Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Coronapandemie macht um Kinder und junge Erwachsene keinen Bogen. Deshalb ist Vorsicht ebenso geboten wie Weitsicht, Weitsicht dahin gehend, dass die Wirkung der Eindämmungsmaßnahmen Berücksichtigung finden muss.
Mit unseren Eindämmungsverordnungen haben wir Regelungen getroffen, mit denen wir individuelle Entwicklungschancen mit den Infektionsschutzbedarfen der gesamten Gesellschaft in Einklang zu bringen haben. Beide Zielstellungen zu vereinen ist nicht trivial und bedarf objektiver Kriterien, wie die Inzidenz, den Impffortschritt und die Auslastung der Krankenhäuser und Intensivstationen. In dem Bewusstsein der großen zu schulternden Verantwortung hat die Landesregierung in der Eindämmungsverordnung Regelungen verankert, die den Teilhabe- und Gesundheitsbedarfen von Kindern und jungen Erwachsenen so weit gerecht werden können, wie es die Pandemie erlaubt.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Aufrechterhaltung der Bildungs- und Betreuungsangebote und der Austausch untereinander sind ein wesentlicher Faktor für die psychische Stabilität im Kindes- und Jugendalter. Die Teilhabe an frühkindlicher Bildung legt den Grundstein für den weiteren Lebensweg. Es ist unser Anspruch, mit der ganztägigen Förderung, Bildung und Erziehung für Chancengleichheit zu sorgen, und zwar ganz unabhängig von der familiären Situation.
Seit dem Pandemiebeginn hat sich die Landesregierung der Verantwortung gestellt, den nachfolgenden Generationen die individuellen Chancen nicht zu verbauen. Auch wenn Einschränkungen der Kindertagesbetreuung in Form von quarantänebedingten Schließungen oder Notbetreuungen nicht immer vermeidbar gewesen sind, sind wir in der Kinderbetreuung im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Pandemie gekommen.
Seit März 2020 stellt das Sozialministerium den Kindertageseinrichtungen Selbsttests für die Kinder zur Verfügung. Dieses regelhafte Testangebot war bundesweit ein Novum und neben dem Hygienekonzept und der Bereitstellung von Impfdosen und Tests für die Kita-Beschäftigten ein wesentlicher Beitrag für einen pandemiegerechten Kita-Betrieb zum Wohle der Kinder. Auch in den Schulen galt und gilt es, einen Weg zu finden, der dem Infektionsschutz und dem Anspruch auf Bildung gerecht wird. Um den Präsenzunterricht zu flankieren, werden Maskenpflicht und tägliches Testen fortgesetzt.
Wir alle wissen, dass die Phase des Übergangs von der Schule in den Beruf zentral ist für die weitere Lebensgestaltung. In diesem Zusammenhang leisten Praktika einen wesentlichen Beitrag zur Berufsorientierung und ebnen den Weg in die Ausbildung und das Arbeitsleben. Durch die Coronapandemie konnten Schülerinnen und Schüler vielerorts keine Praxiserfahrung in den Unternehmen sammeln. Auch wenn wir im Vergleich zu anderen Bundesländern in der Eindämmungsverordnung bereits frühzeitig eine Regelung getroffen haben, die Schülerpraktika wieder erlaubt, konnten Ausbildungsmessen, Berufsorientierungsangebote an den Schulen und Beratungsangebote durch die Schulsozialarbeit nur eingeschränkt bzw. digital durchgeführt werden.
Um einen Coronajahrgang zu verhindern das ist uns gelungen haben wir deshalb gemeinsam mit den Kammern, den Gewerkschaften, den Arbeitsagenturen und den Verbänden eine Praktikumsoffensive gestartet.
Die Pandemie das hat Herr Pott auch gesagt hat auch deutliche Auswirkungen auf den universitären Lehrbetrieb. Die Hochschulen sind sehr schnell dazu übergegangen, die notwendigen Ressourcen einzusetzen, um eine onlinebasierte Lehre zu organisieren und die Studierenden mit einem digitalen Angebot zu versorgen.
Trotz aller Bemühungen um Normalität wissen wir, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, um die sozialen und gesundheitlichen Folgen der pandemiebedingten Einschränkungen. Erste Studienergebnisse, zum Beispiel der COPSY-Studie, der Corona- und Psyche-Studie, zu den Auswirkungen der Coronapandemie zeigen, dass das Risiko für die Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie gestiegen ist. Dies gilt insbesondere für sozial benachteiligte Familien. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nicht jede psychische Auffälligkeit, die sich während der Coronapandemie entwickelt hat, psychiatrisch behandlungsbedürftig ist.
Die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer hat in einem Strategiepapier zu psychischen Folgen der Coronapandemie bei Kindern und Jugendlichen darauf verwiesen, dass grundsätzlich eine Steigerung der Anfragen zu psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgungsangeboten bei Kindern und Jugendlichen im Land zu verzeichnen ist. Allerdings liegen bisher noch keine evaluierten Erkenntnisse darüber vor, dass ein tatsächlich pandemiebedingter Mehrbedarf an kinder- und jugendpsychotherapeutischen Maßnahmen infolge einer behandlungsbedürftigen Krankheitslast besteht.
In der Antwort auf die Kleinen Anfrage der Abg. Frau Anger hat mein Haus die Entwicklung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsfallzahlen dargestellt. Demnach sind die Zahlen weitgehend stabil. In der Fachgruppe der Kinder- und Jugendpsychiatrie verbuchen wir bei den bis Zwölfjährigen mit 10 524 Fällen im Jahr 2020 einen Rückgang um 120 Fälle gegenüber dem Vorjahr. Bei den 13- bis 17-Jährigen gab es hingegen einen Aufwuchs um 155 Fälle.
Auch die Kinder- und Jugendpsychotherapeuten verbuchen einen Rückgang der Behandlungsfälle bei den 0- bis Zwölfjährigen. Die Fallzahl lag im Jahr 2020 bei 11 249 Fällen; es gab also ca. 750 Fälle weniger als im Vorjahr. Bei den 13- bis 17-Jährigen ist hingegen ein geringer Aufwuchs feststellbar.
Wir müssen aber feststellen, Herr Pott: Wie durch ein Brennglas hat die Pandemie uns gezeigt, dass wir schon vorher nicht genügend Plätze und Möglichkeiten
(Beifall)
in Tagestherapien und Tageskliniken hatten. Es hat sich auch bei der Evaluierung des neuen Psychiatriegesetzes gezeigt, dass es sozusagen ein Nord-Süd-Gefälle im Land gibt, wenn es darum geht, ambulante Angebote vorzuhalten. Daran müssen wir uns messen lassen. Das war schon vor der Pandemie ein großes Problem.
(Beifall)
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalts kommt zu der Einschätzung, dass Kinder und Jugendliche gut in der regulären vertragsärztlichen Versorgung aufgehoben seien. Auch das hat die Landesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abg. Anger dargelegt.
Für Studierende bieten die Studentenwerke ein Angebot für psychosoziale Beratung. Anhand der Rückmeldungen wissen wir von den Beratungsschwerpunkten. Es geht, wie Sie beschrieben haben, um Sorgen um Studienabschlüsse, um Depressionen und auch um suizidale Gedanken. Insbesondere unter den Erstsemestern hat sich die Zahl der Anfragen deutlich erhöht.
Um die Auswirkungen der Coronapandemie auf die mentale Gesundheit und die Entwicklung der jungen Erwachsenen zu mindern, brauchen wir niedrigschwellige Unterstützungs- und Beratungsangebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie für deren Familien.
(Zustimmung)
Und, meine Damen und Herren Abgeordnete, die Pandemie hat häufig bereits vorhandene emotionale und soziale Schwierigkeiten verstärkt. Soziale Isolation steigerte Unsicherheiten, Ängste und das Gefühl, dass das Leben ungelebt an einem vorbeizieht. Junge Menschen müssen deshalb dabei unterstützt werden, wieder auf die Beine zu kommen.
Zugleich wollen wir die Familien selbst stabilisieren, damit sie ihren Kindern und Jugendlichen als emotionale Stütze zur Verfügung stehen. Bund und Land haben ein Maßnahmenbündel aufgelegt, um die Pandemieeffekte abzufedern. Wir wollen mit den Präventionsmaßnahmen dafür sorgen, Druck abzubauen, damit die psychotherapeutischen und psychiatrischen Angebote erst gar nicht in Anspruch genommen werden müssen. Auch hierbei gilt das Motto: Vorbeugen ist besser als Heilen.
Rückenwind brachte hier insbesondere das Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“, mit dem auch in Sachsen-Anhalt die Schulsozialarbeit, die Familienberatung, die Familienfreizeit und die frühen Hilfen gestärkt werden konnten. Der Bund hat Maßnahmen ergriffen, um die betriebliche Berufsausbildung trotz der pandemiebedingten Störungen möglichst aufrechtzuerhalten und weiterhin zu ermöglichen. Es werden Ausbildungsprämien in Höhe von 2 000 € bis 3 000 € für Betriebe bereitgestellt, die ihr Ausbildungsniveau halten bzw. erhöhen, obwohl sie die Coronakrise stark betroffen hat.
Abschließend darf ich die jüngste Mitteilung meines Kabinettskollegen Armin Willingmann wiedergeben, wonach die Regelstudienzeit für alle Studierenden um ein weiteres Semester verlängert wird. Mit dieser Verlängerung der Regelstudienzeit soll sich auch die Förderhöchstdauer für BAföG-Leistungen automatisch um ein weiteres Semester verlängern. Auch hierdurch soll der Druck reduziert werden.
Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Einschnitte während der Coronapandemie waren wirtschaftlich, sozial und mental schmerzhaft, gerade für die künftige Generation. Umso wichtiger ist es, dass wir den direkten Austausch mit jungen Menschen suchen; denn viele Jugendliche hatten das Gefühl, dass Teilhabe- und Mitspracherechte sowie soziale Bedürfnisse außen vor zu stehen schienen.
Um auf der Landesebene mehr über den Blick von Kindern und Jugendlichen auf die Herausforderungen der Coronazeit zu erfahren, hat das Sozialministerium gemeinsam mit dem Kinderbeauftragten, mit dem Verein „KinderStärken e. V.“ und dem Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt schon im Dezember 2020 eine Konferenz durchgeführt, an der 40 Kinder und Jugendliche teilnahmen. Es gilt, dieses Format fortzusetzen.
Ich will Ihnen einfach noch etwas Deutliches sagen, was zu den ganzen Debatten, die wir heute Morgen in der Fragestunde geführt haben, noch zu sagen ist. Deswegen müssen wir doch alles tun, damit wir nicht in die nächste Welle hineinlaufen.
(Zustimmung)
Alle Diskussionen, die wir hierbei führen, haben nichts mit der Bekämpfung der aktuellen Omikron-Welle zu tun. Aber wir müssen alles dafür tun, dass wir nicht wieder im Herbst und Winter in die gleiche Situation kommen. Das sind alles Kraftanstrengungen, die wir hier unternehmen sollten,
(Zustimmung)
damit wir tatsächlich nicht wieder Einschränkungsmaßnahmen vornehmen müssen.
(Zustimmung)
Davon bin ich tief überzeugt. Und ich denke - noch sind wir hier in einer Regierungsfraktion , dass das einfach unser gemeinsames Anliegen ist. Ich glaube auch daran, dass das der einzige Weg ist, um aus dieser Pandemie herauszukommen. - Herzlichen Dank.
(Zustimmung)