Tagesordnungspunkt 19
CSD-Veranstaltungen besser schützen - Vielfalt stärken
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/3607
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/3650
Einbringen wird den Antrag Frau Quade. - Bitte.
Henriette Quade (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schwule, Lesben, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen kämpfen seit Jahrzehnten für ihre bürgerlichen Rechte, gegen ihre gesetzliche, politische und gesellschaftliche Diskriminierung, gegen Ausgrenzung und Herabwürdigung. Sie kämpfen auch immer noch und immer wieder gegen sie betreffende vorurteilsmotivierte Gewalt. Es ist ein langer Kampf.
Im deutschen Kontext ist es auch ein Kampf gegen das Fortwirken nationalsozialistischer Ideologie und Gesetzgebung nach 1945. Die Bundesrepublik übernahm mit § 175 des Strafgesetzbuches NS-Recht in den Bestand der Normen eines demokratischen Staates, wohlwissend, dass Homosexuelle eine Opfergruppe des Nationalsozialismus waren, in Konzentrationslagern deportiert und Tausende von ihnen ermordet wurden.
Die DDR griff zur Kriminalisierung Homosexueller auf preußisches Recht zurück. Im Jahr 1988 strich die Volkskammer den § 175 des Strafgesetzbuches der DDR, welcher regelmäßig schon vorher nicht mehr angewandt wurde. Erst 1994 hob die Bundesrepublik die Strafbarkeit homosexueller Handlungen für Westdeutschland auf. In den ostdeutschen Bundesländern kam § 175 des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik durch die Regelung des Einigungsvertrags nicht zur Anwendung. Es dauerte noch bis 2001, bis das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft trat, bis 2017, bis die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde. Die rechtliche Gleichstellung, gerade auch von trans- und intergeschlechtlichen Menschen, ist bis heute nicht vollständig erreicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein kleiner Ausschnitt des historischen Kontexts, vor dem auch in Sachsen-Anhalt Christopher-Street-Day-Veranstaltungen, kurz CSD, stattfinden. Sie sind der wohl bekannteste, sichtbarste Ausdruck des Kampfes von Schwulen, Lesben, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen für ihre rechtliche Gleichstellung, ihren Schutz vor Diskriminierung und vorurteilsmotivierte Gewalt, für ihre gleichberechtigte und sichtbare Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)
Es ist ein Kampf dafür, im intimsten Kernbereich privaten Lebens, in der Gestaltung von Liebe, Beziehung und Sexualität selbstbestimmt leben zu können, im Kern der Persönlichkeit, nämlich der geschlechtlichen und sexuellen Identität, geschützt und anerkannt zu sein, im gesellschaftlichen und politischen Leben gleichberechtigt sichtbar teilzuhaben.
Es sind also nicht irgendwelche Rechte, für welche mit dem Christopher Street Day demonstriert wird, sondern fundamentale Rechte jeder und jedes Einzelnen.
(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Umso schwerer wiegen die Angriffe auf CSD-Veranstaltungen, die wir im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt gesehen haben. Die Mehrheit der Veranstaltungen war im Jahr 2023 Angriffen und Übergriffen auf sie und ihre Teilnehmenden ausgesetzt. Teils waren sie mit nicht nachvollziehbarem behördlichen Handeln konfrontiert. Der Ausschuss für Inneres und Sport hat sich in zwei Sitzungen damit auf Antrag meiner Fraktion ausführlich befasst.
Zum CSD in Wernigerode liegen uns Berichte vor, dass Teilnehmende mit einer Flüssigkeit überschüttet wurden, bei der es sich möglicherweise um Urin handelte.
(Zuruf von der AfD: Ja, ja!)
Bei dem CSD in Magdeburg wurde laut Berichten aus einer Kundgebung von Reichsbürgern der Hitlergruß gezeigt. Die wohl schwersten Angriffe betrafen den CSD in Weißenfels. Hier kam es schon im Vorfeld zu einer erheblichen extremrechten Mobilisierung gegen die Rechte von queeren Menschen. Am Tag des CSD selbst wurden Teilnehmende mit Gegenständen beworfen. Eine freie Journalistin berichtete, wie sie von einer Gruppe Neonazis gejagt wurde.
(Zurufe von der AfD)
Es wurde der Hitlergruß gezeigt und „Sieg Heil“ gerufen.
Die Route des CSD selbst musste aufgrund der extremrechten Bedrohung und unzureichender Absicherung durch die Polizei verkürzt und geändert werden. Auch in Halle mobilisierten Extremrechte zur Aktion gegen den CSD. Am Abend kam es zudem zu einem weiteren massiven Angriff auf ehemalige Teilnehmende, der nach allem, was wir bisher wissen, vorurteilsmotiviert war.
Die Reihe der Angriffe und Übergriffe zeigt, welchen Gefahren Schwule, Lesben, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen in Sachsen-Anhalt nach wie vor - und das seit Jahren - ausgesetzt sind.
(Zuruf von Matthias Büttner, Staßfurt, AfD)
Dass Rechtsextreme in Weißenfels durchsetzen konnten, dass ein CSD nicht wie geplant stattfinden konnte, ist auch eine Niederlage für den demokratischen Rechtsstaat, der hierbei seinen Schutzpflichten nicht nachgekommen ist.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Wolfgang Aldag, GRÜNE)
Es ist auch eine Niederlage für die Bemühungen der demokratischen Mehrheit dieses Landtags, sich gegen Diskriminierung einzusetzen. Wir haben in der schriftlichen Begründung unseres Antrags auf den Aktionsplan LSBTTI verwiesen, der auf seine Fortschreibung wartet.
Schauen wir auf das polizeiliche Handeln, das wir im Zusammenhang mit CSD-Veranstaltungen im vergangenen Jahr mit unserem Antrag insbesondere fokussieren, sehen wir Licht und Schatten. Die Befassung im Ausschuss für Inneres und Sport und die Berichte von Betroffenen und den Initiativen und Verbänden der Community zeigen ein durchaus differenziertes Bild. Die Landespolizei hat mit den LSBTTI-Ansprechpersonen eine wichtige Einrichtung innerhalb ihrer Organisation geschaffen. Ihr Einsatz, wo er denn stattgefunden hat - das war bei Weitem nicht überall der Fall, wo es angezeigt und notwendig gewesen wäre , trägt zur Verbesserung polizeilichen Handelns bei. Davon konnte ich mich inzwischen auch selbst mehrfach überzeugen.
Auch die Vorgaben etwa zur Aushändigung von Unterlagen zum Opferschutz sind richtig. Aber sie werden nach wie vor unzureichend und zwischen den Polizeiinspektionen und -revieren unterschiedlich konsequent bis hin zu gar nicht umgesetzt.
Es ist auch nicht so, dass keinerlei Gefahrenanalyse im Vorfeld von CSD-Veranstaltungen stattfand. Es ist aber durchaus so, dass teils Gefahren nicht ausreichend ernst genommen wurden und, wie in Weißenfels, selbst offensichtliche Gefahren nicht zu einer entsprechenden Einsatzplanung und -taktik geführt haben, obwohl in diesem Fall selbst die Betroffenen, obwohl es nicht ihre Aufgabe ist, Hinweise dazu gegeben haben.
Meine Damen und Herren! Politisch müssen wir als Landtag von Sachsen-Anhalt das klare Signal senden, dass wir diese Angriffe verurteilen,
(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)
dass wir die Sorgen und Anliegen queerer Menschen in Sachsen-Anhalt wahrnehmen und dass wir an ihrer Seite stehen, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt sie nicht alleinlässt, sondern sie in ihrem Anspruch auf Verwirklichung ihrer durch die Verfassung geschützten Rechte bestärkt und unterstützt.
Gegenüber der ausführenden Exekutive müssen wir als Landtag unsere Verantwortung wahrnehmen, indem wir Vorgaben machen, damit die bestehenden Instrumente behördlichen und insbesondere polizeilichen Handelns besser genutzt werden. Denn es muss besser werden. Es braucht Konsequenzen aus den Fehlern im letzten Jahr.
Dazu haben wir moderate Vorschläge vorgelegt, die auf eine bessere Steuerung, auf die Einbeziehung Betroffener und die Verwirklichung von Opferschutz abzielen und gleichzeitig die Landesregierung mit Berichtspflichten in die Verantwortung nehmen; eine Verantwortung, die mit Vorlage der Berichte auch uns als Landtag wieder trifft. Wir müssen genau hinschauen, ob sich die Lage verbessert und, falls nicht, beraten, was dafür erforderlich ist.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag und um das klare Zeichen, dass wir queere Menschen in Sachsen-Anhalt nicht alleinlassen. Für uns als Linke ist auch das eine Frage der Solidarität. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN und von Juliane Kleemann, SPD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Es gibt eine Intervention von Herrn Tillschneider.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Dieser Antrag ist absolut gegenstandslos. Denn die sexuelle Neigung, also zu wem ich mich hingezogen fühle - zu diesem oder zu jenem , ist kein Politikum. In unserem Land hat jeder nach Artikel 2 des Grundgesetzes allgemeine Handlungsfreiheit und die Möglichkeit, sich frei zu entfalten, wenn er niemandem dabei wehtut.
Damit ist alles gesagt. Man muss das nicht in die Öffentlichkeit tragen. Man muss das nicht zum Politikum machen. Wenn man es unbedingt tun will, dann gelten dafür genau die gleichen Regeln wie für alle anderen Demonstrationen auch. Wir brauchen hierfür keine Extrawurst. Deshalb sage ich noch einmal: Dieser Antrag ist gegenstandslos.
(Zustimmung bei der AfD)