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Plenarsitzung

Transkript

Thomas Lippmann (Die Linke): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle internationalen und auch nationalen Schulleistungsuntersuchungen zeigen seit Jahren, und zwar unverändert, dass in Deutschland wie in kaum einem anderen Land der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen von der sozialen Herkunft des Elternhauses abhängt.

(Beifall bei der Linken - Jörg Bernstein, FDP: Oh!)

Das ist immer wieder bestätigt worden. Man kann das für naturgegeben halten, aber man kann das nicht ernsthaft bestreiten. Man kann darüber streiten, worin der Grund liegt, ob man daran etwas ändern kann oder ob man das so hinnehmen muss.

(Zuruf von Jörg Bernstein, FDP)

Nach Überzeugung vieler, und zu denen gehören wir auch, liegt nicht der einzige, aber ein wesentlicher Grund in dem Sonderweg im deutschsprachigen Raum, nämlich einer frühen Selektion im gegliederten Schulsystem. Das sehen aber nicht alle so; das wissen wir sehr wohl. Deswegen endete diese Debatte bisher immer regelmäßig in einem Kulturkampf, in dem im Zentrum das Wohl und Wehe des deutschen Gymnasiums steht und in der es am Ende darum geht, dieses vor Veränderungen zu schützen.

Im Gegenzug dazu bleibt es dabei, dass man dann immer wieder sagt: Gut, mit den anderen muss ich auch irgendetwas machen. Dort tummeln sich dann alle. Wenn es dann Ansätze gibt, in diesem anderen Bereich, dem nichtgymnasialen Bereich, etwas zu bewerkstelligen, dann müssen wir feststellen, dass auf solchen Ansätzen, wie auf den integrierten Gesamtschulen oder den Gemeinschaftsschulen, am Ende doch immer wieder herumgetrampelt wird und dass deren Entwicklung begrenzt und eingeschränkt wird,

(Jörg Bernstein, FDP: Das macht doch überhaupt niemand! - Zurufe von Hendrik Lange, Die Linke, und von Ministerin Eva Feußner)

wie wir es im Moment erleben.

Nun stehe ich auf der einen Seite auf dem Standpunkt, dass es uns nicht weiterbringt, diesen bekannten und sich immer wieder reproduzierenden Kulturkampf weiter zu betreiben. Auf der anderen Seite ist das Ergebnis dessen, was das gegliederte Schulsystem seit Jahrzehnten liefert, überhaupt nicht zufriedenstellend. Wir können nicht immer wieder zu der Tagesordnung übergehen und sagen: Das ist halt so.

Von der Seite her war der schon erwähnte Bildungskonvent ein wesentlicher Ansatz, den außer ein paar ganz, ganz wenigen Protagonisten, zu denen ich mich zähle, niemand mehr kennt.

(Dr. Katja Pähle, SPD: Die Ministerin aber auch noch!)

Diese Broschüre, diese Empfehlungen liegen im Schreibtisch, wenn sie denn überhaupt noch irgendwo im Schreibtisch oder im Schubkasten liegen. Ein Bürgerrat ist durchaus ein geeigneter Weg, um die Niederungen dieser ideologischen Schützengräben zu verlassen und um aus Landtagswahlkämpfen herauszukommen.

Aber, liebe Kollegin Sziborra-Seidlitz, dazu brauche ich einen geeigneten Zeitpunkt und auch eine geeignete Fragestellung. Wir hätten uns gut vorstellen können, dass wir das im Hinblick auf die nächste Legislaturperiode im Bildungsausschuss hinsichtlich einer geeigneten Fragestellung diskutiert hätten. Ich glaube, man muss das am Anfang einer Legislaturperiode und nicht am Ende einer Legislaturperiode machen. Aber dem Grunde nach brauchen wir eine Befreiung aus dieser ideologischen Zwangsjacke. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Lippmann, es gibt eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider und eine Nachfrage von Frau Feußner. - Zunächst Herr Dr. Tillschneider, bitte.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Herr Lippmann, als Sie von dem deutschen Gymnasium gesprochen haben, konnten Sie Ihren Widerwillen kaum verbergen. Das deutsche Gymnasium ist doch eine wunderbare Institution. Es ist das Rückgrat unseres Bildungssystems. Wenn man sich mit Schulen, z. B. Schulpforta, wo schon Nietzsche zur Schule gegangen ist, beschäftigt, dann stellt man fest: Es hat eine großartige Geschichte. Das deutsche Gymnasium ist großartig. An dieser Stelle frage ich mich doch: Weshalb haben Sie diesen Widerwillen gegen das deutsche Gymnasium? Weshalb sind Sie nicht stolz auf das deutsche Gymnasium? Weshalb wollen Sie das deutsche Gymnasium vernichten?

(Lachen bei der Linken und bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Lippmann, Sie können antworten.


Thomas Lippmann (Die Linke): 

Sehen Sie, Herr Tillschneider, ganz ausnahmsweise antworte ich Ihnen. Üblicherweise antworte ich auf Ihre Fragen oder Interventionen nicht, weil es das nicht wert ist.

(Zuruf von Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD)

Diese Fehlinterpretation will ich ausdrücklich zurückweisen. Ich habe etwas anderes gesagt. Ich habe weder einen Widerwillen gezeigt, noch habe ich irgendetwas von Abschaffung des deutschen Gymnasiums gesagt.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Ich habe lediglich hervorgehoben, dass der Kern dieses nur in Deutschland betriebenen Kulturkampfes um das Schulsystem, und zwar um das gegliederte Schulsystem, das deutsche Gymnasium ist. Denn es geht immer darum, ein System um das Gymnasium, das mit Klasse 5 beginnen muss, herum zu schaffen, und darum, es davor zu schützen, dass es durch andere Schulformen Konkurrenz bekommt oder davor, dass es sich vielleicht behaupten muss.

Das Problem ist nicht das deutsche Gymnasium. Deswegen spreche ich auch nicht dagegen. Das Problem ist, dass es zu wenig klare Überlegungen gibt, was ich denn mit den anderen mache. Das war der Kern meiner Überlegungen.

(Beifall bei der Linken)

Dazu sagt man immer: Wir haben das deutsche Gymnasium und der Rest ist auch noch da. Der Rest sind aber zwei Drittel des Jahrgangs. Dort kommen die Handwerker usw. her. Das Problem ist, dass das deutsche Gymnasium ganz oben steht. Der Rest kommt ganz weit dahinter. Das Problem des gegliederten Schulsystems ist nicht das Gymnasium, sondern das, was außerhalb des Gymnasiums passiert.

(Beifall bei der Linken)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Wir kommen zu der Nachfrage von Frau Feußner. - Frau Feußner, bitte.


Eva Feußner (Ministerin für Bildung):

Über Ihre Reaktion auf die Intervention bin ich erschüttert; denn Sie sprechen schon wieder von dem   R e s t   der Schüler. Alle Schüler, die nicht zum Gymnasium gehen, sind bei Ihnen der   R e s t.

(Zustimmung - Stefan Gebhardt, Die Linke: Bei Ihnen! - Hendrik Lange, Die Linke: Sie behandeln sie so!)

Darüber bin ich absolut erschüttert. Wenn man so mit Schülerinnen und Schülern und den Schulformen umgeht, dann muss man sich nicht darüber wundern, welches Ergebnis dabei herauskommt. Aber das ist nur eine Bemerkung meinerseits.

Ich habe eine Frage. Gesetzt dem Fall, man entschließt sich in Sachsen-Anhalt, in Deutschland nur noch Gemeinschaftsschulen anzubieten:

Im Land setzen Sie sich derzeit ganz vehement dafür ein, dass Schulstandorte nicht fusionieren oder in Kooperation zusammengeführt werden. Jede kleine Schule muss erhalten bleiben. Wissen Sie, wie eine Schullandschaft in Sachsen-Anhalt aussehen würde, wenn wir nur noch Gemeinschaftsschulen hätten und wie viele Standorte neu errichtet und andere wiederum geschlossen werden müssten, wenn Ihr Modell, das Sie präferieren, umgesetzt werden würde?

Man muss schon bei der Wahrheit bleiben: Wenn man sich für kleine Schulstandorte einsetzt, dann kann man keine gemeinsame Beschulung organisieren. Das sehen wir in der Stadt Halle. Dort sind die Gesamtschulen einfach viel zu klein, um eine eigenständige gymnasiale Oberstufe vorzuhalten. Dort führen drei Gesamtschulen gemeinsam eine Oberstufe, weil sie zu wenig Schülerinnen und Schüler haben.

Wenn man sich für solche Schulformen einsetzt, dann muss man auch über die Konsequenzen reden. Sind Sie sich der Konsequenzen bewusst? - Wenn ja, stellen Sie sie gern dar, damit alle Bürgerinnen und Bürger mitbekommen, was das für die Schulstandorte heißt.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Das war eine Frage der Abg. Feußner. - Bitte, Herr Lippmann.


Thomas Lippmann (Die Linke): 

Liebe in dem Fall Abg. Feußner, es handelt sich jetzt um eine Auseinandersetzung mit, wie man es so sagt, einer selektiven Wahrnehmung aus Ihrem Gedankengebäude heraus.

(Jörg Bernstein, FDP: Das war eine klare Frage!)

Wir sprechen nicht von dem Rest, sondern Sie erzeugen den Rest.

(Beifall bei der Linken)

Das gegliederte Schulsystem erzeugt     Man kann sich doch dazu bekennen. Man kann auch sagen, dass man es so will. Aber man kann nicht für bestimmte Strukturen sorgen und dann zu den Ergebnissen sagen, dass diese nicht so seien; das geht nicht. Man muss sich zu den Ergebnissen bekennen. In einem selektiven Schulsystem, das sich an Noten orientiert, gibt es Kinder mit guten Noten, die auf das Gymnasium gehen, und in die anderen Schulen gehen die Kinder, die es nicht auf das Gymnasium geschafft haben. Es gibt doch gar keine andere Wahrheit.

(Unruhe bei der CDU)

Dann kommt es zu Problemen in den Schulformen, die nicht Gymnasium sind. Ich spreche nicht vom Rest, sondern ich sage, dass wir eine andere Schulpolitik brauchen. Wenn wir schon am Gymnasium festhalten wollen, dann brauchen wir eine andere Politik, die sich mit den Schulen beschäftigt, die nicht Gymnasien sind. Um diese müssen wir uns mehr kümmern als um die Gymnasien. Das ist die Botschaft.

(Beifall bei der Linken)

Alles andere, was Sie jetzt gesagt haben, sind, so sage ich, Tatsachenbehauptungen, die nicht belegt sind. Ich kann und will mit Blick auf die Frage, was es bedeuten würde, wenn wir z. B. neben dem Gymnasium, wenn wir schon daran festhalten, eine komplette Gemeinschaftsschulstruktur hätten, die etwas taugt, jetzt genauso wenig das Gegenteil belegen. Ob dies dann zu mehr oder weniger führt, müsste man sich angucken. Das wissen Sie, sage ich, genauso wenig, wie ich es weiß.

(Eva Feußner, CDU: Das weiß ich ganz genau!)

- Nein! Nur wenn Sie Ihre Vorgaben hochziehen und von den Gemeinschaftsschulen, von den Gesamtschulen, z. B. diese Mindestschülerzahl von 75 in der Oberstufe verlangen, und die Kooperation nicht zulassen, dann sind das natürlich andere Geschichten.

(Zustimmung bei der Linken)

Auf der Schulstruktur in Halle herumtrampeln    

(Hendrik Lange, Die Linke: Das ist 14 Jahre lang gutgegangen!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Die Nachfrage der Abgeordneten ist vom Redner beantwortet worden. - Somit kommen wir zum nächsten Redner.