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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ganz kurz vorweg zwei, drei Richtigstellungen.

Zunächst zum individuellen Kfz-Verkehr. Die Menschen zahlen tatsächlich über ihre Steuern mehr Geld in den Bundeshaushalt ein - und das seit Jahren  , als für den Straßenbau verwendet wird.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und bei der AfD - Guido Kosmehl, FDP: Richtig! - Ulrich Siegmund, AfD: Genauso ist es!)

Beide Aufgaben, beide Mobilitätsformen werden natürlich, was die Infrastruktur betrifft, erheblich subventioniert.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Ich habe gerade einmal die Zahlen für das Azubi-Ticket heraussuchen lassen. Wir haben einen Hintergrundpreis, der um das Dreifache über dem liegt, was die Azubis selbst bezahlen müssen. Also, auch das ist eine Subvention, die wir vornehmen,

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

und das sage ich als Liberale für beide Mobilitätsformen völlig unemotional und absolut wertfrei; denn für mich ist wichtig, dass wir den Menschen eine Infrastruktur zur Verfügung stellen, in der sie überall im Land mobil sein können.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Frau Lüddemann und die GRÜNEN haben so schön darübergeschrieben: „Freiheitsgarant“. Ich bin der festen Überzeugung, Mobilität, tagtäglich dahin zu fahren oder zu gehen zu gehen, wohin man möchte, ist Freiheit,

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

auch, sich finanziell leisten zu können, das zu tun, was man in diesem Bereich möchte. Das ist für mich wichtig. Ich habe hier auch bereits mehrfach betont, dass es nicht darum geht, gute und schlechte Mobilitätsformen zu haben, sondern schlicht und ergreifend um ein entsprechendes Angebot für alle Menschen in unserem Land.

(Thomas Staudt, CDU: Ohne Bevormundung, ganz wichtig!)

- Ohne Bevormundung.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich möchte gern zu Beginn meiner Rede etwas zitieren:

„Wir haben aber im Land Sachsen-Anhalt die Situation, dass der Nahverkehr - vorsichtig gesagt - wenig ausgebaut ist. Ein solches Ticket trifft auf eine unvorbereitete Infrastruktur. In manchen Orten fährt nur alle zwei Stunden ein Bus. Der Schülerverkehr ist früh und nachmittags der einzige Nahverkehr. Am Wochenende gibt es gar keinen Nahverkehr.“

Wir finden, denke ich, alle, dass dies eine treffende Beschreibung der Situation in Sachsen-Anhalt ist. Das Zitat ist von Frau Lüddemann

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ja, genau, das ist richtig! - Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

aus der Diskussion zum 365-Tage-Ticket, als wir versucht haben, klarzumachen, dass wir im Land genau mit diesem Angebot, auf das wir uns als Koalitionspartner verständigt haben, herausfinden wollen, was wir tun können, um den ÖPNV im Land Sachsen-Anhalt so gut aufzustellen, dass man die Chance hat, auch aus kleineren Orten ohne Pkw und ohne Fahrrad - das ist mir auch wichtig - mobil zu sein.

(Zustimmung von der FDP - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ja! - lange: Und nun? - Zuruf von der AfD)

Vor diesem Hintergrund kommen wir jetzt einmal zum 9-€-Ticket. Ja, das 9-€-Ticket hat die Funktion erfüllt, für die es gedacht war: Es sollte Menschen von Kosten entlasten; darum ist es gegangen. Preiswerte Mobilität - hat funktioniert.

Aber: Wir haben wie durch ein Brennglas auch noch einmal die ganzen Probleme dargestellt bekommen, die der ÖPNV gerade in unserem Land hat. Wir hatten Zugräumungen, und ja, auch ich habe an dem einen oder anderen Montag, wenn ich die Berichte gelesen habe, gedacht: Hoffentlich ist da nicht mehr passiert als das, was berichtet wurde, weil wir auf den Hauptstrecken, die wir im Land haben - das ist Magdeburg - Berlin oder Uelzen, Halle - Kassel bzw. Halle - Leipzig - überhaupt nicht das Angebot haben bzw. überhaupt nicht in der Lage waren, etwas dazuzubestellen, das den Bedarf - in dem Fall, bei 9 € - hätte auffangen können.

(Zuruf von der FDP: Ja!)

Dafür hatten wir viele Ecken im Land, in denen der Busfahrer auch weiterhin mit sich selbst gefahren ist.

(Ulrich Siegmund, AfD: Richtig! - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Genau! - Weitere Zurufe von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Das heißt, wir wissen schlicht und ergreifend nach diesem Stresstest, dass unser ÖPNV in Sachsen-Anhalt nicht auf derartige Situationen vorbereitet ist. Deshalb bin ich immer noch der Auffassung, die ich auch schon zum 365-Tage-Ticket vorgetragen habe: Wir müssen als Land Sachsen-Anhalt zunächst alles daransetzen, den ÖPNV in unserem Bundesland so zu ertüchtigen, dass er den Menschen bei aller Freiheit auch eine entsprechende Mobilität garantieren kann.

(Zustimmung bei der FDP)

Nun nehme ich wahr, dass Frau Lüddemann ihre Position zu der Frage, wann ein ÖPNV geeignet ist, dann ändert, wenn es ganz besonders billig wird, in diesem Fall 9 €, 49 € oder 69 €. „Ganz billig“ heißt in diesem Fall in der Praxis - das sage ich Ihnen heute hier voraus  : Wenn wir das, wie es im Antrag gewünscht ist, tun würden und sich der ÖPNV in Sachsen-Anhalt keinen Zentimeter mehr verbessern würde, weil wir schlicht nicht das Geld dafür haben     Nicht, weil wir wie Bayern sagen: wir wollen das nicht - die könnten es, wollen es aber nicht  , sondern wir können dieses Geld überhaupt nicht zur Verfügung stellen.

Damit alle hier im Raum eine Vorstellung haben, worüber wir sprechen: Im Augenblick zahlen wir jährlich etwas über 400 Millionen € für den ÖPNV in Sachsen-Anhalt. Wir müssen, wenn der Bund seine 1,5 Milliarden € gibt, 60 Millionen € Landesmittel im Jahr beisteuern. Ich freue mich jetzt schon auf die klugen Vorschläge von den GRÜNEN, wo wir hingehen, um diesen Betrag einzusparen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich höre es doch gerade schon. Wir haben das im Haushalt nicht, es braucht überhaupt niemand nachzusuchen. Im Übrigen kommen auch noch andere Punkte hinzu, die ebenfalls wichtig sind. Dann haben wir schlicht und ergreifend das Problem, dass wir eine Diskussion über die anderen Ressorts führen, und ich kann mir schon sehr gut vorstellen, was passiert. Dazu verweise ich auf etwas, worauf Sie ebenfalls schon die ganze letzte Legislaturperiode hingewiesen haben: das Thema Regionalisierungsmittel. Auch dort bin ich gespannt: 31 Millionen € für den Schülerverkehr sowie das Azubi-Ticket und wie Sie das dann entsprechend heben wollen, damit wir unsere Verpflichtungen dem Bund gegenüber erfüllen.

Daher empfehle ich uns bei diesem Thema allen ein wenig Seriosität. Wir sollten aufhören, den Menschen zu versprechen, dass das überhaupt funktioniert. Wir werden keinen besseren ÖPNV in Sachsen-Anhalt bekommen, wenn wir jetzt in ein solches Ticket einsteigen. Anders als der eine oder andere Kollegen aus Bundesländern, die noch prekärer unterwegs sind als Sachsen-Anhalt, habe ich das meinen Kollegen in der Verkehrsministerkonferenz auch gesagt.

Ich würde es gern tun, und wenn wir in Sachsen-Anhalt in einer anderen Situation wären, würde ich wahrscheinlich auch sagen: Ja, das könnte man machen - wobei ich, ehrlich gesagt, finde, dass der Preis schon ein wenig höher sein müsste, damit er auch eine Lenkungswirkung hat. Aber ob er tatsächlich im Monat bei 400 € liegen muss? Dafür gibt es im Übrigen aktuell ein Ticket, mit dem Sie durch ganz Deutschland fahren und fast jede Bahn, jede Straßenbahn und jeden Bus nutzen können: die BahnCard 100. Damit können Sie vielleicht nicht mit der Rübelandbahn fahren, vielleicht würde Sie auch die Pioniereisenbahn in Vatterode nicht mitnehmen,

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Meine Güte, wie peinlich ist das denn jetzt?!)

aber alle anderen Straßenbahnen und Busse in Deutschland nehmen Sie mit. Das bedeutet, dass es über den Preis funktioniert. Wir sprechen über einen Preis und nicht über das Ticket. Dabei stellt sich die Frage, wo wir zwischen den knapp 400 € auf der einen Seite und den gewünschten 49 oder 69 € auf der anderen Seite landen müssen, damit wir ein attraktives Ticket haben.

Ich sage auch ganz offen: Mir ist es egal, ob die Menschen damit zur Arbeit und zurück fahren oder ob sie ihre Freizeit damit gestalten. Das ist etwas, was ich nie bewerten würde. Aber wir müssen natürlich schauen, dass wir Mobilität im Land hinbekommen und sie sinnvoll, auch gesteuert durch die Nachfrage, organisieren, sodass wir sagen können: Sachsen-Anhalt ist ein Bundesland, in dem es egal ist, welche Form von Mobilität ich nutze; ich finde immer eine gute Infrastruktur, ein gutes Angebot im ÖPNV und kann mich im Land frei bewegen.

Was wir jetzt tun, ist, den Menschen etwas zu suggerieren, was wir nicht sinnvoll und auf Dauer umsetzen können, und ich fürchte ganz ehrlich, dass wir das in den nächsten ein, zwei Jahren bereits merken werden;

(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

denn die Diskussionen hier im Landtag, im Finanzausschuss, aber auch in den Fachausschüssen werden, denke ich, sehr dynamisch werden, nicht nur im nächsten, sondern auch im übernächsten Jahr, sodass ich uns empfehle, in eine andere Richtung zu gehen, seriös zu schauen, was wir tun können, und zu sehen: Wie kommen wir zu sinnvollen Lösungen? Ich glaube, dabei haben wir uns auf einen guten Weg begeben, auch mit den Koalitionspartnern, um dafür zu sorgen, dass Sachsen-Anhalt in dieser Hinsicht zukunftsfähig aufgestellt wird. Das, was hier vorgeschlagen wird, führt uns eher zurück. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Es gibt drei Nachfragen, zunächst Herr Lange, danach Frau Dr. Pähle und Frau Lüddemann. - Zunächst Herr Lange, bitte.


Hendrik Lange (DIE LINKE):

Ich schätze Sie ja sehr, aber das Problem an Ihrer Argumentation ist doch: Selbst wenn uns der Bund die 1,5 Milliarden € für irgendetwas zur Verfügung stellen würde, würden Sie sagen: Die 60 Millionen € überfordern uns.


Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Genau


Hendrik Lange (DIE LINKE):

Das Problem an Ihrer Argumentation ist ja, dass Sie sagen, wir müssten erst einmal den ÖPNV ausbauen.


Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Genau.


Hendrik Lange (DIE LINKE):

Aber Sie würden ja keinen Euro mehr für den Ausbau des ÖPNV ausgeben, weil Sie selbst sagen: Die 60 Millionen € haben wir nicht.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ach, was ist denn das für ein Schwachsinn!)

Damit beißt sich doch Ihre Argumentation in den Schwanz. - Das ist das Erste.

Die Frage, die ich danach stellen möchte, lautet: Wie stehen Sie zu der Aussage, dass uns das Dienstwagenprivileg in jedem Jahr deutschlandweit 3 Milliarden € kostet und diese 3 Milliarden € für die Besserverdienenden in diesem Land sofort zur Verfügung gestellt werden könnten, um den ÖPNV auszubauen?

(Zurufe von Cornelia Lüddemann, GRÜNE, und Ulrich Siegmund, AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Dr. Hüskens, bitte.


Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Das mache ich gern. Zunächst, Herr Lange: Frau Lüddemann hat schon darauf hingewiesen, dass es eine deutliche Forderung der Verkehrsminister an den Bund gibt - Sachsen-Anhalt ist ebenfalls dabei  , die Zusage aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, den Ländern mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ich bin gespannt!)

Mithilfe der folgenden beiden Punkte - erstens, dass zukünftig aus den Regionalisierungsmitteln keine Mittel mehr für andere Aufgaben genutzt werden, und zweitens, dass uns der Bund mehr Geld zur Verfügung stellen möge - möchte ich das Geld generieren, das wir brauchen, um das eine oder andere im ÖPNV in unserem Bundesland verbessern. Das ist mein Ziel, und dafür bin ich im Augenblick unterwegs, und ich denke, dass wir es als Bundesland Sachsen-Anhalt in aller Deutlichkeit, aber auch in aller Freundlichkeit den anderen Ländern gegenüber umsetzen.

Ich kann mir zum Beispiel auch vorstellen, muss ich ganz offen gestehen, dass wir den sogenannten Kieler Schlüssel, der bei den Regionalisierungsmitteln angewendet wird, noch einmal ändern. Ich weiß nicht, warum Bundesländer wie Berlin, Hamburg und Bremen, die bei allen entsprechenden Themen immer enorm und forsch unterwegs sind, eigentlich überhaupt Geld aus diesem Topf bekommen müssen; denn eigentlich müsste sich dort der ÖPNV selbst tragen, wenn ich mir die Preisgestaltung anschaue und das, was beispielsweise Berlin tun möchte, das gesagt hat: Okay, wir können auch den Rest des Jahres in Berlin sehr kostengünstig fahren. Ich würde es als interessanten Ansatz sehen, dass Flächenländer mit geringen Einwohnerzahlen - wie Sachsen-Anhalt - anders bedacht werden. Das wäre zum Beispiel eine Herangehensweise, bei der ich es super fände, wenn sie die GRÜNEN unterstützen würden.

(Beifall von Thomas Staudt, CDU - Thomas Staudt, CDU: Sehr gut, da könnt ihr ruhig klatschen!)

Zum Thema Dienstwagenprivileg. Allein der Begriff ist schon ein wenig bizarr.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ja? Ist er nicht!)

- Ja, doch, ist er wohl, Herr Lange. Vielleicht liegt es wirklich daran, dass Sie sich wahrscheinlich noch nie mit diesem Thema beschäftigt haben. Ich habe einmal überlegt, was eigentlich passieren würde, wenn wir es in Deutschland ähnlich wie die skandinavischen Länder machen würden, dass Fahrzeuge, die dienstlich genutzt werden, ein andersfarbiges Kennzeichen haben. Ich glaube, wir würden überrascht sein, wie viele gerade kleine Fahrzeuge mit einem entsprechenden Kennzeichen durch die Gegend fahren.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Es ist kein Privileg, denn natürlich muss sich jeder für sich selbst ausrechnen - vor allem als Arbeitnehmer  , ob sich das überhaupt lohnt. All dies sind Dinge, die wir berücksichtigen müssen.

(Zuruf von der AfD)

Dieses Bild zu zeichnen, dass ein Dienstwagen nur etwas für die Superreichen ist, die wir so massenhaft im Land haben, finde ich immer ein bisschen unseriös. Es ist ähnlich wie Ihr Plakat „Reiche besteuern!“.

(Ja! bei der FDP und bei der CDU!)

Dazu muss ich ehrlich sagen: So etwas ist eigentlich nur dazu geeignet, Menschen auf den Baum zu jagen und die Spaltung in unserer Gesellschaft weiter voranzutreiben.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei der AfD - Hendrik Lange, DIE LINKE: Ich sag mal so: Das ist Klassenkampf von oben, was Sie machen! - Guido Kosmehl, FDP: So ein Schwachsinn!)

Herr Lange, weil auch ich Sie enorm schätze; ich schätzte Sie eigentlich sehr: Sie wissen es eigentlich besser.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Nein! - Zuruf: Das ist ja noch schlimmer!)

Deshalb möchte ich wirklich darum werben, dass wir alles, was gerade versucht, soziale Spaltung in unser Land zu bringen für die Menschen, die ohnehin schon Angst und Sorgen haben,

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Sie organisieren doch gerade die soziale Spaltung mit Ihrer Partei!)

nicht noch weiter vorantreiben.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Sie organisieren die soziale Spaltung!)

- Nein, Herr Lange, jetzt sind nicht Sie an der Reihe, sondern Frau Dr. Pähle. Sie hat sich nämlich gemeldet.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Aber der freundliche Zwischenruf ist doch …)

Ja, aber kein Dialog. - Frau Dr. Pähle.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich habe wirklich nur eine Frage als Endnutzerin. Ich gebe zu, ich habe den großen Vorteil, in einer großen Stadt zu leben. Der ÖPNV dort ist gut.

(Guido Kosmehl, FDP: Na ja, groß … - Lachen bei der CDU - Hendrik Lange, DIE LINKE: Hallo?)

- In Sachsen-Anhalt im Vergleich schon.

Ich nutze den ÖPNV rege, weil ich einfach auch die Struktur zur Verfügung habe. Sie haben gerade ausgeführt, die Frage ist gar nicht, ob es nicht auch vorher ein solches Ticket gab. Sie haben quasi auf die BahnCard 100 verwiesen. Nur: Der Preis ist doch ein deutlich anderer.

Ich habe mich etwas gefragt. Das 9-€-Ticket wurde vor seiner Einführung von unglaublicher Skepsis begleitet: Wie bekommen das die unterschiedlichen Verkehrsverbünde hin, wie funktioniert das mit der Anerkennung? Ich war sehr überrascht: Meine Abo-Karte der HAVAG war unproblematisch in der Deutschen Bahn, in der Regionalbahn etc. pp auszulesen. Das ist etwas, was ich mir vorher nicht vorstellen konnte.

Wenn dieses Ticket doch vorher schon vorhanden war, nur zu einem anderen Preis, wurde es in diesem Zusammenhang nie genutzt? Hat darüber keiner geredet? Woher kam insbesondere die Skepsis über die Anwendungspraxis, wenn doch eigentlich an dieser Stelle nichts Neues - in Anführungsstrichen - erfunden wurde?


Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Also, Frau Pähle, wissenschaftlich kann ich Ihnen das jetzt nicht erläutern. Aber ich kann einmal ein bisschen anekdotische Evidenz zeigen. Ich bin sechs Jahre lang zwischen Magdeburg und Halle gependelt, mit der Bahn, mit der Straßenbahn, in Magdeburg manchmal mit dem Bus, je nachdem. Natürlich stellt jeder Berufspendler für sich immer eine Berechnung an. Man überlegt: Was ist das Günstigste? Habe ich weitere Fahrten? Empfiehlt sich für mich die BahnCard 25, 50 oder 100? Welche Klasse nehme ich? Habe ich viele lange Strecken, sodass man eher 1. Klasse wollen würde? Habe ich viele kurze Strecken, für die man üblicherweise die 2. Klasse nimmt? Das alles sind Überlegungen, die Berufspendler anstellen. Wenn man morgens fährt und es ist noch ein bisschen ruhiger und man unterhält sich, dann ist das auch genau das, was Menschen einem erzählen.

Für viele, die nur auf nahen Strecken unterwegs sind, ist z. B. eine BahnCard 100 nicht wirklich wirtschaftlich. Sie sagen, ich habe soundso viele Wochen Urlaub, der Monat über Weihnachten ist auch schon mehr oder weniger weg, also nutze ich lieber Monatstickets oder andere Lösungen für mich.

(Guido Kosmehl, FDP: Oder streckenbezogene!)

Man sagt dann auch: Na ja, die Wahrscheinlichkeit, dass ich, wenn ich aus Sachsen-Anhalt komme, in Bayern durch die Gegend fahren möchte, ist gering; also suche ich für mich das günstigste Ticket heraus. Das tun wir alle. Damit sind auch im Übrigen nicht alle überfordert. Von daher ist das auch ein bisschen    

Ich wollte vor allen Dingen darauf hinweisen, Frau Pähle, dass die Argumentation, dass es gar nicht um den Preis gehe, sondern eigentlich nur darum, dass das Ticket bequem sein sollte - glaube ich -, ein bisschen vorgeschoben ist.

Ich bin der festen Auffassung, das 9-€-Ticket hat nur über den Preis gewirkt und über nichts anderes.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Richtig, genau so ist es!)

Das ist das, was die Menschen interessant fanden. Ich glaube, alle von uns haben in ihrem Bekanntenkreis eine ganze Menge Menschen, die einfach gesagt haben: Ich bestelle das mal. Danach sind sie vielleicht einmal gefahren.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Ich muss ganz offen gestehen: Ich war ein bisschen bequem. Ich bin durch Magdeburg gelaufen, habe gesehen, es kommt eine Straßenbahn. Eigentlich wäre ich die Strecke gelaufen. In dem Fall bin ich sie gefahren. Den Fall haben wir, glaube ich, häufig gehabt. Wir sollten daher ruhig an die Sache herangehen.

Ich finde es wichtig, dass wir uns in Sachsen-Anhalt auf den Weg machen, den ÖPNV besser auszugestalten. Das ist für mich ein echtes Ziel für die nächsten Jahre. Für mich ist aber nicht wichtig, etwas billig zu machen und dabei im Endeffekt auch zu wissen, dass es billig und nicht preiswert ist. Daher werbe ich für unseren Ansatz, den wir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart haben. Ich glaube, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Bevor ich jetzt Frau Lüddemann das Wort gebe, will ich ganz kurz die ehemalige Landtagspräsidentin auf der Tribüne begrüßen. Ich freue mich, dass sie hier ist.

(Beifall im ganzen Hause - Ulrich Siegmund, AfD: Frau Brakebusch!)

Frau Lüddemann, bitte.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Ich weiß nicht, ob Ihnen das besser gefällt. Wir können natürlich auch statt einem Dienstwagenprivileg - ich habe das vorhin auch „landläufig“ davorgesetzt, um hier sozusagen einen populären Begriff einzuführen - von der Abschaffung der Pauschalbesteuerung für Dienstfahrzeuge reden. Das ist Ihnen möglicherweise lieber. Aber es bleibt dabei: Es ist nachgewiesen worden, dass es 3 Millionen € mehr im Topf geben würde,

(Guido Kosmehl, FDP: Milliarden! - Weitere Zurufe: Milliarden!)


Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Milliarden.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

die man in den ÖPNV investieren könnte. Darin sind wir uns jetzt einig.

(Guido Kosmehl, FDP: Aber das trifft doch auch den Außendienstler! - Unruhe)

Ob man das möchte oder nicht, ist eine politische Einschätzung. Ich persönlich bin eher ein Fan davon, ein Mobilitätsbudget zur Verfügung zu stellen, damit sich auch - so wie Sie es eben beschrieben haben - Menschen, die sonst pauschal einen Dienstwagen bekommen, überlegen können, ob es nicht auch auf andere Art und Weise, auch umweltfreundlicher, möglich ist, sich zu bewegen.

(Tobias Rausch, AfD: Junge! Wirklich, das kann sich keiner anhören!)

Ich habe mich in meiner Rede   vielleicht nicht deutlich genug; Sie haben jetzt mehrfach darauf abgestellt - dafür ausgesprochen, dass wir einen ÖPNV-Ausbau brauchen. Im Moment geht es, glaube ich, um die Sicherung, wenn ich mir die Realität anschauen. Sie können dem gern widersprechen. Aber ich glaube, im Moment geht es um die Angebotssicherung. Erst danach kommt der Ausbau.

(Unruhe)

Wir sind an dem Punkt, dass wir weitere Einnahmequellen erschließen müssen. Wenn sich, vielleicht nicht in dieser Dimension von 52 Millionen Tickets im Quartal,

(Guido Kosmehl, FDP: Nee, insgesamt!)

durch ein wirklich einfaches bundesweites einheitliches Ticket die Verkaufszahlen erhöhen würden, dann würde sich auch an der Einnahmestelle - das haben die Verkehrsunternehmen nachgewiesen -positiv etwas drehen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wenn wir uns den Landeshaushalt anschauen - was weiß ich, ob das am Ende 50 oder 60 Millionen sind - und das ernsthaft unter dem Stichwort „sozialpolitische Maßnahme“ und unter dem Stichwort „klimapolitische Maßnahme“ betrachten, die Einnahmen tatsächlich auch generieren können.

Meine Frage an Sie ist jetzt ganz deutlich, für das Protokoll und damit die Menschen einfach Klarheit haben:

(Tobias Rausch, AfD: Wie lang sind denn zwei Minuten?)

Muss ich Ihren Einlassungen im Hohen Hause entnehmen, dass sich Sachsen-Anhalt in der Verkehrsministerkonferenz und später auch im Bundesrat gegen ein einheitliches Ticket stellen wird, ohne auch nur über dieses Ticket zu verhandeln?


Dr. Lydia Hüskens (Ministerin für Infrastruktur und Digitales):

Zwei Dinge dazu, Frau Lüddemann. Erstens haben wir beide eine unterschiedliche Vorstellung von der Wertigkeit unterschiedlicher Mobilitätsformen: Für mich ist klar: Mir ist egal, ob ein Mensch mit dem Auto fährt, mit dem Rad durch die Gegend fährt oder mit dem Bus oder mit der Straßenbahn. Das ist zunächst ein grundsätzlicher Unterschied. Aber deshalb fange ich nicht damit an zu sagen: Ich rechne das eine gegen das andere auf. Das ist das, was Sie tun. Sie versuchen im Augenblick einfach, den Pkw-Verkehr teuer zu machen und den Menschen diesen auch ein Stückchen zu vermiesen. Sie sagen: Fahrt doch Bus. Das finde ich schwierig; das muss ich ganz ehrlich sagen.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei der AfD - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Es ging nur um den Dienstwagen! -Daniel Roi, AfD: Und Sie spalten!)

Das ist der eine Punkt. Zu dem anderen Punkt. - Frau Lüddemann, was sagen Sie denn einer Pflegekraft, die einen Dienstwagen hat und den auch privat nutzen darf, weil das eine einfache Möglichkeit des Arbeitgebers ist, ihr noch zu helfen? Soll auch sie das zukünftig nicht mehr dürfen?

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Mobilitätsbudget! - Oh! bei der CDU und bei der AfD)

- Damit fangen Sie jetzt wieder an. Wir veredeln ständig jede Ausgabe, die ein Mensch eigentlich über die Steuer abrechnen kann, indem der Staat erst einmal etwas einnehmen soll und das dann als Wohltat dem Bürger gibt.

(Frank Bommersbach, CDU: Ja! Das Dorfelektroauto darf die dann nutzen ohne Strom!)

Wir bekommen komplett andere Bürger in diesem Land, wenn wir damit weitermachen, dass der Staat immer das Geld einnehmen muss und es dann irgendjemandem als Wohltat verkauft.

(Zuruf: Genau!)

Das ist nicht mein Bild von Erwachsenen, ehrlich nicht.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei der AfD - Tobias Rausch, AfD: Ich hab die Schnauze voll jetzt hier!)

Aber Sie haben noch einen zweiten Punkt angesprochen: Was wir nicht tun. Wir haben uns mit dem Bundesminister darauf verständigt, dass wir erst über das Ticket verhandeln. Dann ist die Frage: Was kostet der Spaß? Sie haben wahrgenommen, es gibt bereits Bundesländer, die sehr deutlich gesagt haben, dass Sie so etwas überhaupt nicht mitmachen.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das hat Bayern zurückgenommen! - Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Wir werden schlicht und ergreifend mit dem Bund darüber verhandeln, was geht und was nicht geht. Was im Augenblick im Raum steht     Der Kieler Schlüssel bedeutet 60 Millionen € jedes Jahr. Jeder kann sich kurz überlegen, woher wir die holen. Ich muss ganz offen gestehen: Das ist für mich kein Weg, über den ich verhandeln kann. Das kann ich schlicht nicht, weil ich es nicht darstellen kann. Da würde ich quasi über einen Taschenspielertrick oder was weiß ich was verhandeln. Das kann ich gerade nicht sehen.

Aber wir haben dem Bund zugesagt - diesbezüglich stehen alle Verkehrsminister, glaube ich, in der Pflicht  , dass wir uns zunächst anhören, was der Bund haben möchte. Auf der Arbeitsebene finden die entsprechenden Gespräche statt. Wir werden zum Schluss sehen, wo wir landen.

In einem können Sie sich sicher sein: Ich werde mich immer verantwortungsvoll im Interesse dieses Bundeslandes positionieren.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)