Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Transkript

Franziska Weidinger (Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei einem Heranwachsenden handelt es sich nicht um eine ersatzlos abzuschaffende Rechtsfigur, sondern um einen Menschen,

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Oliver Kirchner, AfD: Bei den Opfern übrigens auch!)

der zur Tatzeit 18 und noch nicht 21 Jahre alt war. Dass diese Personengruppe häufiger durch die Begehung von Straftaten auffällt als andere, ist eine empirisch sehr gut belegte Tatsache.

Nachdem im Jahr 1975 die Volljährigkeit durch eine Änderung in § 2 BGB von der Vollendung des 21. auf die Vollendung des 18. Lebensjahres herabgesetzt worden war, bleibt die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende seither schon dann begründet, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

In diesem Lebensabschnitt sind und waren zu allen Zeiten in allen Gesellschaftsformen die häufigsten Normverletzungen zu beobachten, die oft auch die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten. Die Regelungen des Jugendgerichtsgesetzes zur Ahndung dieses Fehlverhaltens folgen dabei soziologischen und kriminologischen Erkenntnissen, rücken den Erziehungsgedanken deutlich in den Vordergrund und stellen dem Jugendgericht einen breiteren Sanktionskatalog zur Verfügung, als nach dem Erwachsenenstrafrecht möglich wäre.

Dass dies nicht erfolglos ist, belegen langjährige Erkenntnisse. Viele als Jugendliche und Heranwachsende strafrechtlich sehr auffällige Personen verüben in späteren Lebensjahren überhaupt keine Straftaten mehr. Trotzdem werden gerade nach besonders schweren und die Öffentlichkeit aufwühlenden Straftaten junger Menschen die für Jugendliche und Heranwachsende bestehenden Sonderregelungen regelmäßig infrage gestellt. Dies betrifft insbesondere die obere Grenze des Anwendungsrahmens der Sonderregelungen für Heranwachsende, regelmäßig aber auch den unteren Rahmen, wenn etwa Forderungen nach der Absenkung der Grenze der Strafmündigkeit des Kindes von bislang 14 Jahren laut werden.

Forderungen nach Änderung oder Abschaffung der Anwendung der Regelungen des JGG auf bestimmte Personenkreise werden auch immer wieder an den hierfür zuständigen Bundesgesetzgeber herangetragen. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder diskutierten fachlich im Jahr 2018 über eine regelmäßige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende. Eine entsprechende Änderung fand keine überwiegende Unterstützung.

Gründe, die zwingend eine Streichung der Einbeziehung Heranwachsender in das Regelwerk des JGG rechtfertigen, sind weder offenkundig noch aktuell aus der gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Praxis des Landes an mein Haus herangetragen worden. Auch die aktuelle Lage in Sachsen-Anhalt lässt keinen unmittelbaren gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkennen.

Im Januar berichtete mir der Generalstaatsanwalt in Naumburg, dass die in Sachsen-Anhalt angezeigte Jugendkriminalität im letzten Jahr nicht signifikant zugenommen habe. Der prozentuale Anteil tatverdächtiger Jugendlicher und Heranwachsender an der Gesamtkriminalität im Bundesland sank von 34,9 % im Jahr 2001 auf 15,3 % im Jahr 2021 und auf 15,4 % im Jahr 2022. Deshalb ist der Antrag aus justizfachlichen Gründen abzulehnen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Besonders wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters durch Gerichte voraussetzt, die in Ausübung ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen sollten nicht derart generalisierend infrage gestellt werden.

Eine weitere Schwäche des Antrages: Tatursächlich festgestellte Reife- und Entwicklungsstörungen eines Heranwachsenden sind ohnehin auch bei der Anwendung des allgemeinen Strafrechts bei der Beurteilung der Schuld- und Straffrage zu dessen Gunsten zu berücksichtigen und führen regelmäßig zur Minderung einer Sanktion. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)