Jörg Bernstein (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Stand zur Reform der Schuldenbremse sollte uns allen hinlänglich bekannt sein. Nach heldenhaftem Abwehrkampf musste sich die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Werben von CDU, CSU und SPD im aufgelösten Bundestag geschlagen geben.
Mir gibt die heutige Aktuelle Debatte noch einmal die Gelegenheit, die Position der Freien Demokra-ten klar darzustellen.
(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Die schon immer falsch waren! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Sie sind gegen die Zukunft!)
Auch wenn der eine oder andere in den letzten Jahren an der FDP gezweifelt hat, stand für uns beim Thema Schuldenbremse Prinzipientreue ganz klar vor einer Schuldenkoalition.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)
Man erinnere sich nur einmal daran, dass der ehemalige Bundeskanzler, also der derzeit geschäfts-führende Bundeskanzler Olaf Scholz, seinen Finanzminister Christian Lindner wegen 13 Milliarden € entlassen hat.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Ja!)
Das ist geradezu ein Schnäppchen im Vergleich zu den Unsummen, die jetzt beschlossen wurden.
(Olaf Meister, GRÜNE: Denkt mal drüber nach! - Dr. Katja Pähle, SPD: Hätte man machen können! - Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)
Für uns Freie Demokraten steht fest: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.
(Dr. Falko Grube, SPD: Die Steuereinnahmen von morgen!)
Wir sehen Generationengerechtigkeit nicht als bloßes Lippenbekenntnis. Sowohl bei den Abstim-mungen im Bundestag als auch im Bundesrat stand die FDP zu ihrer Verantwortung gegen das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Union und SPD hat mit der Unterstützung der GRÜNEN die Schuldenbremse systematisch ausgehebelt und das Grundgesetz gleich mit geschädigt.
Was ist der Kern unserer Kritik? - Die Schuldenbremse war kein Hindernis für Fortschritt, sondern ei-ne Versicherung für unsere Kinder und Enkel.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)
Aufgrund der Grundgesetzänderung wird eine dauerhafte Ausnahme von der Schuldenbremse ge-schaffen. So dürfen Verteidigungsausgaben oberhalb von 1 % des Bruttoinlandsproduktes - aktuell wären das ca. 44 Milliarden € - unbegrenzt mithilfe von Krediten finanziert werden. Bedenkt man, dass der Anteil im Bundeshaushalt im Jahr 2024 deutlich darüber lag, so stellt man fest, dass sich die zukünftige Koalition schon einmal die Krisenschatulle füllt, um Streit mit Geld zu glätten.
Zusätzlich entsteht eine neue Dynamik; denn auch Nachrichtendienste, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie die Ukraine-Hilfen können künftig unbegrenzt mithilfe von Krediten finanziert werden. Doch damit nicht genug; denn es gibt ja noch das sogenannte Sondervermögen - aus der Sicht der Freien Demokraten ein Musterbeispiel für Intransparenz und Zweckentfremdung. Nach derzeitigem Stand: 500 Milliarden € Schulden ohne echte Zweckbindung. Auf Drängen der GRÜNEN fließen zunächst 100 Milliarden € in den Klima- und Transformationsfonds. Diese 100 Milliarden €, Kollege Meister, werden definitiv die 100 Milliarden € sein, die ganz sicher durch die Kassen rauschen.
Wenn man sich das Sondierungspapier der Union und der SPD anschaut, dann kann man die Mittel-verwendung nur erahnen. Hier liest man dann solche Stilblühten wie - ich zitiere :
„Wir wollen als marktgerechtes Instrument 120 Leitmärkte für klimaneutrale Produkte schaffen, z. B. Quoten für klimaneutralen Stahl, eine Grüngasquote oder vergaberechtliche Vorga-ben.“
(Zuruf von der AfD: Junge, Junge, Junge!)
Liebe Kollegen von der CDU, wenn Sie es in letzter Zeit öfter mal pfeifen hören, dann wird es vermut-lich Ludwig Erhard sein, der stark rotierend in seinem Grabe liegt.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)
Selbst Ihr Parteivorsitzender war noch vor wenigen Wochen von der Idee bezüglich der Produktion von grünem Stahl wenig überzeugt. Ich zweifle mit entsprechender Vorbildung auch nicht an der technologischen Umsetzbarkeit. Nur wird sich solcher Stahl nicht zu marktfähigen Preisen produzie-ren lassen. Die Klimaneutralität im Jahr 2045 wird dann so aussehen, dass energieintensive Produkte wie z. B. auch AdBlue, Düngemittel oder andere Produkte z. B. des Stickstoffwerkes in Wittenberg-Piesteritz schon wesentlich früher nicht mehr in Deutschland produziert werden.
(Zustimmung bei der FDP)
Dem Klima wird das allerdings überhaupt nichts nützen. Wir werden aber massiv die Sicherheit unse-res Landes in den Bereichen Logistik, Ernährung und Verteidigung gefährden. Was man ebenfalls im Hinblick auf die Mittel aus dem KTF erwarten darf, sind Kaufanreize für E-Autos. Der SPD-Generalsekretär hat schon einmal entsprechende Wünsche angemeldet. Und das sollen Investition sein?
Jetzt kann man sagen: Okay, die haushaltsrechtlichen Regelungen des Bundes fassen den Investiti-onsbegriff deutlich weiter. Auch Darlehen, die zu erwarten sind, z. B. für die Bundesagentur für Ar-beit, sind möglich. Auch die Deutsche Rentenversicherung wird man als Investition verbuchen kön-nen.
Am Ende wir es bei großen Teilen um den Ersatz bestehender Haushaltspositionen gehen. Der Frage nach echter Zusätzlichkeit hat man ja schon einmal vorgebeugt. Die Frage, was denn nun eine ange-messene Investitionsquote ist, wurde nicht klar beantwortet. Zumindest steht es im Gesetzestext definitiv nicht.
(Zustimmung bei der FDP)
Die Frage ist: Was ist angemessen: 5 %, 10 %, oder 15 %? Jeder dieser 5-%-Schritte macht schon einmal aktuell 25 Milliarden € aus und eröffnet Spielräume für Parteipolitik und nicht für Reformen. Und auch die Länder sollen aus dem Topf dieser halben Billion 100 Millionen € erhalten. Aber wie? - Diese Frage bleibt offen.
Jetzt kann man sich darüber freuen und eine FDP-Infrastrukturministerin fragen, warum sie sich denn zusätzlicher Mittel, z. B. für den Straßenbau, verweigert?
(Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff: Bringt nichts!)
Oder man sieht in der Änderung des Artikels 109 des Grundgesetzes faktisch eine Entkernung der Fi-nanzverfassung der Länder
(Zustimmung bei der FDP)
und eine Gefahr für die Verfassungsautonomie insgesamt.
Niemand weiß, was genau auf die Länder zukommt. Das ist ein Blindflug mit Milliardenrisiken. Was viele Bürger erstaunen lässt, ist die Geschwindigkeit, mit der die Union ihre ordnungspolitische Ori-entierung aufgegeben hat. Der SPD und den GRÜNEN war die Schuldenbremse schon längst ein Dorn im Auge. CDU und CSU haben im Wahlkampf an der Schuldenbremse festgehalten und sie nun preis-gegeben. Friedrich Merz propagiert „whatever it takes“ und übernimmt damit sozialdemokratische Haushaltspolitik. Statt einer Wirtschaftswende bekommen wir mehr Staat, mehr Bürokratie und hö-here Sozialausgaben.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das Konzept „weniger Staat“ wurde abgewählt!)
Mit Zwangsquoten, Mietpreisbremse und Tariftreuegesetz gibt es linke Umverteilungspolitik mit Uni-onsstempel. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch den folgenden Punkt muss ich noch an-sprechen: Deutschlands Schuldenpolitik hat Signalwirkung für Europa.
(Andreas Silbersack, FDP: So ist das!)
Wir sehen das Risiko einer Zins- und Vertrauenskrise. Länder wie Italien, Griechenland und Spanien könnten steigende Zinslasten nicht tragen. Es steht zu befürchten, dass dies auch im Zusammenhang mit den geforderten höheren Verteidigungsausgaben zu einem Türöffner für Eurobonds wird.
Statt ein Stabilitätsanker zu sein, wird Deutschland zum Teil der Belastungsgemeinschaft. Für uns Freie Demokraten bleibt wichtig: klare Prioritäten, solide Haushaltsführung, Fokussierung auf die Kernaufgaben des Staates, statt Schulden für alles und nichts.
(Beifall bei der FDP)
Gestatten Sie mir abschließend einen Blick nach vorn, der inzwischen auch von dem einen oder ande-ren politischen Mitbewerber sicherlich geteilt wird, auch wenn wir Freien Demokraten vorerst nicht im Bundestag vertreten sind. Der Liberalismus wird auch auf der Bundesebene zurückkommen, und das, denke ich, stärker als zuvor. Denn eine freie Gesellschaft braucht fiskalische Stabilität, Eigenver-antwortung und einen starken, aber schlanken Staat. Hierfür setzen wir uns auch in Sachsen-Anhalt mit aller Kraft ein.
(Beifall bei der FDP)
Die einen bekämpfen den Staat mit Hass, die anderen umarmen ihn zu Tode. Wir setzen auf Vertrau-en in den Einzelnen. Die beschlossene Grundgesetzänderung markiert aus unserer Sicht den Anfang einer falschen Politik. Aber sie wird nicht das letzte Wort sein. Die Stimme der Freiheit wird weiterhin gehört. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Herr Bernstein. Es gibt eine Nachfrage von Herrn Striegel.
Jörg Bernstein (FDP):
Ach, Herr Striegel. Gern.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Striegel.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Herr Bernstein, ich habe eigentlich nur eine Frage zu den Kernaufgaben des Staates, die Sie erwähnt haben. Gehört es für Sie zu den Kernaufgaben des Staates dazu, dass Kinder in einer guten Lernum-gebung lernen können, dass Schulklos tatsächlich aufsuchbar sind, dass es Sporthallen gibt,
Jörg Bernstein (FDP):
Ja.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
dass Schwimmhallen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung stehen,
(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)
dass es eine funktionierende Bahn gibt? Gehört all das bei Ihnen dazu? Oder ist das aus Ihrer Sicht verzichtbar?
Jörg Bernstein (FDP):
Das ist überhaupt nicht verzichtbar, Herr Kollege Striegel.
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Dann müssen Sie es finanzieren!)
Diese Aufgaben sind Kernaufgaben, die aus unserer Sicht auch aus dem Kernaushalt finanziert wer-den müssen. Und die müssen
(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)
- Nein. Wir werden morgen morgen ist das auf Antrag Ihrer Fraktion hin noch über den staatlichen Hochbau debattieren.
(Zuruf von Kristin Heiß, Die Linke)
Dort liegt aus meiner Sicht auch ein Kernproblem: Unser staatlicher Hochbau ist einfach zu ineffizient.
(Kristin Heiß, Die Linke: Was? - Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)
Und das ist der Punkt.
(Beifall bei der FDP - Zuruf von Kristin Heiß, Die Linke)
- Dazu gehört es doch auch. Auch die Kommunen haben die gleichen Regelungen. Da müssen wir ran. Wir brauchen eine Strukturreform. Diese Strukturreform, die mit diesem Schuldenpaket jetzt ausge-sessen wird, führt uns dazu,
(Sebastian Striegel, GRÜNE: Wer ist denn hier gerade an der Regierung? - Zuruf von Olaf Meister, GRÜNE)
dass wir dem Konjunkturabschwung nicht entgegenwirken können. Das ist doch ein Punkt. Gehen Sie einmal raus und unterhalten Sie sich mit Unternehmen. Wer soll denn diese ganzen Milliarden dann am Ende verbauen? Es ist doch gar keiner da. Tiefbau, Hochbau - sie alle haben Personalprob-leme.
(Beifall bei der FDP - Olaf Meister, GRÜNE: Sie meinen, die Brücken bröckeln dann halt?)
Es wird nur teurer.
(Zustimmung bei der FDP - Hendrik Lange, Die Linke: Dann machen wir nichts, oder was? Das ist doch albern! - Olaf Meister, GRÜNE, lacht - Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)