Tagesordnungspunkt 3
Notruf der Krankenhäuser ernst nehmen - Rettungsschirm im Land einsetzen
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/2148
Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten, die der Landesregierung beträgt ebenfalls zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: DIE LINKE, CDU, AfD, FDP, GRÜNE und SPD. Zunächst hat die Antragstellerin das Wort, die Fraktion DIE LINKE. Es spricht das Mitglied des Landtages Nicole Anger. - Sie haben das Wort.
Nicole Anger (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Die Krankenhäuser in unserem Land befinden sich auf der Intensivstation. Ihre finanzielle und personelle Notlage ist katastrophal. Die Krankenhausgesellschaft spricht von einer sehr bald drohenden Insolvenzwelle. Als Grund werden nicht nur die aktuellen Kostensteigerungen bei den Krankenhäusern genannt, sondern auch die jahrelange strukturelle Unterfinanzierung. Erhebungen des Krankenhausbarometers zum Ende des vergangenen Jahres haben gezeigt, dass nur 6 % der Krankenhäuser in Deutschland ihre wirtschaftliche Lage als gut beurteilen. Lediglich 20 % erwarteten für das Jahr 2022 ein positives Jahresergebnis. Das heißt, 80 % schrieben rote Zahlen. Mehr als jedes zweite Krankenhaus geht für das laufende Jahr 2023 von einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage aus.
Corona und die zuletzt gehäuft auftretenden Atemwegserkrankungen haben gezeigt, dass wir ein starkes Krankenhauswesen und flächendeckende Versorgung benötigen. Schließungen können wir uns in diesem Flächenland nicht leisten.
(Beifall bei der LINKEN)
All das sollte für Sie nicht überraschend sein. Wir hatten dazu schließlich eine Anhörung im Sozialausschuss mit der Krankenhausgesellschaft und dem Verband der kommunalen und landeseigenen Krankenhäuser, die genau diese Krise mit exakten Zahlen beschrieben haben. Und wir haben hier in diesem Plenum auch schon über unseren Antrag zum Rettungsschirm diskutiert.
Meine Damen und Herren! Wir haben auch einen Fachkräftemangel, der dazu führt, dass Betten nicht in Betrieb sind, sprich: Die eigentlichen Kapazitäten in den Kliniken stehen nicht vollständig zur Verfügung. Das Krankenhaus kann nicht Volllast fahren, das bedeutet weniger Patient*innen
(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)
und demzufolge auch weniger Einnahmen.
Jetzt kommen noch steigende Preise für Energie, Strom, Lebensmittel, Medikamente und Verträge mit Drittanbietern hinzu. Man muss in der Tat kein Adam Ries sein, um festzustellen, dass bei einer durchschnittlichen Steigerung des Landesbasisfallwertes um 4,3 % und einer durchschnittlichen Steigerung der laufenden Kosten um 15 % - ohne Energie wohlgemerkt - ein Minus für die Kliniken herauskommt. Wobei mitunter Wäscheversorger ihre Verträge bereits um bis zu 50 % erhöht haben oder beim Einkauf von Speisen Steigerungen von mittlerweile 25 % aufgerufen werden. Damit wird das monatliche Defizit der Häuser größer und größer. Das passiert, wenn man die Gesundheitsversorgung den Mechanismen des Marktes unterwirft. Wir alle werden verlieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Deswegen ist es unerlässlich, dass wir jetzt und sofort gegensteuern.
Meine Damen und Herren! Bevor wieder das klassische und vorhersehbare Argument aus den Reihen der Koalition kommt, weshalb wir keinen Rettungsschirm einrichten können, sage ich Ihnen gern, wie es gehen kann. Wie wäre es denn mit einem Sondervermögen? Sondervermögen können Sie doch.
(Ulrich Siegmund, AfD: Das sind Schulden!)
Schließlich gibt es doch das Corona-Sondervermögen. Das Land Brandenburg hat auch gezeigt, dass es geht, übrigens ohne Gefahr zu laufen, den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung zu bedienen - um hier gleich auf die völlig faktenfreie Argumentation der Sozialministerin aus dem Sozialausschuss einzugehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ministerin Grimm-Benne verkündete nämlich im Ausschuss, dass es rechtlich nicht möglich sei, die Liquidität der Häuser zu finanzieren ich zitiere wortwörtlich :
„Außerdem sei davor zu warnen, liquiditätsgefährdete Unternehmen finanziell zu unterstützen, da dies sowohl beihilferechtlich als auch mit Blick auf den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung nicht zulässig sei.“
Falsch, Frau Ministerin! Sie haben hiermit eine völlig rechtswidrige Behauptung aufgestellt. Ich bitte Sie: Bedienen Sie sich, wenn Sie gleich reden, nicht weiter dieser Unkenntnis. Denn anderenfalls würde mich und meine Fraktion sehr stark interessieren, wie sonst das Entlastungspaket der Bundesregierung zu verstehen ist, bei dem die Kliniken allesamt Zuschüsse vom Bund bekommen.
(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)
Oder wie sind die Ausfallbürgschaften der Landkreise und der kreisfreien Städte in den vergangenen Wochen für die kommunalen Kliniken zu verstehen? Machen die sich dann alle strafbar?
Ich habe im Übrigen den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst um eine Einschätzung genau dazu gebeten. Kurzfassung: Krankenhäuser haben eine Sonderstellung von allgemeinem Interesse im EU-Recht. Die Förderung soll explizit Insolvenzen verhindern. Für bestimmte Krankenhäuser greift das Insolvenzrecht nicht. - Die ausführliche Antwort stelle ich Ihnen gern zur Verfügung.
Im Übrigen gleichen Sie auch bei den Unikliniken Jahr für Jahr hohe Defizitbeträge aus. Das müsste dann nach Ihrer Auffassung auch rechtswidrig sein, ist es aber nicht.
Meine Damen und Herren! Kommen wir zu dem Stichwort Entlastungspaket. Nur zu gern bemühen Sie die Argumentation, dass es doch üppige 6 Milliarden € vom Bund gibt. Doch diese reichen nicht aus. Ein Teil davon, also 4,5 Milliarden €, sollen für die steigenden Energiekosten eingesetzt werden. Doch die Richtlinie dafür ist bis heute unbekannt. Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden € sind pauschal für weitere Defizite vorgesehen. Von dieser Pauschale kommen ungefähr 48 Millionen € im Land an. Ein Klinikum, das 600 Betten hat, bekommt eine einmalige Pauschale in Höhe von 1,8 Millionen €. Das monatliche Defizit einer Klinik ohne Energiekosten beträgt seit Sommer aber mindestens 500 000 € pro Monat. Das ergibt bis heute ein Defizit von 3,5 Millionen €, Tendenz steigend. Die Mittel des Bundes sind also niemals ausreichend.
Zu dem nicht ausreichenden Entlastungspaket besteht Überraschung sogar Konsens zwischen meiner Fraktion und der CDU, wenn man dem Inhalt ihrer Pressemitteilung glauben darf. Dort stand auch, dass sie zu Gesprächen über Finanzhilfen bereit seien und solche ggf. im Rahmen der Haushaltsberatungen bereitstellen wollten. Gesprächsbereit, wie es in dieser Pressemitteilung hieß, waren Sie im Sozialausschuss nach meiner Einschätzung aber nicht. Sollte dazu noch etwas in der Bereinigungssitzung kommen? Ich bin gespannt. Aber vermutlich sind meine Erwartungen an dieser Stelle wieder viel zu hoch.
Meine Damen und Herren! Folgt man der Sozialministerin, unterstützt von der Koalition, dann naht die Rettung schon zum Ende des ersten Quartals, und zwar in Form eines Gutachtens zu den Krankenhäusern. Das soll dann vorliegen. Und dann wird alles gut - oder etwa nicht? Ich sage Ihnen, es wird nichts gut mit diesem Gutachten. Dieses Gutachten wird lediglich die Bevölkerungsentwicklung und Statistiken zu Erkrankungen aufzeigen. Dass sich darin die strukturelle Situation eines Flächenlandes wie des unsrigen mit seinen Bedarfen widerspiegelt, zweifle ich schon jetzt an.
Ich sage Ihnen voraus: Fachkräftemangel, starke Alterung, ausgedünnter ländlicher Raum und zurückgehende Fallzahlen werden zu einer Verknappung der Versorgung und zu langen Fahrzeiten für die Menschen führen. Die Menschen in diesem Bundesland und in den einzelnen Landkreisen werden vom Gesundheitssystem abgekoppelt. Fälle wie in Havelberg gibt es dann möglicherweise auch in Sangerhausen oder in Seehausen oder in Zeitz oder in anderen Orten.
Wenn Sie eine landesweite finanzielle Unterstützung der Kliniken weiterhin hinauszögern, schaffen Sie noch vor dem Gutachten eine erste kalte Marktbereinigung. Denn viele Häuser laufen Gefahr, in nächster Zeit zahlungsunfähig zu werden. Hierbei reden wir nicht mehr von Monaten, sondern hierbei sprechen wir schon von Wochen. Dann sind vor allem bei den kommunalen Häusern die Obergrenzen erreicht und die Kredite der Landkreise sind ausgeschöpft, Kredite, die sie ohnehin nicht zurückzahlen können. Woher soll das Geld denn kommen? Dann werden zunächst Fachabteilungen abgemeldet, danach ganze Häuser. Dann sind jeder Krankenhausplan und jedes Gutachten genau so hilfreich wie eine Sonnenbrille im Nebel.
(Beifall bei der LINKEN)
Reformen kann man nicht angehen, meine Damen und Herren, ohne vorher die Struktur zu stabilisieren. Wenn Sie nun sagen: „Aber der Bund …“, dann sage ich Ihnen: Auch Herrn Lauterbachs Reförmchen werden nichts an dieser mehr als kritischen Lage ändern. Diese Reform mit den Umstrukturierungen kann man nämlich nur dann umsetzen, wenn man es sich leisten kann. Und das können vor allem die kommunalen und die landeseigenen Kliniken nicht mehr, und auch die in freigemeinnütziger Trägerschaft werden das nicht mehr schaffen. Insbesondere im ländlichen Raum ist zu befürchten, dass es mit einer Reform in Kombination mit der Personalknappheit zu einem Zusammenbruch der Krankenversorgung kommen wird. Dann kommt es zu einer zweiten kalten Marktbereinigung. Wer nicht mithalten kann, ist raus.
So weit darf es nicht kommen, meine Damen und Herren. Ich bin der Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, Politik zum Wohle der Menschen in unserem Land zu machen. Hin und wieder bedeutet das auch, abwägen zu müssen, was wichtiger ist, und zwar nicht für uns in diesem Haus, sondern für die Menschen in diesem Land. Über mögliche Zinsen, die mit der Aufnahme eines Kredites für einen Rettungsschirm verbunden sind, kann man jammern, aber, verdammt noch einmal, wir müssen dieses Geld in die Hand nehmen, um den Menschen das Gesundheitsangebot zu unterbreiten, das sie benötigen. Tun wir das nicht, kommt es sehr schnell zu einer nachhaltigen Zerstörung einer der wichtigsten Säulen eines Sozialstaates auf lange Zeit. Ist der Standort erst einmal tot, gibt es keinen Wiederaufbau.
Eines sage ich Ihnen auch ganz deutlich: Gesundheitsfürsorge darf niemals an Fragen des Geldbeutels geknüpft sein. Das ist keine Aufgabe des Marktes, das ist eine Aufgabe des Staates. Der Markt regelt einen … Sie wissen schon.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sind es den Menschen mehr als nur schuldig, hierbei finanzielle Unterstützung zu geben; denn die Krankenhäuser sind im Moment im wahrsten Sinne des Wortes kranke Häuser. Also helfen Sie den Krankenhäusern und schauen Sie nicht weiter weg. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)