Tagesordnungspunkt 8
Ernährung für alle sichern
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/914
Es findet eine Zehnminutendebatte statt. Zunächst hat die Antragstellerin das Wort. - Frau Frederking, bitte.
Dorothea Frederking (GRÜNE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Krieg bringt unendliches Leid über die Ukraine und ihre Menschen. In der Folge brechen auch die landwirtschaftliche Produktion in der Ukraine und ihre Exporte ein, gerade bei Getreide und Speiseölen. Zusätzlich stoppt Russland die Exporte. Zwei Kornkammern der Welt fallen nun für die globale Versorgung aus. Das betrifft insbesondere die Ärmsten der Armen, die in einem hohen Maße von Getreideimporten aus Russland und der Ukraine abhängig sind. Zum Beispiel liegt in Somalia die Importquote bei 90 %. In zwei Monaten wird es in ganz Nordeuropa kein Sonnenblumenöl mehr geben. Wir werden das vermutlich kompensieren können und auf andere Öle, z. B. Rapsöl, umswitchen können.
Für uns als Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist klar, dass die Versorgung mit Lebensmitteln oberste Priorität hat.
(Zustimmung)
Die Ernährung muss für alle Menschen gesichert sein. Dazu bedarf es kurz- und langfristig wirkender Lösungen. Man muss jetzt so handeln, dass Hilfen kurzfristig dort ankommen, wo die Not am größten ist und wo sogar Hungersnöte drohen. Man muss jetzt so handeln, dass langfristig die Grundlagen für den dauerhaften Bestand einer krisenfesten und widerstandfähigen Landwirtschaft und für eine faire Ressourcenverteilung gelegt werden. Ganz zentral sind hierbei auch agrarökologische Maßnahmen.
(Zustimmung)
Die Auswirkungen des Krieges und die damit verbundene Verknappung der Lebensmittel werden nun von der Agrarlobby und leider auch von der CDU instrumentalisiert,
(Zurufe: Oh!)
um ein Rollback in der Landwirtschaftspolitik zu fordern.
(Zustimmung)
Sie wollen ökologische Maßnahmen hintanstellen. Sie wollen eine Intensivierung der Landwirtschaft und verlangen wieder mehr Pestizide und mehr Mineraldünger.
(Zuruf: Pflanzenschutzmittel!)
Diesem Ansinnen erteilen wir eine klare Absage.
(Zustimmung)
Die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft darf nicht über Bord geworfen werden. Ansonsten verschärfen sich andere Krisen, wie z. B. die Trockenheit, und die Lebensmittelversorgung der Zukunft ist gefährdet. Wie widersprüchlich ein Rollback wäre, zeigt sich am Beispiel Mineraldünger. Damit verbunden sind exorbitant gestiegene Kosten, eine Abhängigkeit der Düngerproduktion von russischem Gas, eine energieaufwendige Herstellung und Lachgasemissionen, die den Klimawandel noch weiter verschärfen. Stattdessen wäre es für die sachsen-anhaltische Landwirtschaft vorteilhaft, mit mehr Leguminosen und der Integration von Ackerbau und Tierhaltung die Nährstoffkreisläufe wieder ins Gleichgewicht zu bringen und so zugleich mineralischen Stickstoffdünger reduzieren zu können. Damit werden dann Kosten, Abhängigkeiten und klimaschädliche Emissionen gemindert.
(Zustimmung)
Ich möchte es ganz klar sagen: Es ist richtig, dass kurzfristig effektiv unterstützt wird. Dazu gehören auch die Hilfslieferungen an die Ukraine. Das World-Food-Programm muss finanziell aufgestockt werden.
(Zuruf: Oh!)
Die G 7-Agrarministerinnen haben sich darauf verständigt, dass die Märkte offen bleiben. Für 2022 hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir erlaubt, dass die ökologischen Vorrangflächen auch zur Futtermittelerzeugung genutzt werden können. Das trägt auch für die sachsen-anhaltischen Betriebe zur Futterversorgung bei. Nach einer seriösen Bestandsaufnahme muss die Weltgemeinschaft eine solidarische und koordinierte Antwort darauf geben, woher das Getreide kommen soll, das jetzt nicht mehr zur Verfügung steht.
(Zustimmung)
Sie muss auch gemeinsam Getreide für die Staaten zur Verfügung stellen, in denen eine Unterversorgung droht und die in hohem Maße abhängig sind. Ob dazu eine Produktion auf den in der EU stillzulegenden Flächen etwas leisten kann, muss seriös bilanziert werden. Schon jetzt gibt es aber auch starke Zweifel an diesem Ansatz.
Als grüne Landtagsfraktion das betone ich beteiligen wir uns ganz konstruktiv an einer Lösungsfindung ohne Scheuklappen. Mit Blick auf die CDU sage ich Ihnen allerdings: Wir können es nicht akzeptieren, dass sie den Krieg zum Anlass nehmen, um das durchzusetzen, was sie schon lange wollten, nämlich die Verhinderung einer Agrarwende.
(Zustimmung)
Die Agrarwende ist so dringlich zum Selbstschutz der Landwirtschaft. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass das jetzige Landwirtschaftssystem, das auf maximale Produktivität ausgelegt ist, so weiterlaufen kann wie in den Jahrzehnten zuvor. Mit dem Krieg sind weder die Klimakatastrophe noch das Artensterben verschwunden. Wer ökologische Notwendigkeiten als Luxusdebatte und als Wunschvorstellungen abtut, der verweigert sich den Realitäten.
(Zustimmung)
Die Wirklichkeit hat uns längst eingeholt. Spätestens seit 2018 spüren wir die Wucht der Klimakatastrophe.
(Zuruf: Oh!)
Sachsen-Anhalt gehört zu den trockensten Gebieten Deutschlands. Sachsen-Anhalt trocknet immer weiter aus.
(Zustimmung - Zurufe)
Es droht bereits in wenigen Jahren die Versteppung der Altmark und dann gäbe es dort keine Bäume mehr.
(Zuruf: Die Versteppung? - Lachen - Unruhe)
Vier Dürrejahre liegen hinter uns und auch in diesem Jahr fällt zu wenig Regen. Die lang anhaltende Dürre im Jahr 2018 wurde als Naturkatastrophe eingestuft. 63 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen in Sachsen-Anhalt wiesen Schäden mit Ernteeinbußen von deutlich mehr als 30 % auf. Es wurden Hilfsgelder in Höhe von 60 Millionen € an mindestens 618 existenzgefährdete Betriebe gezahlt.
(Zuruf: Und Sie sagen: ohne Scheuklappen?)
- Genau, ohne Scheuklappen sehen, was unsere Landwirtschaft klimastabil macht. - Ich habe das Jahr 2018 erwähnt, um Ihnen die Dimensionen klarzumachen, mit denen wir konfrontiert sind:
(Zustimmung - Zuruf: Fünf Jahre lang tun Sie in der Regierung gar nichts!)
30 % weniger Ernten durch Klimaveränderungen. Ich bitte Sie, das einmal ins Verhältnis zu den stillzulegenden Flächen zu setzen, von denen effektiv nur 2 % für eine Nutzung infrage kämen. Herr Thomas hat gestern gesagt und er hat es mehrmals betont: Wir leben im Hier und Jetzt. Die Konsequenz kann doch nur lauten, das Hier und Jetzt ernst zu nehmen, Probleme anzuerkennen und Klimaschutz und Klimaanpassung in den Fokus zu rücken.
Wenn wir das wenige Wasser nicht besser in den Boden bringen und dort mit Hecken und Bäumen festhalten, dann werden wir in Sachsen-Anhalt in Zukunft kaum noch etwas ernten können. Wenn weiterhin viele Pestizide ausgebracht werden, dann schädigt das die Bodenlebewesen und die Insekten und dann brechen auch wieder die Bestäubungsleistungen, die Bodenfruchtbarkeit und damit auch die Ernten ein.
(Zustimmung)
Deshalb ist die aktuelle Entscheidung der EU-Kommission, die Pestizidreduzierung zu verschieben, fatal. Denn es geht um unsere Lebensgrundlagen. Als Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehen wir gerade in einer umwelt-, ressourcen- und klimaschonenden sowie tiergerechten Landwirtschaft Lösungen für Probleme.
(Zustimmung)
Nur mit agrarökologischen Maßnahmen können die Ökosysteme wieder in Balance gebracht werden. Stabile Ökosysteme sind das Fundament für eine widerstandsfähige und ertragsstarke Landwirtschaft.
(Zustimmung)
Beispielhaft möchte ich, auch in Richtung von Herrn Kosmehl, sagen, was wir brauchen. Sie haben danach gefragt. Wir brauchen eine Eiweißpflanzenstrategie, um die heimische Futtermittelerzeugung zu erhöhen und die Abhängigkeit von Mineraldünger zu reduzieren.
(Zuruf)
Wir brauchen eine Ackerbaustrategie mit einer Fruchtartendiversifizierung, die die Leistungsfähigkeit der Böden verbessert und den Einsatz von Pestiziden reduziert. Wir brauchen Bäume in der Landschaft zur Verbesserung der Grundwasserneubildung und des Mikroklimas.
(Unruhe)
Wir brauchen eine Abstockung von Tierbeständen in viehdichten Regionen.
(Zustimmung)
Versorgungslücken müssen geschlossen werden, z. B. beim Gemüse. Die jetzigen Warenströme und Exportstrategien gehören auf den Prüfstand und müssen auch verändert werden, damit die Staaten eine regional angepasste, nachhaltige Landwirtschaft machen können und ernährungssouveräner werden.
Ich möchte für Sachsen-Anhalt sagen, was das bedeutet und wie wir die Ernährung sichern können, damit die Menschen genug Kilokalorien zu sich nehmen können. Die sachsen-anhaltische Landwirtschaft sollte mehr pflanzliche Lebensmittel für die menschliche Ernährung produzieren und damit Geld verdienen. Getreide ins Brot statt in den Futtertrog, weniger Biosprit,
(Zustimmung - Zuruf: O Gott! - Weitere Zurufe)
Ölsaaten auf den Teller, statt in den Tank, Lebensmittelverschwendung eindämmen, die Nahrungsmittel tatsächlich in den Magen, statt in den Müll.
(Zustimmung - Zuruf: Unglaublich! - Weitere Zurufe)
Unterkomplexe Antworten auf eine komplexe Lage und auf strukturelle Probleme helfen uns nicht weiter. Die Krisen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden - im Gegenteil, sie müssen gemeinsam gelöst werden. Unser Agrarsystem muss gerade jetzt umgebaut werden, sonst werden wir in Zukunft gar nichts mehr ernten können.
(Unruhe)
Deshalb halten wir an der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft fest.
(Unruhe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Frederking, kommen Sie bitte zum Ende.
Dorothea Frederking (GRÜNE):
Sie ist ein entscheidender Baustein zur Sicherung der Ernährung für alle Menschen. - Vielen Dank.
(Beifall)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank für die Eröffnung der Aktuellen Debatte, Frau Frederking. Der Abg. Herr Loth hat eine Frage. Wollen Sie die beantworten? - Herr Loth, bitte.
Hannes Loth (AfD):
Sehr geehrte Frau Frederking, wo bitte haben wir in Sachsen-Anhalt noch viehdichte Regionen?
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Frederking.
Dorothea Frederking (GRÜNE):
Herr Loth, wieder einmal muss ich Ihnen hier von diesem Pult aus eine Nachhilfestunde erteilen.
(Zustimmung)
Ich empfinde das inzwischen wirklich als eine Belästigung des gesamten Parlaments, aber ich erkläre es Ihnen gern.
(Zustimmung - Lachen)
Wir haben deutschlandweit gemittelt 0,8 Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. In Sachsen-Anhalt sind es 0,35.
(Zuruf: Ja!)
Das heißt, wir liegen schon bei etwas weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Besatzes mit Großvieheinheiten. Sachsen-Anhalt ist keine viehdichte Region.
(Zurufe: Aber das haben Sie doch gerade gesagt, Frau Frederking! - Sie haben von viehdichten Regionen gesprochen! - Unruhe)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank. - Frau Frederking hat geantwortet.
(Unruhe)
Dorothea Frederking (GRÜNE):
Ich habe gesagt: in viehdichten Regionen.
(Zuruf: Ja!)
Ich habe nicht gesagt: in Sachsen-Anhalt.
(Zustimmung - Lachen - Zurufe: Ha, ha, ha! - Es ist unglaublich! - Ich dreh am Rad! - Unruhe)