Tagesordnungspunkt 4
Ostdeutsche Lebensleistung anerkennen - Gerechtigkeitsfonds für DDR-Renten!
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1976
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/2007
Die Einbringung wird Frau Hohmann übernehmen. - Bitte, Frau Hohmann, Sie haben das Wort. - Es ist eine Fünfminutendebatte.
Monika Hohmann (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ankündigung eines Härtefallfonds für DDR-Renten hatte riesige Hoffnungen geweckt. 2018 nahm die damalige Bundesregierung einen entsprechenden Passus in den Koalitionsvertrag auf. Das allein war ein kleines Wunder. Denn seit drei Jahrzehnten klagten sich Rentnerinnen und Rentner durch die Instanzen, schrieben Briefe an Abgeordnete oder versuchten, öffentlich auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. 30 Jahre lang waren auch wir, DIE LINKE, Ansprechpartnerin und politische Stimme. Wir haben in jeder Legislaturperiode Lösungen eingefordert. Alle unsere Initiativen dazu im Bundestag wurden mehrheitlich abgelehnt.
Dass das Rentenunrecht nun endlich als Thema in der Bundespolitik anerkannt wurde, hatte wohl auch mit dem Doppeljubiläum 2019/2020 zu tun: 30 Jahre Maueröffnung und 30 Jahre Wiedervereinigung. Die Parteien der großen Koalition wussten zu diesem Zeitpunkt: Jubelreden kommen im Osten nicht mehr unwidersprochen an.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Wiedervereinigung war ein Vertrag ungleicher Partner zum Nachteil für viele Ostdeutsche bis heute und zum Vorteil für einige im Westen - noch für sehr lange Zeit.
Die Sensibilität für ostdeutsche Stimmungslagen ist längst wieder vorbei. Wolfgang Schäuble, damals Verhandlungsführer der Bunderepublik, stellte erst in dieser Woche in einem Interview klar: Für Kritik am Einigungsvertrag als Prozess ohne gemeinsame Augenhöhe habe er wenig Verständnis. - Ich darf ihn zitieren: Natürlich war das nicht auf gleicher Augenhöhe. Die Menschen in der Bundesrepublik wollten ja nicht in die DDR, sondern die Menschen der DDR wollten in die Ordnung der BRD.
Es ist doch interessant zu erfahren, wie das der ehemalige Bundestagspräsident, mittlerweile 50 Jahre Abgeordneter im Bundestag, so sieht. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ wurde also 1989 gesungen, aber die Ostdeutschen wurden gänzlich unpatriotisch als Bittsteller angesehen.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Es reicht mittlerweile nicht mehr, Wählerinnen und Wählern etwas von der Anerkennung ihrer Lebensleistung zu erzählen. Die Ostdeutschen kennen nämlich sowohl ihre Leistungen als auch das, was davon heute anerkannt wird. Sie suchen diese Anerkennung vergeblich in ihrer Lohntüte und im Rentenbescheid. Sie suchen vergeblich nach ostdeutschen Köpfen in Politik, Wirtschaft und Unterhaltung, nach Geschichte und Geschichten, die etwas mit ihrem Lebensglück und ihrem Lebensleid zu tun haben. Es ist die Fähigkeit zum Vergleich, die die westdeutsche Gesellschaft systematisch unterschätzt.
Die heutigen Rentnerinnen und Rentner in Sachsen-Anhalt stehen doch nur deshalb vergleichsweise gut da, weil Frauen und Männer in der DDR dauerhaft und meist vollbeschäftigt waren. Arbeitslosigkeit als Massenphänomen gab es nicht. Gute Facharbeiterrenten sind aber im Westen ungleich höher. Das hat auch mit den komplexen Reglungen der Rentenüberleitung zu tun. Das gänzlich anders organisierte Sozialsystem der DDR kannte zahlreiche Sonderregeln und -beiträge. Ein Teil dieser Zusatzansprüche ist verloren gegangen, weil sie im westdeutschen Rentenrecht nicht anerkannt oder nach kurzer Übergangszeit gestrichen wurden. Die Folgen hiervon waren unter anderem, dass die erarbeiteten Rentenansprüche von Millionen Menschen anerkannt wurden nicht anerkannt, sondern aberkannt wurden; „anerkannt“ wäre ja schön , Versprechen gebrochen wurden und Vertrauen verloren gegangen ist. Zu den betroffenen Gruppen gehören unter anderem in der DDR geschiedene Frauen, Eisenbahner, Postler, Krankenschwestern, Bergmänner und Balletttänzerinnen. Ebenfalls von solchen Einbußen besonders hart betroffen sind Frauen.
Um die Zusatzrenten kämpfen Betroffene seit Jahrzehnten. Und dann soll mit einer pauschalen Einmalzahlung alles abgegolten sein? - Die DDR hatte für 27 Berufsgruppen zusätzliche Versorgungssysteme, die die Renten aufbessern sollten. Bei der Überleitung des Rentensystems in den 1990er-Jahren wurden bestimmte Ansprüche nicht berücksichtigt. Zehn von diesen 27 Berufsgruppen erstritten diese gerichtlich, aber 17 weitere Gruppen erreichten das eben nicht. Die CDU/CSU im Deutschen Bundestag hatte die Umsetzung des Fonds zu Recht kritisiert und die Einstellung sowie die Verwendung der schon im Jahr 2021 eingestellten Mittel gefordert. Der Härtefallfonds, der nun endlich, nach weiteren fünf Jahren Verzögerung, nunmehr von der neuen Bundesregierung beschlossen wurde, ist kein Wunder mehr - nicht einmal ein kleines. Er ist eine Enttäuschung - wieder einmal.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Nach der Verabschiedung des Rentenüberleitungs-Abschlussgesetzes im Jahr 2017 nahm die vorangegangene Regierung die Einführung des Fonds zur Abmilderung von Härtefällen auf der Ost-West-Rentenüberleitung für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler in ihren Koalitionsvertrag 2018 auf und jetzt kommt es 2021 wurden hierfür 1 Milliarde € in den Haushaltsplan 2022 eingestellt. Dass der Bund nun nur 500 Millionen € zur Verfügung stellt und auch nur wenige Personen vom Härtefallfonds profitieren, ist ein Schlag ins Gesicht für ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner. Denn nur die allerwenigsten der Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland sind anspruchsberechtigt. In Sachsen-Anhalt sind es geschätzt 10 700 Menschen. Der Härtefallfonds zielt ab auf Menschen mit sehr kleinen Renten. Es sind nur die anspruchsberechtigt, die eine Rente von weniger als 850 € erhalten. Diese kleine Gruppe begrüßt zwar auch die kleine vierstellige Einmalzahlung, nämlich in Höhe von 2 500 €, aber das ist nicht ausreichend.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Wir, die Linksfraktion, fordern die Landesregierung heute dazu auf, diesen Härtefallfonds aufzustocken; denn erstmals können sich jetzt auch die Länder daran beteiligen. Ich meine, der Bund hat es ein bisschen clever gemacht, dass er die Möglichkeit geschaffen hat, dass sich auch die Länder daran beteiligen können.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Wir sind gar nicht zuständig!)
Vorher war immer nur der Bund dafür zuständig. Wir könnten jetzt im Prinzip die Einmalzahlungen verdoppeln. Die geplante Stiftung des Bundes sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, freue ich mich, dass Sie unserem Anliegen als Koalition gefolgt sind, nämlich mit Ihrem Alternativantrag. Dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie das Thema aufgegriffen haben und als wichtig erachten. Es könnte aber natürlich auch möglich sein, dass es etwas genützt hat, dass unsere Fraktionsvorsitzende - ich glaube in dieser Woche - einen Brief an den Herrn Ministerpräsidenten geschrieben hat.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Nein!)
- Könnte möglich sein. Wissen wir nicht. - Faktum ist, wichtig ist, dass dieses Thema auch hier angekommen ist.
Ich kann Ihnen versichern, dass die Linksfraktionen im Bund und in den Landtagen weiter für eine Fondslösung kämpfen werden, die umfassend die berechtigten Anwartschaften und Ansprüche von Berufs- und Personengruppen aus der DDR-Zeit einbezieht. Entschädigungszahlungen sollten nach unserer Auffassung dann einen fünfstelligen Betrag erreichen.
Meine Damen und Herren! Die Betroffenen nennen den Fonds nicht Härtefallfonds, sondern sie nennen ihn einen Gerechtigkeitsfonds. Wir schließen uns dieser Bezeichnung an, nämlich auf Augenhöhe. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.