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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich gleich zu Anfang unmissverständlich klarstellen: Ich bin nicht bereit, eine Aktuelle Debatte zum Thema Massenvertreibung zu führen.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung wird diesbezüglich auch nicht mögliche Maßnahmen diskutieren. Jedwede Überlegung dazu ist mit unserem Grundgesetz und unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung schlicht und einfach unvereinbar. 

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

„Remigration“ ist vollkommen berechtigt das Unwort des Jahres 2023 geworden. Nach der Begründung der Jury ist es eine beschönigende Tarnvokabel, ein Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zur Massendeportation von Menschen mit Migrationsgeschichte. Dies lehne ich, dies lehnt die Landesregierung mit aller Entschiedenheit ab.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die Berichterstattung des Recherchenetzwerkes „Correctiv“ hat einer breiten Öffentlichkeit dargelegt, was sich hinter dem Remigrationskonzept der AfD verbirgt. Es war zu erwarten, dass die AfD nun behauptet, sie sei Opfer einer großen Diffamierungskampagne geworden und verstehe Remigration ganz anders. Diese Behauptungen sind so viel wert wie der Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD mit der Identitären Bewegung,

(Lachen und Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

nämlich rein gar nichts.

(Unruhe bei der AfD - Zuruf von der AfD: Was soll denn das?)

Nicht erst seit dem Treffen in Potsdam wissen wir, dass Abgeordnete und Mitarbeiter der AfD 

(Zuruf: Nee!)

seit Jahren einen engen Austausch mit der rechtsextremistischen Identitären Bewegung pflegen.

(Zuruf von der AfD: Ihre fünf Kollegen nicht?)

Genauso wissen wir auch, dass ein AfD-Bundestagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt die Identitäre Bewegung in Deutschland und Österreich regelmäßig mit Geldspenden im vierstelligen Bereich finanziell unterstützt.

(Oh! bei der AfD) 

Und der Abg. Mertens hat ja gerade das Buch des Identitären Sellner hier stolz präsentiert.

(Zuruf von der CDU: Ja! - Zurufe von der FDP - Unruhe bei der AfD)

Doch zurück zu dem, was die AfD in ihren öffentlich zugänglichen Verlautbarungen unter Remigration versteht. Nach Martin Sellner, der bis zum letzten Jahr Sprecher der rechtsextremistischen Identitären Bewegung in Österreich war, fallen unter das Remigrationskonzept drei Gruppen, nämlich Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und - ich zitiere - nicht assimilierte Staatsbürger. - Zitatende. 

Darüber spricht Sellner ganz offen und für jedermann zugänglich im gut zwanzigminütigen Video von „CompactTV“ vom 28. Dezember 2023.

(Zurufe von der AfD)

Vom Remigrationskonzept sind nach Sellner rund 24 Millionen Menschen erfasst. 

(Unruhe bei der AfD)

Von denen die eine Hälfte Ausländer und die andere Hälfte deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund sind.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Doch es ist eben nicht nur Sellner, der dies offen sagt.

(Unruhe bei der SPD und bei der AfD)

Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, schreibt in seinem im letzten Jahr im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek erschienenen Buch „Politik von Rechts. Ein Manifest“ zur Remigration Folgendes - ich zitiere -: Aber selbst wenn sich eine restriktive und differenzierende Einwanderungspolitik in zehn Jahren politisch durchsetzen ließe - was angesichts der anstehenden ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen zumindest vorstellbar ist -, bleibt die Frage, was mit den dann im Land befindlichen Menschen mit Migrationshintergrund geschehen soll. Das werden prognostisch über 25 Millionen Menschen sein; davon deutlich über 15 Millionen deutsche Staatsangehörige. 

Und wenn der Abg. Moldenhauer vor einem Jahr bei Facebook postet - ich zitiere -: Klare Frage, klare Antwort: Illegale und kulturfremde Zuwanderer sofort millionenfach abschieben! - Zitatende  , 

(Zurufe von der AfD)

dann kann er nicht allein 

ausreisepflichtige Ausländer meinen, sondern er meint auch alle als fremd wahrgenommenen Menschen.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD: Ach was!)

Denn weder Anfang 2023 noch heute gab oder gibt es in Deutschland millionenfach ausreisepflichtige Ausländer. Dazu wurde schon ausgeführt.

(Zuruf von der AfD)

Allein die Verwendung oder die Übernahme des Begriffes „Passdeutscher“ sagt übrigens alles.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ja! - Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Diesen Begriff kennt das deutsche Recht nicht,

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

weil es keine Staatsangehörigen erster und zweiter Klasse gibt.

(Unruhe bei der AfD)

Wer das Wort „Passdeutscher“ im Mund führt, 

ist vom Ariernachweis nicht mehr weit entfernt.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD)

Die AfD zeigt auch auf, wie die Remigration von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund erfolgen soll. Es soll der - ich zitiere - „Assimilationsdruck auf nicht integrierte Ausländer“ erhöht werden. Das geht aus einer öffentlichen Stellungnahme der Fraktionsvorsitzenden Ost der AfD hervor.

(Unruhe bei der AfD)

In einem Interview mit der rechtsextremistischen Bestrebung „Ein Prozent e. V.“ erklärt der Abg. Siegmund, dass sich der AfD dafür schon bei der Regierungsübernahme auf der Landesebene Möglichkeiten böten, die - ich zitiere - vielschichtiger und weitreichender - Zitatende - seien, als weithin angenommen werde.

(Ulrich Siegmund, AfD. Wo habe ich das gesagt?)

Er konkretisierte dies dahin gehend, dass er den allgemeinen Kontrolldruck auf Gewerbetreibende mit Migrationshintergrund erhöhen wolle.

(Oh! bei der AfD - Unruhe bei der FDP - Zurufe von den GRÜNEN - Zuruf von der AfD: Super! - Ulrich Siegmund, AfD. Das stimmt doch nicht!)

Ein Vorstandsmitglied der Jungen Alternative Sachsen-Anhalt wurde im September 2021 schon deutlicher. Bei Instagram veröffentlichte sie ein Bild, das in blauer Schrift die handgeschriebene Parole „Gäste jagen!“ an einer Wand des Stendaler Bahnhofs zeigt. Sie unterlegte dieses Bild mit dem Lied „Bitte hör nicht auf zu träumen“. 

(Zuruf von der AfD)

Diese wenigen Zitate sprechen eine unmissverständliche Sprache. Ich könnte weitere hinzufügen. Aber ich denke, eines ist klar geworden: Unter „Remigration“ versteht die AfD eben nicht allein die Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer, sondern auch die Vertreibung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund.

Wir alle sollten wissen, wohin solche Vertreibungspläne in der deutschen Geschichte letztendlich geführt haben. 

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Wir hätten heute über vieles debattieren können. Wir hätten darüber diskutieren können, dass das Migrationsgeschehen viele Bürgerinnen und Bürger im Land bewegt und damit auch Sorgen und Ängste verbunden sind. Wir hätten darüber debattieren können, dass in Sachsen-Anhalt insgesamt 1 800 ausländische Menschen leben und dass sich der ganz überwiegende Teil dieser Menschen hier rechtmäßig und rechtskonform aufhält. Viele arbeiten in unserem Land als Hochqualifizierte, als Fachkräfte oder als ungelernte Hilfskräfte.

Wir hätten auch darüber debattieren können, dass Sachsen-Anhalt mit den rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln konsequent ausreisepflichtige Ausländer abschiebt. Im Jahr 2023 hat Sachsen-Anhalt die Zahl der Abschiebungen um 54 % steigern können. 

(Zuruf von der AfD)

Bundesweit waren es nur 27 %.

Wir hätten darüber debattieren können, dass das Rückführungsverbesserungsgesetz, das letzte Woche im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, nicht ausreichend ist und Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam in der praktischen Umsetzung aller Voraussicht nach unmöglich macht bzw. auf jeden Fall erheblich erschwert. 

Aber solche inhaltlichen Debatten verbieten sich unter der Überschrift des verfassungswidrigen und perfiden Konzepts der Remigration.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Ministerin, Dr. Zieschang. - Wir sind in der Aktuellen Debatte. Es ist üblich, dass bei einer Fünfminutendebatte oder bei einer Aktuellen Debatte zwei Fragen oder Interventionen pro Fraktion zugelassen werden. Bei der AfD haben sich jetzt gemeldet in der Reihenfolge zuerst Herr Lieschke, dann Herr Rausch, dann Herr Lizureck und zum Schluss Herr Dr. Moldenhauer, also zwei von vier. 

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

- Herr Rausch, bitte? 

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

- Sie ziehen die Wortmeldung für Herrn Moldenhauer zurück. Dann wäre Herr Lieschke der erste Redner. Dann müssten Sie sich jetzt einigen. - Herr Lieschke. Ich gehe jetzt nach der Reihenfolge der Meldung.


Matthias Lieschke (AfD): 

Werte Frau Zieschang, danke für den wirklich sehr polemischen Beitrag in meinen Augen.

(Lachen bei der AfD)

Ich ging eher davon aus, dass man als Ministerin ein bisschen sachlich daran geht.

(Unruhe - Zurufe von der AfD und von der SPD)

Ich war mir nicht sicher, ob das eine eher parteipolitische Geschichte war oder ob Sie als Ministerin gesprochen haben.

(Zurufe von der AfD, von der LINKEN und von der FDP - Zuruf von der SPD: Das ist durchaus sehr polemisch!)

Wir waren gemeinschaftlich mit dem Innenausschuss in Griechenland. Ich halte Griechenland durchaus für ein sicheres Drittland, so würde ich es einmal nennen.

Vom Ministerium für Migration, das sie dort extra gebildet haben, wurde klar kommuniziert, dass 95 % aller, die dort ankommen, nach sechs Monaten den Status kriegen, Sie können weiter auf die Reise gehen, und das ganz offiziell. 95 % dieser afrikanischen Zuwanderer kommen nach Deutschland. Das war die klare Aussage. Sie haben das auch gehört.

Sind Sie wirklich der Meinung, dass diese Leute, die keinen Asylschutz haben, hier in Sachsen-Anhalt leben sollen dürfen? Denn in unsere Rechtsprechung passt es nicht rein. Deswegen wäre wirklich meine sachliche Information dazu: Wie sehen Sie das? Diese Leute, die halt aus wirtschaftlichen Gründen kommen, die keinen Asylstatus haben, sollen die alle hierbleiben? Das wäre eine klare Aussage, die die Bürger verstehen könnten.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Dr. Zieschang.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Erst einmal wurden in Griechenland andere Aussagen getätigt, und jeder, der sich ein bisschen mit Migrationsströmen auskennt, 

(Zuruf von der AfD)

weiß ja, dass gerade auch über die Griechenlandroute vor allem syrische und afghanische Menschen kommen. Sie wissen auch, dass die Anerkennungsquote bei Syrern und Afghanen aufgrund der Zustände in ihrem Land sehr, sehr hoch ist. Insofern passt schon das Beispiel nicht. Aber Sie wissen auch bei mir, dass ich sehr wohl ganz klar differenziere. Ich sage sogar: Das Grundrecht auf Asyl werden wir nur dann schützen können, wenn eben dieses Recht denen zusteht, die tatsächlich einen Asylgrund haben. 

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Menschen, die keinen Asylgrund oder einen anderen Schutzgrund haben, müssen zurückgeführt werden, auch in Form der Abschiebung. Das - das habe ich Ihnen dargelegt - habe ich im Jahr 2023 getan, sogar erfolgreicher als andere Bundesländer.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Zieschang. - Herr Rausch hatte für Herrn Dr. Moldenhauer auf einen Redebeitrag verzichtet. - Bitte, Herr Dr. Moldenhauer.


Dr. Jan Moldenhauer (AfD): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, da ich gerade namentlich angesprochen wurde: Im Grunde genommen brechen doch nicht wir die Verfassung oder wollen das tun. Das sind doch Sie und die anderen Altparteien,

(Zurufe von der CDU, von der SPD und von der AfD - Oliver Kirchner, AfD: Ja!)

weil Sie eben das Asylrecht nicht konsequent anwenden, weil Sie eben Personen, die aus sicheren Drittstaaten illegal einreisen, nicht in diese Drittstaaten zurückweisen, sondern sie hier belassen. Wenn ich dann in einem Facebook-Post sage, dass diese Millionen Menschen, die illegal aus sicheren Drittländern eingewandert sind, zugewandert sind, in diese sicheren Drittländer, wo sie einen Asylantrag hätten stellen können und müssen, wenn sie denn Asyl beantragen wollen, wenn wir fordern, dass diese Menschen in ein anderes sicheres Drittland zurückverbracht werden, dann brechen Sie die Verfassung und nicht wir. Wir würden sie konsequent anwenden. - Punkt 1.

Punkt 2. Sie haben den Begriff der Remigration mit Massenvertreibung gleichgesetzt und haben da auch versucht, eine Verbindung zu uns herzustellen. Das weise ich wirklich entschieden zurück. 

(Zurufe von der AfD)

Ich möchte dazu auf die Drs. 8/731 hinweisen; das ist ein Antrag von uns. Und zwar geht es darin um die Remigration ausgewanderter deutscher Fachkräfte. Da haben wir vier Forderungen. Unter anderem wollen wir Umzugs- und Remigrationskosten für diese Fachkräfte, die wir zurückholen wollen, die Sie millionenfach vertrieben haben - zwischen 1991 und 2005  3 Millionen deutsche Fachkräfte! - und die wir mit einem ein Anreizsystem zurückholen wollen, erstatten. 

Wenn es dann auch Anreize für die Rückreise von illegalen Zuwanderern geben soll, damit die im Grunde genommen in ihre angestammten Siedlungsgebiete zurückkommen, 

(Oh! bei der CDU)

weil sie illegal eingewandert sind, 

(Zurufe von der SPD und von der AfD)

dann ist das eine ganz legitime Forderung und hat mit Verfassungsfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun. 

(Beifall bei der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Dr. Zieschang, bitte.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Ich kann nachvollziehen, dass es hart ist, mit eigenen Aussagen konfrontiert zu werden.

(Lachen bei der SPD - Beifall bei der CDU, bei der LINKEN und bei der SPD - Zurufe von der SPD, von den GRÜNEN, von Guido Kosmehl, FDP, und von Dr. Jan Moldenhauer, AfD)

Sie haben gesagt, dass Sie kulturfremde Zuwanderer sofort millionenfach abschieben wollen.

(Zurufe von der AfD: Illegal! Das haben Sie gerade anders vorgelesen! - Weitere Zurufe von der AfD)

Ich habe „illegale und kulturfremde Zuwanderer sofort millionenfach abschieben“ gesagt.

(Zuruf von der AfD: Immer schön bei der Wahrheit bleiben! - Weitere Zurufe von der AfD))

Aber nach unserem Recht steht eben auch fest, wer ausreisepflichtig ist und wer nicht, 

(Zurufe von der SPD und von der AfD)

und das ist der große Unterschied. Wir definieren es nach Recht und Gesetz

(Zurufe von der AfD)

Bei Ihnen legen Sie fest, wer hier illegal ist und wer nicht, und das ist Willkür.

Der letzte Satz: Der Wolf im Schafspelz muss es eben zur Kenntnis nehmen, wenn ihm der Schafspelz heruntergerissen worden ist.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP, bei den GRÜNEN und von der Regierungsbank)