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Plenarsitzung

Transkript

Jörg Bernstein (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde jetzt gerne das Thema in ein anderes Fahrwasser lenken, 

(Zuruf von der AfD: Schade!)

und mich mit einem Thema beschäftigen, das heute noch gar nicht richtig zur Sprache gekommen ist, nämlich die Frage der naturwissenschaftlichen Bildung. Diese wirkt sich insbesondere in den Studiengängen und auch dem Zugang zu technischen Berufen aus.

Im Januar 2023 schrieb Prof. Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zum Thema MINT unter der Überschrift „MINT-Mangel: Der Fachkräftemangel bedroht den deutschen Wohlstand“ Folgendes - ich zitiere  : 

„Immer weniger junge Menschen studieren MINT-Fächer, zeigen neue Zahlen des Statistischen Bundesamts. Für Deutschland sind das alarmierende Nachrichten. Schon jetzt fehlen rund 140 000 MINT-Experten - Tendenz steigend.“

Ich denke, das sind alarmierende Zahlen. Diese Aussage setze ich einmal in Bezug zu solchen plakativ geäußerten Floskeln wie: Wir müssen den Innovationsturbo zünden. Wenn man dann nachschaut, was insbesondere jene, die solche Aussagen tätigen, studiert haben, dann stellt man fest, es sind vorwiegend sozialwissenschaftliche Studiengänge. 

(Jan Scharfenort, AfD: Ja!)

Ich glaube, an der Stelle kommen wir dem Thema nicht bei, denn diese Forderung ist zwar kurz und knackig formuliert, löst aber keine Probleme. Sie löst weder die Probleme in den Studiengängen und bei den Absolventen noch im Facharbeiterbereich. Denn mangelhafte mathematische Kenntnisse wirken sich unter anderem bei einem Malerauszubildenden aus, wenn er dadurch nicht in der Lage ist, den Flächenbedarf zu errechnen.

Es besteht offensichtlich ein mangelndes Interesse an MINT-Fächern. Wir sollten uns fragen, wie unsere Lösungsansätze aussehen; nicht nur fragen, sondern - darauf weise ich hin  : Wir haben auch tatsächlich Lösungsansätze. 

An erster Stelle steht - darüber müssen wir nicht diskutieren - die ordentliche Unterrichtsversorgung. Wenn wir das in Bezug auf die berufliche Ausbildung denken, dann stellen wir fest, es betrifft den Sekundarbereich I, was die potenziellen Auszubildenden angeht, dort ist die Unterrichtsversorgung am schlechtesten. Das ist ein großes Problem. 

Aber andererseits denke ich, der Zugang von Quereinsteigern mit entsprechenden fachlichen Kenntnissen kann insbesondere dieses Interesse wecken. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Naturwissenschaftler, der selbst aus der Praxis kommt, dann auch Unterricht gibt, dann ist das sicherlich ein durchaus beachtenswerter Anreiz. - Ein erster Ansatz.

Ein zweiter Ansatz ist die Nutzung von außerschulischen Lernorten. 

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Wenn man sich einmal im Land umschaut, dann wird man ein vielfältiges Angebot an unterschiedlichsten Lernlaboren im Bereich der Naturwissenschaften entdecken können, insbesondere bei uns in Sachsen-Anhalt. 

Ich hatte das große Glück, in der vergangenen Woche an der MINT-Regionalkonferenz, die im Bundesumweltamt ausgerichtet wurde, teilzunehmen und dort interessante Gespräche führen zu können - Gespräche, die ich bereits früher geführt habe, mit den unterschiedlichsten Vertretern aus diesen Einrichtungen. Sie gaben mir folgende Rückmeldungen. Dort besteht der Wunsch nach stärkerer Vernetzung im Land, nach einer klaren landesweiten Struktur und einer verlässlichen Finanzierung.

Wenn man sich einmal diese Initiativen und die Projekte anschaut, dann kann man sehen: Sie arbeiten meistens unter den oftmals gescholtenen, zu Recht gescholtenen, Damoklesschwert dieser - ich sage es einmal so - Projektitis. Ich habe für einen bestimmten Förderzeitraum Mittel zur Verfügung. Es werden tolle Ergebnisse erzielt und danach? Still ruht der See. Das ist eigentlich der Punkt, den wir uns nicht leisten können.

Ich erinnere mich dabei an ein Gespräch mit Frau Prof. B. von der Hochschule Anhalt. An der Hochschule gibt es die DELA, digital.learning.lab, das ist eine ganz coole Sache. Was sie entwickelt haben, ist eine App, die nennt sich „Make up your MINT“. 

(Angela Gorr, CDU: Das ist gut!)

Die richtet sich ganz speziell an Schülerinnen - ohne Sprechpause  , also weibliche Besucherinnen einer Lerneinrichtung. Man versucht, über solche Wege ein wenig gegen Klischees zu tun und so auch jungen Frauen, Mädchen die Naturwissenschaften schmackhaft zu machen.

Was ich als besonders positiv erwähnen möchte, Frau Ministerin, ist, dass in dem Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2024 erstmals ganz explizit Mittel für die außerschulischen Lernorte in ganz annehmbarer Höhe zur Verfügung gestellt werden. Explizit ist dort das Projekt „Chemie zum Anfassen“ an der Hochschule Merseburg genannt, aber auch andere Maßnahmen werden sich dadurch entsprechend fördern lassen.

(Ministerin Eva Feußner: Ja!)

Um naturwissenschaftliche Kenntnisse in ihrer Gesamtheit umfassend vermitteln zu können, haben wir uns im Koalitionsvertrag auch auf Modellprojekte zum fächerübergreifenden Unterricht verständigt. Jetzt geht mein Blick einmal in Richtung des Kollegen Lippmann. Diese Modellprojekte sehen wir nicht als Kapitulation vor der Bildungsmisere an, nach dem Motto: Jetzt muss der Biologielehrer Mathematik unterrichten, der kann das auch. Vielmehr sehen wir es in der Richtung, dass man sagt: Durch einen solchen fachübergreifenden Unterricht, der z. B von der inhaltlichen Vermittlung gerade Kern von solchen MINT-Laboren bspw. ist, werden die vielfältigen Verknüpfungen und Facetten von naturwissenschaftlichen Unterrichtseinheiten im wahrsten Sinne des Wortes greifbar gemacht.

Jetzt ist der Kollege Kosmehl gerade nicht anwesend. In Wolfen gibt es das ganz tolle ABI Lab, das in Richtung chemische Ausbildung ausgerichtet ist. Dort kann man z. B. kleine Glasplatten bedampfen; man hat also selbst Fotozellen hergestellt, entsprechende Schaltkreise aufgebaut   da war Physik dabei, Chemie, alles, was man hierfür letztendlich in der Gesamtheit kennenlernen kann.

In diesen Zusammenhang ist auch das Vier-plus-eins-Modell einzuordnen. Dieser eine Tag kann bei guter Planung - das sage ich ganz bewusst - einen wertvollen Beitrag zur Senkung von Unterrichtsausfall leisten. Ich habe die Möglichkeit, Betriebspraktika einzurichten. Ich kann meinen Schülern gut konzipierte digitale Lernangebote präsentieren. Ich kann über die zur Verfügung stehenden Budgets Honorarkräfte einbinden. Ich kann auch die Zeit dafür nutzen, ein MINT-Labor in meiner Region zu besuchen.

Das war z. B. auch ein Anknüpfungspunkt: Die Frage nach der Struktur dieser MINT-Angebote im Lande; dass man dazu sagt: Das Beste wäre doch, wenn der einzelne Kollege in der Schule quasi zückfertig einen Ordner nehmen könnte und darin hätte er die entsprechenden Vorbereitungen.

In die Richtung denkt z. B. auch Intel. Wenn man sich das einmal anschaut, dann kann man sehen: Intel will nicht nur hier investieren, sondern will auch ganz gezielt in unsere Schulbildung nicht investieren - das würde ich gar nicht einmal sagen  , sondern Unterstützung bieten. Sie haben ein Programm, das heißt „Skills for innovation“. Das sind tatsächlich Lernmodule, die der einzelne Kollege - sogar kostenfrei, soweit ich weiß - nutzen kann.

Auf lange Sicht sehe ich Lösungsansätze auch in neuen Formen der Lehramtsausbildung. Damit greife ich ganz gezielt das Thema der dualen Lehramtsausbildung mit einem hohen Praxisanteil auf. Dies führt dazu, dass auch in der späteren unterrichtlichen Vermittlung die praktischen Kenntnisse vermittelt werden. 

Neben den Maßnahmen am Lernort Schule möchte ich auf weitere Lösungsansätze eingehen. Zum Beispiel wird oftmals die fehlende Ausbildungsreife von jungen Menschen kritisiert. An dieser Stelle greift z. B. die Einstiegsqualifizierung EQ bzw. EQ plus. Während der Ausbildung werden ausbildungsbegleitende Hilfen von Bildungsträgern landesweit angeboten und von den Arbeitsagenturen finanziert. 

Ein weiteres Thema ist mir wichtig: Damit wir nicht nur auf bereits qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland setzen, sondern auch hier im Bildungsbereich verstärkte Anstrengungen unternehmen, muss das als übergreifende Aufgabe einer Schule wahrgenommen werden. Es kann also nicht sein, dass sich die Kollegen, die sich an der Berufsschule mit dem Deutschunterricht beschäftigten, nur damit auseinandersetzen. Als Zielrichtung sollte auch sprachsensibler Unterricht im Fachunterricht für Jugendliche, die Deutsch als Muttersprache haben, erfolgen. 

Ich habe die Förderung von jungen Erwachsenen vergessen. Ich habe z. B. bei der von mir betreuten Ausbildung von Bürokaufleuten oftmals junge Muttis kennengelernt, die in jungen Jahren schon Kinder bekommen haben und dann lange nicht in den Beruf gekommen sind, weil schon das dritte Kind da war. Sie haben sich mit 27 Jahren noch einmal auf die Schulbank gesetzt. Wenn man das will, dann klappt das auch.

Was all diesen Maßnahmen gemein ist - jetzt wird langsam die Redezeit knapp  : Wenn man die Hand reicht, dann muss man diese Hand auch annehmen. Also, Fördern und Fordern müssen eine Einheit bilden. 

(Zustimmung bei der FDP, von Angela Gorr, CDU, und von Elke Simon-Kuch, CDU)

Es wurde schon gesagt: Leistungsbereitschaft muss geweckt werden. Man kann sich auch einmal die Hände schmutzig machen, davon bricht keinem ein Zacken aus der Krone. Es gibt Arbeiten - das muss man anerkennen  , die nicht zu allgemeiner Selbstverwirklichung führen, die aber trotzdem gemacht werden müssen. Dieses Bewusstsein muss bei vielen Menschen wieder Einzug halten. Dabei möchte ich es bewenden lassen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Bernstein. Es gibt eine Intervention von Herrn Dr. Tillschneider. - Herr Dr. Tillschneider, bitte. 


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD): 

Es geht ein um Thema, zu dem mich ernsthaft Ihre Meinung interessiert. Sie haben in Ihrer Rede als ein Mittel gegen den Fachkräftemangel Programme gelobt, die dafür sorgen, dass sich Frauen atypischerweise für MINT-Fächer interessieren. 

Während meiner meine Ausbildungszeit im Studium gab es solche Maßnahmen noch nicht. In der Physik betrug der Männeranteil 80 %; der Frauenanteil betrug 20 %. Das war bei allen naturwissenschaftlichen Fächern so. Damals gab es keinen Fachkräftemangel. In der Romanistik war es umgekehrt: 80 % Frauen und 20 % Männer. Wenn man eine Physiker-Romanisten-Party gemacht hat, war es wieder ausgeglichen; aber Spaß beiseite. 

(Lachen bei der AfD) 

Der Versuch, krampfhaft Frauen, die sich aus freien Stücken mehrheitlich nicht zu diesen Fächern hingezogen fühlen, in diese Fächer zu drängen, halte ich nicht für einen Teil der Lösung, sondern vielleicht eher für einen Teil des Problems. Wenn Sie mir das erklären können, wäre ich Ihnen sehr dankbar. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Bernstein, möchten Sie das beantworten? 


Jörg Bernstein (FDP):

Ja, gern. Ich versuche es. - Wenn die mögliche Bewerberzahl für einen naturwissenschaftlichen Studiengang durchaus limitiert ist, kann man versuchen, diese Bewerberzahl dadurch zu vergrößern, dass sich auch Menschen, in dem Fall junge Frauen, die das nicht unbedingt in ihrem Berufsplan hatten, in ihren Überlegungen zur Studienrichtung damit auseinandersetzen, oder?

(Lothar Waehler, AfD: Aber wenn sie das nicht möchten?)

- Wer zwingt denn da? Wenn sie das nicht möchten     Die Frage ist doch Quark. Es wird doch keiner gezwungen, diese App auf das Handy zu laden und jeden Nachmittag zwei Stunden lang MINT-Aufgaben zu lösen. 

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)