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Plenarsitzung

Transkript

Rüdiger Erben (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche Mittwoch informierte uns Ministerin Dr. Zieschang, dass bei strafrechtlichen Ermittlungen in einem anderen Zusammenhang nationalsozialistische, antisemitische, rassistische, gewaltverharmlosende, gewaltverherrlichende, menschenverachtende, frauenverachtende sowie pornografische Nachrichten in einem Chat einer ehemaligen Klasse von Anwärterinnen und Anwärtern für den mittleren Dienst an der Fachhochschule Polizei entdeckt wurde. In den Chats sollen, beginnend ab 2017, ca. vier Jahre lang Nachrichten ausgetauscht worden sein. Von der Generalstaatsanwaltschaft wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen vier Beteiligte eingeleitet. Gegen 18 Chatteilnehmer, die sich aktuell im Polizeidienst befinden, wurden dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet, an deren Ende eine Entlassung der Beamten auf Probe aus dem Dienst stehen soll. Eine Unterrichtung des Innenausschusses ist für morgen Mittag vorgesehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist leider ein weiterer schwerwiegender Vorgang in einer längeren Kette von Vorkommnissen mit Anwärterinnen und Anwärtern der Fachhochschule Polizei. Es ist völlig berechtigt, dass wir uns heute hier auf Antrag einer Oppositionsfraktion im Hohen Haus mit diesem Vorgang beschäftigen.

Ich selbst sehe diese Kette von Vorkommnissen mit großer Sorge.

Ich verweise darauf - Frau Ministerin hat es auch schon getan  , dass dieses Vorkommnis eine ganz besondere Dimension hat. Eine ganze Klasse findet sich in einem Chat. Wenige Wochen nach Ausbildungsbeginn wird dort nationalsozialistisches Gedankengut ausgetauscht. Das geht dann über Jahre hinweg so weiter und keiner der Chatteilnehmer kommt auf die Idee, hiergegen etwas zu unternehmen. Niemand wendet sich in dem Chat dagegen und fordert, dass das aufhört. Offensichtlich informiert kein Angehöriger der Anwärterklasse einen Vorgesetzten oder eine andere Vertrauensperson. Das muss uns alle besorgen und wir müssen herausfinden, was die Ursache für ein solches Nichthandeln ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Lieber Kollege Striegel, ein weisungsunabhängiger Polizeibeauftragter ist wichtig. Wir haben ihn in dieser Koalition, in diesem Koalitionsvertrag durchgesetzt, nicht die GRÜNEN in der Kenia-Koalition. Wenn aber niemand der 26 Beteiligten bei den aktuell aufgeflogenen Vorkommnissen Anstalten macht, etwas zu unternehmen, dann ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand an einen Polizeibeauftragten gewandt hätte.

(Zuruf von der CDU: Das war ja unser Problem!)

Das heißt nicht, dass wir keinen Polizeibeauftragten brauchen. Aber dafür wäre es zweifelsohne nicht die richtige und notwendige Maßnahme gewesen.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der CDU: Genau!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur die Zahl der Anwärter in der Fachhochschule hat sich in den letzten sieben Jahren drastisch erhöht, auch ihre Struktur hat sich völlig geändert. Die Anwärter waren früher deutlich älter. Sie hatten häufig vorher Wehr  oder Zivildienst geleistet. Sie haben einen anderen Beruf erlernt. Sie waren als Persönlichkeit deutlich gereifter. Ich sage das aus eigener Erfahrung heraus.

Damals waren viele der Anwärter, wenn sie an die Fachhochschule kamen, 21 oder 22 Jahre alt und heute sind sie häufig erst 16 Jahre alt. Wer so wie ich heute erwachsene Söhne hat und einmal zurückschaut, welche Persönlichkeitsentwicklung zwischen 16 und 22 Jahren stattfindet, der wird bestätigen können, wie wichtig es ist, dass wir mit den entsprechenden Maßnahmen mit den jungen Leuten arbeiten. Die brauchen Vorbilder.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)

Die müssen an die Hand genommen werden. Deren Persönlichkeitsentwicklung muss positiv unterstützt werden. Dazu braucht man erfahrene Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die den jungen Leuten beibringen, dass die Fachhochschule der Polizei nicht irgendeine Berufsschule ist und dass der Polizistenberuf nicht irgendein Beruf ist. Es muss ein ganz besonderes Berufsethos vermittelt werden. Dafür müssen wir mehr Ressourcen einsetzen. Klassenleiter sind dabei sicherlich wichtig, aber wir brauchen vor allem die erfahrenen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch dieses Berufsbild in der Polizeiausbildung erfolgreich vermitteln.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die jüngst bekannt gewordenen Vorkommnisse müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen. Sie schädigen das Bild der Fachhochschule bei potenziellen Bewerbern, die wir dringend brauchen. Sie schädigen das Vertrauen der Polizisten in unserem Land darin, dass sie in den nächsten Jahren geeigneten Nachwuchs in ihren Dienststellen bekommen. Sie kratzen am positiven Bild der Polizei bei den Menschen in unserem Land. Hierbei gegenzusteuern, ist zuvorderst Aufgabe der Polizeiführung. Es ist aber auch eine Aufgabe des Landtages. Die morgige Sitzung in der Mittagspause wird ganz sicher nur ein Auftakt sein können. Der Klassenchat muss uns ein Weckruf sein.

Nicht alles, was der Antrag der GRÜNEN zu diesem Tagesordnungspunkt enthält, genießt unsere Unterstützung. Es gibt aber auch viel Richtiges darin und deshalb beantrage ich die Überweisung in den Ausschuss für Inneres und Sport.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Erben. Sie haben die Redezeit ein bisschen überschritten, aber jetzt gibt es zwei Fragen - einmal von Herrn Striegel und einmal von Herrn Dr. Tillschneider. Wenn Sie die zulassen, können Sie noch weiterreden.


Rüdiger Erben (SPD):

Das mache ich gerne. Frau Präsidentin, ich bitte um Vergebung, das mache ich sonst nicht.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Gerne, Herr Erben. - Herr Striegel, bitte.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Kollege Erben, ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar dafür, dass Sie das Thema Polizeibeauftragter angesprochen haben. Ich teile Ihre Skepsis nicht. Ich glaube, in einer modernen Organisation mit den unterschiedlichsten Instrumenten, die dann dazu gehören, kann auch ein Polizeibeauftragter dazu beitragen, eine Kultur zu schaffen, in der es wahrscheinlicher wird, dass sich Menschen aus solchen Situationen heraus an ihn wenden.

Meine entscheidende Frage an Sie betrifft Folgendes: Sie haben gesagt, den Polizeibeauftragten haben sie durchgesetzt. Wird dieser tatsächlich unabhängig sein? Wir haben in Thüringen erlebt, wie es läuft, wenn eine solche Vertrauensstelle nicht unabhängig ist, dass nämlich Beamtinnen und Beamte, die sich dorthin wenden, im Nachgang Probleme haben, weil die Staatsanwaltschaft sie als zunächst einmal anonyme Hinweisgeber oder Inkognitohinweisgeber dann doch vorlädt und sagt: Ihr müsst jetzt aussagen. Meine Frage an Sie: Sind die Planungen so, dass der Beauftragte tatsächlich unabhängig sein wird, d. h. auch Anonymität gegenüber den Hinweisgebenden gewährleisten kann?


Rüdiger Erben (SPD):

Sehr geehrter Herr Striegel! Ich will zuerst auf das Letzte eingehen. Sie wissen sehr wohl, dass wir - wenn es um die Frage der Unabhängigkeit des Polizeibeauftragten geht  , auch die Strafprozessordnung zu wahren haben. Der Polizeibeauftragte wird allein wegen der Wahrung von Bundesrecht nie so etwas wie ein Staatsanwalt für Polizisten sein.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

- Ja, aber doch in diese Richtung. - Die Debatte wird seit ewigen Zeiten geführt. Selbst in den Bundesländern, in denen Koalitionen nur aus glühenden Verfechtern von Polizeibeauftragten bestehen, gibt es diese völlige Unabhängigkeit nicht, weil sie an rechtliche Hindernisse stößt. Sie gibt es nicht in Berlin im Gesetz. Sie wissen auch, warum das in Hamburg vor den Baum gegangen ist.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Das müssen Sie beachten.

Nun noch einmal zurück zu Ihrer ersten Frage. Als der Klassenchat hochkam, konnte ich bei Twitter die Uhr danach stellen,

(Guido Kosmehl, FDP: Ja!

bis auch von Mitgliedern dieses Hauses die Aussage kam: Mit Polizeibeauftragtem wäre das nicht passiert. Das habe ich vorhin dargestellt. Wenn ich mich in die Gruppenstruktur dieser 26 Leute hineinversetze: Niemand hat dort irgendwelche Anstalten gemacht.

(Zurufe von Olaf Meister, GRÜNE, und von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Weshalb soll der zum Polizeibeauftragten gehen? Das schmälert nicht die Aufgabe und die Funktion, die der Polizeibeauftragte bekommen wird. Aber wir hätten das Problem dort nicht gelöst. Das wollte ich damit sagen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Erben. Jetzt hat Herr Dr. Tillschneider eine Frage.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Herr Erben, könnte es nicht sein, dass diese Äußerungen im Modus der Ironie geäußert wurden,

(Oh! bei den GRÜNEN)

dass es sich also um Witze handelt, um dumme Witze zugegebenermaßen, aber um Witze?

(Zuruf von Dr. Katja Pähle, SPD)

Ich meine, Sie sind uns jetzt als jemand bekannt, der - wie man im Volksmund sagt - zum Lachen in den Keller geht. Es wird Ihnen deshalb schwerfallen, das nachzuvollziehen. Aber noch einmal die Frage: Kann es nicht sein, dass es einfach nur dumme Witze waren und wir deshalb verbal etwas abrüsten sollten?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Erben, bitte.


Rüdiger Erben (SPD):

Ich kenne nur einen Teil von dem, was in diesen Chats geschrieben wurde. Mit Hitlerbildern macht man keine Witze.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zustimmung bei der FDP)

Mit Hakenkreuzen macht man keine Witze. Mit Tierpornografie macht man keine Witze. Und das macht man schon gar nicht, wenn man ein angehender Polizist ist. Ich will das noch einmal betonen und ich habe es auch schon mehrfach gesagt: Wir reden nicht über irgendeinen Beruf.

(Zurufe von Daniel Roi, AfD, von Guido Heuer, CDU, und von Dr. Katja Pähle, SPD)

Wir reden über junge Leute, die nachher gegenüber jedermann in diesem Lande, nötigenfalls mit einer Waffe ausgerüstet, unmittelbaren Zwang anwenden können. Über solche Leute reden wir.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Menschen in diesem Lande müssen darauf vertrauen können,

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

dass sie als Opfer einer Straftat nicht einem Polizisten gegenübertreten, der sich vorher mit dem Bild einer - wie Sie meinen: ironisch - zerstückelte Frauenleiche verlustiert hat.- Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)