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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 28

Aktuelle Debatte

Den Weg im Bundesrat frei machen für eine moderne Cannabispolitik

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/3904


Die Redezeit je Fraktion beträgt zehn Minuten, für die Landesregierung ebenfalls. Reihenfolge: Grüne, SPD, AfD, FDP, DIE LINKE, CDU. - Zuerst hat für die Antragstellerin Frau Lüddemann das Wort. - Bitte sehr, Sie haben das Wort.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte gern in den nächsten zehn Minuten und in der darauffolgenden Zeit nüchtern und rational 

(Sven Rosomkiewicz, CDU: Nüchtern? - Siegfried Borgwardt, CDU: Nüchtern!) 

mit Ihnen ganz allgemein über das aktuelle Cannabisgesetz reden. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

- Ich wusste, dass ich damit Ihre Aufmerksamkeit gewinne, ganz wunderbar. 

Denn wir stehen hierbei auf einem schmalen Grat zwischen Panikmache und Verharmlosung. Das geht bis dahin, dass sich dieses Thema natürlich hervorragend für konservative Kulturkämpfe à la Markus Söder eignet, was dann am Ende der Tod jeder vernünftigen Debatte ist. Die aufgeheizte Diskussion ist aber auch fachlich zu erklären; denn das Cannabisgesetz ist tatsächlich eine Revolution, 

(Lachen bei der CDU - Stefan Ruland, CDU: Ein Schuss in den Ofen!) 

ein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik. 

(Stefan Ruland, CDU: Das ist ein Schuss in den Ofen!) 

Jahrzehnte lang war und ist die Cannabispolitik von einer einseitigen Verbotslogik bestimmt gewesen. Mittels Kriminalisierung, Strafgesetzbuch und Vollzugsbehörden sollten Verkauf und Konsum von Cannabis unterbunden werden. Wir alle wissen, auch wenn wir von unterschiedlichen Perspektiven darauf schauen: Das hatte keinen Erfolg. Mit dieser Verbotslogik bricht erstmals das in Rede stehende Cannabisgesetz der Bundesregierung. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Beschlossen wurde es am 23. Februar dieses Jahres. Ein solches Gesetz hat die Republik tatsächlich noch nicht gesehen, also ist es kein Wunder, dass es vielerlei heftige und kontroverse Reaktionen hervorruft. 

Etwas zugespitzt markieren folgende Gegensätze die alte und die neue Cannabiswelt: Wild-West-Schwarzmarkt oder staatlich regulierter und kontrollierter Markt mit klaren Regeln? Feuchtfröhliche Trunkenheit samt Bierfesten und Werbung all überall sowie gleichzeitig Cannabiskleindealer und Gelegenheitskonsumenten hinter Gittern oder Gleichbehandlung und Handlungsfreiheit für mündige Bürgerinnen und Bürger in Sachen Alkohol und Cannabis?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Einseitige Prohibitionslogik und Androhung von Strafen bei Erstkonsum 

(Zuruf von Andreas Schumann, CDU)

oder ehrliche Suchtprävention durch Aufklärung und Beratung? Hochdosierte und gefährliche Cannabinoide, die unwissentlich gesundheitsgefährdend konsumiert werden oder Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz durch Qualitätssicherung und Eigenanbau? - Das sind Grundsatzfragen, die darüber entscheiden: ideologische Verbotspolitik oder moderne Drogenpolitik. 

Wir Grüne stehen klar für Entkriminalisierung und Versachlichung der Drogendebatte. Dazu gehören auch Ehrlichkeit und Gleichbehandlung aller sogenannten weichen Drogen. Aufgrund verschiedener Restriktionen, nicht zuletzt bestehender EU-Vorgaben, ist der vorliegende Gesetzentwurf ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu diesem Ziel, aber eben tatsächlich nur ein Baustein. Zum Beispiel werden die im Koalitionsvertrag verabredeten lizenzierten Fachgeschäfte nicht kommen. Diese hätten den Schwarzmarkt umfassend ausgetrocknet. Die jetzigen Regulierungsschritte dämmen ihn aber wesentlich ein. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bundesregierung schöpft ihre Möglichkeiten aus mit der Legalisierung des Eigenanbaus in engen Grenzen und der Ermöglichung von Cannabisklubs mit ebenso klaren und engen Vorgaben. Trotz dieser Kompromisse ist das Gesetz eine Kehrtwende um 180 Grad, 

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Um 360 Grad!) 

das Aufbrechen der einseitigen und teils verheerenden Verbotslogik. 

Wie zerstörerisch Prohibition wirkt, lässt sich samt Kontrollgruppe historisch beobachten. Als in den USA vor vielen Jahren Alkohol verboten wurde, wurde am Ende mehr konsumiert als vorher. 

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Das ist doch etwas anderes! Das ist etwas anderes, das kann man nicht vergleichen!)

Auch hierzulande sehen wir: Statt gepanschte Spirituosen haben wir eindeutig etikettierte und kontrollierte alkoholische Getränke. 

(Unruhe)

Statt einseitiger Warnungen vor dem Teufel Alkohol haben wir eine Suchtprävention, die berät, aufklärt und Konsumkompetenz vermittelt. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe)

Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, warum das nicht auch für Cannabis gelten sollte. Ein kontrollierter Markt mit klaren und strengen Regeln, auch zur Stärkung des Jugendschutzes; Konsummöglichkeiten für mündige Erwachsene samt Gesundheitsschutz durch Qualitätssicherung und Fundierung der Suchtprävention durch ehrliche Konzepte. 

Konkret: Der Bundesrat hat am Freitag die Möglichkeit, sich für eine neue, rationale Drogenpolitik zu entscheiden. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Eva von Angern, DIE LINKE)

Dass Sachsen-Anhalt hierbei nicht der Vorreiter sein wird, das ist mir klar. Solange für die CDU das Bier zum Mittagessen, der Wein bei der Matinee, der Cocktail am Pool oder das Maß Starkbier im Festzelt völlig normal ist, aber jeder kleinste Joint der Untergang des Abendlandes und das Abdriften in für die CDU vermutlich flirrende, unbekannte, fremde Traumwelten ist, so lange werden wir keine vernünftige, rationale Drogenpolitik in diesem Land bekommen. 

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Ach, die kiffen doch auch! Die trauen sich nur nicht, das zuzugeben! - Lachen bei den GRÜNEN - Zuruf von Chris Schulenburg, CDU - Unruhe)

Für den Bundesrat kann ich nur appellieren: Belassen Sie es bei einer Enthaltung des Landes. Es gibt keinen Grund, aus der Sicht unseres Landes den Vermittlungsausschuss einzuschalten. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gestern war zu vernehmen, dass die Landesregierung Probleme bei der Amnestieregelung sieht. Dabei geht es um die Aufhebung von Strafen aufgrund nunmehr legalen Cannabisbesitzes. Ausweislich einer Auskunft der Landesregierung verbüßen aktuell 101 Personen eine Gefängnisstrafe in Sachsen-Anhalt, auch im Zusammenhang mit Cannabiskonflikten. Das scheint mir zeitnah abarbeitbar und führt in der Folge dazu, Haftzeiten zu verkürzen oder sogar auszusetzen. Im Bereich der Geldstrafen sind es deutlich mehr Fälle, aber hierbei ist die sehr zeitnahe Bearbeitung nicht so dringlich wie im Fall des Freiheitsentzugs. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Überdies benennt das Cannabisgesetz - das ist, glaube ich, wichtig für eine sachliche Debatte - keinerlei Fristen für die Bearbeitung der Amnestieregelung. Es drohen also keine Strafzahlungen für die Justiz oder für Staatsanwälte, oder was auch immer sonst im Land kolportiert wird. 

Ja, es wird einen einmaligen Mehraufwand geben, keine Frage. Die Landesregierung schätzt selbst ein, es könne ein halbes Jahr dauern. Aber danach wird es strukturell und dauerhaft signifikant weniger Cannabisdelikte geben. Die Behörden, die Gerichte werden entlastet. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir Grüne stehen auch in der Drogenpolitik für eine ehrliche und sachliche Debatte. Ich will an unseren Antrag zur Zukunft der Suchtberatung hier im Land erinnern. Den haben wir vor vielen, vielen, vielen Monaten gestellt; er liegt noch immer im Sozialausschuss. Darin haben wir darauf hingewiesen, dass die Cannabislegalisierung kommt - und sie wird kommen - und dass wir uns hier im Land darauf vorbereiten müssen. 

(Tobias Rausch, AfD: Quatsch! Wir müssen gar nichts!) 

Aber was ist passiert? - Nichts. 

Es ist wichtig, dass wir die Chancen nutzen. Denn jetzt kann eine Aufklärung über Risiken und Gefahren von Cannabis vonstattengehen. Es wird nicht mehr kriminalisiert. Man kann darüber reden, warum Menschen Cannabis konsumieren, und man kann vor allen Dingen im Sinne des Jugendschutzes junge Menschen aufklären. Diese können auch ehrlich über ihre Ängste und ihre Erfahrungen damit sprechen, ohne dass quasi schon die Handschellen klicken. Nur eine solche ehrliche Auseinandersetzung ist tatsächlich der Boden dafür, dass wir am Ende weniger Sucht in Sachsen-Anhalt haben. 

Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Es gab und gibt keine Gesellschaft, in der es keinen Drogenkonsum gibt. Wichtig ist, wie wir damit umgehen und welche Regeln wir uns als Gesellschaft geben. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Stefan Gebhardt, DIE LINKE)

Wir haben Akteure im Land, die uns, der Politik, zur Seite stehen. Die Suchtberatungsstellen, die Landesstelle für Suchtgefahren werden uns auch bei dieser Droge, wie z. B. auch bei Alkohol oder in anderen Fragen, zur Seite stehen. Die koalitionstragenden Fraktionen können schon im kommenden Haushalt Vorsorge dafür treffen. 

Mich als Verkehrspolitikerin beruhigt sehr - ich sage ganz klar: im Verkehr gilt: kein Rausch am Steuer  , dass auch für den THC-Wert im Blut ein klarer Grenzwert festzulegen ist. Vielleicht kann Frau Ministerin Hüskens, wenn sie dann doch noch zu uns stößt, etwas dazu sagen, ob ihr Parteifreund dazu schon einen Grenzwert festgelegt hat; denn genau das ist ihm bis zum Ende des Monats aufgegeben. 

(Unruhe)

Ich meine, das Thema Cannabis muss endlich positiv abgeräumt werden, damit wir uns den wirklich existenziellen Problemen dieses Landes wieder widmen können. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist auf keinen Fall das drängendste Problem der Menschen. Also, werte CDU, unterlassen Sie doch bitte die symbolische Blockadepolitik und arbeiten Sie an dieser Stelle sachlich. 

(Zuruf von Andreas Schumann, CDU)

Stoppen können Sie das Gesetz auf keinen Fall mehr. Das hat auch Dr. Hendrik Hoppenstedt, CDU-Bundestagsmitglied und derzeitiger Vorsitzender des Vermittlungsausschusses, sehr klar und sehr deutlich gesagt. 

Liebe FDP und SPD, lassen Sie sich nicht vor den ideologischen Karren der CDU spannen 

(Thomas Staudt, CDU, und Guido Heuer, CDU, lachen - Unruhe)

und geben Sie dem Thema Drogenpolitik einen sachlichen Anstrich, aber nicht mehr Raum, als ihm gebührt. Stimmen Sie für Enthaltung im Bundesrat

(Beifall bei den GRÜNEN - Guido Kosmehl, FDP: Man kann nicht für Enthaltung stimmen! Da fängt es doch schon an!) 

- Im Koalitionsausschuss kann man das sehr wohl, dort habe ich das lange genug gemacht.

(Guido Kosmehl, FDP: Das haben Sie offensichtlich nicht verstanden! - Unruhe)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Damit sind wir erst einmal am Ende des Debattenbeitrags angelangt. Ich habe vorhin von einer entspannten Beratung gesprochen, aber meine Bitte wäre, dies nicht so auszulegen, dass wir uns über die Reihen hinweg lauthals unterhalten. Ich hätte ganz gern, dass die Rednerin die Chance hat, dass das, was sie sagt, auch ankommt. - Bei einem scheint das der Fall gewesen zu sein, und zwar bei Herrn Erben, er hat nämlich eine Frage dazu. Wollen Sie diese beantworten, Frau Lüddemann? 


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Ich werde es versuchen.


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Offensichtlich. Dann hat er die Chance, sie zu stellen. - Herr Erben, Sie haben das Wort. Bitte.


Rüdiger Erben (SPD): 

Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kollegin Lüddemann, Sie haben sehr intensiv darum geworben, dass dieses Gesetz am 1. April in Kraft tritt; das ist der Ostermontag. Sie haben nur am Rande die Frage der Fahrtüchtigkeit gestreift. 

Wenn Sie das wie folgt betrachten: Der Biertrinker am Ostermontag wird, wenn er sich nicht über Gebühr mit Bier abfüllt, vermutlich am Dienstag normal sein Kfz führen können. Was raten Sie denn dem kraftfahrenden Kiffer oder dem kiffenden Kraftfahrer, 

(Heiterkeit bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN) 

wie er sich am Dienstag nach Ostern verhalten soll, zumal wir wissen, dass sich Alkohol schneller abbaut, als das bei Cannabis der Fall ist? Ich habe heute die spaßige Bemerkung gehört, möglicherweise sei das ja auch ein Ziel, dass Sie verfolgen, dass es weniger Individualmobilität gibt in Bezug auf die Fahrtüchtigkeit. 

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE, lacht) 

Wie soll es an dieser Stelle weitergehen? Was raten Sie denn dem kraftfahrenden Kiffer am Dienstag nach Ostern?

(Zurufe von der CDU: Homeoffice! - Geht nur laufen!)


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Ich freue mich über das Erkenntnisinteresse Ihrerseits. Ich hatte nach dem Interview im „Spiegel“ schon die Vermutung, dass Sie das alles in Bausch und Bogen ablehnen. Aber dass Sie sich so mit den Implikationen des Gesetzes beschäftigen, freut mich sehr. Denn tatsächlich hat es auch Auswirkungen auf Ordnungsbehörden, auf Sicherheitsbehörden, auf die Autofahrenden. 

(Zuruf von der AfD: Autofahrenden, oh!)

Aber auch an dieser Stelle gilt das, was in jedem Fall gilt: Egal, ob ich Drogen konsumiere, ob ich Tabletten zu mir nehme, die die Fahrtauglichkeit beeinflussen - das können im weitesten Sinne auch Drogen sein - man hat eine Eigenverantwortung und man muss einschätzen können, ob man in der Lage ist, ein Kfz ordnungs- und sachgemäß zu führen. 

Selbstverständlich bestehen die Regelungen bezüglich der Straf- und Ordnungswidrigkeiten nach wie vor. Ich habe es vorhin sehr deutlich gesagt: Einen Rausch am Steuer darf es nicht geben. 

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Genauso wie ich erwarte, dass Polizistinnen und Polizisten verantwortungsbewusst Alkohol am Steuer ahnden, erwarte ich, dass Sie auch hierbei mit der machbaren Kontrolldichte gegen Kiffer am Steuer vorgehen werden.

(Zuruf von der AfD)


Rüdiger Erben (SPD): 

Raten Sie jetzt     


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Erben, ganz kurz noch einmal.


Rüdiger Erben (SPD): 

Raten Sie dem Kraftfahrer, der am Ostermontag die neue Freiheit genossen hat, die ihm das Gesetz, sollte es denn in Kraft treten, gewährt, am Dienstag nicht, ein Fahrzeug zu führen? 


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Wenn er unsicher ist, sollte er das nicht tun, natürlich.


Rüdiger Erben (SPD): 

Okay.