Tagesordnungspunkt 9
Hilfestrukturen für Opfer häuslicher Gewalt stärken: Bewilligung und Auszahlung einer nachträglichen Coronasonderzahlung für alle Angestellten in den Frauenzentren, Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern in Sachsen-Anhalt und bundesweiter Rechtsrahmen zur Frauenhausfinanzierung
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/904
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/937
Einbringer ist der Abgeordnete Das sieht nicht aus wie Herr Henke. - Einbringerin ist die Abg. Frau von Angern. Wir sind flexibel, wir ändern das. - Sie haben das Wort.
(Unruhe)
- Die anderen konzentrieren sich bitte. Ich glaube, hier wird noch ein bisschen viel diskutiert.
Eva von Angern (DIE LINKE):
Vielleicht kann ich es aufklären: Es wird in Sachen Datenschutzbeauftragter keinen zweiten Wahlgang mehr geben.
(Zuruf)
- Es fühlt sich zumindest so an. - Deshalb ist dieser Tagesordnungspunkt jetzt aufgerufen worden. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, wenn es eine Erklärung dazu von der Koalition oder von wem auch immer gegeben hätte. - Sei es drum.
(Zustimmung)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Ich glaube, das brauchen Sie jetzt nicht zu kommentieren. Sie haben Ihren Tagesordnungspunkt. Danke.
Eva von Angern (DIE LINKE):
Was habe ich?
(Zustimmung - Zuruf: Genau! - Lachen - Zuruf: Na hallo, Herr Präsident! Das wäre Ihre Aufgabe gewesen! Sie müssen doch sagen, wie es weitergeht!)
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Coronaprämie ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Sie dient als Anerkennung für zusätzliche Leistungen, zum Teil auch für übermenschliche Leistungen, die während der Pandemie erbracht worden sind. Und ja, es soll eben auch ausdrücklich eine Wertschätzung für besondere Anforderungen durch die Arbeitgeberinnen sein.
Im Zusammenhang mit der Coronasonderprämie denken wir an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenhäusern, von Pflegeeinrichtungen. Ich will die kritischen Dinge, die dazu zu sagen sind, und die Tatsache, dass viele Beschäftigte in den Krankenhäusern das Geld noch nicht einmal erhalten haben, an dieser Stelle einmal außen vor lassen.
Ich denke, spätestens seit der Debatte in der letzten Woche, in der deutlich geworden ist, dass wir uns wie selbstverständlich einstimmig im Februar hier im Haus dazu entschieden haben, dass das, was die Tarifangestellten erhalten, auch für die Beamtinnen und Beamten und das hat uns in der letzten Woche ereilt auch für die Ministerinnen und Minister, die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre gilt, ist klar, dass das auch für andere Berufsgruppen gelten sollte, die aus unserer Sicht ganz klar eine erhebliche Mehrbelastung in der Pandemie hatten.
(Zustimmung)
Ich denke dabei an Straßenbahnfahrerinnen, Busfahrer, Supermarktkassiererinnen, aber ich denke eben auch an Mitarbeiterinnen in dem Fall mit einem kleinen „i“ in den Frauenzentren, in den Frauenberatungsstellen und in Frauenschutzhäusern.
Meine Damen und Herren! Sie konnten in der letzten Woche die aktuelle polizeiliche Kriminalstatistik, vorgestellt von der Innenministerin, sehen. Die Zahlen sind sehr, sehr deutlich. Im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben wir im letzten Jahr tatsächlich noch mal einen Aufwuchs, eine Steigerung um 35 Prozentpunkte zu verzeichnen. Das sind mehr als 1 000 Straftaten mehr in diesem Bereich.
Wir haben ebenfalls eine Erhöhung der Gewalttaten in sogenannten engen sozialen Beziehungen zu verzeichnen. Insofern halte ich es für wichtig, heute an dieser Stelle darüber zu diskutieren, wie wir mit den Mitarbeiterinnen umgehen, die in den einzelnen Bereichen tätig waren und aus meiner Sicht teilweise auch Übermenschliches geleistet haben.
Im Fokus der öffentlichen Debatte, wenn wir über Gewalt an Frauen reden es sind überwiegend Frauen, nämlich 92 % , dann stehen natürlich vor allem die Opfer. Selten reden wir über die Mitarbeiterinnen, die in den 19 Frauenschutzhäusern in Sachsen-Anhalt, in den angeschlossenen neun Frauenberatungsstellen, in den vier Interventionsstellen, in den fünf Beratungsstellen für Opfer sexueller Gewalt oder in den sieben Frauenzentren arbeiten.
Wer jetzt mitgerechnet hat, der weiß, dass es insgesamt mehr als 30 Institutionen sind. Es sind aber nur 49 sogenannte Vollzeitäquivalente dort beschäftigt. Das hat etwas damit zu tun, dass dort viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Für diejenigen, die es nicht wissen ich weiß aber, dass es sehr engagierte Kolleginnen gibt aus den demokratischen Fraktionen, die in einem engen Austausch mit den Frauenschutzhäusern stehen : Dass sie in Teilzeit arbeiten, hat nicht selten den Grund, dass sie sich den kompletten Zeitraum von sieben Tagen in der Woche, 24 Stunden pro Tag und 350 Tagen im Jahr teilen müssen, und zwar nicht selten zu zweit oder zu dritt bzw. dank der Tatsache, dass wir vor einigen Jahren pro Frauenschutzhaus eine halbe Stelle für die Kinderbetreuung hinzugenommen haben, manchmal auch zu viert.
Einige von ihnen waren dabei, als im letzten Jahr anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder die Mitarbeiterinnen im Innenhof des Landtages geredet haben. Der Landtagspräsident hat ebenfalls gesprochen. Sie haben einmal deutlich gemacht, wie denn eigentlich ihre Zeit in der Pandemie in den Frauenberatungsstellen oder in den Frauenschutzhäusern ganz konkret ausgesehen hat.
Und natürlich standen auch im Fokus ihrer Berichterstattung vor allem die Opfer von häuslicher Gewalt. Dabei ist deutlich geworden, dass sowohl den Frauen als auch den Kindern in der Zeit der Pandemie, in der Zeit des sogenannten Lockdowns die Netzwerke und auch die Frühwarnsysteme wie Arbeitsstellen, Kita, Schulen fehlten, wo eben auch Dritte schauen, wie es den Betroffenen geht. Das heißt, sie waren teilweise tatsächlich der häuslichen Gewalt schutzlos ausgeliefert.
Es gab Kontaktbeschränkungen. Wir erinnern uns an eine Zeit, in der auch die Mitarbeiterinnen, die für die Hilfen zur Erziehung zuständig sind, nicht in die Familien gegangen sind. Wir hatten also Zeiträume, in denen die Familien tatsächlich sich selbst überlassen waren.
Wenn alles gut ist, wenn das Gefüge in einer Familie funktioniert, ist das grundsätzlich so in Ordnung. Dann hat sich der Staat aus den Familien herauszuhalten. Wenn es aber um den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt geht oder um Kinder, also wenn wir über Kindeswohlgefährdung sprechen, dann ist genau solch ein Zeitraum ein sehr, sehr gefährlicher Zeitraum. Die Zahlen in der PKS zeigen es deutlich.
Es ist auch nicht verwunderlich, dass es erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder losging, weil wir eben auch einen gewissen Zeitraum hatten, in dem die Meldungen in dem Bereich nachgelassen haben.
Ganz konkret waren das Herausforderungen für die Beratungsstellen, die trotzdem offen waren, die aber viele Beratungen online oder per Telefon durchführen mussten. Personen, die sozialwissenschaftlich oder sozialpädagogisch ausgebildet sind, haben sich sehr viel mit Datenschutz beschäftigen müssen, weil sie ihre Mandantinnen natürlich auch in diesem Schutzraum der Beratung wissen wollten.
Sie haben auch viele, viele Wege gesucht, um überhaupt an ihre Mandantinnen heranzukommen. Dieses typische „Kaffee to go“ war eben auch eine der Beratungsformen, die genutzt worden sind, die aber auch einen zusätzlichen Aufwand bedeuteten.
Die Frauenschutzhäuser selbst wir können ganz stolz sagen, dass wir es damals gemeinsam mit dem Ministerium geschafft haben sind überwiegend durchweg offengeblieben und es hat so gut wie keine Coronafälle in den Frauenschutzhäusern gegeben. Das hatte aber auch den Grund, dass auf höchste Isolation geachtet worden ist, dass Hygienemaßnahmen strengstens eingehalten worden sind.
Wir haben schon einmal an anderer Stelle über die Hauswirtschafterinnen in Frauenschutzhäusern geredet. Die gibt es grundsätzlich nicht in unseren Frauenschutzhäusern. Das heißt, diese zusätzlichen Maßnahmen, die dort vollzogen worden sind, wurden überwiegend von den Mitarbeiterinnen, die dort tätig sind, die zuvorderst dafür verantwortlich sind, die Frauen zu beraten, die Frauen und die Kinder aufzufangen, realisiert.
Das, was viele von uns auch zu Hause neben dem Homeoffice belastet hat, war selbstverständlich auch in den Frauenschutzhäusern präsent, nämlich Stichwort Homeschooling. Auch das ist ein Punkt, der in den Frauenhäusern mit realisiert worden ist, mit traumatisierten Frauen, die dann noch einmal zusätzliche Unterstützung brauchten für die Kinder, damit sie eben nicht komplett den schulischen Anschluss verlieren. Auch das war eine weitere Herausforderung.
Lassen Sie mich noch ganz kurz den Blick auf die Kinder werfen. Die Kinder haben natürlich noch einmal mehr gelitten. Sie sind durch den Aufenthalt im Frauenschutzhaus aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen worden und sie waren im Frauenschutzhaus auch noch einmal isoliert. Das heißt, auch die Kinder, die dort waren, haben nicht, wie es sonst üblich ist, miteinander gespielt, sondern es fand auch noch im Frauenschutzhaus eine Isolation statt, was für die Kinder eine zusätzliche Belastung war.
Wir haben an einer anderen Stelle meine Kollegin Frau Anger hatte es eingebracht über die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt gesprochen und über die Mehrbedarfe, die bestehen. Nun stellen Sie sich das alles aus der Perspektive eines Kindes, einer Jugendlichen vor, die sich im Frauenschutzhaus befindet. Es ist noch einmal ein Stück mehr.
Man muss ehrlich sagen: Umso wichtiger ist es, dass die Mitarbeiterinnen in den Beratungsstellen und Frauenschutzhäusern genau dies auch im Blick hatten und hierauf auch Antworten gefunden haben. Genauso, wie wir nicht auf eine Pandemie vorbereitet waren, wie unsere Ausbildung nicht auf eine Pandemie vorbereitet ist, war es bei Ihnen der Fall. Das heißt, sie mussten sich von jetzt auf gleich umorientieren, mussten Veränderungen in den Angeboten vornehmen.
Ich sage ganz deutlich: Es ist das Mindeste, danke zu sagen. Das ist etwas, dass Sie auch in Ihrem Antrag vorgenommen haben.
(Zustimmung)
Aber dieses Danke sollte eben ausdrücklich auch in Form einer finanziellen Anerkennung, einer finanziellen Wertschätzung vorgenommen werden.
(Zustimmung)
Ich weiß natürlich, dass sie einen Alternativantrag vorgelegt haben, und ich weiß, was das bedeutet. Das bedeutet, dass unser Antrag weg ist. Aber bitte ringen Sie sich doch dazu durch, ringen sie sich gemeinsam mit uns dazu durch, diese beiden Anträge in den Ausschuss zu überweisen und darüber zu diskutieren, welche Möglichkeiten bestehen.
Die Zahlung, über die wir reden, muss nicht zwingend bis Ende März ausgezahlt werden. Wir wissen, dass es eine Verlängerungsmöglichkeit gibt. Wir haben durch das Corona-Sondervermögen auch eine Chance, das über diese Mittel zu finanzieren. Ich finde, das wäre das Mindeste.
Und ein letzter Satz noch zu Ihrem Alternativantrag: Ich habe mir echt Mühe gegeben bei der Formulierung, um Sie zu loben Sie brauche ich jetzt nicht anzugucken , liebe GRÜNE und liebe SPD, für Ihre Vereinbarung, die sie im Ampel-Koalitionsvertrag getroffen haben. Das finde ich tatsächlich gut.
Aber meine Sorge ist, dass Sie ähnlich wie bei der Kindergrundsicherung jetzt erst einmal eine Arbeitsgruppe einrichten und dass die Arbeitsgruppe, die dann hoffentlich irgendwann auch interministeriell inklusive des Finanzministers tätig ist, es möglicherweise tatsächlich schafft, bundesweite Finanzierungsrahmenrichtlinien aufzustellen und eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Ich glaube noch nicht daran.
Aber als ich Ihren Alternativantrag gesehen habe, in dem es nicht einmal darum ging, dass die Landesregierung in irgendeiner Art und Weise gegenüber der Bundesregierung tätig wird, musste ich mich bestätigt fühlen. Das kann ich ehrlicherweise nicht nachvollziehen. Das mag jetzt an der CDU liegen, weil es hier eine andere Koalition gibt als im Bund. Nichtsdestotrotz bedaure ich es sehr. Deswegen das kann ich Ihnen natürlich auch sagen würden wir nur unserem Antrag zustimmen.
Ein letztes Mal: Ich werbe dafür, beide Anträge in den Ausschuss zu überweisen. Bei den Staatssekretärinnen und Ministerinnen des Landes werbe ich dafür, dass sie ihre Coronasonderzahlung an die Frauenschutzhäuser überweisen. Aber es kommt dann nicht bei den Mitarbeiterinnen an. Es wird für gute Dinge eingesetzt, aber es kommt nicht den Mitarbeiterinnen zugute, und die hätten es mal verdient. - Vielen Dank.