Eva von Angern (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Ministerpräsident, Sie haben heute von Krisenfestigkeit gesprochen. Ich frage Sie: Wer soll Ihnen das abnehmen? Sie versagen seit mehr als einem Jahr bei der Installation von Luftfiltern in unseren Schulen.
(Zustimmung)
Sie sprechen von Krisenfestigkeit und haben de facto den Kampf gegen den Unterrichtsausfall an unseren Schulen aufgegeben. Sie sprechen von Krisenfestigkeit und wissen nicht, wie Sie die Ausgaben für den dringend erforderlichen Katastrophenschutz in Sachsen-Anhalt bezahlen sollen. Sie sprechen davon, Chancen zu nutzen, und verpassen es, in einer einmaligen Niedrigzinsphase eine tatsächliche Investitionsoffensive für Sachsen-Anhalt zu starten.
(Zustimmung)
Sie wollen ein modernes, krisenfestes Land. Aber schauen Sie doch einmal in das Ranking der Bundesländer, dann wissen Sie, wo Sie stehen. Sie haben heute eine weitere Chance verpasst, Klartext zu sprechen
(Zustimmung)
und endlich die Frage zu beantworten, wie der Problemstau in Sachsen-Anhalt tatsächlich aufgelöst werden soll. Einerseits sprechen Sie in Ihrem Koalitionsvertrag davon, 3 Milliarden € - 3 Milliarden €! in den nächsten beiden Haushaltsjahren einsparen zu wollen. Andererseits stellen Sie uns hier dutzendweise neue, wohlklingende Programme in Aussicht. Dies verleiht Ihrem Regierungsprogramm die Unverbindlichkeit eines Poesiealbums.
(Zustimmung)
Meine Damen und Herren! Wo eine nüchterne Bilanz und ein schlüssiges Leitbild für politisches Handeln gefordert sind, bieten Sie Halbheiten, Realitätsflucht und Schönfärberei. Die Menschen in Sachsen-Anhalt brauchen aber etwas anderes. Sie brauchen konkrete Antworten auf die Fragen unserer Zeit. Und ja, sie brauchen eben auch politische Visionen für konkrete und zukünftige Herausforderungen.
Sie haben sich im Landtagswahlkampf stets um diese Fragen gedrückt. Auch heute ist das der Fall gewesen. Doch in den Haushaltsberatungen, die uns bevorstehen, wird das nicht mehr möglich sein.
Ich täusche mich vermutlich nicht, wenn die hervorstechendsten Projekte Ihrer Regierung in globalen Minderausgaben bestehen werden und Sie damit weiterhin versuchen, am Parlament vorbei zu regieren wie schon in den vergangenen anderthalb Jahren der Lockdown-Zeit.
(Beifall)
Mir ist schon bewusst, dass das für einige in der Koalition bequem ist, allzu bequem. Aber diese Intransparenz gegenüber den Menschen in Sachsen-Anhalt werden wir nicht akzeptieren. Und vorweg: Sozial schädliche Kürzungen wird es mit der LINKEN ebenfalls nicht geben. Der Wahlkampf ist vorbei und jetzt ist es an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen.
(Zustimmung - Zurufe: Oh!)
Meine Damen und Herren! Die Menschen in unserem Land spüren schon jetzt, dass nicht die Superreichen, also die Gewinner der Pandemie, die Hauptlast tragen werden, sondern dass diese bei ihnen hängen bleibt.
Die aktuelle Inflationsrate ist Ihnen bekannt und Sie wissen, dass das besonders hart für Menschen mit kleinem Einkommen ist und diese das bei jedem Einkauf spüren. Zu den bekannten Armutsrisiken kommt jetzt noch die Energiearmut dazu. Darüber werden wir morgen reden.
Nicht zuletzt wurden mit dem Lockdown denjenigen, deren wirtschaftliche Lage bereits vorher prekär war, neue Lasten aufgebürdet. Ja, vielleicht hilft uns das Coronasondervermögen, das wir Ihnen als LINKE immer wieder vorgeschlagen haben und das Sie blockiert haben. Das ist ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung, wenn auch mit einem Betrag, der aus unserer Sicht viel zu niedrig ist. Das wird zu den üblichen Verteilungskämpfen in der Koalition führen. Diesmal mit einer neuen Farbe, aber wir werden das interessiert beobachten.
Bei dem Coronasondervermögen ging es aus der Sicht der FDP vor allem um die Frage: Darf es ein bisschen weniger sein? Außer für Projekte der FDP natürlich. Die 3 Milliarden € sollen bitte in den anderen Ressorts gespart werden. Wir sind gespannt darauf, wie auf diese Weise der Investitionsstau, insbesondere bei den Krankenhäusern, beseitigt werden soll.
Die Frage von Herrn Gallert beruht auf einer ganz konkreten Sorge, die wir für Sachsen-Anhalt haben. Und Ihre Worte, Frau Dr. Pähle, höre ich wohl, allein die Realität wird es zeigen.
(Zustimmung)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesverband der Deutschen Industrie will das Ende der schwarzen Null und eine öffentliche Investitionsoffensive. Unter denjenigen, die jetzt die für Notlagen vorgesehene Kreditermächtigung umfassend nutzen, sind zahlreiche CDU-geführte Landesregierungen. Warum ist das so? In der Niedrigzinsphase sind die Refinanzierungsbedingungen von Bund und Ländern unschlagbar. Nur Sachsen-Anhalt geht hier einen fatalen Sonderweg. Wirtschaftliche Risiken für Sachsen-Anhalt minimieren? - Fehlanzeige!
Warum greifen bestimmte Leute, die der Nähe zur LINKEN aus meiner Sicht völlig unverdächtig sind, unsere Ideen auf, die wir schon immer für sinnvoll gehalten haben? Ganz einfach deshalb, weil in der gegenwärtigen gesamtwirtschaftlichen Lage nur eine starke öffentliche Nachfragepolitik die Probleme lösen kann.
Man hat das Gefühl, wer in Sachsen-Anhalt den Nachweis völliger Unzugänglichkeit für diese Einsicht erbringt, der kann tatsächlich Finanzminister werden.
(Zustimmung)
Aber das muss deutlich gesagt werden und das muss allen hier im Haus bewusst sein das Zeitfenster der Niedrigzinsphase ist nicht ewig offen. Sie haben leider entschieden, es nicht nutzen zu wollen. Das ist fatal, fatal für die Wirtschaft, fatal für die Beschäftigten in Sachsen-Anhalt; denn kein Unternehmen kann sich heute zu derart niedrigen Zinsen refinanzieren, wie es die Bundesländer derzeit können. Nennen Sie mir ein Unternehmen in diesem Bundesland, das Anleihen zu null Prozent auflegen kann? Sachsen-Anhalt kann das. Dennoch weigert sich Ihre Regierung, dies so zu tun, wie andere Bundesländer es machen, um die sozialen und wirtschaftlichen Schäden des Lockdowns nachhaltig zu bekämpfen.
Herr Haseloff begegnet dieser Frage mit seinem typischen Desinteresse und Herr Richter möchte das unvermeidliche Ende seiner politischen Laufbahn wahrscheinlich mit der Verleihung der schwarzen Investitionsbremse am Bande krönen.
(Zustimmung)
Das ist wohl sein persönlicher Beitrag zu der in der Regierungserklärung viel beschworenen Krisenfestigkeit. Das ist Ihre Realität, aber es ist nicht die Realität vieler Menschen in Sachsen-Anhalt.
(Zustimmung)
Meine Damen und Herren! Die Zeit der wohlfeilen Ankündigungen ist vorbei. Erklären Sie bitte den Menschen in Sachsen-Anhalt, auf wessen Kosten die erforderlichen Kürzungen, die Sie angekündigt haben, gehen sollen?
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, Sie wollten keine Schulden aufnehmen, Sie wollten Schulden zurückzahlen. Wir haben gerade ganz aktuell dank der Deutschen Presseagentur die Zahlen der führenden Wirtschaftsinstitute für Ostdeutschland bekommen. Diese gehen schon heute davon aus, dass der wirtschaftliche Aufschwung in Ostdeutschland wesentlich geringer als in Westdeutschland ausfallen wird. Diesbezüglich stelle ich Ihnen sehr wohl die Frage: Wo werden Sie den Rotstift in Sachsen-Anhalt ansetzen?
(Zustimmung)
Das kann die Meistergründungsprämie sein. Dann erklären Sie aber bitte den Meisterbetrieben, wie sie zukünftig angesichts des jetzt schon fehlenden Fachpersonals Nachfolgerinnen und Nachfolger finden sollen.
(Zuruf)
Das kann auch die Polizeiliche Verkehrssicherheitsberatung und Kriminalprävention sein. Aber dann erklären Sie bitte den Opfern von Verkehrsunfällen oder im schlimmsten Fall deren Angehörigen bzw. Hinterbliebenen, warum der Staat sich aus dieser Aufgabe zurückgezogen hat.
(Zuruf)
Das kann im Übrigen auch die Unterstützung der Feuerwehren im Land bei ihrer Neumitgliedergewinnung oder bei der Ausbildung ihrer Mitglieder sein. Aber dann erklären Sie bitte den Menschen im ländlichen Raum, wie künftig gesichert sein soll, dass die Feuerwehr kommt, wenn sie gebraucht wird.
(Zustimmung)
Das können übrigens auch die Frauenschutzhäuser und Beratungsstellen sein. Aber dann erklären Sie bitte der Mutter von vier Kindern, die vor Ihrem schlagenden Mann flieht, dass sie sich zukünftig an ein Obdachlosenheim wenden soll.
Das kann übrigens auch das Azubiticket sein, liebe SPD. Aber dann erklären Sie bitte jungen Menschen im ländlichen Raum, dass es nicht gewollt ist, dass sie sich bei uns niederlassen, hier arbeiten und Familien gründen.
Oder es kann auch die Kulturförderung sein, die Bibliotheken, Musikschulen, Theater und Museen. Aber dann erklären Sie bitte den Menschen im Land, warum Kultur nur etwas ist, das sich Reiche leisten können.
Meine Beispiele sind allesamt Haushaltsposten in unserem Haushalt, die de facto freiwillig sind. Es handelt sich überwiegend um Pflichtaufgaben mit Ermessensspielraum, was leider für manche bedeutet: kann wegfallen.
Aber das kann und darf nicht wegfallen, weil es für viele Menschen in Sachsen-Anhalt von wesentlicher Bedeutung ist und es hat alles einen hohen Beitrag bei der Frage, wie soziale Sicherheit, wie sozialer Frieden in einer Gesellschaft garantiert sein kann. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir als Landesparlament entsprechende finanzielle Vorsorge treffen.
Freiwillig ist übrigens auch das Kinderförderungsgesetz, allerdings will ich an dieser Stelle an den einzigen Volksentscheid im Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2005 erinnern, in dem sich eine deutliche Mehrheit für einen Ganztagsanspruch für alle Kinder in der Kita ausgesprochen hat.
(Zuruf: Nein!)
- Der Volksentscheid ist gescheitert, aber es ist korrekt, dass es eine Mehrheit gab.
(Zuruf)
- Wir haben im Übrigen jetzt anderes vor, Herr Kollege.
Frühkindliche Bildung entscheidet maßgeblich über die Zukunft und die Zukunftschancen von Kindern. Deswegen ist es gut und richtig, dass daran in den letzten Wahlperioden mehrheitlich festgehalten worden ist und die Qualität stückweise verbessert worden ist.
Umso bedauerlicher ist es das möchte ich ausdrücklich sagen , dass sich die SPD in der Koalition von ihrem Wahlversprechen der Kostenfreiheit verabschiedet hat.
(Zustimmung)
Das darf kein Einstieg in den Ausstieg der Landesfinanzierung sein. Das wäre für viele Kinder und Familien in unserem Land ungerecht.
Beim Stichwort „ungerecht“ fällt mir ein: Sie schmücken Ihre Regierungserklärung, auch wenn Sie dazu heute nicht viel gesagt haben, mit dem Attribut „gerecht“, Herr Ministerpräsident. Doch die Wahrheit ist konkret. Ich kann und will einem Kind als Politikerin nicht erklären müssen, warum es keinen eigenen Schreibtisch hat, warum es nicht im Fußballverein mitspielen kann, warum es kein eigenes Kinderzimmer hat, warum es nicht regelmäßig ins Theater gehen kann oder nie in den Urlaub fahren kann oder warum bestimmte Bildungswege verschlossen bleiben, weil seine Eltern in Armut leben.
Armut ist nicht gerecht. Und die Tatsache, dass Sie sich im Koalitionsvertrag lediglich darauf einigen konnten, dass Sie sich im Bund positiv in die Debatte zur Kindergrundsicherung einbringen werden, ist ein Armutszeugnis.
(Zustimmung)
Wirtschaftspolitisch ist es darüber hinaus dumm. Wir brauchen nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft jede Fachkraft. Ihre Realität ist nicht die Realität von Menschen und vor allem Kindern in Sachsen-Anhalt. Deshalb wird sich DIE LINKE weiterhin auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass Kinderarmut und deren Folgen bekämpft werden.
Als LINKE stellen wir die Grundsatzfrage: Was gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge und was wollen wir uns als Staat gemeinsam leisten und für alle zugänglich machen? Selbstverständlich gehört für uns zu einer gerechten Gesellschaft auch, dass sich die Starken für die Schwachen einsetzen. Das Beispiel der Vermögensteuer macht das anschaulich. Die Gewinner der Krise sollen zur Kasse gebeten werden und eben nicht der Kassierer im Supermarkt oder die Busfahrerin.
(Zustimmung)
Das mag möglicherweise nicht die Grundlage für Ihr politisches Handeln sein. Für uns macht genau das eine starke Gesellschaft aus; denn es zeichnet eine Gesellschaft eben sehr wohl aus, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Sie stehlen sich bei diesem Thema jedoch leider aus der Verantwortung.
Der Ministerpräsident hat gar nichts zum Tariftreue- und Vergabegesetz gesagt, Sie, Frau Dr. Pähle, schon. Gerade bei dem Thema 13 € Mindestlohn bei Landesaufträgen, den die SPD immer wieder als großen Erfolg verkauft - auch heute ist klar, dass der Kreis derjenigen, der ihn erhalten soll, absichtlich verkleinert werden soll. Die SPD hat das unterschrieben. Da er nur noch bei höheren Wertgrenzen für öffentliche Aufträge gelten soll, kann er eben mit kleineren Losen umgangen werden. Die SPD hat das unterschrieben.
Ihr Zutrauen in die CDU ist gegenüber der letzten Wahlperiode überraschend gewachsen, da sie die Zuständigkeit für dieses Gesetz in die Hände von Sven Schulze gelegt hat, zusammen mit dem Rest des Wirtschaftsministeriums. Herr Prof. Willingmann ist jetzt auf der Suche nach etwas Besserem.
Das Tariftreue- und Vergabegesetz war für den Ministerpräsidenten heute kein Thema. Es scheint ihn nicht vom Hocker zu reißen. Allerdings fragt man sich nach der heutigen Regierungserklärung, was ihn überhaupt vom Hocker reißt.
(Beifall)
Was mich jedoch negativ beeindruckt hat und das habe ich nicht erwartet , ist, dass von allein heute kein Wort zur Situation der Kommunen kommt, sondern erst auf die Nachfrage meines Kollegen Andreas Henke. Nun muss ich sagen, ich finde es ja toll, Herr Ministerpräsident, dass Sie Ihrer Frau über die Schulter schauen, aber es ist, vorsichtig gesagt, schon ziemlich mutig, dass Sie das als Grundlage dafür nehmen, diese schallende Ohrfeige gegenüber der kommunalen Familie auszuteilen, dass sie einfach nicht in der Lage seien, ihre Reserven auszuloten und damit ihren kommunalen Haushalt wieder auszugleichen. Das zeugt von einem schwierigen kommunalpolitischen Verständnis.
(Beifall)
Als LINKE hier im Landtag werden wir in dieser Wahlperiode selbstverständlich immer wieder die Themen ansprechen, die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, Familien, Kinder und jugendliche Menschen aus unseren Städten, aber auch aus dem ländlichen Raum, Menschen mit Handicaps, Menschen in Not, Menschen im Ehrenamt bewegen. Für sie machen wir hier Politik, für sie wollen wir da sein. Darauf können sie sich in den nächsten vierdreiviertel Jahren verlassen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)