Tagesordnungspunkt 6
Fünf Jahre nach dem terroristischen Überfall in Halle (Saale) am 09.10.2019: Zunehmendem Antisemitismus und Rassismus entschieden entgegentreten!
Antrag Fraktion SPD - Drs. 8/4692
Frau Dr. Pähle wird den Anfang machen.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrtes Hohes Haus! Viele entsetzliche Terroranschläge haben in den letzten Jahrzehnten die Welt und uns ganz persönlich erschüttert, haben die Politik und manchmal die ganze Weltlage verändert, ob das der 11. September 2001 war, die Mordserie des NSU von 2000 bis 2006, die Mordtaten von Kassel im Jahr 2019 und von Hanau im Jahr 2020 oder der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Aber nie ist ein Terrorangriff uns in Sachsen-Anhalt im wahrsten Sinne des Wortes so nahe gekommen wie der am 9. Oktober 2019 in Halle.
(Zuruf von der AfD: Und Wolmirstedt?)
Denn Täter und Opfer kamen aus unserer Mitte. Kein illegal eingereister Migrant, kein radikalisierter Islamist, kein Schläfer eines ausländischen Geheimdienstes hat in meiner Heimatstadt Halle gemordet und ein Massaker an der jüdischen Gemeinde zu verüben versucht, sondern ein Deutscher von nebenan, aus dem Mansfelder Land. Die ermordete Jana L. wohnte in Halle in der Nachbarschaft der Synagoge. Das Mordopfer im „Kiez-Döner“ Kevin S. kam aus Merseburg. Oft vergessen werden die durch die Schüsse Schwerverletzten in Wiedersdorf und der anscheinend vorsätzlich angefahrene Passant in Halle. Die Menschen, die sich in der Synagoge eingeschlossen hatten und um ihr Leben fürchten mussten, die durch die Angriffe Traumatisierten, sie alle waren Teil unserer Stadtgesellschaft oder aus dem benachbarten Saalekreis.
Ich bin froh, dass das Andenken an die Opfer und die Erinnerung an die Tat von dieser Stadtgesellschaft weiterhin hochgehalten werden und dass auch das Land Sachsen-Anhalt zu den Jahrestagen intensiv weiter Anteil nimmt. Dazu wollen wir auch mit dieser Aktuellen Debatte beitragen.
Es geht mehr als fünf Jahre nach der Tat nicht nur um das Gedenken, sondern auch um die politische Dimension der Tat und um die gesellschaftliche Gefahr, die von Antisemitismus und Rassismus in verstärktem Maße ausgeht. Denn auch wenn die Getöteten und Verletzten dieses Terroraktes keine Jüdinnen und Juden waren, sein eigentliches Ziel war genau das: die Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu töten, die seit dem Mittelalter zu unserer Stadt gehört und die heute endlich wieder aktives jüdisches Gemeindeleben in Halle verkörpert. Den Mut und das Beharrungsvermögen der Mitglieder dieser jüdischen Gemeinde möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Meine Damen und Herren! Der Täter von Halle handelte allein, aber es geht hierbei schon deswegen nicht um einen Einzeltäter, weil er nach dem Vorbild des Massakers im neuseeländischen Christchurch geplant hat, das wiederum von den Terrorangriffen in Oslo und auf der Insel Utøya inspiriert war, gewissermaßen Blaupausen für den rassistisch motivierten Massenmord. Denn auch wenn in Neuseeland betende Musliminnen und Muslime das Ziel waren und in Norwegen vor allem die Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiterjugend, folgen alle drei Taten denselben kruden, verschwörungstheoretischen Logiken. In den Köpfen aller drei Täter ging es um die fixe Idee vom angeblich geplanten Bevölkerungsaustausch. Mal sollten die Musliminnen und Muslime getroffen werden, mal diejenigen, die sie angeblich geplant ins Land holen.
Wie wir wissen, existiert die wahnwitzige Vorstellung, Juden würden muslimische Zuwanderung fördern, um das deutsche Volk zu ersetzen, nicht nur in den Köpfen von selbstradikalisierten Attentätern, sondern auch hier im Landtag. Denn der Abg. Tillschneider hat genau das in einem Video von einer AfD-Veranstaltung verbreitet.
Antisemitismus ist die Urform aller Verschwörungstheorien.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)
Sie ist auch heute noch Kern vieler solcher Narrative, mal offen, mal versteckt, und das allzumal in Deutschland. In Deutschland kann man sich nun wirklich nicht hinter importiertem Antisemitismus verstecken, wenn es um die Auseinandersetzungen mit dem gesellschaftlichen Problem geht. Eine jahrhundertelange Tradition des religiös gerechtfertigten Antijudaismus, die Herausbildung eines völkisch-rassistisch geprägten modernen Antisemitismus und schließlich die Shoah, der industriell organisierte Genozid als Teil eines mörderischen Vernichtungskrieges - diese langen Entwicklungslinien skizzieren die spezifisch deutsche Geschichte des Antisemitismus, mit der wir uns immer wieder auseinandersetzen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute sind wir vor allem gefordert, antisemitischen und anderen rassistischen Übergriffen entschieden entgegenzutreten. Alle Opfer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit brauchen unsere Solidarität.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Das betrifft viele Migrantinnen und Migranten. Das betrifft Musliminnen und Muslime, deren Moscheen ebenfalls gefährdet sind und bedroht werden. Aber es betrifft eben ganz besonders auch viele Jüdinnen und Juden, die sich in Deutschland akut bedroht fühlen, die im Alltag verbalen Attacken und tätlichen Übergriffen ausgesetzt sind und die teilweise mit dem Gedanken an Auswanderung spielen. Sie brauchen den Schutz von Polizei und Justiz, aber sie brauchen auch den Schutz einer Zivilgesellschaft, die deutlich macht: Jüdisches Leben ist Teil unserer Gesellschaft und unsere jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn haben unsere Rückendeckung.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren! Man kann heute nicht über Antisemitismus sprechen, ohne damit umzugehen, welche Rolle antisemitische Haltungen in Debatten über den Überfall der Hamas und über den Krieg im Nahen Osten spielen. Selbstverständlich können und müssen Kriegsverbrechen und Terror kritisiert werden. Selbstverständlich können und müssen Völkerrechtsverstöße kritisiert werden. Selbstverständlich kann und muss Solidarität mit den Opfern dieses seit Jahrzehnten währenden Konflikts geübt werden. Aber wenn bei Demonstrationen und im Netz das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird, wenn der Angriff der Hamas verherrlicht wird oder wenn islamistischer Terror unterstützt wird, dann ist das völlig inakzeptabel
(Beifall bei der SPD und bei der Linken - Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)
und muss von uns allen entschieden zurückgewiesen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen-Anhalt hat nach dem Anschlag vor fünf Jahren Konsequenzen gezogen. Die Sicherheitsmaßnahmen an der Synagoge wurden verstärkt. Das gilt auch für andere jüdische Einrichtungen in Sachsen-Anhalt. Der Landtag hat das Anschlagsgeschehen und das polizeiliche Handeln durch einen Untersuchungsausschuss ausführlich aufbereitet. Der Täter, der sich auch in Haft als weiterhin höchst gefährlich erwies, wurde mehrfach in andere Haftanstalten verlegt, um seine sichere Verwahrung zu erreichen.
Dennoch kann das, was passiert ist, nicht zu den Akten gelegt werden. Antisemitismus ist in vielen Köpfen weiterhin wirkmächtig und er hat heute wie früher eine strategische Funktion für den Rechtsextremismus. Der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky schrieb 1932 in der „Weltbühne“ ich zitiere :
„Der Antisemitismus ist dem Nationalismus blutsverwandt und dessen bester Alliierter. Die beiden gehören zusammen. Denn ein Volk, das sich ohne Territorium und ohne materielle Autorität 2 000 Jahre in der Weltgeschichte herumtreibt, ist eine lebendige Widerlegung aller nationalistischen Ideologie, die den Begriff der Nation ausschließlich von machtpolitischen Voraussetzungen abhängig macht.“
(Zustimmung bei der SPD und bei der Linken)
Aber Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus werden nicht gewinnen. Wir werden Halle und ganz Sachsen-Anhalt als weltoffenen, lebenswerten und bunten Ort erhalten. Wenn es nach uns geht - ich weiß, das umfasst viele , dann sind Jüdinnen und Juden dabei immer mittendrin. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken und bei der FDP)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Es gibt eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider. - Herr Dr. Tillschneider, bitte.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Frau Pähle, Sie haben eine Aussage, die ich vor Jahren bei einem Vortrag in Bayern getätigt habe, hier völlig verzerrt wiedergegeben. Ich will sie jetzt klarstellen; nicht im Rahmen einer persönlichen Erklärung, es reicht im Rahmen einer Intervention. Und zwar habe ich damals bei diesem Vortrag meinem Erstaunen darüber Ausdruck gegeben, dass nicht die Juden, sondern der Zentralrat der Juden als Verein, als Institution,
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts!)
der Islamisierung unseres Landes, der Ausbreitung des Islams angesichts des islamischen Antisemitismus nicht entschiedener gegenübertritt und diesbezüglich nicht härtere Kritik übt. Darüber habe ich mich gewundert. So, das habe ich getan. Das hat mit Antisemitismus überhaupt nichts zu tun.
Sie tun das immer wieder. Sie haben aus dieser Rede sogar irgendwelche Schnipsel herausgeschnitten. Haben Sie überhaupt nichts Besseres zu tun? Wissen Sie, das ist die Substanz Ihrer Politik: verzerren, falsch darstellen
(Sebastian Striegel, GRÜNE, lacht - Zuruf von Dr. Andreas Schmidt, SPD)
und den Naziteufel an die Wand malen. Mehr haben Sie nicht, mehr haben Sie nicht.
(Beifall bei der AfD - Zuruf von der AfD: Jawohl!)
Das ist erbärmlich.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist doch die Anleitung der AfD zum Politik machen!)
Das ist eine intellektuelle und politische Bankrotterklärung.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Dr. Pähle, möchten Sie reagieren?
Dr. Katja Pähle (SPD):
Ich möchte gern aufgreifen, Herr Tillschneider, dass Sie gesagt haben, das sei der Kern unserer Politik: verzerren und ... Ganz ehrlich, Herr Tillschneider, an der Stelle - Sie hatten es beim letzten Mal ja mit dem Christentum - müsste Sie eigentlich der Blitz treffen. Eine solche große Lüge habe ich wirklich noch nicht erlebt.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der Linken, von Angela Gorr, CDU, und von Sandra Hietel-Heuer, CDU - Zuruf von Felix Zietmann, AfD)
Ich sage Ihnen ganz deutlich: In dem Handwerk des Verzerrens, des Zusammenschneidens, des Aus-dem-Kontext-Lösens sind Sie wie auch die Mitglieder Ihrer Fraktion wirklich Meister des Faches.
(Zuruf von der AfD: Belegen Sie das doch mal!)
Ich will nur darauf hinweisen, dass diese Rede,
(Frank Otto Lizureck, AfD: Argumentation auf dem Niveau eines Vorschulkindes!)
zu der Sie sagen, es sei alles aus dem Kontext gerissen, auch in der MDR-Dokumentation über das Verfahren gegen den Attentäter von Halle zu lesen ist. Ich glaube nicht, dass es aus dem Kontext gerissen ist. Sie versuchen das hier so darzustellen. Aber von dem Kern der Aussage, dass Sie mit dazu beitragen, dass Antisemitismus und antisemitische Verschwörungstheorien weitergetragen werden, können Sie nicht ablenken. Dafür gibt es einfach zu viele Belege.
(Beifall bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Doch! - Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Doch! Machen wir! Weil nicht stimmt, was Sie erzählen!)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Roi, haben Sie sich noch gemeldet? - Frau Dr. Pähle, lassen Sie eine Frage von Herrn Roi zu? - Sie bleiben stehen. - Herr Roi, bitte.
Daniel Roi (AfD):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sie haben über antisemitische Verschwörungstheorien und Erzählungen referiert. Meine konkrete Frage an Sie: Wie stehen Sie zu dem aktuellen Vorgang bezüglich Ihrer Parteifreundin Frau Özoguz, der den Ältestenrat des Deutschen Bundestages beschäftigt? Sie hat laut Presseberichterstattung, die sehr umfangreich ist, einen antisemitischen Post abgesetzt und ist mit Rücktrittsforderungen konfrontiert worden. Wie stehen Sie dazu? Können Sie das für uns hier bitte einmal einordnen?
(Zustimmung bei der AfD - Lothar Waehler, AfD: Welche Partei noch mal?)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Dr. Pähle, bitte.
Dr. Katja Pähle (SPD):
Herr Roi, was zu meiner Parteikollegin und Parteigenossin Frau Özoguz gerade im Ältestenrat des Bundestages geklärt und richtiggestellt werden muss, ist Aufgabe des Ältestenrates des Bundestages.
(Lachen und Aha! bei der AfD - Zuruf von Lothar Waehler, AfD)
- Werte Kollegen der AfD, wir können demnächst bei Themen auch alle möglichen Sachverhalte, die im Ältestenrat des Bundestages
(Frank Otto Lizureck, AfD: Die Genossen sind leicht gereizt!)
möglicherweise gegenüber Abgeordneten Ihrer Fraktion zu verhandeln sind, gern, gern aufrufen.
(Lothar Waehler, AfD: Machen Sie’s doch! Machen Sie’s doch! - Weitere Zurufe der AfD)
Ich erwähne insoweit nur Äußerungen von Herrn Brandner und Weiteren.
(Lothar Waehler, AfD: Was hat er denn gesagt? Was hat er denn gesagt, der Herr Brandner? - Weitere Zurufe von der AfD)
Von der Warte her sollten wir uns an der Stelle vornehmer Zurückhaltung bedienen. - Vielen Dank.