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Plenarsitzung

Transkript

Rüdiger Erben (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit nachdenklichen Worten beginnen; denn ich glaube, ein Teil der Debatte symbolisierte nicht, dass wir über Krieg und Frieden reden und über Leid und Krieg reden. Ich selbst bin für eine NATO, die abschreckt und notfalls jeden Quadratmeter des Bündnisses verteidigt. Ich bin auch für eine starke Bundeswehr, die bestens ausgerüstet und ausgebildet ist. Ich bin für die Wehrpflicht

(Zustimmung von Stephen Gerhard Stehli, CDU)

und ich würde unser Land auch mit der Waffe in der Hand verteidigen.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich bin wahrlich kein Pazifist, doch die Rhetorik von Teilen der Politik und zahlreicher Medien bringt mich täglich mehr auf die Palme. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage das bspw. in Richtung von Herrn Hofreiter oder Frau Strack-Zimmermann und zahlreichen anderen sogenannten Militärexperten im Deutschen Bundestag.

(Lachen)

Krieg ist kein Computerspiel,

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der AfD)

das man mit angelesenem Wissen über Waffensysteme bestreiten kann. Krieg bedeutet unendliches Leid

(Zuruf: Ja!)

für die Zivilbevölkerung und die Soldaten auf dem Schlachtfeld. Das beklemmende Gefühl, den Lukendeckel eines Panzers über sich zu schließen und zu wissen, dass man jetzt in einem stählernen Sarg sitzt, kennen vielleicht manche hier im Saal noch aus ihrer eigenen Jugend. Wir haben dieses Gefühl zum Glück nur im Frieden gehabt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mich stößt ab, mit welcher Selbstverständlichkeit auch von Journalisten Videos geteilt werden, in denen zu sehen ist, wie Soldaten im Schützengraben verrecken, und dass das in den Kommentaren abgefeiert wird.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE - Zuruf: Richtig!)

Ich will das Leid des Krieges quantifizieren. Heute geht man bei militärischen Planungen davon aus, dass eine Division im intensiven Gefecht am Tag einen Ausfall von 4 % an Verwundeten und Gefallenen hat. Bei einer Division nach NATO-Standard mit 20 000 Personen sind das jeden Tag 800 Gefallene und Verwundete. Unter den Bedingungen des Krieges in der Ukraine ist es wahrscheinlich noch viel schlimmer. Wie viele Hunderttausende Tote und Verwundete soll es noch geben? Diese Frage muss man nach mehr als zwei Jahren Krieg stellen dürfen, ohne dass man sich vorwerfen lassen muss, ein Putin-Knecht zu sein.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, bei der AfD und von Andreas Silbersack, FDP)

Ich bin der festen Überzeugung, dass der Krieg in der Ukraine nicht allein auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Deutschland kann diesen Krieg nicht beenden. Das kann Putin sofort tun, indem er seine Truppen aus der Ukraine abzieht. Ob die Ukraine verhandelt, muss in Kiew entschieden werden. Solange die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Aggressoren ist, wird sie von Deutschland unterstützt. Doch wichtig ist: Deutschland darf nicht Kriegspartei in diesem Krieg werden.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Diese rote Linie hat Bundeskanzler Scholz schon zu Beginn der russischen Aggression gezogen. Deswegen können wir froh sein, dass der Kanzler so besonnen agiert und keine deutsche Kriegsbeteiligung riskiert.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Wir können froh sein, dass Deutschland nicht von Leuten geführt wird, die nach einer fehlgeleiteten Fla-Rakete, die in Polen niedergeht, via Twitter den Bündnisfall feststellen. Deutschland kann froh sein, dass es nicht von Experten geführt wird, die mittels Taurus den Krieg in den Moskauer Kreml tragen wollen.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Erben, ich darf auch Sie auf die Zeit hinweisen.


Rüdiger Erben (SPD):

Ich bin gleich so weit. - Egal, wie es der französische Präsident gemeint haben mag, konnte allein die Erwägung, NATO-Soldaten in den Krieg in die Ukraine zu schicken, vom Kanzler nicht unwidersprochen bleiben.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der LINKEN)

Das sehen auch die Menschen in unserem Land so. Sie wollen kein Drehen an der Eskalationsschraube.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Erben.


Rüdiger Erben (SPD):

Darf ich noch einen Satz


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Einen Satz.


Rüdiger Erben (SPD):

zum angegriffenen und erwähnten Rolf Mützenich sagen? Der steht in diesen Tagen besonders unter Druck, weil er nicht in den Chor derer einstimmt, die meinen, dass man mit immer mehr Eskalation für Frieden in Europa sorgen könnte.

Deutschland steht an der Seite der Ukraine; das ist klar. Doch bei all diesen Diskussionen und bei all diesen Stürmen stellt sich unweigerlich die Frage: Muss es nicht auch diplomatische Schritte geben? Denn am Ende müssen wir aus diesem Krieg heraus. Rolf Mützenich hat diese Diskussion angestoßen. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Erben. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Für diejenigen, für die Krieg nicht ein Computerspiel ist, ist dies ein wichtiger Beitrag in dem größten Staat in Europa, welcher die Ukraine wie kein anderer mit Geld und Waffen unterstützt. - Herzlichen Dank. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der AfD) 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Diese Debatte zeichnet sich durch sehr lange und komplizierte Sätze aus. Herr Erben, es gibt zwei Nachfragen, und zwar eine von Herrn Gallert und eine von Herrn Kosmehl, sowie eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider. Wenn Sie die Fragen zulassen, dann spricht zunächst Herr Gallert. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Ja. 


Wulf Gallert (DIE LINKE): 

Herr Erben, meine Frage wird der zweite Satz. Mein erster Satz: Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir als Fraktion DIE LINKE von dem Alternativantrag, den die Koalition zustande gebracht hat, positiv überrascht sind. Denn damit hat sich die CDU-Fraktion massiv von ihrer Bundespartei abgegrenzt. 

(Markus Kurze, CDU: Das machen wir nicht zum ersten Mal!)

Das ist in dieser Frage ein sehr positives Zeichen. Das ist sicherlich auch ein gutes Zeichen für uns in Sachsen-Anhalt. 

Ich möchte nun meine Frage stellen. Es gibt im Grunde genommen einige Differenzen zwischen dem Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE und dem der Koalition. Ich will aber nur auf einen Punkt eingehen, und zwar auf die Frage: Sollten wir es Putin in Bezug auf seine Kriegsführung nicht dadurch schwieriger machen, dass wir an russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer dezidiert das Angebot aussprechen, zu uns zu kommen? Ich glaube, dies würde innenpolitisch die Militarisierung Russlands mehr erschüttern als jede Debatte um ein neues Waffensystem, das wir ihnen liefern. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Erben. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Zunächst glaube ich, dass die Frage, ob jemand aus der russischen Armee desertiert, nicht wesentlich davon abhängt, dass ihm Deutschland oder der Landtag von Sachsen-Anhalt ein Angebot macht. 

Zudem gibt ganz offensichtlich wenige Desertationen aus der russischen Armee. 

(Tobias Rausch, AfD: So ist es!)

Das kann ich auch gut verstehen; denn wenn Sie sich das Schicksal des Hubschrauberpiloten angucken, der in Spanien offensichtlich ermordet worden ist, dann ist das letztendlich eine Abwägungsfrage. Viele haben sicherlich das Gefühl, dass sie am Ende irgendwo gefunden werden und dann dran sind. 

Ich glaube nicht, dass das in einem Antrag des Landtages von Sachsen-Anhalt eine Rolle spielen kann. Ich glaube, das muss man insgesamt sehr differenziert betrachten und darüber diskutieren. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Als Nächster stellt Herr Kosmehl seine Nachfrage. 


Guido Kosmehl (FDP): 

Herr Kollege Erben, vielen Dank für Ihren Redebeitrag. Ich würde Sie, da Sie am Ende Ihrer Rede leider nicht mehr ausführlicher darauf eingehen konnten, gern zu Ihrer Haltung zu den Aussagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag fragen: Sind Sie als SPD Sachsen-Anhalt der Auffassung, dass wir den Krieg tatsächlich einfrieren sollten und damit die Verhandlungsposition der Ukraine extrem schwierig gestalten, weil die russischen Truppen noch im Land sind?


Rüdiger Erben (SPD): 

Darf ich?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Erben, bitte. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Herr Kollege Kosmehl, zu dem Begriff des Einfrierens. Im Unterschied zu Ihnen oder zu mir ist Rolf Mützenich bei dem Thema der Friedens- und Konfliktforschung wissenschaftlich unterwegs. Dort verwendet man den Begriff des Einfrierens nicht unbedingt so, wie wir ihn vielleicht als Zeitungsleser verstehen würden, sondern hierbei geht es bspw. darum, in bestimmten Bereichen einen Waffenstillstand zu verhandeln, um humanitäre Aufgaben zu erfüllen etc. Insofern unterstütze ich das ausdrücklich; denn das kann ein Schritt zu einem Friedensschluss sein. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Herr Erben. - Es gibt eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider. 


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Ich wollte eigentlich eine Frage stellen, aber nun habe ich mich an das Mikro gestellt. Nun ist es egal. Ich mache jetzt meinen Spruch. 

Folgendes: Herr Erben, Sie haben mit sehr viel Mitgefühl und Humanität über die Leiden des Krieges gesprochen. Dann haben Sie gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass die Bedingung für Frieden ist, dass sich die russischen Truppen aus dem Gebiet der Ukraine zurückziehen. 

Sie wissen doch, dass die russischsprachige Bevölkerung im Osten der Ukraine seit dem Jahr 2014 auf das Fürchterlichste drangsaliert wurde, 

(Zustimmung bei der AfD) 

dass die Ukraine keine Renten, keine Sozialleistungen gezahlt hat, dass immer wieder in Wohngebiete in Donezk und anderswo mit Artillerie hineingeschossen wurde, dass es Tausende Tote gab, und zwar auch durch Mordkommandos. Wenn sich die Russen jetzt zurückziehen würden, dann wäre die Bevölkerung im Osten einem Terror ausgesetzt, den man mit Fug und Recht als Völkermord bezeichnen könnte.

Jetzt frage ich Sie: Wie stehen Sie dazu? Sehen Sie auch das Leid? Erkennen Sie das Leid der Russen in der Ostukraine an oder sind Sie dafür blind? 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Erben. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Herr Tillschneider, Sie machen es wie so häufig: Sie haben mich falsch zitiert. Ich habe nicht gesagt, dass der Krieg nur beendet werden kann, indem     Vielmehr habe ich gesagt: Putin kann diesen Krieg sofort beenden, in dem er seine Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet zurückzieht - Punkt. Das habe ich gesagt. 

(Beifall bei der SPD)

Zudem versuchen Sie mit Ihrer Intervention, das, was Sie ständig machen, und zwar diese russischen Erzählungen herüberzubringen, dass Russland das Opfer sei und die Ukraine der Aggressor und es deswegen diesen Krieg gebe. Das ist Blödsinn. Das ist x-mal widerlegt worden. 

(Zustimmung bei der SPD)

Sie können es natürlich immer wieder wiederholen, aber das macht die Sache nicht wahrer.