Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin den Regierungsfraktionen sehr dankbar für diesen Antrag; denn ich glaube, er fokussiert ein Thema, das im Verkehrsbereich extrem wichtig ist. Ich bin Herrn Grube sehr dankbar dafür, dass er noch einmal klargemacht, weshalb wir das machen. Wir machen das nicht, weil wir im Vergleich zu anderen Bundesländern schlecht dastehen, sondern weil wir immer über menschliche Schicksale reden, über Menschen, die plötzlich, von einer Minute auf die andere, aus dem Leben gerissen werden oder schwer verletzt in einem Krankenhaus landen. Das ist der Fokus, mit dem man dieses Thema immer wieder betrachten muss. Man muss immer wieder überlegen, wie man an der einen oder anderen Stelle noch besser werden kann.
Insgesamt haben wir mehrere Handlungsfelder, drei, vier, auf denen wir aktiv werden können. Das eine Handlungsfeld betrifft das Thema technische Entwicklung. Diesbezüglich hat sich in den vergangenen Jahren sehr, sehr viel getan, auf der einen Seite zum Schutz derjenigen, die auf oder in Fahrzeugen gesessen haben - was dort geschehen ist, ist zum Teil wirklich beeindruckend , auf der anderen Seite auch im Bereich der Assistenzsysteme, die verhindern, dass Fahrer aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit z. B. nicht rechtzeitig bremsen oder ausweichen können.
Ich glaube, das ist auch ein Bereich, in dem durchaus mehr möglich ist und in dem wir als Gesellschaft es geht dann immer auch um die Frage der Freiheit des Einzelnen immer wieder auch diskutieren müssen: Schreiben wir das eine oder andere verpflichtend vor? Verhindern wir, dass man es abstellt, wenn man der Meinung ist, man muss das Fahrzeug selbst führen? Sorgen wir auf diese Art und Weise dafür, dass weniger schwere Unfälle passieren?
Darüber hinaus gibt es natürlich die Frage: Kann man eine Strecke entsprechend ausgestalten, sodass sie sicher ist? Auch über das Thema „Trennung von Verkehren“ haben wir hier schon mehrfach diskutiert. Es ist auch schon deutlich gesagt worden: Ab einer gewissen Intensität der Nutzung geht es auch nicht anders. Ja, wenn man sich in einer sehr ländlichen Region mit wenig Verkehr befindet, dann kann man auf einer Kreisstraße oder einer Gemeindestraße durchaus Kfz, Radfahrer und vielleicht auch Fußgänger parallel führen. Wenn ich hier in die Landeshauptstadt schaue, dann stelle ich fest, dass das an vielen Ecken und Enden überhaupt nicht möglich ist, selbst wenn nicht Masten auf den Wegen stehen, die den einen oder anderen zu ruckartigen und plötzlichen Ausweichbewegungen bewegen müssen.
Darüber hinaus haben wir natürlich immer wieder im Einzelfall zu schauen. Immer wenn ein Unfall oder Beinaheunfälle in einer größeren Menge passiert sind, dann müssen die Verantwortlichen vor Ort natürlich hinaus, müssen sich die Situation ansehen und müssen z. B. prüfen: Ist eine Straßenkreuzung gut einsehbar? Kann man die Situation einschätzen? Kann man Abstände und Geschwindigkeiten einschätzen? Oder hat man entsprechend zu agieren und an der einen oder anderen Stelle sehr speziell zu justieren?
Darüber hinaus gibt es das Thema Regeln. Klar, ich muss schauen, dass ich an der einen oder anderen Stelle entsprechende angemessene Geschwindigkeiten vorgebe, dass ich Ampeln setze, dass ich Kreisverkehre setze, um dafür zu sorgen, dass Menschen sich so verhalten, verhalten können, dass sie sich oder andere möglichst nicht gefährden.
Damit das an der einen oder anderen Stelle auch entsprechenden Nachdruck hat, gibt es natürlich auch das Thema der polizeilichen Maßnahmen. Damit wird es etwas restriktiver, um den einen oder anderen Menschen, der sich nicht wirklich freiwillig oder aus purer Einsicht an Regeln hält, dazu anzuleiten oder, na ja, an der einen oder anderen Stelle auch zu zwingen.
Der letzte Bereich betrifft das Thema Präventionsmaßnahmen. Eigentlich ist das ein sehr wichtiger Bereich bzw. der, wie ich finde, wichtigste; denn er verhindert, dass etwas passiert, und er sorgt dafür, dass wir alle uns im Straßenverkehr insgesamt angemessen verhalten.
(Beifall bei der FDP)
Ich sage an der Stelle immer: Wenn sich jeder rücksichtsvoll verhalten würde und mit dem entsprechenden Kompass im Straßenverkehr unterwegs wäre, dann würde, denke ich, vieles gar nicht passieren und viele gefährliche Situationen würden vermieden. Aber wir haben immer wieder ich würde sagen, jedes Jahr den Anlass, mit dem Bericht darüber, was im Unfallbereich passiert, die Zahlen aufzunehmen und zu schauen: Haben sie sich verändert? Gibt es Schwerpunkte? Muss man an der einen oder anderen Stelle auch mit Maßnahmen und Informationen arbeiten? Muss man die Menschen noch einmal informieren und sensibilisieren?
Ich habe z. B. bei dem letzten Bericht durchaus mit Interesse und Sorge festgestellt, dass die Anzahl von älteren Menschen, die an Unfällen, auch an schweren Unfällen, beteiligt sind, deutlich höher ist als in den vergangenen Jahren. Das heißt, wir müssen schauen: Wie erreicht man diese Personengruppe? Wie informiert man noch einmal über die Gefahren? Wie kann man feststellen, ob man diese Gefahren durch die anderen Maßnahmen, die ich gerade genannt habe, minimieren kann, um dafür zu sorgen, dass auch ältere Menschen entsprechend gefahrlos am Verkehr teilnehmen können?
Dafür gibt es im Land unter anderem den Verkehrssicherheitsbeirat. Herr Grube hat es schon gesagt: Dieser hat über längere Zeit nicht getagt. Ich habe dessen Existenz auch erst entdeckt. Aber wer mich kennt, der weiß, dass ich Beiräte etc. nicht einfach so weiterlaufen lasse, sondern immer wieder auch schaue, dass wir wirklich einen Ertrag haben. Deshalb haben wir den Beirat neu aufgesetzt mit einer, so hoffe ich, guten Kombination aus der interministeriellen Arbeitsgruppe, die die Arbeit und die Beschlussempfehlungen vorbereiten soll, und dem Verkehrssicherheitsbeirat des Landes, der all die klugen Menschen einen soll, die in unserem Bundesland mit diesem Thema befasst sind. Ich hoffe, dass wir aus dem Beirat in Zukunft noch zahlreiche gute Anreize bekommen, um die Sicherheit für die Menschen in unserem Bundesland weiter zu steigern. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Danke. Es gibt Fragebedarf, und zwar bei Herrn Hövelmann. Er hat jetzt die Chance zu fragen. - Bitte sehr.
Holger Hövelmann (SPD):
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, vielen Dank auch für diese differenzierte Sicht auf die Situation. Ich will einmal ganz provokant etwas fragen. Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, dass Bürger und Kommunen sich verkehrsberuhigende bzw. so will ich es einmal nennen verkehrsentspannende Maßnahmen gewünscht haben, diese eingefordert haben und beantragt haben. Bei allen Gesprächen, an denen ich teilgenommen habe das waren tatsächlich viele, bei denen Verkehrsbehörden anwesend waren gab es ein Totschlagsargument nach dem Motto: Der Verkehr muss fließen und deshalb geht das alles nicht.
Meine Frage ist: Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass wir auch ein Umdenken in den Verkehrsbehörden brauchen, um den Blick dafür mehr zu schärfen, was an verkehrssichernden Maßnahmen zur Unfallvermeidung möglich ist, und nicht nur zu betrachten, was alles gerade nicht zulässig ist?
Ich persönlich habe den Eindruck, dass es sich sehr oft um eine Schutzbehauptung handelt, weil man sich mit den Dingen nicht auseinandersetzen muss, wenn man sagt: Das geht alles nicht, die Straßenrechtsordnung lässt es nicht zu. Ich hätte sehr gern eine Umwandlung des Denkens. Daher meine Frage: Sehen Sie das auch so, und, wenn ja, sehen Sie Möglichkeiten, dieses Umdenken zu befördern?
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können antworten.
Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):
Herr Hövelmann, bei dem einen oder anderen Menschen mag das so sein. Meine Wahrnehmung der Verkehrsbehörden im Land insgesamt ist aber, dass die Interessenlage immer sehr, sehr sorgfältig abgewogen wird.
Wenn man ehrlich ist, dann stellt man fest: Die Verkehrsbehörden bekommen häufig entsprechende Hinweise von Anwohnern, die sich vor allen Dingen auch erhoffen, dass etwa durch eine geringere Geschwindigkeit auch der Lärm in der Straße reduziert wird. Dass dabei immer die Sicherheit eine Rolle gespielt hat, ist im Hinblick auf die Unterlagen, die ich habe ich sehe vor allen Dingen sehr, sehr viele Petitionen, die eingereicht werden , nicht immer der Fall.
Wir haben jetzt auf politischer Ebene vor ich glaube, das ist der wichtigere Punkt , den Kommunen in diesem Bereich mehr Handlungsspielräume zu geben. Es geht nicht darum, einfach mehr freizugeben, sondern es geht um mehr Handlungsmöglichkeiten, um Tempo 30 in mehr Bereichen und leichter anordnen zu können. Aber auch in Zukunft wird es nicht möglich sein, einfach Tempo 30 im ganzen Ort festzulegen. Denn nach unserer festen Auffassung diesbezüglich gibt es wenig Unterschied bei den Verkehrsministern würde das nicht dazu führen, dass der Verkehr sicherer wird. Denn wenn die Menschen das Gefühl haben, gar nicht zu wissen, warum sie langsam fahren sollen, und die Straße eigentlich deutlich mehr Geschwindigkeit hergeben würde, dann gibt es relativ oft ein unangemessenes Verhalten in Relationen zu den Zeichen.
Daher glaube ich, dass auch diesbezüglich ein bisschen Sensibilität erforderlich ist. Das geben wir auch das ist das, was Sie meinen als Mindset, als Kultur in die Verwaltung: Es geht darum, definitiv zu schauen, was geht, wo Sicherheit gefährdet ist, wo entsprechende Regelungen getroffen werden müssen. Aber es geht nicht darum, pauschal, weil das vielleicht auch schön einfach ist, im gesamten Ort eine geringere Geschwindigkeit anzuweisen.