsozialarbeit einzusetzen. Es wurde oft davon gesprochen, den Status quo in Sachsen-Anhalt zu erhalten. Mittlerweile muss man feststellen: Dem wird nicht so sein.

Es ist   das muss man sagen; das haben Sie vorhin auch dargestellt   immer wieder über die Beteiligung der Kommunen gesprochen worden - abstrakt. Keine Kommune darf, selbst wenn sie leistungsfähig wäre, Geld für eine Sache einstellen, die abstrakt im Raum steht. Daher sind alle Kommunen   ich habe sehr viele Mails und Briefe bekommen; einige von Ihnen sicherlich auch   vor die Situation gestellt worden, dass sie von heute auf morgen Geld für eine Sache einstellen sollen   noch dazu für eine freiwillige Leistung  , die ihnen vorher nicht als Rechtsverpflichtung bekannt war.

(Zustimmung)

Dass das Land diesen Weg geht, finde ich wirklich skandalös vor dem Hintergrund   ich habe das vorhin schon in meiner Frage deutlich gemacht  , dass der Welt durch Herrn Finanzminister Richter mitgeteilt wurde, dass wir in einer absolut komfortablen finanziellen Situation sind. Es ist ein Haushalt angekündigt worden, der ein Volumen haben soll, das es in diesem Land noch nie gegeben hat, nämlich 13,7 Milliarden € bei 1,5 Milliarden € Mehreinnahmen. Daher frage ich mich: Warum muss dann an dieser Stelle eingespart werden?

Alle Rednerinnen und Redner der demokratischen Fraktionen haben deutlich gemacht, dass Schulsozialarbeit ein wesentlicher Bestandteil ist, egal, ob es Schulsozialarbeit an Schule heißt oder Schulsozialarbeit in multiprofessionellen Teams ist. Ich finde, das ist Wortklauberei. Aber auch Sie haben gesagt, dass dies ein unverzichtbarer Bestandteil ist. Im Grunde genommen wäre es wünschenswert   so haben wir es auch schon in der letzten Koalition diskutiert  , wenn es an jeder Schule einen Schulsozialarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin gäbe.

(Zustimmung)

Aber was ist die Realität? - Wir müssen damit rechnen bzw. es droht, dass 80 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter in diesem Land weniger am Start sind. Ich halte das wirklich für schwierig; denn Schulsozialarbeit ist nicht „nur“ die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern, sondern Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter sind auch Teil der Lösung des Lehrkräftemangels, indem sie nämlich die Lehrerinnen und Lehrer bei dem, was sie tun, unterstützen. Sie sollen nicht den Unterricht übernehmen und keinen Unterricht machen, aber sie sollen Schule mitgestalten. Sie entlasten auf diese Weise die Lehrkräfte und sind somit Teil von Schule. So habe ich auch den Kollegen Lippmann verstanden. Das ist im Grunde genommen auch das ursprüngliche Wesen von Schulsozialarbeit.

Wir haben nicht zuletzt in der Coronapandemie gesehen, wie überlastet die Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land sind und dass Kinder gerade jetzt psychische Probleme haben, sie an vielen Stellen gefordert und allein sind und Distanz aushalten müssen. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter sind Ansprechpartner und übernehmen auch Aufgaben, die man vielleicht in einer anderen Welt Lehrerinnen und Lehrern zuordnen würde, um in einem vertrauten Umfeld tätig werden zu können.

Wir GRÜNEN möchten an der Stelle allen, die in den letzten zwei Jahren unter schwierigen Bedingungen einen echt guten Job gemacht haben, auch den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern Danke sagen. Wir stehen dafür, dass jede Stelle erhalten bleibt.

Ich will im Zusammenhang mit den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern an den Schulen explizit auch die Netzwerkstellen benennen. Sie sind eine wichtige Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Professionen in Schule und wirken auch auf die Schulen, die keine eigene Schulsozialarbeit haben.

Auch möchte ich sehr deutlich benennen, dass wir hierbei über Menschen reden. Hinter jeder Stelle von Schulsozialarbeit steht eine Schulsozialarbeiterin oder ein Schulsozialarbeiter. Sie sind in der schwierigen Situation, dass sie jedes Jahr nicht genau wissen: Kann ich im nächsten Jahr meinen Job weitermachen? Ist meine Arbeit auf Langfristigkeit angelegt?

Ich frage mich, ob Ihnen nicht bewusst war, Frau Feußner, als Sie diesen Erlass herausgehauen haben, dass Menschen dahinterstehen, die einen wirklich wichtigen Job machen, sich selbst ernähren müssen, Familien haben und dann von heute auf morgen dastehen und vielleicht ihre Arbeit verlieren. Das finde ich nicht akzeptabel.

(Unruhe)

Dies finde ich nicht nur vor dem Hintergrund der Mehreinnahmen nicht akzeptabel, sondern ich finde es auch nicht akzeptabel vor dem Hintergrund, dass wir in der Kenia-Regierung   ich selbst war Teil des Koalitionsausschusses   sehr lange darum gerungen haben, wie wir die Schulsozialarbeit in diesem Land weiter finanzieren können. Dabei standen unterschiedlichste Faktoren im Raum: Wird die EU überhaupt noch weiter finanzieren? Denn in anderen Förderbereichen ist es eigentlich sehr unüblich, dass der gleiche Fördertatbestand über eine so lange Zeit weiter gefördert wird. Können wir die Kommunen mit ins Boot holen? Ist das zumutbar? Wie wird der Landeshaushalt aussehen? - Darüber sind heftige Diskussionen geführt worden.

Da wir solche Ungewissheiten hatten - das ist auch von den Vorrednerinnen und Vorrednern beschrieben worden -, haben wir uns damals sehr bewusst darauf verständigt, dass wir die gesamte Summe für die Schulsozialarbeit auf der Grundlage des Beschlusses aus dem Jahr 2018 als Verpflichtungsermächtigung einstellen. Wir haben gesagt: Dazu stehen wir. Das ist unser gemeinsamer Beschluss. Schulsozialarbeit soll auf dem Niveau des Jahres 2018 erhalten bleiben. - Es ist bitter, dass es jetzt, da wir vor einer so komfortablen finanziellen Situation stehen, nicht dazu kommen soll.

Wir GRÜNEN werden uns dieser Entwicklung entgegenstellen. Wir begrüßen sehr, dass zumindest die SPD-Fraktion sehr deutlich signalisiert hat - so habe ich es wahrgenommen -, dass es zu dieser Situation nicht kommen wird.

Ich bitte aber auch darum, dass wir in der Diskussion mehr Ehrlichkeit an den Tag legen. Ich habe mit den Kommunen gesprochen, in Dessau, in unserem eigenen Jugendhilfeausschuss. Kollege Bernstein, unterhalten Sie sich einmal mit den Leuten! Wir sind ja, wenn ich das so sagen darf, in einer gemeinsamen kommunalpolitischen Fraktion. Dort ist dieser Fakt komplett anders diskutiert worden.

(Zustimmung)

Im Januar haben wir den Brief bekommen. Unser Haushalt ist komfortabel und er ist fertig. Möglicherweise hätte Dessau den Eigenanteil sogar stemmen können, aber nicht wenn der Haushalt schon bestätigt ist und vorliegt. Die ganze Herangehensweise zeugt von einer Ignoranz der Wichtigkeit von Schulsozialarbeit, die ich für meine Fraktion deutlich von mir weise.

(Zustimmung)

Abschließend will ich noch einen Satz sagen, durchaus auch selbstkritisch. Wir hätten in der letzten Koalition nicht nur die Verpflichtungsermächtigung einstellen, sondern auch - da bin ich bei der Kollegin Pähle, die das vorhin sehr deutlich gesagt hat - das eigene Landesprogramm vollziehen sollen. Das steht jetzt auf der Agenda, um ein für alle Mal klare Rahmenbedingungen für Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt zu schaffen. Wir GRÜNEN stehen dafür zur Verfügung. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Lüddemann. - Herr Dr. Tillschneider möchte eine Intervention realisieren.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Ja - ich habe es jetzt gelernt  , eine Intervention. - Frau Lüddemann hat in ihrer Rede betont von den demokratischen Fraktionen gesprochen und damit nicht die AfD gemeint. Ich habe das schon häufiger bei Ihnen und auch bei anderen bemerkt. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie das jetzt so gesagt haben; denn damit zeigen Sie, dass wir hier fünf Fraktionen haben, die einen Block bilden und sich kaum noch unterscheiden, und dass es daneben die AfD gibt. Gäbe es die AfD nicht, wäre hier nur noch Volkskammer. Wir machen aus diesem Parlament eine Demokratie.

(Lachen und Zustimmung - Zurufe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Lüddemann.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich finde das sehr bemerkenswert. Es ist jetzt kurz nach 12 Uhr. Heute früh um 9:30 Uhr haben wir über einen gemeinsamen Antrag von fünf Fraktionen dieses Hauses debattiert. Fünf Fraktionen dieses Hauses haben diesen Antrag mit unterschiedlichen Nuancen für gut befunden. Fünf Fraktionen dieses Hauses haben diesen Antrag gemeinsam abgestimmt. Wenn Sie erst jetzt auf die Idee kommen, dass Sie hier der Außenseiter sind und eigentlich nicht dazugehören, dann wachen Sie endlich auf!

(Beifall)