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Plenarsitzung

Transkript

Andreas Silbersack (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir in Sachsen-Anhalt leben in einem Landstrich, an dessen Grenze jahrzehntelang eine militärische Konfrontation nie auszuschließen war. Wir kennen die Beklemmungen, die mit dem Gedanken verbunden sind, sich die eigene Heimat als Schlachtfeld vorstellen zu müssen. So tödlich real, wie es die Menschen in der Ostukraine seit Jahren erleben und wie es die Menschen in der übrigen Ukraine dieser Tage befürchten müssen, wurden sie bei uns glücklicherweise nicht. Wir sollten uns aber daran erinnern, wenn sich der Impuls regt, dass uns das Schicksal der Menschen dort gar nichts anginge.

Die Sprache, die Wladimir Putin zum Einmarsch auf ukrainisches Staatsgebiet gewählt hat, zeigt deutlich, dass es ihm um die Begleichung alter Rechnungen geht, Rechnungen von denen er und vielleicht die Staatssicherheit in Russland meinen, dass sie aus dem Zusammenbruch der alten Sowjetunion offengeblieben sind. Tatsächlich ging es damals um den Willen der Menschen, eigene Staaten zu gründen, ob das Kasachstan ist, ob das die Ukraine ist, ob das die baltischen Staaten sind.

Auch wir in Ostdeutschland haben es gewagt, unser Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, und die Besatzungstruppen zum Gehen aufgefordert. Ich bin dem Ministerpräsidenten für seine Worte sehr dankbar. Als Erster Vizepräsident des Bundesrats vertritt er derzeit ein oberstes Bundesorgan. Allein schon deshalb ist es mehr als angemessen, dass er zu dieser besorgniserregenden außenpolitischen Lage hier bei uns im Parlament Stellung bezogen hat.

Wir verfügen im Landtag über keine besonderen außenpolitischen Zuständigkeiten, aber wir setzen hier auf dem demokratischen Wege Recht um und wir werben regelmäßig mit der Einigung Europas. Wir hegen keinerlei Groll gegen die Menschen in Russland. Im Gegenteil: Wir wollen friedlichen Austausch und Handel mit ihnen treiben. Aber wir müssen ihnen heute ganz klar sagen: Der Geist des Rechts Europas und der Demokratie wird durch eine gänzlich ungerechtfertigte Aggression seitens der russischen Führung auf das Gröbste verletzt, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Ich habe allergrößte Hochachtung für die Tausenden Russinnen und Russen, die sich trauen, gegen diesen Willkürakt Wladimir Putins zu demonstrieren, aufrecht, wohl wissend, dass sie schwerste Repressalien zu erwarten haben.

(Beifall)

Ihr Mut ist Ausdruck der Würde des russischen Volkes. Es wird ihnen die notwendige Kraft verleihen, wenn es eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages nach dem Ende des Putinregimes auf diese beschämende Zeit zurückblickt, meine Damen und Herren.

(Zustimmung)

Dass dieser große Mut überhaupt notwendig ist, ist wohlmöglich der augenscheinlichste Unterschied zwischen dem heutigen russischen Staatswesen und unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Gegen unsere Sicherheitskräfte kann man öffentlich protestieren, wie abstrus die Begründung dafür auch sein mag. Sie werden sie dennoch dabei beschützen und genau dieses Recht verteidigen.

Ja, über die Eignung von Sanktionen kann man akademisch streiten. Dennoch besteht immerhin eine durchaus berechtigte Hoffnung, dass schon die Ankündigung von Sanktionen die Kosten-Nutzen-Rechnung einer potenziellen Aggression ändert. Diese Wirkung kann man freilich nur dann erwarten, wenn diese Ankündigungen im Misserfolgsfall auch tatsächlich umgesetzt werden.

(Zustimmung)

In dieser Woche sterben Menschen in der Ukraine durch kriegerische Gewalt. Innerhalb von 24 Stunden sind es augenblicklich bis zu 200 Ukrainer; und es werden mehr werden. Das müssen wir uns alle vor Augen halten. Da verbietet es sich an und für sich, zu beziffern oder gar zu beklagen, welche Auswirkungen Sanktionen auf unseren Wohlstand in Sachsen-Anhalt haben werden. Aber ja, wir müssen bereit sein, diese zu akzeptieren. Denn seien wir ehrlich: Es bleiben ansonsten nicht viele Einwirkungsmöglichkeiten, um einer solchen Willkür mit mehr als Solidaritätsadressen zu begegnen.

Gegenüber Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet sind wir in Deutschland reserviert. Schon gar nicht werden wir oder unsere Verbündeten in einen Krieg gegen das hochgerüstete atomar bewaffnete Russland eintreten, solange wir nicht dazu gezwungen sind, uns zu verteidigen.

Deshalb sind die Bedrohungsszenarien, die von der russischen Führung an die Wand gemalt werden, im Übrigen so dermaßen absurd. Präsident Putin mit seinem Geheimdiensthintergrund dürfte dies völlig klar sein.

Es ist aber auch völlig klar, dass sich Präsident Putin im Vorfeld offensichtlich gut mit der chinesischen Führung abgesprochen hat. Auch denjenigen, die hierzulande bereitwillig glauben, sollte das spätestens dann bewusst werden, wenn er einer freien Nation wie der Ukraine, einem so souveränen Land seine Existenzberechtigung abspricht.

Die einzige Gefahr, die Wladimir Putin, ausgehend von der Ukraine und von uns in der westlichen Welt, zu befürchten hat, ist die Angst vor dem russischen Volk, meine Damen und Herren, davor, dass es durch unser gemeinsames Beispiel zu einer gefährlichen Erkenntnis gelangen könnte, nämlich, dass es eine politische Führung aus dem Amt drängen können sollte, wenn es sie nicht mehr für tauglich hält.

Dem Großteil der Russen ist durchaus bewusst, dass sie und ihr Land von der Elite um Putin ausgeplündert werden. Der Rausch imperialen Stolzes, den die russische Propaganda nun vielleicht fabrizieren mag, wird das nicht länger übertünchen können. Denn viel mehr hat Wladimir Putin den ganz normalen Menschen in Russland nicht zu bieten.

Sie haben von diesem Krieg nichts als Leid zu erwarten. Diese Art Großmachtpolitik kostet im günstigsten Fall nur Unsummen an Steuergeld und junge Soldaten mit Blut an den Händen, die im schlechtesten Fall in Zinksärgen in ihre Heimat zurückkehren, meine Damen und Herren.

(Zustimmung)

Ich glaube, es war richtig, dass Deutschland und die Verbündeten der russischen Führung den Verhandlungsweg offengehalten haben   auch wenn sie überdeutlich einen Angriffskrieg vorbereitete und dreist, aber unbeholfen einen Kriegsgrund konstruierte. Obwohl die diplomatischen Bemühungen bedauerlicherweise gänzlich ohne Erfolg blieben, ist es genauso richtig, dass diese Tür einen Spalt offenbleibt, meine Damen und Herren.

Dennoch ist ganz klar: Die Ukraine hat jedes Recht auf dieser Welt, sich zu verteidigen.

(Zustimmung)

Es gibt nur einen Weg, diese Aggression zu beenden, ohne sich ihrer Logik zu ergeben. Das ist der Rückzug der russischen Truppen und des russischen Marionettenregimes in der Ostukraine, meine Damen und Herren.

(Zustimmung)

Leider ist die Wahrscheinlichkeit dafür nicht sonderlich hoch. Unter diesen Umständen ist es jetzt   unabhängig von dem Thema Sanktionen   nicht zu rechtfertigen, Nord Stream 2 ans Netz gehen zu lassen. Wladimir Putin hat eine politische Neubewertung des Projekts erzwungen.

Offenkundig führt er ein Staatswesen, das bereitwillig militärische Gewalt gegen ein friedliches Nachbarland einsetzt. Ich persönlich hätte mir nie vorstellen können, dass Wladimir Putin tatsächlich die Souveränität der Ukraine infrage stellt. Für mich war das bis vorgestern unvorstellbar.

Die wenigsten von uns werden sich jemals der Illusion hingeben, dass Wladimir Putin Russland zu einem liberalen Utopia machen wollte. Dennoch haben wir unterstellt, dass die russische Führung grundsätzlich den Prinzipien rationalen Handels folgt. Die Realität dieser Tage ist für mich wie für uns alle, die die deutsch-russischen Beziehungen grundsätzlich stets mit gutem Willen betrachtet haben, deshalb äußerst ernüchternd.

In kurzer Zeit ist nun sehr viel Vertrauen zerstört worden. Der Weg, dieses Vertrauen wiederherzustellen, ist erfahrungsgemäß leider viel länger. Den ersten großen Schritt muss nun die russische Führung machen. Stoppen Sie diesen Krieg sofort und ohne Vorbedingungen! - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Silbersack. Herr Tillschneider möchte eine Frage loswerden. Wollen Sie diese beantworten?


Andreas Silbersack (FDP):

Ja.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Eine ganz kurze Frage. Die der FDP nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung hat ja schon so manchen fragwürdigen Putsch unterstützt. Nach Ihrer Rede frage ich Sie daher: Sind Sie in Russland auch schon im Geschäft?

(Lachen - Zurufe: Oh! - Was haben Sie für ein Problem? - Mann, Mann, Mann! - Wie geil ist das denn? - Unruhe)


Andreas Silbersack (FDP):

Ich kann dazu nur eines sagen: Das, wodurch Sie glänzen, ist die absolute Realitätsverweigerung.

(Beifall - Lachen)