Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Laut Expertenrechnung wird der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitrag im Jahr 2025 deutlich steigen müssen.
(Ulrich Siegmund, AfD: Ja!)
Zudem wir damit gerechnet, dass die Pflegeversicherung auch teurer werden muss. Bei einem Bruttoeinkommen von 3 500 € beläuft sich die zu erwartende monatliche Mehrbelastung für jeweils Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf knapp 20 €, wobei jede Kasse eigenständig über die genaue Höhe ihres Zusatzbeitrages entscheidet.
Lassen Sie mich auf einige Ursachen der Kostensteigerung eingehen. Und nein, das sind nicht zugewanderte Menschen, die unser Arbeitsmarkt dringend braucht, sondern andere, viel komplexere Gründe.
Erstens gibt es eine allgemeine Kostensteigerung. Bedeutende Kostensteigerungen betreffen insbesondere
(Zuruf von der AfD)
die Krankenhausbehandlungen, die Ausgaben für Arzneimittel und die Personalkosten. Gerade bei der angemessenen Bezahlung des Pflegepersonals gab es viele Rückstände aufzuholen; Stichwort: Klatschen genügt nicht.
Zweitens, medizinischer Fortschritt und erhöhte Ansprüche. Medizinischer Fortschritt, bessere Diagnostik, Versorgung und eine gute Behandlungsqualität kosten.
(Zuruf von der AfD: Nur wie?)
Wir alle wollen im Fall der Fälle die bestmögliche Behandlung. So haben sich bspw. die Möglichkeiten und auch die Erfolge der Krebstherapie in den letzten zehn Jahren geradezu sprunghaft weiterentwickelt. Es wurden und werden mehr Krankheiten diagnostizierbar und zum Teil erstmals behandelbar. Ein Beispiel von vielen ist das Gebiet der sogenannten seltenen Erkrankungen.
Drittens, die demografische und strukturelle Entwicklung. Europa erlebt einen erheblichen demografischen Wandel. Dazu verweise ich auch auf das kürzlich vorgelegte Demografie-Instrument der Europäischen Kommission. Wir werden weniger und wir werden vor allem älter. Das betrifft uns in Sachsen-Anhalt besonders stark. Wir haben hier eine sehr alte Bevölkerung. Das hat selbstverständlich steigende Gesundheits- und Pflegekosten zur Folge.
Aber und das gehört dazu wir haben in Deutschland die höchste Anzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die jemals in der Bundesrepublik gezählt wurde. 34 Millionen Menschen sind in Arbeit und zahlen ihre Beiträge in die solidarische Sozialversicherung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der immer wieder vorgetragenen Mär, dass besonders viele Mittel für Soziales ausgegeben werden, möchte ich mit Zahlen widersprechen. Im OECD-Vergleich schneidet Deutschland im Zeitraum von 2002 bis 2023 eher schlecht ab. Die Sozialausgaben haben sogar besonders schwach zugenommen. Im Vergleich zur Wirtschaftskraft erreicht Deutschland mit 26,7 % Platz 7 von 18 Ländern. Frankreich und Italien bilden mit mehr als 30 % die Spitze.
Was können wir tun, um die Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu dämpfen? - Wir haben dazu eine Reihe von Vorschlägen.
a) Ressourcen besser nutzen. Das deutsche Gesundheitssystem ist das teuerste in Europa, aber nicht immer das effizienteste und qualitativ hochwertigste. Eine bessere Nutzung der Ressourcen, verbunden mit einer verbesserten Qualität der Versorgung, ist das Ziel der eingeleiteten Reformen.
Sie betreffen z. B. eine stärkere Verknüpfung der stationären und der ambulanten Versorgung, eine Qualitätsverbesserung der klinischen Angebote für komplexe Leistungen, Änderungen bei der Vergütungsstruktur für Krankenhäuser, um zu starke ökonomische Zwänge und Fehlanreize zu beseitigen, und die elektronische Patientenakte, die Telemedizin und ein weites Spektrum bei den Anwendungen moderner Informationstechnologie.
Was für eine Kostendämpfung aber nicht infrage kommt, ist, dass benötigte Leistungen aus nichtmedizinischen Gründen rationiert werden, dass z. B. ab einem bestimmten Alter Leistungen mit dem Argument, dass es sich nicht mehr lohne, nicht mehr übernommen werden. Solche Diskussionen wird es mit der Sozialdemokratie nicht geben.
(Zustimmung bei der SPD)
Wir fordern für jedes Lebensalter den höchsten erreichbaren Standard für Gesundheit und entsprechender Versorgung. Dazu gehört auch eine umfassende umfassendere Abdeckung der Pflegeleistungen in der Pflegeversicherung.
b) Was können wir tun? - Die Kosten solidarischer verteilen. Unser System der gesetzlichen Krankenversicherung ist solidarisch aufgebaut. Möglichst viele Versicherte zahlen ein. Und damit werden die Kosten auf stärkere und weniger starke Schultern verteilt. Allerdings haben wir noch deutlich Luft nach oben.
Wir haben schon etwas zur Zweiklassenmedizin gehört. Ich möchte nur Folgendes sagen: Das Solidarsystem wird gestärkt, wenn die Mitgliedschaft der Beitragszahlenden in der gesetzlichen Krankenversicherung breit aufgestellt ist. Konkret: Andere Bundesländer wie Hamburg Berlin, Brandenburg, Thüringen Sachsen, Bremen und Baden-Württemberg haben vorgemacht, dass es machbar und sinnvoll ist, Beamtinnen und Beamten die Wahlfreiheit zu geben, in die gesetzliche oder in die private Krankenversicherung einzuzahlen.
Das können wir doch sicher auch; das ist schon einmal ein Ansatz.
Zum Solidarprinzip in der Krankenversicherung sei noch das Stichwort Beitragsbemessungsgrenze genannt. Sie ermöglicht es Besserverdienenden - seien sie nun privat versichert oder freiwillige Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse - einen verhältnismäßig geringeren Anteil ihres Einkommens an die Krankenversicherung zu entrichten.
(Zuruf von der AfD)
Die Grenzwerte werden jährlich mit einem Beschluss des Bundeskabinetts und mit Zustimmung des Bundesrates angepasst. Die Entscheidungen über die Beitragsbemessungsgrenze reflektieren in gewisser Weise, wie viel Solidarität politisch konsensfähig ist.
Wenn wir von der solidarischen Finanzierung unseres Gesundheitssystems sprechen, gehört auch ein Blick auf steuerfinanzierte Beiträge dazu. Weitere Beiträge, z. B. philanthropische Beiträge von privaten Stiftungen, lasse ich beiseite, da sie bei uns quantitativ eine weit geringere Rolle spielen als etwa in den USA. Das heißt nicht, dass ihre Beiträge keinen Einfluss hätten, denken wir z. B. an die Bertelsmann-Stiftung, aber sie betreffen mehr den Bereich der Konzeptionsentwicklung als der unmittelbaren Finanzierung von Versorgungsleistungen.
Bestimmte Kosten der Gesundheitsversorgung werden aus Steuermitteln übernommen. Beispielsweise sind die Bundesländer zuständig für Investitionen in die Infrastruktur der Krankenhäuser. Aus Bundesmitteln gibt es einen Zuschuss zur pauschalen Abgeltung bestimmter Leistungen, die finanztechnisch über die gesetzliche Krankenversicherung laufen, unter anderem für Versicherungsschutz von Menschen, die auf Bürgergeld oder andere Formen der staatlichen Grundsicherung angewiesen sind. Dieser Zuschuss, ebenso alle Beitragseinnahmen der Krankenkassen fließen in den Gesundheitsfonds beim Bundesamt für Soziale Sicherung. Die Höhe des Bundeszuschusses liegt bei einem regulären festen Beitrag von 14,5 Milliarden € und macht derzeit etwa rund 5 % der Einnahmen des Gesundheitsfonds aus.
Eine Dynamisierung des Bundeszuschusses steht im Ampelkoalitionsvertrag. Vor dem Hintergrund der restriktiven Haushaltspolitik ist eine Realisierung aber nicht in Sicht. Einen höheren Anteil an der Steuerfinanzierung halte ich grundsätzlich für sinnvoll, Hand in Hand mit guter Haushalts-, Steuer- und Finanzpolitik. Unser Finanzierungssystem, basierend auf der gesetzlichen Krankenversicherung, ist weltweit das Muster für das sogenannte Bismarck-Modell. Das bekannteste andere Modell einer prinzipiell für alle gewährleisteten Gesundheitsversorgung ist ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem, genannt Beveridge-Modell, wie es z. B. Großbritannien und die skandinavischen Länder haben. Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile, und die europäischen Systeme greifen auch Elemente des jeweils anderen Modells auf. Man kann doch voneinander lernen.
Es gibt eine neue Entwicklung, die in naher Zukunft relevant werden könnte: die neue Nationale Sicherheitsstrategie und das geplante Gesundheitssicherstellungsgesetz, das voraussichtlich eine zivil-militärische Zusammenarbeit im Gesundheitssektor beinhalten wird und die bisher bewusste Trennung der zivilen Strukturen und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aufweichen könnte. Sollte es zu einer bedeutenden Vermengung des Zivilen und des Militärischen kommen, obwohl dies aus verschiedenen Gründen nicht zu hoffen ist, wäre meiner Meinung nach ein beträchtlicher Beitrag aus dem Verteidigungshaushalt durchaus zu fordern, z. B. als Einzahlung in den Gesundheitsfonds. Auch wenn bei diesem Vorschlag ein wenig Zynismus dabei ist, meine ich ihn ernst; er wurde in Grundzügen schon beim Deutschen Ärztetag 2022 erhoben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Gesundheit ist hoher Investitionen wert, der richtigen Investitionen, die sie schützen und bewahren. - Vielen Dank.