Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Herr Prof. Willingmann. - Ich sehe keine Fragen oder Interventionen. Deswegen können wir mit der Debatte fortfahren. Ich rufe Herrn Lieschke für die AfD-Fraktion auf. - Herr Lieschke, bitte.
Matthias Lieschke (AfD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Eine neu veröffentlichte Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young mahnt, dass Deutschland bei den Investitionen aus dem Ausland im internationalen Vergleich hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Im vergangenen Jahr sind die Investitionen aus dem Ausland in Deutschland um 10 % gestunken
(Andreas Silbersack, FDP, lacht)
- gesunken; sorry.
Mit dem neuen Werk des E-Autobauers Tesla im brandenburgischen Grünheide und der von Intel angekündigten Chip-Fabrik in Magdeburg hat Deutschland zwar zwei Vorzeigeinvestitionen an Land gezogen. Dennoch hat Deutschland langwierige Verwaltungs- und Genehmigungsprozesse und vergleichsweise hohe Energiekosten zu verzeichnen. Gerade jetzt sind es unkalkulierbare Energiekosten. Herr Habeck hat heute um 10 Uhr verkündet, dass die Alarmstufe Gas ausgerufen wurde. Das heißt, ab jetzt wird überlegt, welche Unternehmen man notfalls abschalten kann.
Aber auch der Fachkräftemangel schreckt potenzielle Investoren ab. Ob die zwei Großprojekte Tesla und Intel das schlechte Image Deutschlands verbessern, bleibt dabei offen. Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass Tesla Probleme hat, Beschäftigte dauerhaft für die Gigafactory zu gewinnen. Denn Neueinsteiger erhalten höheres Gehalt, was definitiv zu Unruhen in der Belegschaft und der dortigen Bevölkerung führt. Erste Beschäftigte von Tesla werden die Fabrik verlassen und zu ihren früheren Arbeitgebern zurückkehren. Nun bessert Tesla beim Gehalt nach.
Die Erfahrungen mit Tech-Giganten wie Tesla in Brandenburg zeigen, wie entscheidend das Gehalt für die Jobzufriedenheit ist. Man kann nur hoffen, dass Sachsen-Anhalt und Intel besser agieren und nicht nur Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor schaffen. Wir als AfD-Fraktion versprechen uns von der Ansiedlung des Chip-Riesen Intel, dass vor allem in unsere einheimischen Arbeitskräfte investiert wird. Wir erwarten auch, dass angekündigte Investitionen, für die man sich feiern lässt, auch kommen.
Der eine oder andere erinnert sich noch an die geplante Batteriefabrik in Thalheim bei Bitterfeld. Hunderte Jobs sollten entstehen, Hunderte Millionen Euro sollten investiert werden - passieren wird nichts.
(Guido Kosmehl, FDP: Leider!)
Wir benötigen gesunde und ausgewogene wirtschaftliche sowie soziale Strukturen. Primäres Ziel sollte es nicht sein, nur ausländische Fachkräfte an den Standort zu locken. Vielmehr sollten die Menschen, die in der Region leben, von den zukünftigen Arbeitsplätzen profitieren.
Durch die Angebote der Weiterbildung könnten sich für unsere einheimischen Arbeitskräfte neue berufliche Perspektiven eröffnen. Eine weitere Chance eröffnet sich insbesondere für die Mittelständler, die als Zulieferer in der Region tätig sind. Diese könnten von der Ansiedlung nachhaltig profitieren. Denn unser unternehmerischer Mittelstand ist der Motor Sachsen-Anhalts.
Bei all dem Jubel gibt es auch Kehrseiten. Zum einen wird durch Intel wertvoller Bördeboden vernichtet. Zum anderen wird der Druck auf den Immobilienmarkt in Magdeburg und dessen Umland durch den erwarteten Zuzug von Intel weiter massiv zunehmen. Die Mietpreise werden steigen. Die Suche nach geeignetem Wohnraum wird zusehends schwieriger. Bei der Neuvermietung sind die Nettokaltmieten bereits im Zeitraum von 2016 bis 2021 im Mittel um satte 9 % gestiegen. Dieser Trend wird sich mit den Großansiedlungen wie der von Intel weiter fortsetzen.
Laut den Angaben einer Magdeburger Immobilienfirma fehlt es bereits jetzt an Wohnungen im mittleren Preissegment. Zwar sind mehr Wohnungen in Planung, dennoch stehen diesen Vorhaben die schleppenden Genehmigungsverfahren im Wege. Grund für die langsame Bearbeitung soll unter anderem die starke Belastung in der Verwaltung sein, wie auch Lutz Trümper vor Kurzem äußerte.
Hinzu kommt, dass der Anteil kommunaler Wohnungen, die in Magdeburg leerstehen, gerade einmal bei 10 % liegt. Auch die Preise für Eigentum sind in Magdeburg zuletzt stark gestiegen. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 sind die durchschnittlichen Preise für Eigentumswohnungen in Magdeburg um 22 % gestiegen. Ein Eigenheim in der Stadt können sich viele Bürger nicht mehr leisten. Grund dafür sind teure Grundstücke, hohe Baukosten und aktuell natürlich die steigenden Zinsen, die so manches Bauvorhaben verhindern werden.
Die Bodenpreise sind von 2012 bis 2020 gestiegen und liegen jetzt bei 231 €. Vor zehn Jahren waren es noch 89 €. Viele Familien aus der Mittelschicht verlassen deshalb Städte wie Magdeburg, um im Umland ihr Eigenheim zu bauen - zumindest die, die sich das jetzt noch leisten können. Jetzt könnte man behaupten, besonders für den ländlichen Raum ist der Zuzug von Familien ein Gewinn. Jedoch möchte ich Ihnen an dieser Stelle über ein kurzes Gespräch in Magdeburg berichten. Eine westdeutsche Immobilienfirma sichtet derzeit schon mit Drohnen freie Baugrundstücke an der Elbe - für die Gutverdiener von Intel. Errichtet werden sollen Luxusimmobilien im Millionenbereich. Jetzt frage ich Sie: Ist es das, was wir für unsere Region wollen? Sieht so neuer und bezahlbarer Wohnraum aus?
(Zuruf von der CDU)
Unsere einheimischen Familien werden aus den Städten verdrängt, damit wenige Reiche in Saus und Braus in einer Villa an der Elbe leben können. So ist es.
(Guido Kosmehl, FDP: Uiuiui! - Holger Hövelmann, SPD: Das ist doch Quatsch!)
Wir diskutieren über Mindestlohn. Arbeit muss sich letztlich lohnen. Bürger, die jeden Tag schuften gehen, müssen am Ende des Monats deutlich mehr in der Geldbörse haben als diejenigen, die dauerhaft auf Kosten der Allgemeinheit leben. Angesichts der gegenwärtigen steigenden Inflation ist die Anpassung des Mindestlohns für die Arbeitnehmer ein Segen.
Nicht außer Acht zu lassen ist aber, dass in Deutschland viele Unternehmen von Freiberuflern einen Wohlstand erwirtschaften, von dem wir alle leben. Wir benötigen ein gesundes Gefüge. Insbesondere im Bereich des Mindestlohns darf es nicht allein zulasten der Unternehmer gehen. Steigende Preise müssen auf dem Markt akzeptiert werden. Das heißt aber auch, wenn wir den Mindestlohn etwa für den Frisör jetzt auf 20 € in der Stunde erhöhen würden, dann brauche ich für einen Haarschnitt 50 €. Dafür kaufen sich, glaube ich, relativ viele Leute
(Dr. Falko Grube, SPD, lacht)
das ist bei mir vielleicht ein schlechtes Beispiel eine Haarschneidemaschine. Während unsere Unternehmen brav ihre Steuern in Sachsen-Anhalt bezahlen, wird Intel so befürchte ich seine Steuern im Ausland zahlen.
(Zuruf: Nein!)
Bei aller Diskussion um den Fachkräftemangel werden einige Unternehmen die Anzahl ihrer Mitarbeiter reduzieren müssen, da sie es sich schlichtweg nicht leisten können, allen den Mindestlohn zu zahlen.
Die AfD spricht sich für einen angemessenen Mindestlohn aus, von dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen profitieren. Aber aufgrund der aktuellen Situation im Ukrainekonflikt muss Sachsen-Anhalt nun scheinbar auch zum Betteln übergehen, um eine ausreichende Gasversorgung zu gewährleisten. Denn eines ist klar: Die Sanktionspolitik Europas, der USA und Kanadas sorgt dafür, dass aktuell zu wenig Gas aus Russland ankommt - Gas, das dringend benötigt wird, um unsere Industrie am Laufen zu halten.
Wir sollten uns derzeit z. B. Sorgen darüber machen, ob der Glashersteller bei Magdeburg weiterhin Gas erhält. Eine Floatglasanlage läuft nämlich nonstop elf bis 15 Jahre lang an 350 Tagen rund um die Uhr. Wenn der Ofen des Glasherstellers für mehr als acht Stunden aus ist, dann bedeutet das, dass 150 Millionen € investiert werden müssen, weil ein neuer Ofen gebaut werden muss. In vier Jahren kann dann wieder produziert werden.
Umstände wie diese sorgen dafür, dass sämtliche industrielle Großansiedlungen wackeln.
Werte Abgeordnete, spätestens jetzt merken Sie, dass die AfD-Fraktion recht hat.
(Zurufe von der SPD: Nein!)
Der überstürzte Kohleausstieg und der Ausstieg aus der Kernenergie waren Fehler. Und genau das sagten wir, die AfD, oftmals in den letzten Jahren, nicht nur hier im Landtag, auch im Bundestag und auf Parteiebene.
Wenn es jetzt zu einer Wirtschaftskrise kommt, wie Herr Habeck vorgestern erst mitteilte, dann suchen Sie die Schuld nicht bei uns, sondern erklären Sie den Menschen, dass Sie selbst daran schuld sind. Werte Abgeordnete der CDU, FDP, SPD, GRÜNEN und LINKEN: Denken Sie nicht nur über Zukunftsinvestitionen nach, sondern fangen Sie an, unsere bestehende Wirtschaft zu retten.
(Holger Hövelmann, SPD: Das machen wir die ganze Zeit!)
Wir, die AfD-Fraktion, helfen Ihnen gern.
(Beifall bei der AfD)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Lieschke, lassen Sie eine Frage des Abg. Dr. Grube zu? - Ja, er nickt. - Bitte, Herr Dr. Grube.
Dr. Falko Grube (SPD):
Ich habe mich extra ordnungsgemäß hierhin gestellt, weil ich mich falsch gemeldet habe. Das ist eine Intervention.
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
Herr Lieschke, ich will Sie auf zwei Irrtümer oder Falschaussagen hinweisen. Erstens. Man rechnet im Zuge der Intel-Ansiedlung mit 10 000 zusätzlichen Wohnungen, die in Magdeburg benötigt werden.
(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)
Wir haben schon jetzt mehrere Sachen, die in Magdeburg geplant, aber noch nicht am Markt sind, verschiedene Vorhaben, die in den Stadtvierteln gebaut werden. Und wir haben einen Leerstand von mehreren tausend Wohnungen in der Stadt.
Das Szenario, das Sie hier an die Wand malen, funktioniert nicht. Sie waren auch beim Fachgespräch zum Sozialen Wohnungsbau im Ausschuss. Wir haben in Magdeburg über die Hälfte genossenschaftlichen und kommunalen Wohnraum mit einer Durchschnittsmiete von 5,30 €. Auch das wird nicht dazu führen, dass Leute aus Magdeburg vertrieben werden.
(Tobias Rausch, AfD: Richtig! 5,30 € - Was ist denn das? Gar nix!)
Zweitens. Intel hat ausdrücklich angekündigt so haben sie das auch in den anderen Ländern gemacht , dass sie hier eine deutsche GmbH gründen werden. Es wird keine internationale, sondern eine deutsche Rechtsform sein. Sie werden im Rahmen dessen, was wir wissen, ihre Steuern zahlen.
Ob das bei der Höhe der Investition sehr schnell sein wird, was die Gewerbesteuer betrifft, ist eine andere spannende Frage. Das wäre aber bei allen anderen Investitionen auch so. Was aber hierbleiben wird, sind die Kaufkraft und die Einkommensteuer und das wird ein Gewinn, ein realer Gewinn, in Heller und Pfennig in dieser Region sein - Euro und Cent, Entschuldigung.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und der FDP - Zustimmung von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Lieschke, Sie können gerne antworten.
Matthias Lieschke (AfD):
Ich glaube, die Ansiedlung von Intel ist eine riesengroße Nummer. Letztendlich kommt es darauf an, wie wir das jetzt umsetzen. Es sind unheimlich viele Aspekte zu betrachten und wenn Intel wirklich eine regionale Firma gründet und die Gewerbe- und Kapitalsteuern, und was sonst noch alles daran hängt, hier zahlt, wäre das gut. Aber das werden wir erst sehen, wenn Intel hier steht, wenn das erste Werk steht und wie die Unternehmensform dann aussieht, das werden wir dann sehen.
Es steht außer Frage, dass das für den Mittelstand und die vielen Unternehmen drum herum enorm wichtig ist und sehr große Chancen bietet. Das ist eine Dimension, die wir bisher in Sachsen-Anhalt nicht hatten. Das zweifle ich nicht an.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Hören Sie auf, Angst zu machen!)
Aber wir müssen genauso darauf aufpassen, dass wir jetzt nicht nur irgendwelche ausländischen Fachkräfte hier herein bekommen und unsere eigenen Leute damit abhängen. Das kann es nicht sein.
(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)
Deshalb sollten wir aufpassen, dass die Struktur, die wir schaffen, funktioniert.
Ich denke dabei allein an die Genehmigungsverfahren. Ich glaube, wir brauchen sechs Jahre, um einen dämlichen Kreisverkehr zu bauen. Wenn wir nicht nachbessern und auch solche Genehmigungsverfahren beschleunigen, dann fallen viele Investitionen weg, weil es einfach viel zu lange dauert, und das grade in der jetzigen Krise mit zu wenig Energie, zu wenig Gas.
Wir wissen nicht, was im Herbst passiert. Wenn das hier noch eskaliert, nach dem Motto: Gas wird abgeschaltet Nord Stream 2 wird z. B. jetzt für zehn Tage gewartet, dann fehlen 1,6 Milliarden m³ Gas , dann werden wir sehen, ob sich Intel nicht im schlimmsten Fall überlegt, wir bauen eine Fabrik oder wir bauen keine Fabrik. Das werden wir sehen, wie sich das entwickelt.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Immer schön Angst schüren!)
Es liegt an uns als Deutschland, wie wir jetzt mit der Sanktionspolitik umgehen oder ob wir einfach mal zur Vernunft kommen und sagen, wir müssen lukrativ sein für ausländische Investoren. Darum ging es mir. - Danke schön.
(Beifall bei der AfD)