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Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 3,17 - das ist die Note, die die Bürgerinnen dem Schulsystem in Sachsen-Anhalt geben. Das hat eine Umfrage des Ifo-Bildungsbarometers 2024 ergeben. Mit dieser befriedigenden Note bildet Sachsen-Anhalt gemeinsam mit Thüringen und Bremen das Schlusslicht dieser Umfrage. Gleichzeitig haben wir in Sachsen-Anhalt die höchste Schulabbruchquote bundesweit. Das gilt auch für die Exklusionsquote. 

(Zuruf von der AfD)

Kein Bundesland schickt so viele Kinder auf die Förderschulen wie Sachsen-Anhalt. Auch bei der Quote der Anzahl der Schülerinnen, die sitzenbleiben, liegt Sachsen-Anhalt über dem Bundesdurchschnitt und belegt den dritten Platz von hinten. Bei der Verteilung der Bildungschancen schneidet Sachsen-Anhalt gemeinsam mit Sachsen am schlechtesten ab. - Das ist kein Schlechtreden, das sind Fakten.

Wenn die CDU-Bildungspolitik eines gut kann, dann ist es, dafür zu sorgen, dass wir Spitzenplätze im Bundesvergleich haben. Problematisch ist nur, dass diese Spitzenplätze ganz hinten sind und Sachsen-Anhalt bei den Vergleichen viel zu oft am schlechtesten abschneidet.

Die CDU hat unser Bildungssystem kaputtgespart und notwendige Reformen blockiert. 

(Oh! bei der CDU)

Seit der Wiedervereinigung gab es mehr Bildungsministerinnen von der CDU als von jeder anderen Partei

(Zuruf von der CDU)

Die Konsequenzen ihrer Bildungspolitik sind in den Schulen spürbar.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe)

Die Schulen sind marode. Es gibt Kinder, die kaum Wasser trinken, damit sie nicht auf die stinkenden und ekligen Schulklos gehen müssen.

(Oh! bei der CDU)

Manchmal gibt es in den Schulklos gar kein Wasser. Die Decken von manchen Turnhallen sind so niedrig, dass man dort nicht einmal Ball spielen kann. 

(Zuruf von der CDU)

In manchen Schulen hier im Bundesland sind die Wände feucht und die Dächer undicht. Der Investitionsstau im Schulbau und in der Schulsanierung ist enorm. Dafür können Sie nicht per se etwas, 

(Zuruf von Angela Gorr, CDU - Weitere Zurufe von der CDU) 

aber der Stau ist eben groß. 

(Unruhe)

Die Digitalisierung kommt zwar langsam voran, aber sie verlief und verläuft weiterhin viel zu schleppend. Ich erlebe noch immer Schulen, an denen der Polylux das Hauptunterrichtsmittel ist. 

Der Lehrkräftemangel sorgt dafür, dass Unterrichtsausfall und verkürzte Stundentafeln in unseren Schulen an der Tagesordnung sind. Ganze Fächer können an manchen Schulen monatelang nicht unterrichtet werden. 

Die Anzahl der Schülerinnen, die eine Förderschule besuchen, nimmt in Sachsen-Anhalt immer weiter zu, und das, obwohl wir dort ohnehin schon hohe Zahlen haben. 

Aber der größte Skandal in der Bildung in den letzten Jahren ist, dass sich die Abhängigkeit der schulischen Leistungen vom Elternhaus seit mehr als 20 Jahren nicht verringert hat. Stattdessen ist die Lücke sogar noch größer geworden. Dabei ist Bildung   d a s   Werkzeug, das sozialen Aufstieg ermöglicht. In Sachsen-Anhalt ist es aber so, dass Kinder, deren Eltern besser ausgebildet sind und besser verdienen, einfach öfter aufs Gymnasium gehen. Wenn Kinder aus Haushalten kommen, in denen Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluss haben und wenig Geld verdienen, dann haben sie seltener   viel zu selten   eine Chance auf den Besuch eines Gymnasiums.

Dass der Zusammenhang zwischen dem sozialen Status der Eltern und dem Bildungserfolg der Kinder kein Automatismus, sondern eine Folge von Bildungspolitik ist, zeigt der Blick in diejenigen Studien, die die Chancen international vergleichen. In Europa hat kaum ein anderes Land eine so starke Abhängigkeit in diesem Bereich wie Deutschland. Dass sich das seit Jahren nicht geändert hat, dafür sollten sich die Bildungsverantwortlichen wirklich schämen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

Sachsen-Anhalt ist an dieser Stelle auch innerhalb von Deutschland ganz vorn.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Liste dessen, was in unserem Bildungssystem schiefläuft, könnte ich noch lange weiterführen. Anstatt konkret an der Problemlösung zu arbeiten, setzt die CDU in ihrer Politik weiterhin keine Priorität im Bereich Bildung. Im schlechtesten Fall werden Dinge sogar noch schlimmer gemacht. Aktuelle Beispiele gefällig? - Statt endlich dafür zu sorgen, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen-Anhalt erfüllt wird und Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Chance auf Teilhabe im Bildungssystem haben, wird von Bildungsministerin Eva Feußner per Verordnung entschieden, dass Kinder nun auch direkt in die Förderschule eingeschult werden können. Mit Inklusion hat das nichts zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Anstatt endlich in unsere maroden Schulen zu investieren, werden die Mittel für den Schulbau im Bildungshaushalt gestrichen. In den nächsten zwei Jahren sollen den Kommunen nach dem Plan der CDU also keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden,

(Guido Heuer, CDU: Noch ist das eine Koalition! Sorry! Das ist doch nicht zu fassen! - Weitere Zurufe von der CDU)

- okay, dann an dieser Stelle: der Koalition; aber es ist ja eine CDU-Ministerin -

(Guido Heuer, CDU: So ein Quatsch! - Unruhe bei der CDU)

damit die Kommunen die Schulen sanieren können. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie jemand auf eine solche Idee kommt.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Ähnliches gilt im Übrigen für die Finanzmittel für die freien Schulen in Sachsen-Anhalt.

(Unruhe)

Diese wurden vom CDU-Bildungsministerium so weit heruntergekürzt, dass mittelfristig   das ist die Aussage der Träger   viele freie Schulen von einer Schließung bedroht sind. Haben Sie in der CDU überhaupt schon einmal darüber nachgedacht, was dann die Konsequenzen sind? Jede zehnte Schülerin, jeder zehnte Schüler in Sachsen-Anhalt besucht eine freie Schule. Wie sollen die öffentlichen Schulen das denn auffangen,

(Zuruf: Genau! - Guido Kosmehl, FDP: Was?)

wenn sie all diese Schülerinnen aufnehmen müssen? Nehmen wir z. B. die Stadt Halle. Dort sind die Schulen schon jetzt randvoll. Wir kriegen regelmäßig Briefe genau zu diesem Problem. Wenn die freien Schulen dort geschlossen werden - wohin sollen die Kinder dann?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es braucht dringend einen Wechsel in der Bildungspolitik.

(Zurufe von Angela Gorr, CDU, und von Guido Heuer, CDU)

Es muss endlich eine andere Partei als die CDU den Bildungsbereich in Sachsen-Anhalt anführen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Guido Heuer, CDU: Frau Dalbert wollte es einmal werden, sie durfte es aber nicht! Hört auf! - Zurufe von den GRÜNEN) 

Nur so gibt es die Chance, dass Sachsen-Anhalt im Bildungsvergleich zwischen den Bundesländern nicht immer mit am schlechtesten abschneidet.

(Guido Heuer, CDU: Sie überhöhen! - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Die CDU hat es lange genug versucht und gezeigt: Es klappt nicht.

(Zuruf von Guido Heuer, CDU)

Doch was braucht es stattdessen? - Im Landeshaushalt braucht es endlich eine Priorität für die Finanzierung unseres Bildungssystems. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es darf nicht an der Schuldenbremse scheitern, dass in unsere Schulen investiert wird. 

(Guido Heuer, CDU: Ach!)

Für Bildung muss immer Geld da sein. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen endlich stärker auf Inklusion als auf Exklusion setzen. Denn das Recht auf Teilhabe von Kindern mit Behinderungen gilt auch für die Bildung; diesbezüglich gibt es gar keine Diskussion. Dieses Recht wird momentan nicht entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention erfüllt, auch wenn die Bildungsministerin hier immer etwas anderes behauptet. Auch das würde übrigens die Quote der Schülerinnen, die die Schulen ohne Schulabschluss verlassen, verringern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn wir schon bei der Schulabbruchquote sind: Wir brauchen in Sachsen-Anhalt endlich ein Landesprogramm Schulsozialarbeit, mit dem die Schulsozialarbeit finanziell langfristig abgesichert wird. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Lothar Waehler, AfD: Habt ihr doch! - Zurufe von der CDU) 

- Langfristig!

(Guido Heuer, CDU: Meine Güte!)

Wir brauchen ein Landesprogramm, das institutionell gefördert ist und langfristig Schulerfolg sichert. 

(Guido Kosmehl, FDP: Langfristig? Was heißt das? - Eva von Angern, Die Linke: Das ist ein selbstverständlicher Bestandteil von Schulen! Das gehört dazu! - Zurufe von der CDU)

- Ja, langfristig. Nicht mittelfristig mit Blick auf das nächste Programm, sondern langfristig. 

(Unruhe)

Zu dem großen Thema Bildungsgerechtigkeit. Die Ergebnisse von Umfragen zeigen, dass gerade hier im Osten viele Bürgerinnen sich wünschen, dass die Schülerinnen länger gemeinsam lernen und mindestens bis zur sechsten Klasse gemeinsam dieselbe Schule besuchen.

(Zurufe von Marco Tullner, CDU, und von der AfD)

Viele wünschen sich den gemeinsamen Schulbesuch sogar bis zur neunten Klasse. 

Auch im internationalen Vergleich ist der CDU-Fetisch zur frühestmöglichen Aufteilung der Kinder an unterschiedliche weiterführende Schulen absolut unverständlich. 

(Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Meine Damen und Herren! Es wird langsam ein bisschen zu laut, um der Rednerin noch konzentriert folgen zu können. Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Plenum

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Europaweit sind Deutschlands 14 Bundesländer und Österreich die einzigen Länder mit einer vierjährigen Grundschule. Diesen deutschsprachigen Sonderweg bei der gemeinsamen Schulzeit dann auch noch als Ultima Ratio der Bildungspolitik darzustellen, insbesondere wenn wir in den Ländern mit den besten Bildungsergebnissen die Kinder viel länger gemeinsam lernen sehen, dann stellt das schon eine besondere Form der Ignoranz dar. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Schulzeit, die die Kinder gemeinsam verbringen, muss dringend verlängert werden. Es braucht dringend eine Verlängerung der Grundschulzeit bis mindestens zur sechsten Klasse. 

(Ulrich Thomas, CDU: Genau das werden wir nicht tun!)

Das ist ein zentraler Bestandteil, um die Bildungsgerechtigkeit in Sachsen-Anhalt zu erhöhen 

(Beifall bei den GRÜNEN)

und die Abhängigkeit vom Bildungshintergrund der Eltern zu verringern, um mehr Kindern bessere Chancen auf einen Bildungserfolg zu geben. 

Ebenfalls braucht es für bessere Bildungsgerechtigkeit eine gezielte Sprachförderung in den Kitas und in der Grundschule, damit kein Kind aufgrund von Sprachdefiziten schlechtere Bildungschancen hat. 

(Unruhe)

Wir Bündnisgrünen kämpfen für die Schule, in der sich alle Schülerinnen wohlfühlen können und in sauberen und modernen Schulgebäuden unterrichtet werden, in der alle Schülerinnen, egal wie viel ihre Eltern verdienen oder welchen Schulabschluss ihre Eltern haben, eine Chance auf Bildungserfolg haben. 

Wir setzen uns dafür ein, dass alle Kinder, egal welche Voraussetzungen sie haben, gute Schulleistungen erbringen können. Wir wollen eine Schule, in der alle Kinder und Jugendlichen die für sie bestmögliche Bildung erhalten, in einem Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen können, Begabungen gewürdigt und gefördert werden und alle Kinder eine Chance auf Bildungserfolg haben, egal wie der Hintergrund ihrer Eltern ist oder welche Muttersprache sie haben. 

Dafür braucht es jetzt ein Umdenken in der Bildungspolitik: längeres gemeinsames Lernen, Sprachförderung, Schulgeldfreiheit, Schulsozialarbeit für jede Schule und Inklusion für mehr Bildungsgerechtigkeit in Sachsen-Anhalt. Mit der CDU ist das Ganze offensichtlich nicht möglich und deswegen braucht es    

(Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Sziborra-Seidlitz, einen Augenblick bitte. - Ich weiß, dass die Mittagspause bereits vor einer halben Stunde beginnen sollte, aber es wird nicht besser, wenn hier ein Geräuschpegel herrscht, der es der Rednerin erschwert, weiter auszuführen. Deshalb bitte ich um ein wenig mehr Ruhe. - Vielen Dank. 


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Deswegen braucht es dringend einen Politikwechsel, insbesondere für die Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt. - Vielen Dank. 

(Beifall bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ich habe also praktisch Ihren letzten Satz unterbrochen. Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Bernstein, eine Frage von Frau Kühn und eine weitere Kurzintervention von Frau Gorr. - Herr Bernstein, bitte. 


Jörg Bernstein (FDP): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Es mag jetzt eine Nebensächlichkeit sein, aber gestern wurde ich vom Kollegen Gallert gefragt, was ich denn zu der Reduzierung der Mittel für den Bereich der Digitalisierung im Corona-Sondervermögen sagen würde. Ich habe daraufhin aus meiner praktischen Erfahrung berichtet und gesagt, dass einiges davon auch   in Anführungsstrichen   rausgeschmissenes Geld ist. 

Jetzt haben Sie ein wenig despektierlich über den Polylux, den Overhead-Projektor, berichtet, der in vielen Schulen noch genutzt wird. Ich möchte einmal eine kleine Episode aus der Praxis erzählen. Oder ich stelle vielleicht doch eine Frage, aber das ist dann eine rhetorische Frage.

(Lachen bei der FDP)

Was könnte der Hauptgrund dafür gewesen sein, dass sich Kollegen an meiner Schule eine Dokumentenkamera für eine interaktive Tafel gewünscht haben? 


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Ich kenne solche Geschichten tatsächlich auch. 


Jörg Bernstein (FDP): 

Das ist keine Geschichte, das ist traurige Realität. Das war eine rhetorische Frage. - Der Grund dafür war, dass sie ihre alten Folien weiter nutzen wollten. An dieser Stelle sage ich mir: Das ist wirklich Perlen vor die Säue schütten. - Vielen Dank. 

(Zustimmung bei der FDP)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Sziborra-Seidlitz, wollen Sie reagieren?


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Ich kenne solche Geschichten auch von Schulbesuchen. Dort, wo es digitale Tafeln gibt, wird tatsächlich an vielen Stellen so gearbeitet. Deswegen gehört zur Digitalisierung zwingend auch die Fort- und Weiterbildung für digitale Didaktik. An dieser Stelle sind wir inhaltlich komplett beieinander. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ich nehme an, dass Sie die Frage von Frau Kühn zulassen? 


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Ja. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Kühn, bitte. 


Xenia Sabrina Kühn (CDU): 

Vielen Dank. - Frau Sziborra-Seidlitz, Sie haben einen medizinischen Hintergrund. Ich würde gern Folgendes wissen: Ist ein schwer autistisches Kind mit massiven Verhaltensstörungen in einer Förderschule, also in einer kleinen Gruppe mit maximal zehn Leuten, nicht vielleicht besser aufgehoben als in einer Hauptschule oder einer Realschule, in der der Klassenverband aus 25 Kindern besteht, also wesentlich größer ist?

(Zustimmung bei der CDU)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank für diese Frage - und das meine ich sehr, sehr ernst. Uns wird häufig eine Grabenkampfmentalität bei dem Thema Förderschule unterstellt. Aber so ist es nicht.

(Zuruf von Marco Tullner, CDU)

Uns geht es nicht   das ist meine erste Erwiderung   um die vollständige Abschaffung von Förderschulen, 

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE - Jörg Bernstein, FDP: Doch!)

sondern uns geht es tatsächlich um die Abschaffung in den Bereichen, wo Schülerinnen und Schüler sehr wohl im gemeinsamen Unterricht lernen könnten. Uns geht es um den Bereich Lernbehinderungen, uns geht es um die Bereiche Verhaltensauffälligkeiten und geistige Behinderungen. - Das ist die erste Antwort. 

Jetzt die zweite Antwort. Wir waren mit dem Bildungsausschuss gemeinsam in Irland. In Irland gibt es keine Förderschulen. Wir haben dort eine Schule besucht, die genau diese Frage sehr gut gelöst hat. Natürlich funktioniert der gemeinsame Unterricht nicht für alle Schülerinnen und Schüler. In Irland gab es in der Schule, die wir besucht haben, eine spezielle Klasse, das war eine Art Rückzugsklasse, und zwar explizit für Kinder aus dem Autismusspektrum. 

(Zuruf von der AfD: Sonderklasse! Also Sonderschule!)

Uns wurde berichtet, dass diese Kinder in dieser Klasse unterschiedlich lange unterrichtet werden. Einige Kinder sind auch im gemeinsamen Unterricht, einige sind die ganze Zeit über in dieser Sonderklasse. Aber diese Kinder sind Teil der Gemeinschaft Schule. Sie sind Teil der Schulkultur und sie werden als integraler Bestandteil der Kultur dieser Schule wahrgenommen. Das ist, wie ich finde, an dieser Stelle für diese Kinder selbst eine wertvolle Erfahrung. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Marco Tullner, CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Es gibt keine Nachfrage, sondern eine weitere Kurzintervention von Frau Gorr. 


Angela Gorr (CDU): 

Sehr geehrte Kollegin Frau Sziborra-Seidlitz, ich möchte ganz ausdrücklich Ihre Anschuldigungen gegenüber den CDU-Bildungsministerinnen und  Bildungsministern zurückweisen. Ich kann an diesem Mikrofon leider nicht in eine grundsätzliche Debatte mit Ihnen einsteigen, aber ich möchte Sie Folgendes fragen: Ist Ihnen bewusst, welche unendlich große Belastung die Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land durch das verspüren, was Sie als prinzipielle Inklusion bezeichnen? 

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Durch was? 


Angela Gorr (CDU):

Waren Sie schon einmal in einem Unterrichtsraum mit drei Schulbegleitern, in dem bspw. ein gehörloses Kind unterrichtet wird, oder auch in einem Raum, in dem Kinder mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen   also deutsche Kinder und ausländische Kinder mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen wohlgemerkt   zusammen waren? 

Wie stehen Sie dazu, dass so viele Lehrerinnen und Lehrer bei uns wegen kompletter Überforderung aus dem Schuldienst ausscheiden? Ich glaube, in dieser Diskussion wird manchmal vergessen, dass der Lehrerberuf eine Berufung ist, aber dass man sich diesem Beruf nur bis zu einer bestimmten Grenze so widmen kann, wie man es vielleicht möchte. Sie müssen darauf nicht antworten, aber ich möchte das hier einmal loswerden. 

(Beifall bei der CDU)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Das mache ich sehr gern, Frau Gorr. Diese Grundsatzdebatte würde ich sehr gern mit Ihnen führen. Wir haben keinen sonderlich weiten Weg zueinander. 

(Angela Gorr, CDU: Ich komme gern vorbei!)

Wir können uns einmal bei einem Kaffee zusammensetzen und darüber diskutieren; denn ich glaube, diese Diskussion ist es wert, geführt zu werden. 

Selbstverständlich gehe ich nicht davon aus, dass man den gemeinsamen Unterricht in den Schulen, wie sie heute in Sachsen-Anhalt bestehen, ohne Weiteres durchführen kann. Selbstverständlich ist das nicht so und das berichten auch Lehrkräfte. An dieser Stelle bin ich völlig bei Ihnen. Das, worum es geht, ist ein grundsätzlicher kultureller Wandel hin zu Schulen, die genau diesen gemeinsamen Unterricht ermöglichen. Dafür müssen wir unsere Schulen baulich ertüchtigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In vielen Schulen kommt man bspw. mit einem Rollstuhl gar nicht in alle Unterrichtsräume. Dafür müssen natürlich auch die Klassengrößen entsprechend sein und natürlich brauchen wir dafür auch Fachkräfte mit einer entsprechenden Ausbildung, die im Unterricht anwesend sind und die Kinder mit besonderen Bedarfen unterstützen. 

Selbstverständlich funktioniert es nicht, alle Kinder aus den Förderschulen einfach in die Gymnasien, Realschulen oder Hauptschulen zu setzen und dort zu unterrichten. Das wird nicht gehen. Darin bin ich völlig bei Ihnen. 

(Beifall bei den GRÜNEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Gorr noch einmal, aber kurz.


Angela Gorr (CDU): 

Danke schön für diese gewisse Einsicht in Ihrer Antwort. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass man dem damaligen Finanzminister abzuringen versucht hat, die Thematik Barrierefreiheit in die damalige Schulbauprogrammatik hineinzuformulieren. Frau Dr. Pähle bestätigt das. 


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Das ist SPD.


Angela Gorr (CDU): 

Mir ist völlig egal, ob CDU, SPD oder sonst irgendetwas. Ich stehe hier als ehemalige Bildungspolitikerin und als jemand, der wirklich für das Fortkommen der Schülerinnen und Schüler brennt. - Das ist das eine, das ich sagen möchte. 

Das andere betrifft die Schulsozialarbeit. Inzwischen dürfte jedem im Haus bekannt sein, dass ich eine der Kämpferinnen für das Thema Schulsozialarbeit war. Aber es ist aus meiner Sicht ein bisschen unredlich, die Schulsozialarbeit ausgerechnet an die Sicherung des Schulerfolgs zu knüpfen; denn die Schulsozialarbeit hat ganz andere Aufgaben. Junge Menschen zu einem Schulerfolg zu befähigen, ist nicht unbedingt die vorderste Aufgabe der Schulsozialarbeit, sondern das haben die Lehrerinnen und Lehrer jeden Tag auf dem Tisch. Die Schulsozialarbeit ist ein unterstützendes System, für das ich mich auch weiterhin einsetze. 

Das Gespräch führe ich gern. Daran können auch gern weitere Kollegen teilnehmen. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Das ist jetzt, glaube ich, schon fast Ausschussarbeit. - Frau Sziborra-Seidlitz.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

An dieser Stelle haben wir gerade mehr Gemeinsamkeiten als Dissonanzen, aber die Dissonanzen räume ich sehr gern bei einem Kaffee mit Ihnen aus.