Tagesordnungspunkt 4
Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier - Zwischenbilanz nach dem Antragsstopp?
Antrag Fraktion SPD - Drs. 8/2149
Zunächst hat wie üblich die Antragstellerin das Wort. Es wird der Abg. Herr Erben reden. - Herr Erben, bitte.
Rüdiger Erben (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Anmerkung zu der Drucksache zur Antragstellung: Das Fragezeichen, das dort hinter dem Wort Antragsstopp steht, gehört dort natürlich nicht hin, sondern das ist ein redaktionelles Versehen.
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
Ich will kurz mein Manuskript zur Seite legen und einmal berichten, wie ich von dem Antragsstopp erfahren habe. Vielleicht ist es dem ein oder dem anderen auch so wie mir ergangen. Wenn man sich bspw. auf „DER SPIEGEL (online)“ bewegt, dann bekommt man sehr häufig Werbung von Google angezeigt. Dort fiel mir im Dezember 2022 schon immer auf, dass der Strukturwandel Sachsen-Anhalt sehr intensiv wirbt. Der tauchte bei mir beständig auf. Dann habe ich mir gedacht: Guckst du doch einmal, das war während der Weihnachtsfeiertage was sich hinter dieser Werbung verbirgt. Dann klickte ich diesen Link an und bekam: Antragsstopp.
(Olaf Meister, GRÜNE, lachend: Läuft!)
Das war nämlich am 23. Dezember 2022 dort eingestellt worden. Ich war zugegebenermaßen etwas überrascht.
Der Ausstieg aus der Braunkohle als solcher hat in den letzten Wochen unter dem Stichwort Lützerath sicherlich einiges an Momentum in der öffentlichen Debatte gewonnen. Aber darum soll es heute überhaupt nicht gehen; denn beim Ende des Braunkohleabbaus geht es nicht um Wünsche, sondern es geht um Fakten. Zumindest in Sachsen-Anhalt ist das Datum recht klar gesetzt: Spätestens im Jahr 2035 wird das Abbaufeld Domsen des Tagebaus Profen ausgekohlt sein - nicht weil wir das so wollen, sondern weil der Rohstoff dort schlichtweg nicht mehr vorhanden sein wird.
Wenn manche immer sehr laut fordern, dass das doch irgendwie weitergehen möge das wird vermutlich nachher auch wieder von dem Vertreter der AfD-Fraktion kommen ,
(Oliver Kirchner, AfD: Das ist auch so!)
dann muss auch die Frage beantwortet werden, die zugegebenermaßen nur theoretisch ist: Ist es denn nun das Dauerthema Lützen oder die Egelner Mulde, die als nächstes umgesiedelt werden muss?
(Andreas Silbersack, FDP: Ja, ja, ja!)
Ich vermute, auch heute werden sich die Kollegen der AfD-Fraktion um die Antwort auf diese Frage herumdrücken.
(Zurufe von der AfD: Nein! - Was?)
Viel wichtiger für die Menschen im Revier ist die Beantwortung der Frage, was nach der Beendigung des Braunkohleabbaus und der Braunkohleverstromung passieren wird, nämlich dass es auch nach dem Jahr 2035 noch gut bezahlte Arbeitsplätze im Mitteldeutschen Revier geben wird. Das ist für mich keine abstrakte oder eine statistische Frage. Für mich haben Begriffe wie Braunkohle, Ausstieg oder Strukturwandel ein Gesicht. Es ist das Gesicht meines Nachbarn. Es ist das Gesicht des Sportfreundes aus dem eigenen Sportverein. Es sind die Kollegen in der IG-BCE-Ortsgruppe. Es sind auch die eigenen Genossen im SPD-Ortsverein.
Es geht um Menschen, um diese Menschen. Es geht um ihre Kinder und ihre Enkelkinder. Werden die jungen Leute in Hohenmölsen, Zeitz oder Teuchern sagen: Ja, ich fange hier meine Ausbildung an, weil alles das vorhanden ist, was ich brauche? Oder werden diese jungen Menschen von ihren Eltern zu hören bekommen: Zieh lieber weg, hier kriegst du eh nichts, was gut und gescheit bezahlt wird?
(Zuruf: Was!)
Mit Blick auf diese Fragen wird sich langfristig die wirtschaftliche Zukunft für den Süden unseres Landes entscheiden. Ob diese Zukunft jedoch eine gute ist, muss derzeit beantwortet werden.
Das Strukturwandelprogramm der Landesregierung ist ambitioniert. Die vier Handlungsfelder Wirtschaft und Innovation, Attraktivität des Reviers, treibhausgasneutrale Energie sowie Bildung und Fachkräftesicherung sind umfangreich ausgearbeitet und bieten an sich gute Perspektiven für ein Revier nach der Kohle. Nur wurde dieses Papier natürlich von der Entwicklung der letzten Jahre faktisch überrollt. Die Preissteigerung hat dazu geführt, dass bei zahlreichen Projekten neu kalkuliert werden muss. Über einigen schwebt der Rotstift, weil auch ein gewaltiger Betrag wie 1,6 Milliarden € aus dem Landesarm irgendwann verplant ist. Die Zeiten, in denen auch hier bei uns in Sachsen-Anhalt die Vertreter des Landes Sätze geprägt haben wie: Es fehlen die Ideen. Geld ist genug da, sind lange her. Sie klingen jedoch wie aus einer lange vergangenen Zeit.
Diese Lage erfordert jetzt einen Kassensturz. Wie viel Geld ist noch da? Wozu soll es eingesetzt werden? Unser Problem ist, dass sich das definierte Strukturwandelgebiet nun einmal über vier Landkreise und eine kreisfreie Stadt erstreckt. Doch das am stärksten betroffene Kernrevier das sage ich nicht nur, weil ich von dort komme ist jedoch wesentlich kleiner. Dass die Gelder bis zum Gartenreich Wörlitz fließen sollen, sorgt bei vielen Menschen im Kernrevier für erheblichen Frust.
Wenn jetzt ausgerechnet wegen regionaler Verteilungsfragen ein Antragsstopp für die Förderrichtlinie erfolgt, dann wird dieser Frust nicht kleiner sein. Wir erwarten daher, dass die Landesregierung schnellstmöglich eine Einigung mit dem Saalekreis erzielt, die diese Verteilungsfrage klärt, sonst erleben wir weiterhin ein Windhundrennen um die Fördergelder, bei dem ohnehin schwächere Kommunen schlichtweg nicht mithalten können.
(Zuruf von der CDU: So ist es!)
Zugleich soll mit der Überarbeitung der Förderrichtlinie eine Rückbesinnung auf das eigentliche Ziel des Strukturwandels, nämlich ein nach dem Jahr 2035 attraktives Revier, erfolgen; denn auch daran hat es in der Vergangenheit gehapert. Ich will das an einem Beispiel festmachen. Wir haben die Situation, dass mein Heimatlandkreis, der Burgenlandkreis, wenn es zu der Reviervereinbarung kommt, dann 432 Millionen € Budget haben wird. Von den 432 Millionen € sind 124 Millionen € faktisch durch ein Denkmalschutzprogramm gebunden.
(Guido Kosmehl, FDP: Sandstrahlen ist wichtig!)
Wir werden vermutlich sehen, dass die Maßnahmen deutlich teurer werden. Jetzt muss für den Rest die richtige Weichenstellung passieren. Wenn ich anschaue, welchen emotionalen Schaden dieses Abstrahlen des Naumburger Doms im Revier ausgelöst hat, dann steht das in keinem Verhältnis zu den Euros, die dort ausgegeben worden sind.
(Unruhe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Erben, einen Augenblick bitte. - Es wäre schon ganz gut, wenn der Geräuschpegel so wäre, dass jeder, der dem Redner zuhören will, es auch ohne Mühe kann. - Herr Erben, bitte.
Rüdiger Erben (SPD):
Ich erinnere an die Aussage des Vertreters der Landesregierung im Ausschuss für Infrastruktur und Digitales. Auf die Frage, welchen wirtschaftlichen Mehrwert denn die Abstrahlung des Naumburger Doms gehabt hätte, antwortete er - ich zitiere : Es sei nicht auszuschließen, dass die Herrichtung des Doms als touristisches Ziel den Mehrwert der Reise in die Region erhöhe. - Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht aus meiner Sicht als Begründung zweifelsohne nicht aus.
(Zustimmung und Zuruf von Stephen Gerhard Stehli, CDU)
Ich erinnere an das, was wir als Koalitionspartner im Koalitionsvertrag zu Beginn dieser Wahlperiode festgeschrieben haben, nämlich dass es uns darum geht, dass die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes, die industrielle Wirtschaft und damit die gut bezahlten Arbeitsplätze erhalten und auszubauen sind. Dabei geht es vor allem um das Kernrevier; denn sonst wird irgendwann die S Bahn zwischen Leipzig und Gera, sollte sie denn jemals kommen, ziemlich leer bleiben, weil die Arbeitnehmer gleich direkt in die Großstädte ziehen, anstatt jeden Tag pendeln zu müssen.
Es geht uns um diese Rückbesinnung. Wir müssen jetzt sagen, was noch geht und was nicht geht; denn nur dann werden wir erreichen, dass die richtigen Weichenstellungen für die nächsten Jahre im Revier vorgenommen werden. Es dürfen keine Luftschlösser gebaut werden. Ich bin mir aber auch sicher, dass die Tendenz dazu bei den Kommunalpolitikerinnen und -politikern, auch bei den Bürgerinnen und Bürgern, mittlerweile gering ist. Wir müssen vor allem auch die Ideen beachten, die uns die Menschen bringen, die mit unserem heutigen Handeln konfrontiert sein werden, nämlich die junge Leute.
Viele hier werden, bis der Kohleausstieg passiert ist, die wohlverdiente Pension oder Rente genießen. Die jungen Leute müssen die richtigen oder die falschen Entscheidungen ausbaden. Deswegen müssen wir auf die vielen guten Ideen, die bspw. im Gutachten „Jugend gestaltet den Strukturwandel“ vorgetragen worden sind, eingehen.
(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den nächsten Wochen hier im Lande wichtige Weichenstellungen für den Strukturwandel vorzunehmen;
(Zuruf: Das stimmt!)
denn dass der Braunkohleabbau beendet wird, wird in wahrscheinlich ziemlich genau zwölf Jahren so weit sein. Das mag für den einen oder für den anderen in diesem Raum angesichts der Tatsache, dass zwischendurch mindestens noch zwei Landtagswahlen stattfinden werden, ein langer Zeitraum sein. Doch die Zeit vergeht schneller, als wir denken. Deswegen müssen wir jetzt die richtigen Weichenstellungen, die richtigen Weichenstellungen für Arbeitsplätze ich sage: industrielle Arbeitsplätze im Revier vornehmen. Es geht nicht um die Kür. Es geht um die Pflicht. Das sind die Arbeitsplätze. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Herr Erben. Es gibt eine Frage vom Abg. Herrn Roi. - Herr Roi, bitte.
Daniel Roi (AfD):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Erben, über den Strukturwandel ist viel geredet worden. Jetzt haben wir eine Aktuelle Debatte dazu. Sie haben auch einige Aspekte angesprochen, die problematisch sind. Im Wesentlichen geht es ja - das stelle ich fest, wenn ich das beleuchte - darum, dass in den vier Landkreisen und in Halle ein Streit über die Frage, wie das Geld verteilt wird, entbrannt ist.
Gibt es da seitens der SPD-Fraktion einen konkreten Vorschlag? Ich frage das, weil wir die Frage ja irgendwann mal beantworten müssen. Es gibt ja einen Vertrag, den der Saalekreis noch nicht unterschrieben hat. Dann geht es auch um die Frage, wie die Gelder innerhalb der Landkreise verteilt werden.
Sie haben jetzt auch den Dom kritisiert. Das hat die AfD auch schon angesprochen, welchen Mehrwert es dabei gibt.
Deshalb fehlt mir bei der SPD eigentlich ein bisschen Konkretes dazu, was genau Sie an der Richtlinie kritisieren und welche Kriterien Sie anlegen wollen, um genau die Ziele, die Sie eben skizziert haben, zu erreichen. Können Sie da vielleicht noch konkreter werden?
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Erben, bitte.
Rüdiger Erben (SPD):
Herr Roi, das will ich gern tun. Ich werde deshalb zunächst erst mal auf die Punkte eingehen, die Sie hier unterstellt haben. Erstens. Die Budgetbildung unter den Landkreisen begrüße ich außerordentlich. Das ist im Übrigen auch ein Ansatz, den wir über Jahre hinweg so eingefordert haben.
Und ich bin ehrlich: Mein Glaube daran, dass die Landkreise sich am Ende darauf einlassen, war nur noch gering. Ich glaube, es ist auch eine große Leistung desjenigen - man hört, es war vor allem Staatssekretär Jürgen Ude , der die Verhandlungen mit den Landräten geführt hat. Man hat den Landräten das so einbalsamiert, dass man sich überhaupt auf so etwas einlässt. Man musste das tun, weil sich natürlich jeder bei einer solchen Verteilung erst mal schlecht behandelt fühlt.
Ich habe im Burgenlandkreis als Kommunalpolitiker an vielen Gesprächen teilgenommen, in denen wir unseren Landrat gefragt haben, wie weit er denn noch gehen kann. Da haben wir immer gesagt, dass eine verlässliche Zahl, nämlich ein Budget, sodass wir in etwa wissen, womit wir handeln können, besser ist als die Frage, ob wir 30 %, 31 % oder 28 % haben. Wir haben deutlich gemacht, dass das viel wichtiger ist.
Der Streit besteht ja - in Klammern - nur noch mit dem Saalekreis. Der Konflikt muss aufgelöst werden. Die Budgetbildung ist richtig. Und ich finde, wenn am Ende des Tages irgendwie alle mit der Zahl unzufrieden sind, dann ist da dein gewisser Ausgleich, den man sinnvollerweise schaffen kann.
Zweitens haben Sie die Situation, dass die Dinge mittlerweile erheblich teurer geworden sind. Deshalb müssen wir viel stärker als bisher Prioritäten setzen. Wir hatten ja eine Situation, in der gesagt wurde: Bringt Ideen, wir haben 1,6 Milliarden €. Mittlerweile haben wir Ideen, deren Investitionsvolumen weit darüber liegt. Wir haben auch Anträge, deren Fördervolumen weit darüber liegt.
Wenn wir wissen, dass alles teurer wird und wir damit weniger machen können, ist es umso wichtiger, Prioritäten zu setzen. Die habe ich vorhin hier genannt.