Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 4

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor Diskriminierung durch öffentliche Stellen im Land Sachsen-Anhalt (Antidiskriminierungsgesetz Sachsen-Anhalt - ADG LSA)

Gesetzentwurf Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4566


Zunächst die Einbringung. Herr Striegel steht schon vorn. - Herr Striegel, Sie haben das Wort.


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schutz vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht. Ich freue mich deshalb, heute unseren Beitrag zur Stärkung des Schutzes vor Diskriminierung für die Menschen in Sachsen-Anhalt hier vorstellen zu können.

Diskriminierung, das kann mir doch nicht passieren, das betrifft doch nur Minderheiten in unserer Gesellschaft, das meint nicht mich - so denken viele und sie liegen falsch. Jede und jeder von uns kann von Diskriminierung betroffen sein, qua Geschlecht, durch eine chronische Krankheit oder dadurch, alt oder jung zu sein. Selbst die Körpergröße scheint für manche ein Diskriminierungsanlass zu sein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir alle können diese Momente erleben, in denen wir aufgrund eines bestimmten Merkmals, welches wir aufweisen, eine zutiefst ungerechte Behandlung erfahren. Wir erkennen, dass wir auf unsere Hautfarbe, unser Geschlecht, unseren Geburtsort, die eigene sexuelle Identität, unsere soziale und finanzielle Stellung oder unser Erscheinungsbild reduziert werden.

Diese Diskriminierungserfahrungen bleiben uns oftmals klar in Erinnerung. Sie wirken nach, sie brennen sich ein in unser Gedächtnis und beeinflussen unser Wohlbefinden ganz deutlich. Wir fühlen uns in diesen Momenten verletzt, wütend, ängstlich und oft ohnmächtig.

Wir haben in diesem Sommer von Hannah A. gehört, die couragiert für ihren Bruder aufgestanden ist, der als schwarzer Deutscher von einer Lehrerin an einem halleschen Gymnasium immer wieder rassistisch diskriminiert worden sein soll.

(Jörg Bernstein, FDP: Sein soll!)

Die Vorwürfe sind bis heute nicht aus der Welt geschafft worden. Für genau solche Gelegenheiten braucht es ein Antidiskriminierungsgesetz.

Die Diskriminierung von Schüler*innen ist sicherlich nicht Alltag, aber eben auch kein Einzelfall. Immer wieder berichten betroffene Schüler*innen und Schüler 

(Ulrich Siegmund, AfD: Schüler*innen und Schüler! - Lachen bei der AfD)

gegenüber den Antidiskriminierungsstellen im Land von Diskriminierung, auch durch Lehrkräfte. Solche Erfahrungen sind einschneidend. Sie können die Entwicklung eines Kindes stark beeinflussen und zum frühzeitigen Ende der Schulkarriere führen. Diskriminierung, gerade bei Heranwachsenden, macht psychisch krank. Wir kämpfen dafür, in einer Gesellschaft zu leben, die vielfältig und frei von Diskriminierung ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Henriette Quade, Die Linke)

Ich hoffe, diesen Wunsch nach Freiheit von Diskriminierung teilen wir zumindest in den demokratischen Fraktionen. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde und ein Verbot der Benachteiligung sind im Grundgesetz und der Landesverfassung festgeschrieben. Der Auftrag, der uns von dort gegeben ist, muss nun auch tatsächlich eingelöst werden.

Bereits vor einem Vierteljahrhundert haben sich die EU und konkret das Europäische Parlament auf den Weg gemacht und verschiedene Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung verabschiedet. Im Jahr 2006 hat dann der Bund die Richtlinien mit dem AGG teilweise in deutsches Recht umgesetzt. Das Gesetz regelt seither den Schutz vor Diskriminierung im Privatrechtsverkehr und am Arbeitsplatz. 

Auch in Sachsen-Anhalt haben wir seither Beratungsstellen, die Bürgerinnen und Bürgern zur Seite stehen, wenn sie Diskriminierungserfahrungen gemacht haben und dagegen angehen wollen. Die Umsetzung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes läuft gut. Die Bundesebene ist zudem in der Debatte, das Gesetz zu reformieren, wozu die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes Empfehlungen vorgelegt hat.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der Schutz vor Diskriminierung ist bisher aber nicht lückenlos. Das erfahren Menschen, die sich an entsprechende Beratungsstellen wenden, immer wieder. Denn weite Teile im Alltag, in denen Menschen Diskriminierung erfahren können, werden aktuell nicht durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz umfasst. Das betrifft insbesondere Situationen, in denen der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern entgegentritt. Es geht um den gesamten Bereich der Schulen, den Kontakt zu Behörden, öffentlichen Unternehmen und der Polizei. Es wäre schon etwas verwunderlich, wenn wir in allen Bereichen versuchen, einen effektiven Schutz vor Diskriminierung umzusetzen, aber im Hinblick auf den Staat beim Diskriminierungsschutz nicht handelten.

Manche mögen sagen, vielleicht auch die Juristinnen und Juristen hier im Haus, die vollziehende Gewalt ist doch an Recht und Gesetz gebunden. Wieso sollte hier überhaupt die Gefahr einer Diskriminierung bestehen, wenn wir das Verbot doch schon im Grundgesetz stehen haben? - Weil es Diskriminierungserfahrungen durch öffentliche Stellen in diesem Land gibt.

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Ja, alles Einbildung!)

Das bestätigen verschiedene Beratungsverbände und Strukturen, mit denen wir im Vorfeld gesprochen haben, und das bestätigen auch die Ergebnisse der Studie „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“ aus dem Jahr 2022, in der mehr als ein Viertel der Menschen mit Diskriminierungserfahrungen diese in und bei den Ämtern und Behörden sowie rund 24 % im Bildungsbereich gemacht haben. Der tatsächliche Anteil betroffener Schüler*innen und Student*innen ist dabei deutlich höher; denn nicht alle Personen haben in dem abgefragten Zeitraum von 24 Monaten überhaupt Berührungspunkte mit einer Schule oder Hochschule gehabt. Die Zahlen geben einem zu denken, steht doch hinter jedem Fall ein konkretes Schicksal, ein betroffener Mensch.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wer jetzt behauptet, Beschäftigte im öffentlichen Dienst würden ständig Bürgerinnen und Bürger sexuell belästigen, mobben oder rassistisch behandeln, der liegt ebenso falsch wie alle, die behaupten, dass so etwas nie vorkomme oder eben alle bestehenden Probleme bereits gelöst seien. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind regelmäßig hochmotiviert, sie wollen eine gute Arbeit für Bürgerinnen und Bürger leisten. Ich will allen Lehrerinnen und Lehrern, Polizeibeamtinnen und  beamten und überhaupt allen Mitarbeitenden in der öffentlichen Verwaltung für ihre Arbeit danken.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn aber gilt, dass Diskriminierung ein grundsätzliches Problem dort ist, wo Menschen miteinander umgehen, dann gibt es dieses Problem ganz offensichtlich auch in der öffentlichen Verwaltung. Ich sage es auch aus eigener Erfahrung: Oftmals ist uns die diskriminierende Wirkung eines Verhaltens, einer Frage, einer Aussage oder eines Auskunftsbogens für eine Behörde überhaupt nicht bewusst, auch weil wir keinen Zugang zu allen Lebensrealitäten haben und uns die Sensibilisierung für die Perspektive von Betroffenen häufig fehlt. Es ist aber wichtig, dass wir als Staat für diese Erfahrungen zugänglich sind und darauf Rücksicht nehmen.

Die vielfältigen Diskriminierungserfahrungen führen uns vor Augen, was es bedeutet, rechtsstaatliche Prinzipien zur Geltung zu bringen. Rechte müssen effektiv gewährleistet werden und vor einem Gericht im Notfall eingeklagt werden können.

(Jörg Bernstein, FDP: Kann man doch!)

Das europäische Recht schreibt uns vor, auch für einen Diskriminierungsschutz der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat und der Verwaltung zu sorgen. Das europäische Recht ist bislang aber nicht ausreichend umgesetzt worden. Es gibt eine Schutzlücke.

Das liegt auch daran, dass die Länder die Gesetzgebungszuständigkeit für weite Bereiche wie Bildung, Verwaltung und Polizei haben. Bislang hat nur Berlin eine entsprechende Regelung getroffen. Die Landesregierung in Baden-Württemberg - dort übrigens mit CDU-Beteiligung - hat nun einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Es gibt auch andere Bundesländer, die sich in Richtung auf eine landesrechtliche Umsetzung auf den Weg gemacht haben. Dass es hier noch keine landesrechtliche Umsetzung gibt, ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu erklären, wenn sie erfahren, dass dieser Standard zwar von der Privatwirtschaft verlangt wird, die Verwaltung selbst aber hinterherhinkt.

In unseren Entwurf haben wir die Entwicklung im Diskriminierungsrecht seit Einführung des AGG und die Erfahrungen mit der gesetzlichen Umsetzung und der Praxis in Berlin sowie aus den verschiedenen parlamentarischen Verfahren in den Bundesländern mit einfließen lassen. Wir haben den Katalog für die Merkmale anhand der Erfahrungen aus der Antidiskriminierungsarbeit erweitert und auch Merkmale wie antisemitische Zuschreibung, chronische Erkrankung, Erscheinungsbild, Sprache, sexuelle und geschlechtliche Identität, sozialer Status, Aufenthaltsstatus, Fürsorgeleistungen und Familienstand explizit mit aufgenommen.

Gleichzeitig ist unser Katalog offen formuliert. Ein solcher Katalog hat nicht nur eine erklärende Wirkung, er soll auch explizit nicht abschließend sein. Merkmale, die nicht ausdrücklich aufgeführt werden, sind mitgemeint, z. B. Obdachlosigkeit, Gewicht, psychische Erkrankung oder eben Antiziganismus.

Unser Entwurf enthält die nach dem europäischen Recht geforderten Sanktionsmechanismen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Konkret gibt es die Möglichkeit der Schadensersatzklage unter einer Darlegungserleichterung und der Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände.

Um das Sanktionssystem wirksam zu machen, fordern wir in dem Gesetz die Einrichtung eines Fonds zur finanziellen Unterstützung von Opferverbänden bei der Geltendmachung von Rechten 

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

und der Übernahme der Kosten von Dolmetschern und notwendigen Begleitpersonen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Denn es geht, wie sich auch in Berlin gezeigt hat, den Menschen nicht darum, eine große Klagewelle zu starten, es geht ihnen darum, gehört zu werden und zu einer effektiven Verbesserung in der Behörde und in der Arbeit von Behörden zu kommen.

Die Möglichkeit der Verbandsklage unterstützen wir finanziell; denn das finanzielle Risiko solcher Klagen ist hoch. Rechtsschutz darf aber nicht nur in der Theorie funktionieren, er muss auch tatsächlich stattfinden, sonst ist er gar nicht da.

Herzstück bleibt die Arbeit der entsprechenden Ombudsstelle, an die sich Menschen, die sich diskriminiert fühlen, wenden können. Diese unterstützt sie bei ihren Anliegen und wirkt auf Streitbeilegung und Abstellung diskriminierender Verwaltungsabläufe hin.

Weiterhin wollen wir, dass das Gesetz auch dabei hilft, Fortbildungen zu Antidiskriminierungsmaßnahmen und zur Sensibilisierung der Verwaltung in diesen Themenbereichen zu stärken. Hierbei ist wichtig, dass sowohl die landeseigenen Verwaltungen und öffentliche Stellen als auch die Gemeindeverwaltungen auf diese Beratungsleistungen und Unterstützungsangebote zugreifen können.

Es ist klar, dass in angespannten Haushaltszeiten keine Hochsprünge zu erwarten sind. Ich denke aber auch, wir sollten im parlamentarischen Verfahren schauen, welcher finanzielle Mehraufwand wirklich zu erwarten ist, wie die Ombudsstelle ausgestaltet und mit wie viel Personal sie ausgestattet sein muss.

Ich beantrage eine Überweisung des Gesetzentwurfes in die Ausschüsse für Finanzen, für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, für Recht, Verfassung und Verbraucherschutz sowie für Inneres und Sport. Es ist wichtig, dass wir beim Diskriminierungsschutz in Sachsen-Anhalt inhaltlich weiterkommen und europäische Richtlinien endlich auch in Sachsen-Anhalt umsetzen. - Vielen herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Striegel.