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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 7

Aktuelle Debatte

Grüner Wasserstoff für konkurrenzfähigen Stahl - energiepolitische und wissenschaftliche Grundlagen für erfolgreiche industrielle Transformation stärken

Antrag Fraktion SPD - Drs. 8/5035


Sie kennen das Prozedere. Es stehen zehn Minuten Redezeit jeder Fraktion und auch der Landesregierung zur Verfügung. Die Antragstellerin Frau Kleemann von der SPD-Fraktion fängt an. - Frau Kleemann, bitte schön. 


Juliane Kleemann (SPD): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Wenn wir jetzt mitten im Umbau stecken bleiben, verlieren wir die Zukunft“, so Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, kurz PIK.

(Zuruf: Das Mikrofon ist aus!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Einen Moment, bitte, das Mikrofon am Rednerpult scheint nicht zu funktionieren. 

(Unruhe)

Frau Kleemann, probieren Sie es jetzt noch einmal, in das Mikrofon zu sprechen. - Jetzt funktioniert es. - Neuer Versuch. Bitte.


Juliane Kleemann (SPD): 

Edenhofer betrachtet unsere Lage aus einer ökologischen und einer ökonomischen Perspektive. 

(Zuruf)

Der habilitierte Wirtschaftswissenschaftler leitet nicht nur das PIK, sondern ist seit dem Jahr 2008 auch Inhaber des Lehrstuhls für die Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin, zugleich Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle und Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. 

Es geht bei dem Thema wirklich um nichts Geringeres als um sinnvolle und nachhaltige Investitionen und Entscheidungen für die Zukunft. Daher ist es geradezu töricht, wenn einige Kandidaten für wichtige politische Ämter in diesem Land meinen, dass wir für die Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaft, die in Teilen auch eine Transformation sein wird, schlicht keine Zeit oder kein Geld haben. Denn klar ist: Was wir heute und morgen nicht investieren, wird morgen und übermorgen um ein Vielfaches teurer sein. Klar ist auch: Ohne eine konsequente Gestaltung der Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft wird diese mittel- und langfristig nicht mehr konkurrenzfähig sein.

(Zustimmung bei der CDU - Jörg Bernstein, FDP: Das ist richtig! Das ist zu teuer! - Zuruf von der AfD)

Die Unternehmen sind dabei im Übrigen deutlich weiter als Friedrich Merz. Ich zitiere:

(Zuruf von der AfD)

„Die Unternehmen Saarstahl und Dillinger nehmen ihre europäische Vorreiterrolle bei der Umstellung auf eine CO2-arme Stahlproduktion weiterhin in vollem Umfang wahr.“ 

Weiter heißt es: Das Unternehmen stehe - Zitat - „unverändert zur grünen Transformation und zur klimaneutralen Stahlproduktion.“ 

(Unruhe)

So die Reaktion des Unternehmens auf die Glaubensaussage von Friedrich Merz.

Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, sagt es so: 

„Wer nicht an grünen Stahl glaubt, befördert das Ende der Stahlindustrie in Deutschland“ 

(Zurufe von der AfD)

„- mit fatalen Wirkungen weit über die Branche hinaus.“ 

(Zuruf von der FDP)

„Wir würden Zehntausende Arbeitsplätze verlieren und uns bei einem der wichtigsten Grundstoffe in eine gefährliche Abhängigkeit vor allem von China begeben.“ 

Darin sind sich Gewerkschafter und Unternehmen einig. Sie haben recht damit. Wir müssen alles dafür tun, dass es so bleibt: dass Stahl eine Schlüsselindustrie made in Germany bleibt. 

(Beifall bei der SPD - Unruhe)

Wir alle wissen, dass Stahl für viele Wirtschaftsbereiche relevant ist: die Automobilbranche, den Hoch- und Tiefbau, den Maschinenbau, den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere die Produktion von Windrädern. Die Zulieferbetriebe für das VW-Werk in Wolfsburg sind von günstigem Stahl abhängig. Das wissen auch wir in der Altmark. 

Ja, sehr geehrte Damen und Herren, die Branche steht vor einem grundlegenden Wandel. Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Produktion auf klimaschonende Verfahren, auf den sogenannten grünen Stahl, umgestellt werden.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Grünem Wasserstoff kommt dabei entscheidende Bedeutung als Energieträger zu. 

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Damit kann Stahl nahezu CO2-frei produziert werden. 

Die Transformation der Stahlindustrie ist unverzichtbar, um ihre Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland langfristig zu sichern.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Ohne diesen Wandel stehen nicht nur Standorte, sondern auch Tausende hoch qualifizierte, tariflich abgesicherte und gut bezahlte Arbeitsplätze auf dem Spiel.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn wir in diesen Wandel nicht investieren, werden wir noch lange Zeit von Stahlimporten aus dem Ausland abhängig sein. Daher braucht es an dieser Stelle gezielte Investitionen in Forschung, Infrastruktur und Förderung von grünem Wasserstoff auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene. 

Wesentlich sind zudem bezahlbare Energiepreise, stabile Netzentgelte, der Ausbau der Energienetze und ein wirksamer Schutz im Außenhandel. Deshalb ist es notwendig, einen Stahlgipfel auf EU-Ebene einzuberufen. Das ist die Forderung der europäischen Stahlindustrie. Das ist die Forderung der Gewerkschaften. Und das ist auch die Forderung der Sozialdemokraten. 

(Beifall bei der SPD - Zuruf)

Das Motto kann an dieser Stelle nur sein, den eingeschlagenen Pfad weiterzugehen. Aussagen, die eine zügige Umstellung auf grünen Stahl in Zweifel ziehen, sind ein fatales und falsches Signal an Unternehmen und an Beschäftigte. 

Die Forscher des PIK konstatieren eine Lücke in unserer Politik und im Hinblick auf die Frage, wie wir hierbei vorankommen, eine Lücke zwischen Theorie und Praxis beim Thema „grüner Wasserstoff“, eine Lücke in der Umsetzung vergangener Projekte - daran haben wir noch heute zu knaupeln  , eine zukünftige Ambitionslücke und eine zukünftige Umsetzungslücke. Aber: Es gibt gute Beispiele, die Mut machen und hoffentlich auch die Verzagten motivieren.

(Zuruf von der AfD)

Der Stahlkonzern ArcelorMittal plant, seine europäischen Werke in den kommenden Jahren mit Wasserstoff- und Elektrolichtbogenöfen zu dekarbonisieren. Unsere Fraktion hatte vor wenigen Jahren die Gelegenheit, das Werk in Bremen zu besuchen, wo sich 3 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits intensiv auf diesen Wandel vorbereiten. Die Stadt Bremen unterstützt den Umbau des Werkes und den Bau der Wasserstoffleitung mit rund 300 Millionen €. Aber: Trotz dieser Bemühungen ist die Investition nicht endgültig gesichert. Da, sehr geehrte Damen und Herren, untergraben leichtfertige Aussagen, die die Machbarkeit solcher Projekte infrage stellen, das Vertrauen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. 

(Beifall bei der SPD)

Klar ist: Eine Deindustrialisierung droht in diesem Land nicht, weil wir auf moderne Technologien setzen, sondern wenn wir die Wirtschaft in diesem Prozess alleinlassen. Auch in Sachsen-Anhalt haben wir wichtige Schritte unternommen, um hierbei voranzukommen. Zu nennen sind die Wasserstoffstrategie und das Gutachten zur strategischen Umsetzung der Landeswasserstoffstrategie. Das Gutachten besagt deutlich, dass bis zum Jahr 2045 mehr als 27 000 neue Arbeitsplätze und eine zusätzliche Wertschöpfung von 1,6 Milliarden € pro Jahr entstehen können. Auch hieran zeigt sich die wirtschaftliche Bedeutung von grünem Wasserstoff. 

Zu den Schritten in unserem Land zählt auch das Förderprogramm „Sachsen-Anhalt Zukunftsenergien“, welches aus den Bausteinen EFRE und JTF aufgebaut ist. Auch die Beteiligung an der „Initiative für Wasserstoff in Ostdeutschland“ ist ein wichtiger Beitrag. 

Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich dem zuständigen Ministerium unter Führung unseres Ministers Prof. Dr. Armin Willingmann, dem gesamten Team im Ministerium und allen denjenigen, die sich für eine zukunftsorientierte Wasserstoffstrategie im Land einsetzen. Ich danke an dieser Stelle den vielen Engagierten in Piesteritz, in Bad Lauchstädt, Leuna, Staßfurt mit „Green Octopus Mitteldeutschland“ und vielen anderen Beispielen, die wir im Land haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Meine Damen und Herren! All das - das wissen wir, weil wir die Augen aufmachen - findet eben nicht in einem abgeschotteten Raum, sondern in einer Umwelt statt, die durch den menschengemachten Klimawandel in starker Veränderung ist.

(Lothar Waehler, AfD: Die Menschen sind im Klimawandel!)

Ich habe an dieser Stelle mehrfach auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz von vor knapp vier Jahren hingewiesen. Ich will an dieser Stelle einen Teil des Gerichtsurteils zitieren, der in diesen Zusammenhang gehört: 

„Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten.“ 

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

„Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“ 

In die gleiche Richtung zielt der Weltklimarat mit seinen Hinweisen für wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entscheidungen - Zitat  :

„Wirksame Klimamaßnahmen werden durch politische Entschlossenheit, gut abgestimmte politische Steuerung und Koordination auf allen Ebenen, institutionelle Rahmenbedingungen, Gesetze, Konzepte und Strategien sowie einen verbesserten Zugang zu Finanzen und Ressourcen ermöglicht.“

Also: Klare Ziele, Koordination über vielfältige Politikbereiche hinweg und inklusive Governance-Prozesse erleichtern wirksame Klimamaßnahmen und damit die richtigen Schritte für eine zukünftige Wirtschaftspolitik. 

Auch wenn es nervt, darf an dieser Stelle nicht übersehen werden, dass die Folgen des menschengemachten Klimawandels jeden Tag bei uns „anklopfen“. Wir werden dafür in Zukunft mehr Investitionen und mehr Anstrengungen brauchen; denn das ist ein Versprechen, das wir den nachfolgenden Generationen und den eigenen Kindern geben müssen. Dieses Land wird möglicherweise nicht an zu wenig Geld, sondern an zu wenig Klimaschutz leiden. 

(Zuruf)

Denn: Kein Klimaschutz ist teurer als wirksamer Klimaschutz, keine Investitionen in zukunftsfähige Technologien sind teurer als Investitionen in zukunftsträchtige Technologien. 

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer den eingeschlagenen Weg verlassen will, und dies mit Forderungen nach einem Abbau der Windräder, weil sie - man höre! - hässlich seien, dem sage ich: Was für ein interessantes Argument.

(Beifall bei den GRÜNEN - Lothar Waehler, AfD: Ja! Weg damit!)

Wer den eingeschlagenen Weg verlassen will, und dies mit Forderungen nach einem Abbau von Windkraftanlagen, der Zurücknahme des Heizungsgesetzes, oder gar das Umweltbundesamt infrage stellt, der denkt vielleicht, dass er damit Stimmen sammelt, seriöse und verantwortbare Politik ist das jedenfalls nicht. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD)

Meine Damen und Herren! Koordiniertes Handeln aller politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträger ist das Gebot der Stunde. Klare und verlässliche Rahmenbedingungen sind für die Transformation notwendig. Das gilt auch und gerade für die Stahlbranche. Nur so kann diese Schlüsselindustrie ihre Schlüsselrolle behalten und damit Wertschöpfung sowie Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. 

Die IG Metall bringt es auf den Punkt. Bei Demonstrationen ist auf Plakaten zu lesen: „Stahl ist Zukunft“ zu lesen. Und Grönemeyer singt in seiner Hymne an seine Heimatstadt Bochum: „Du hast‘n Pulsschlag aus Stahl.“ 

Ich finde, wir haben viel Grund, dafür zu sorgen, dass es so bleibt, dass Deutschland diesen Pulsschlag behält, aber nicht mit „ständig auf Koks“, wie Grönemeyer singt, sondern mit grünem Wasserstoff. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Kleemann. - Es gibt eine Nachfrage von Herrn Heuer. 


Juliane Kleemann (SPD): 

Ja. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Heuer, bitte. 


Guido Heuer (CDU): 

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kollegin Kleemann, sagen Sie mir eine Jahreszahl, wann Sie ungefähr damit rechnen, dass grüner Wasserstoff - Sie reden die ganze Zeit nur von grünem Wasserstoff - flächendeckend einsetzbar wäre. Ich war z. B. auf dem Neujahrsempfang der IHK Halle-Dessau. Dort haben wir ganz andere Dinge gehört. Aber sei es drum. 

Das Zweite ist - ich bin etwas irritiert  : Dass Sie ein Heizungsgesetz als seriöse Politik bezeichnen, halte ich für ein Gerücht. - Danke.


Juliane Kleemann (SPD): 

Okay, welche Dinge Sie für Gerüchte halten, ist Ihre persönliche Entscheidung. Ich halte es trotzdem für ein seriöses Gesetz, weil in dem Prozess vom ersten Entwurf, einem Stichwortzettel, bis zu dem Gesetz, das wir verabschiedet haben, wirklich viel Gutes bewirkt worden ist. Ich finde, dass alle, die das Gesetz schlechtreden, nichts für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land tun; vielmehr ist das Gegenteil der Fall.

(Oh! bei der FDP)

- Ja. Sie verunsichern weiter; das finde ich unverantwortlich. 

(Unruhe bei der AfD - Guido Kosmehl, FDP: Die Partei des kleinen Mannes! - Tobias Rausch, AfD: Deswegen ist die SPD auch nicht mehr die Arbeiterpartei! Genau deswegen! - Weitere Zurufe von der AfD)

Zu Ihrer ersten Frage. Wir können weiter so tun, als ob wir die Ziele nicht erreichen, das Ziel zu groß ist. Das kann man manchen.

(Zuruf: Ja!)

Man kann sich eine ganze Weile darin gefallen, dass man viel dazu beiträgt, dass dies in Zukunft nicht stattfindet. Aber ich bin dafür, dass wir mit den Unternehmerinnen und Unternehmern, die an dieser Stelle vorangehen - und die deutsche Stahlbranche geht dabei voran  , gemeinsam nach Wegen suchen, wie der Weg gelingen kann, und nicht nach Gründen, warum das alles nicht funktioniert. 

(Zustimmung - Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Heuer.


Guido Heuer (CDU): 

Erstens. Ich habe keine Jahreszahl gehört. Andere trauen sich, das zu sagen. Es gibt dazu Beschlusslagen; das ist das eine. Das Heizungsgesetz ist eine Bevormundung der Menschen und nicht bürgerfreundlich; das ist das andere. 

Zweitens. Sie sprechen in Sachsen-Anhalt von grünem Wasserstoff für Stahl. Was ist mit grünem Wasserstoff für Ammoniak?


Juliane Kleemann (SPD):

Gern.

(Unruhe)

Dann lassen Sie uns doch investieren, damit die Übertragungsnetze funktionieren, damit die Infrastruktur aufgebaut werden kann, und nicht permanent nach Gründen suchen, warum das alles nicht funktioniert.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Unruhe)