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Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gute Schulnoten sind einfach; das haben wir heute schon gehört. Man muss nur fleißig genug lernen. Das stimmt oft, aber leider eben nicht immer. Denn viel zu oft und in Sachsen-Anhalt besonders ausgeprägt ist der Bildungserfolg von Schülerinnen von deren sozialer Herkunft abhängig.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Dass das, anders als das, was Herr Tillschneider hier vorgetragen hat, 

(Zuruf von Lothar Waehler, AfD)

nicht nur eine gefühlte Wahrheit ist, das zeigen Studien wie PISA, IGLU und die vor einem Monat veröffentlichte ifo-Studie.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Besonders die letzte Studie zeigt ein eindrückliches, ein bedrückendes Bild. In dieser wurde die Bildungschancengleichheit zwischen Kindern aus Familien, in denen mindestens eines der Elternteile Abitur hat und/oder das Haushaltseinkommen im oberen Viertel liegt und Kindern aus Elternhäusern ohne Abitur oder mit niedrigem Einkommen verglichen. Bundesweit haben an dieser Stelle alle Länder schlechte Ergebnisse erzielt. Aber hier in Sachsen-Anhalt ist die Ungleichheit zwischen diesen beiden Gruppen besonders hoch. Es wurde also schwarz auf weiß wissenschaftlich belegt, dass hier in unserem Land Kinder aus ärmeren und nicht akademischen Haushalten eine geringere Chance haben, das Abitur abzulegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Koalitionsfraktionen heute einen Aufschlag machen, um diese Situation zu verbessern. Talentschulen oder - wie sie in unserem grünen Landtagswahlprogramm genannt wurden - Schwerpunktschulen können, wenn man es richtig umsetzt, helfen, durch zusätzliche finanzielle und personelle Ausstattung der Schulen mit besonderen sozio-demografischen Herausforderungen dafür zu sorgen, dass die Lücke zwischen Kindern aus reicheren und gut gebildeten Elternhäusern und Kindern aus ärmeren und/oder weniger gebildeten Elternhäusern kleiner wird. Insbesondere der Fokus auf Sprachförderung - das wurde schon genannt - an den ausgewählten Schulen ist elementar, um für die Kinder und Jugendlichen gute Voraussetzungen für ihre Zukunft zu schaffen. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir begrüßen, dass die Auswahl der Schulen für die Talentinitiative, anders als bei den bisherigen Förderungen, über einen schulscharfen Sozialindex erfolgen soll. Denn die Fördermittel müssen dorthin, wo sie am meisten gebraucht werden - nicht diffus in eine größere oder kleinere Gegend, sondern ganz konkret an die Schulen, an denen die Herausforderungen besonders hoch sind. Das wäre im Übrigen auch für die Verteilung der derzeit von Land und EU finanzierten Schulsozialarbeiterstellen sinnvoll und notwendig gewesen. 

Wie Sie, liebe Kolleginnen der Koalitionsfraktionen, unserem Lob entnehmen können, werden wir Ihrem Antrag zustimmen.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Er ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft in Sachsen-Anhalt zu verringern. Dennoch kommt jetzt ein Aber; das haben Sie sicherlich erwartet. Aber, werte Kolleginnen der Koalitionsfraktionen, Bildungsungerechtigkeit in Sachsen-Anhalt entsteht nicht nur, weil Eltern einen geringeren Bildungsstand oder ein geringeres Einkommen haben. Zum Beispiel auch Kinder und Jugendliche mit Behinderungen werden in unserem Land stark benachteiligt. Entgegen den Festlegungen in unserem Schulgesetz, dass inklusive Bildungsangebote für Schülerinnen an allen Schulformen gefördert werden, und anders als es der Landesaktionsplan Sachsen-Anhalt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention als Ziel festlegt, ist es in Sachsen-Anhalt eben nicht die Regel, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder anderen besonderen Förderbedarfen an Regelschulen unterrichtet werden. Kein Bundesland hat so viele Kinder an Förderschulen wie unseres. Dieses System muss endlich abgebaut werden.

Natürlich - das will ich an der Stelle sehr explizit sagen - wird es für bestimmte Bedarfe immer Förderschulen brauchen. Das ist richtig. Sie müssen auch gut ausgestattet sein. Auch das ist richtig. Aber wie die Expertenkommission zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Schulwesens in ihrem Abschlussbericht geschrieben hat - auch dieser Expertenbericht wurde heute schon genannt  , muss es in Sachsen-Anhalt das Ziel sein, dass möglichst viele Förderschulen in Regelschulen aufgehen. 

Liebe Kolleginnen der Koalitionsfraktionen! Wenn man sich die Ergebnisse von PISA anschaut, dann stellt man ganz klar fest: In den Ländern, in denen die Kinder länger gemeinsam lernen, gibt es mehr Bildungsgerechtigkeit. Doch muss man nicht einmal so weit schauen. Auch die ifo-Studie zu Bildungschancen hat festgestellt, dass die Bildungsgerechtigkeit z. B. in Brandenburg und in Berlin höher ist als in anderen Bundesländern und dass es dabei einen signifikanten Zusammenhang mit der späteren Aufteilung der Kinder gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN - Guido Kosmehl, FDP: In Berlin? - Zurufe von Siegfried Borgwardt, CDU, und von Guido Kosmehl, FDP)

- Ja. Ich rede nicht über die Bildungserfolge insgesamt, sondern über die Bildungsungerechtigkeit an dieser Stelle. Das ist ein bisschen differenziert zu betrachten, darin gebe ich Ihnen recht. 

Deshalb fordern wir Bündnisgrüne, die Zeit, die die Kinder in der Grundschule verbringen, zu verlängern. Längeres gemeinsames Lernen fördert Bildungsgerechtigkeit. Wir brauchen Grundschulen mindestens bis zur sechsten Klasse. 

Wir bedanken uns für Ihren Antrag. Aber wir glauben, diese Aufgabe kann auch mit Blick auf den Bericht der Expertenkommission nur die erste der zu erfüllenden Aufgaben sein, die wir im Hausaufgabenheft stehen haben. - Vielen Dank für die weitere gemeinsame Arbeit.