Tobias Krull (CDU):
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag hat sich bereits mehrfach mit der Situation von Pflegekräften in Sachsen-Anhalt beschäftigt. Dabei hat die Coronapandemie wie ein Brennglas bei der Betrachtung der Probleme gesorgt, die wir schon länger in diesem Bereich haben.
Im Titel zur Beantragung dieser Aktuellen Debatte ist richtig formuliert, dass Klatschen und Dankesbekundungen für die dort Beschäftigen nicht reichen. Mit wenigen Ausnahmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, können wir die realen Arbeitsbedingungen in diesem Bereich nicht aus eigenem Erleben beurteilen. Wir kennen sie nur aus Beschreibungen der Beschäftigten, aus schriftlichen Unterlagen oder Medienberichten.
Als Politikerinnen und Politiker sind wir gefordert, zu hinterfragen, warum sich Pflegekräfte, die sich bewusst für dieses Berufsfeld entschieden haben, häufig bereits nach wenigen Berufsjahren eine berufliche Alternative suchen. Genauso wenig können wir das Berufsfeld so gestalten, dass möglichst viele Menschen dieses sinnstiftende Arbeitsfeld für sich entdecken.
Wir haben auch in Sachsen-Anhalt die generalisierte Pflegeausbildung gestartet. Die bisherigen Erfahrungen mit dieser neuen Form der Ausbildung sind maßgeblich durch die Sondersituation der Pandemie geprägt. Dabei läuft bei Weitem nicht alles so glatt, wie man sich das wünschen könnte.
So gibt es immer wieder Abstimmungs- und Regelungsbedarf, damit die angehenden Pflegefach-kräfte alle vorgesehenen Stationen in Krankenhäusern, psychiatrischen Einrichtungen, Pflegeeinrichtungen sowie Pflegediensten absolvieren können.
Positiv zu verzeichnen ist, dass die Anzahl derjenigen, die eine solche Ausbildung beginnen, gestiegen ist. Dabei spielt sicher eine verlässliche Zukunftsperspektive eine große Rolle. Bei meinen Gesprächen mit den angehenden Fachkräften höre ich immer wieder, dass es die Erfahrungen aus dem Familien- und Freundeskreis sind, die sie dazu bringen, für sich ein entsprechendes Berufsfeld zu wählen.
Es bleibt aber abzuwarten, ob die Binnenverteilung zwischen Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen oder mobilen Pflegediensten wie gewünscht und am Bedarf orientiert erfolgt. Hier besteht keine direkte Steuerungsmöglichkeit durch den Staat diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei , aber wir haben ein berechtigtes Interesse daran, dass alle Leistungsanbieter ihr jeweils benötigtes Personal gewinnen können.
Wir verfügen in Sachsen-Anhalt auch über Ausbildungskapazitäten für die akademische Ausbildung von Pflegepersonal. Aus Sicht meiner Fraktion ist das richtig und wichtig und im Stellenwettbewerb der Pflege und der medizinischen Behandlung deutlich zu machen. Eine generelle Akademisierung der Pflegeberufe lehnen wir aber ab, auch weil es darum geht, jungen Menschen, die keine Hochschulreife haben, diesen Weg einer Berufstätigkeit nicht zu verwehren.
Mit dem Coronasondervermögen haben wir darüber hinaus den Weg freigemacht, damit auch Pflegehelferinnen und Pflegehelfer eine Ausbildungsvergütung erhalten. Das ist aus meiner Sicht übrigens für alle sozialen Berufe notwendig. Wie wollen wir Menschen dazu motivieren, einen Beruf zu ergreifen, wenn sie während der Ausbildung keine Vergütung erhalten, während das z. B. im gewerblichen Bereich oder bei der Ausbildung im öffentlichen Dienst Usus ist?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das deutsche Gesundheitssystem ist sicher nicht perfekt, aber deutlich besser als sein Ruf, der hier manchmal verbreitet wird. Die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems liegt vor allem im Engagement des medizinischen Personals, ärztlich wie nichtärztlich, begründet.
Aber warum hören viele nach nur zehn Jahren im Beruf wieder auf? - Ein Erklärungsmuster, das immer wieder ins Feld geführt wird, auch heute, ist die Bezahlung. Die alte CDU-geführte Bundesregierung hat eine Ist-Kosten-Erstattung der Pflegekosten im Krankenhausbereich beschlossen. Das Ziel war und bleibt es, dass die Träger der Krankenhäuser nicht auf Kosten des Pflegepersonals andere Ausgaben finanzieren. Damit besteht also keinerlei wirtschaftlicher Anreiz mehr, hier Personalausgaben zu sparen.
Wenn man sich die Gehaltsstrukturen im Vergleich anschaut, ist durch den Arbeitnehmermarkt auf diesem Gebiet festzustellen, dass die früheren Unterschiede durch die Angleichung abgebaut worden sind. Dabei ist festzustellen das muss man auch selbstkritisch analysieren , dass in Krankenhäusern im Regelfall besser bezahlt wird als in stationären Pflegeeinrichtungen oder bei mobilen Pflegediensten.
Dabei spielt die Trägerschaft, privat, frei gemeinnützig, staatlich oder kommunal, keine wesentliche Rolle. Diejenigen, die in den Medien immer wieder als Negativbeispiele aufgeführt werden, sind hinlänglich bekannt, und es gehört auch zur Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier mit den Füßen abstimmen.
Eine wertschätzende Bezahlung ist wichtig. Aber mit Blick auf die aktuelle Lage, glaube ich, haben wir zum einen deutliche Fortschritte gemacht. Zum anderen muss man im Umkehrschluss die Frage stellen, wie die Finanzierung erfolgen soll. Einseitig zu Lasten der Krankenkassen bzw. der Beitragszahler - das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Die Antragsteller haben beim Coronasondervermögen eine eigene Bonuszahlung des Landes beantragt und dies bereits heute schon erwähnt. Ich gestatte mir den Hinweis, dass die damalige Sonderzahlung des Bundes bereits durch den entsprechenden Landesanteil erhöht wurde. Ob die damalige Sonderzahlung all diejenigen erreicht hat, die es verdient hätten, ziehe ich persönlich in Zweifel. Zum Beispiel wurden jene nicht beachtet, die in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe tätig sind oder in Einrichtungen der Eingliederungshilfe arbeiten oder die als Reinigungskraft zur Sicherung der Hygienestandards beitragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das wohl entscheidende Kriterium bezüglich der Unzufriedenheit von Pflegekräften liegt in den Arbeitsbedingungen selbst begründet. Wir alle kennen die Klagen über Stress, fehlendes Personal und zu viel Bürokratie.
Das fehlende Personal ist dabei der Hauptgrund für die hohe Arbeitsbelastung und die häufig fehlende Planbarkeit, was z. B. Schichtdienste angeht. Es ist eine Art Teufelskreis. Weniger Personal führt zu mehr Frust bei den Beschäftigten, die noch da sind, weitere verlassen den Beruf und die vorhandenen Aufgaben werden auf noch weniger Schultern verteilt, weil die Arbeit nicht liegen bleiben kann.
Allein ein kurzer Blick auf die Prognose zur Bevölkerungsentwicklung macht deutlich, dass die bestehenden Probleme durch den steigenden Fachkräftebedarf weiter wachsen werden. Es muss zum einen gelingen, die Pflegefachkräfte im Beruf zu halten. Hier kann eine Entlastung durch digitale Möglichkeiten und technische Unterstützung erfolgen. Das Ausfüllen entsprechender Dokumente an einem Tab oder Rechner ist schneller und effektiver als auf Papier. Die körperlichen Belastungen, z. B. durch das Anheben von Patienten, können durch entsprechende technische Hilfsmittel deutlich reduziert werden. Dies kann den unmittelbaren Kontakt zur Patientin und zum Patienten nur unterstützen, aber nicht ersetzen.
Zum anderen müssen wir Menschen davon überzeugen, ins Berufsbild einzusteigen. Das ist extrem schwierig; denn es gibt faktisch keine Branche, die nicht über Nachwuchs- oder Fachkräftemangel klagt.
Vorgestern hatten wir dazu eine Debatte bezüglich der Lehrerinnen und Lehrer. Mit Herrn Keindorf sitzt in meiner Fraktion der Präsident der Handwerkskammer Halle/Saale, der das gleiche Lied singen wird. Auch in weiteren sozialen Berufen wie in den Kindertagesstätten wird auf reichlich Berufsnachwuchs gehofft.
Also gilt es, hier unterschiedliche Maßnahme zu ergreifen. Neben einer realistischen Berufsorientierung gilt es, Personen, die schon Berufserfahrung haben und nach neuen Betätigungsfeldern suchen, auf dieses Arbeitsgebiet aufmerksam zu machen. Ich verweise hier gern auf die Aktion des Magdeburger Pflegestammtisches mit seinem Tag der Pflegeberufe im Alten Rathaus, wo sich die Agentur für Arbeit, das Jobcenter und die Stadtverwaltung, Aus- und Weiterbildungseinrichtungen sowie potenzielle Arbeitgeber für Pflegekräfte sich und ihre Arbeit vorstellen.
Wer sagt, wir könnten unseren Fachkräftebedarf aus dem Ausland decken, dem muss ich die Frage stellen, wie er sich das vorstellt. Es gibt z. B. ganz praktische Probleme bei der Anerkennung der fachlichen Qualifikation. Hier wünsche ich mir ein deutlich schnelleres Verfahren. Es geht auch um sprachliche und kulturelle Kompetenzen. Diese lassen sich im beruflichen Alltag erlernen, aber eine Grundkompetenz sollte auf jeden Fall von Anfang an vorhanden sein.
Es geht auch darum, dass es gegenüber den Herkunftsländern nicht fair ist, die Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Natürlich ist jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger bei der Wahl seines Ar-beitsplatzes frei, aber schauen wir z. B. nach Polen. Auch dieses Land steht vorgewaltigen Herausforderungen aufgrund der Demografie, und ist daher selbst auf die medizinischen Fachkräfte zur Versorgung angewiesen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Komplexität des Themas ist hoffentlich deutlich ge-worden. Daher ist es mein Wunsch, den vorliegenden Antrag, bei dem die einbringende Fraktion selbst Nachbesserungsbedarf gesehen hat, federführend im zuständigen Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung zu debattieren sowie im Finanzausschuss und dem Ausschuss für Wissenschaft mitberatend. Ich bitte um eine entsprechende Überweisung.
Bei allen Debatten dürfen wir vor allem die pflegenden Angehörigen nicht vergessen; denn der übergroße Teil der Pflegebedürftigen in Sachsen-Anhalt wird daheim umsorgt, betreut und gepflegt.
Mir ist bewusst, dass ein Dank des Hohen Hauses an die Beschäftigten, die direkt oder indirekt für die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems verantwortlich sind, nicht zur unmittelbaren Verbesserung der dortigen Arbeitsbedingungen führt. Persönlich halte ich ihn aber nicht nur für mehr als angemessen, sondern für eine faktische Notwendigkeit als Zeichen des Respekts, der Wertschätzung und der Danksagung. In diesem Sinne: Vielen Dank an alle, die dort tätig sind.
(Beifall)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Krull, es gibt eine Frage von Herrn Rausch. Wollen Sie die beantworten?
Tobias Krull (CDU):
Ja.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dann stellen Sie sie bitte, Herr Rausch.
Daniel Rausch (AfD):
Sehr geehrter Herr Krull, Sie sprechen immer von Wertschätzung. Glauben Sie, dass die Pflegekräfte wertgeschätzt werden, wenn Sie ihnen mit einer Impfpflicht drohen? Haben Sie nicht die Sorge, dass noch mehr Pflegekräfte den Beruf aufgeben?
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können antworten.
Tobias Krull (CDU):
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Rausch, das Thema einer Impfpflicht für diejenigen, die mit besonders Schutzbedürftigen zu tun haben, wurde auf Bundesebene diskutiert. Dort gab es eine Entscheidung pro Impfpflicht. Das ist übrigens nicht die einzige Impfpflicht, die wir in Deutschland haben. Wir haben das z. B. auch bei den Masern oder im Bereich von Covid 19.
(Zurufe)
Für die Angehörigen der Bundeswehr existiert diese Impfpflicht bereits. Ich kenne auch die Befürchtungen, die hier geäußert wurden, dass dann viele Fachkräfte aufhören. Wir haben vermutlich alle den gleichen Brief in den Postkästen gehabt, in dem sich jemand mit „eine Pflegekraft aus Deutschland“ gemeldet hat. Ich finde solche Schreiben immer etwas problematisch.
Ich finde es gut, wenn man tatsächlich einen Adressaten hat. Ich kann auch vieles schreiben, aber die Befürchtungen, die geäußert worden sind, haben sich in anderen europäischen Ländern nicht bewahrheitet, sondern es sind nur sehr wenige Fälle aufgetreten, in denen das Personal aufgehört hat. Im Regelfall hat man sich gesagt, zum persönlichen Schutz und zum Schutz meiner Patientinnen und Patienten werde ich mich impfen lassen.
Das hat sicherlich auch etwas mit dem Berufsethos zu tun. Meine Erfahrung ist, dass sich gerade aktuell viele dazu entschließen, die Impfung tatsächlich wahrzunehmen. Das finde ich auch gerechtfertigt; denn es geht hierbei um den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft. - Vielen Dank.
(Beifall)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Es gibt noch eine Frage von Herrn Kirchner. Wollen Sie diese auch noch beantworten?
Tobias Krull (CDU):
Gern, Herr Präsident.
(Lachen)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dann bitte, Herr Kirchner. Ob er es gern tut oder nicht, ist mir egal. Er würde sie also beantworten. Herr Kirchner, Sie können sie stellen.
Oliver Kirchner (AfD):
Es ist nur eine kurze Verständnisfrage. Wir tragen heute alle diese schönen rosa Bänder um den Arm. Jetzt leuchtet mir bei Ihnen das orangefarbene Band entgegen. Ich möchte nur fragen, ob Sie wie Wolfgang Petry mehrere Bänder Gut, okay. Das hat sich schon erledigt. Danke schön.
(Lachen)
Tobias Krull (CDU):
Ich kann das gern aufklären. Es gibt eine kleine Wette, ob ich mir tatsächlich jeden Tag das Band hole, das beibehalte und mich auch jeden Tag testen lasse. Das tue ich. Von der Testmöglichkeit, die wir hier im Landtag haben, sollten übrigens möglichst alle Abgeordneten Gebrauch machen, mit oder ohne Impfung.
(Beifall)