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Plenarsitzung

Transkript

Detlef Gürth (CDU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg muss ich sagen, die viel zu hörende und zu lesende Kritik an Abellio als Schienenpersonennahverkehrsdienstleister ist fast vollständig berechtigt. Da gibt es nichts schönzureden.

Was den konkreten Antrag betrifft, muss ich sagen, ist er tatsächlich überflüssig. Ich habe eigentlich gedacht, Sie ziehen den zurück. Das ist ein klassischer Ejaculatio politica ante tempus. Er ist nur völlig in die Hose gegangen, weil der komplette Antrag erledigt ist. Die meisten Punkte entfallen. Und das, was übrigbleibt, ist falsch.

Und übrigbleibt die Kritik an der Frage des Wettbewerbs. Und ich kann diese Staatsgläubigkeit wirklich nicht verstehen bei den Erfahrungen, die wir hier haben.

Ich will jetzt nicht auf DDR-Zeiten zurückspielen und auf die Reichsbahn, wo man sozusagen nach dem zweiten Halt im D-Zug kein Klopapier mehr auf der Toilette hatte und wo das halt nicht so schön war, wie das manche jetzt so ein bisschen glorifiziert in Erinnerung haben.

Nein, es war nicht so. Wir haben genauso viele Mitarbeiter gehabt wie die Deutsche Bundesbahn - bei der Hälfte der Strecke, die wir bedient haben. Der technische Zustand der Triebwagen, der Züge und der Infrastruktur war katastrophal. Im Jahr 1990 wurde der Sanierungsbedarf der Deutschen Reichsbahn auf 100 Milliarden DM taxiert und diese Summe wurde jedes Jahr größer. Beide, die Bundesbahn und die Reichsbahn, fuhren - das ist im Jahr 1993 noch einmal erhoben worden - einen Verlust von 16 Milliarden DM pro Jahr ein, hatten 66 Milliarden DM Schulden.

Die These, dass der Staat automatisch alles besser kann, ist schlichtweg falsch. Ich will nicht sagen, dass staatliche Anbieter im Wettbewerb nicht genau so gut sein können wie private, aber diese Staatsgläubigkeit kann ich nicht nachvollziehen. Das Merkwürdige, ja fast schon Lustige an der ganzen Geschichte, der Malaise, über die wir jetzt reden, ist: Wir reden über eine Tochter, einen Dienstleister der Niederländischen Staatsbahn. Insofern kann ich das, was Sie hier zu diesem Thema zu sagen haben, überhaupt nicht nachvollziehen.

Überlegen wir doch einmal: Wie würde es ohne Wettbewerb aussehen und warum haben drei Viertel des Deutschen Bundestages die Privatisierung der Bahn beschlossen? Weil sie die Linken ärgern wollten?

(Lachen)

Warum? - Weil sie staatlich organisiert in eine Sackgasse mit höheren Schulden und einer heruntergekommenen Infrastruktur hineinfuhr.

(Zuruf: Kein Vertrauen in den Staat! Mein Gott!)

Um da herauszukommen, um nämlich möglichst viel Leistung und Qualität für die Steuerzahler, die das finanzieren, zu erhalten, hat man den Wettbewerb auf der Schiene ein Stück weit eingeführt. Es ist noch ein bescheidener Wettbewerb, aufgrund der Wettbewerbsbedingungen, die dort möglich sind, aber es ist ein Wettbewerb, der auch zu erhöhten Leistungen und erhöhten Pendler- und Nutzerzahlen auf den Strecken der Bahn in Deutschland geführt hat.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Gürth, es gibt eine Nachfrage von Herrn Gallert. Wollen Sie diese gleich beantworten?


Detlef Gürth (CDU):

Am Ende meiner Rede sehr gern. - Im Jahr 1994 hatten wir 1,3 Millionen Pendler, die den Zug im Nahverkehr genutzt haben. Jetzt haben wir 2,439 Millionen. Es ist nicht alles schönzureden, keine Frage, aber es ist der prinzipiell richtige Ansatz, mit Wettbewerb möglichst viel Leistung und Qualität für das eingesetzte Geld zu bekommen.

Schauen wir uns doch einmal an, wie es in manchen Bereichen aussieht, wenn sie vom Staat organisiert werden. Beim staatlichen Wohnungsbau in der DDR konnte man sagen, das Programm war: Ruinen schaffen ohne Waffen. Dort, wo der Staat allein, monopolistisch Dienstleistungen für die Bevölkerung anbietet, kann man weltweit sehen, wohin das führt. Ich habe dabei immer Venezuela vor Augen, eines der ölreichsten Länder der Erde, wo die Leute an der Tankstelle mit Kanistern Schlange stehen müssen, damit sie ihre Autos noch betanken können. Das ist Staatsleistung. Da will ich nicht hin. Deswegen ist die CDU-Fraktion für einen gesunden Wettbewerb.

Ich möchte an dieser Stelle Dank sagen vor allem all denen, die Ihre Hoffnung auf politische Rendite zunichtegemacht haben - Minister Herrn Webel, Staatssekretär Herrn Dr. Putz, der NASA und allen an der Verhandlungsführung Beteiligten  , die in dem ganzen Verfahren, von der Vergabe bis jetzt, zum Schutzschirmverfahren, sehr professionell gehandelt haben und ein sehr gutes Ergebnis erreicht haben. Es gab eine professionelle Verhandlungsführung des Landes.

Der Bahnbetrieb geht weiter, die Verbindungen werden weiterhin bedient und nicht ab 1. Oktober 2021 stillgelegt, wie befürchtet, und die Bahnkunden müssen nicht auf Verbindungen verzichten. Die finanziellen Auswirkungen wurden auf ein Mindestmaß reduziert. Selbst der Freistaat Thüringen hat dies entsprechend positiv gewürdigt und sieht das genauso.

Deswegen möchte ich auch der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ihren Alternativantrag danken. Ich persönlich könnte ihm eigentlich auch zustimmen. Wir als CDU-Fraktion sagen: Das Thema Schienenpersonennahverkehr ist ein so zentrales Thema, dass wir darüber im Ausschuss ausführlich reden müssen. Deswegen stimmen wir dem Antrag zu, den Ursprungsantrag und den Alternativantrag in den zuständigen Fachausschuss zu überweisen.

(Zustimmung - Zuruf)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Gürth, Sie haben die Ministerin noch getoppt, die den Vergleich mit vor 40 Jahren gezogen hat. Bei Ihnen ist der Vergleich zwischen einem staatlich betriebenen Netz und dem Pseudowettbewerb, mit dem wir es hier zu tun haben, gleich in Venezuela gelandet - auch eine interessante Tatsache. Möglicherweise reicht es aus, sich einmal in den umliegenden Ländern umzusehen, die alle natürlich nicht so dumm waren, ihren Personennahverkehr für diesen Wettbewerb zu öffnen.

Dann will ich auch sagen: Natürlich wird eine Staatsbahn, die die Möglichkeit bekommt, im Ausland Geld zu verdienen, genau so agieren wie ein privater Konzern. Wenn man den Wettbewerb dafür öffnet, privates Geld zu verdienen - übrigens aus öffentlichen Zuschussmitteln  , dann wird man überall die Situation haben, die wir jetzt hier vorfinden. Unter dem Strich - Herr Gürth, darin müssen Sie mir doch zustimmen - bleiben das Abellio-Verfahren und das Ergebnis ein Desaster.


Detlef Gürth (CDU):

Das Abellio-Verfahren ist schlichtweg der Wettbewerb, ein nach europäischem Recht geführter Wettbewerb mit einer Vergabe. Diese Dienstleistung wurde nach den Kriterien der dafür zuständigen EU-Richtlinie ausgeschrieben und vergeben. Die Vergabe war von Anfang an in einem Punkt problematisch - das wussten auch alle Beteiligten  , weil der Anbieter - jetzt komme ich wieder auf die holländische Staatsbahn - mit einem sich an der Grenze zum Dumping bewegenden Angebot unbedingt in den interessanten deutschen Markt wollte. Das war von Anfang an auf Kante genäht. Genau aus diesem Grund hat das Verkehrsministerium des Landes, hat die NASA so gründlich wie noch nie sämtliche Fakten dieses Angebots geprüft.

Das Gleiche haben auch alle Wettbewerber getan, weil sie gehofft haben, dieses sich an der Grenze zum Dumping bewegende, sehr billige oder günstige Angebot an irgendeiner Stelle ausschließen zu können, weil Ausschreibungskriterien nicht hinreichend erfüllt waren. Die Staatsbahn hat so gut wie - jetzt kann man ja sagen: definitiv - nicht ausreichende Reserven betriebswirtschaftlicher Art, weder bei der Personalbewirtschaftung noch bei anderen Themen, hinreichend kalkuliert und in ihr Angebot einbezogen. Aber das Angebot war auf keinen Fall auszuschließen. Hätten wir es ausgeschlossen, hätten wir eine teure Vertragsstrafe schießen können.

Die Schlussfolgerung aus dem Verfahren ist ganz klar: Wir müssen bei den künftigen Ausschreibungen zusehen, dass die Ausschreibungskriterien, was die betriebswirtschaftliche Leistungsfähigkeit betrifft, anders, besser und umfangreicher definiert werden.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Okay.


Detlef Gürth (CDU):

Und - Schlusssatz - wir müssen auch ganz klar sagen: Dazu gehört aber erstens, dass die Leute das nutzen, und zweitens, dass wir wissen, es kostet mehr Geld. Zu dem Thema Nutzen will ich nur sagen: Ich habe einmal in die Anwesenheitslisten geschaut: Zwei MdL dieses Hohen Hauses haben eingetragen, dass sie heute mit der Bahn gekommen sind, wenn auch mit einem anderen Anbieter.

(Zuruf: Der Rest hat hier übernachtet! - Lachen - Weitere Zurufe)

Insofern: An die eigene Nase fassen!