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Plenarsitzung

Transkript

Juliane Kleemann (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand in diesem Land unterstellt, dass die Energiewende eine leichte Aufgabe ist. Aus Verantwortung für unsere Kinder und Enkel müssen wir unsere Energieversorgung nachhaltiger umgestalten. Einfach, also simpel ist dies auch nicht. Im Gegenteil: In der Gesamtheit der nötigen Schritte und der Komplexität ist es vergleichbar mit einer Operation am offenen Herzen. Aber auch Operationen am offenen Herzen werden durchgeführt und gelingen. Ja, diese Operationen haben ihre Risiken. Nur, sie gar nicht vorzunehmen, ist gleichzusetzen mit einer vorzeitigen Kapitulation und schreibt den Patienten respektive die Patientin ab und überlässt sie dem unausweichlichen Tod.

So ähnlich kann man mit einem Land und seinen Menschen umgehen - wenn es schwierig wird, kneifen, populistisch werden, sich einfache Antworten zu vorher selbst gefundenen Fragen suchen. Das, was unseren Wohlstand   damit meine ich nicht Reichtum, sondern ein gesundes Leben in einer gesunden Umwelt mit demokratischen Spielregeln und einer anständigen Streitkultur   wirklich gefährdet, ist das Zögern und Hinausschieben der notwendigen Umstellung unserer Energieversorgung auf nachhaltige Energiequellen der ganz unterschiedlichen Arten.

(Beifall)

Das, was unseren Wohlstand gefährden wird, ist der menschengemachte Klimawandel, noch höhere Kosten für die Endlagerung von Atommüll und diejenigen, die das ignorieren und kleinreden und sich so an denen vergehen, die heute ihr Leben planen, eine Ausbildung machen, studieren, zur Schule gehen oder morgen geboren werden.

Ohne einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien werden wir auch hier in Sachsen-Anhalt das 2-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung nicht erreichen. Das hätte schwerwiegende Konsequenzen, die die Lebensqualität vieler Generationen negativ beeinflussen würde. Was heißt das für Sachsen-Anhalt? Wie sieht unser Leben in Zukunft aus? Auskunft auf diese Fragen gibt die Klimawirkungs- und Risikoanalyse, die im letzten Jahr vom Umweltbundesamt erstellt wurde.

Für Sachsen-Anhalt zeigt diese Risikoanalyse eine hohe Wahrscheinlichkeit weiterer klimatischer Extreme auf. Das heißt, die Dürresommer der vergangenen Jahre werden sich aller Voraussicht nach wiederholen, Starkregenereignisse werden sich häufen und die Anzahl der heißen Tage und tropischen Nächte wird steigen. Es ist von einem weiter sinkenden Jahresniederschlag auszugehen. Niedrigwasserkonferenzen werden sich vermutlich häufen, nicht nur in dem Landkreis, in dem ich zu Hause bin, sondern auch woanders, weil Wasserversorger, Kommunen und Landkreise einen Wassermangel managen müssen, der   schlechtes Szenario   nicht mehr ohne Entnahmesperren oder andere massive Eingriffe zu bewerkstelligen sein wird.

Um es deutlich zu machen: Wenn wir die Energiepolitik betreiben würden, die die heutige Aktuelle Debatte zum Anlass nimmt, dann wird es hier in Sachsen-Anhalt sehr schwer für die Land- und Forstwirtschaft.

Ich habe auch meine Zweifel daran, ob wir dann noch ein Industriestandort sein werden. Wie viele Firmen werden sich hier wohl noch ansiedeln, wenn sie aufgrund von Hochwasser oder Starkregenereignissen um ihr Hab und Gut fürchten? Und ganz ehrlich: Welche Versicherung wird die Auswirkungen dieser Wetter- und Klimaereignisse noch so versichern, dass die Beiträge darstellbar sind?

(Zustimmung)

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wünsche mir, ehrlich gesagt, eine solche Zukunft für unser Land, für unsere Heimat nicht, aber wahrscheinlich die antragsstellende Partei; denn manchmal hört man Funktionäre, die sagen, wenn es Deutschland schlecht gehe, sei das gut für die AfD.

(Zuruf)

Zum Thema Netzstabilität. Wir alle wissen mehr oder weniger gut und intensiv, wie Netzstabilität heute klassisch aussieht. Unsere Geräte   das haben wir heute schon mehrmals gehört   sind darauf abgestimmt, dass der Wechselstrom in den Leitungen konstant bei 50 Hz liegt. Anders gesagt: Nimmt der Verbrauch irgendwo zu, dann sinkt die Frequenz im Netz, die Kraftwerke reagieren und entsprechend mehr Strom wird ins Netz gegeben. Kurze Schwankungen von wenigen Sekunden puffern die Kraftwerke durch die Trägheit der mächtigen rotierenden Generatoren ab. Man spricht dabei von der sogenannten Momentanreserve.

Hält die Abweichung länger als zehn Sekunden an, folgt die Primärregelung; dann wird mehr Dampf auf die Turbine gegeben und sie dreht sich schneller. Dauert die Abweichung länger als eine Minute, werden weitere Kraftwerke zugeschaltet. Hierbei wird auf Kraftwerkstypen zurückgegriffen, die sich schnell zu- und abschalten lassen, wie Gaskraftwerke und Pumpspeicherwerke.

Auch zukünftig werden wir die Netzstabilität sicherstellen können. Ich möchte hierzu drei Argumente aufführen.

Erstens. Je besser das Stromnetz ausgebaut ist, umso großräumiger kann auch der Ausgleich von Stromangebot und Nachfrage erfolgen. Ein massiver deutschlandweiter Ausbau von erneuerbaren Energien wird also auch das Stromangebot erhöhen. Anders gesagt: Jede Blockadehaltung gegen den Ausbau von erneuerbaren Energien betreibt aktiv eine Politik gegen eine zukünftige Netzstabilität.

Zweitens. Das Netz der Zukunft ist intelligent vernetzt. Daher ist es gut, dass die Ressorts Energie und Wissenschaft in diesem Land in einer Hand sind und von Minister Armin Willingmann mit seiner Mannschaft auch gut geführt werden. Wir sprechen bei einem intelligenten Netz von sogenannten Smart Grids. Das heißt, ein intelligentes Lastenmanagement ermöglicht es, durch zeitliche Verlängerung oder das Abschalten unkritischer Stromanwendungen, Lastspitzen in kritischen Situationen zu minimieren, in denen die Last die Einspeisung aus erneuerbaren Energien deutlich übersteigt. Der Verbrauch wird also auf Situationen verlagert, in denen die Einspeisung aus erneuerbaren Energien die Last übersteigt.

Drittens. Ja, es ist richtig: Wir werden bei steigenden Anteilen von Wind- und Solarenergie zusätzliche Stromspeicher benötigen. Das Umweltbundesamt hat hierzu eine interessante Studie vorgestellt. Diese zeigt, dass bei einer Vollversorgung der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien im Jahr 2050 selbst unter restriktiven Annahmen die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann.

(Zuruf: Kann!)

Darin werden zur Stromspeicherung zwei Alternativen für ein Langspeichersystem beschrieben: Wir werden die Überschüsse der Stromproduktion entweder in Wasserstoff umwandeln oder zu Methan weiterverarbeiten. Das so gewonnene Gas kann dann bei Deckungslücken rückverstromt werden.

Zusammenfassend kann man also sagen: Auch nach dem Umstieg auf erneuerbare Energien können wir von einer Stabilität unseres Stromnetzes ausgehen. Dass unser Stromnetz jetzt schon stabil ist, zeigt sich dadurch, dass wir schon im vergangenen Jahr 20 TWh exportiert haben. Wir sind also schon jetzt ein Stromexportland.

(Zustimmung)

Wir können also aufhören mit solchen Scheindebatten. Es macht mit Blick auf die Netzstabilität und die zukünftige   das sage ich ganz bewusst   Überlebensqualität wirklich mehr Sinn, in Forschung, Innovationen und Umsetzung zu investieren, um damit Wege aufzuzeigen, wie es gehen kann und wie es geht, als sich an Gründen abzuarbeiten, warum die Zukunft sowieso nur darin besteht, die Vergangenheit und die Gegenwart zu konservieren.

(Zustimmung)

Lassen Sie uns also lieber darüber reden, wie das Land Sachsen-Anhalt ein Wasserstoffland werden kann. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir möglichst viel Wertschöpfung aus erneuerbaren Energien hier in Sachsen-Anhalt behalten können. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir hier vor Ort noch mehr gute Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien und im Bereich der Industrie halten bzw. auch schaffen können. Ich glaube, davon würde unser Land um Längen mehr profitieren als von diesem ideologischen Feldzug gegen die erneuerbaren Energien. - Vielen Dank.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Kleemann, vielen Dank. - Herr Scharfenort hat sich zu einer Intervention gemeldet und Herr Lizureck hat eine Frage. - Herr Scharfenort, bitte.

 

Jan Scharfenort (AfD):

Ich möchte kurz aus Ihrer Rede herausgreifen, was   Sie haben es so schön beschrieben   das Netz stabilisiert, wenn es zu Netzfrequenzabfällen kommt. Der Eskalationsprozess sieht folgendermaßen aus: Erst kommen die rotierenden Massen, die Turbinen der Gaskraftwerke, dann vielleicht die Gaskraftwerke usw. Genau daran sehen Sie doch aber, wie wichtig diese grundlastfähigen Träger sind und dass wir sie brauchen. Aber genau diese wollen Sie abschalten.

(Zuruf: Ja!)

Wir haben aber noch keinen Ersatz dafür. Imaginär - wir forschen, wir machen, wir tun. Aber das ist noch nicht vorhanden. Sie schalten planmäßig diese Grundlast ab, haben aber noch keine Lösung dafür. Das ist das Problem.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Scharfenort. - Herr Lizureck. - Oder wollen Sie darauf reagieren, Frau Kleemann?


Juliane Kleemann (SPD):

Es war eine Zwischenintervention.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ich frage nur. Herr Aldag wollte vorhin auf eine Intervention reagieren. - Herr Lizureck, eine Frage.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Frau Kleemann, Sie sprechen von der Energiebereitstellung durch Wasserstoff. Können Sie mir einmal etwas zu den Kosten sagen, die für die Erzeugung von 1 kWh Wasserstoff anfallen? Haben Sie dazu einen Überblick?


Juliane Kleemann (SPD):

Ich kann Ihnen keine Kosten nennen. Aber es ist sicherlich recherchierbar, wie sich das darstellen wird. Ich kann Ihnen versprechen, die Erzeugungskosten für Wasserstoff werden auf jeden Fall deutlich geringer sein, als wenn wir weiterhin in die Kohleverstromung und in Atomstrom investieren. Bei Atomstrom sind natürlich immer auch die Kosten für die Entsorgungs- und Sicherungsmaßnahmen hinzuzurechnen.

 

Frank Otto Lizureck (AfD):

Wenn Sie das einmal nachrechnen: Sie benötigen für die mittels Elektrolyse vorgenommene Erzeugung von 1 kWh Wasserstoffenergie 5 kWh herkömmliche Energie.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Und deswegen dürfen wir den nicht in Autos verheizen!)


Juliane Kleemann (SPD):

Wenn Sie sämtliche Folgekosten des Rückbaus der Schäden, die wir durch die Kohleverstromung haben, betrachten und auch einrechnen, wie viel Geld wir für ein echtes Endlager für hochradioaktiven Stoff investieren müssen, werden Sie sehen, dass die Wasserstofferzeugung um Längen billiger sein wird als die jetzige Energieerzeugung.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Wir haben die fünffachen Kosten.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Kleemann war die letzte Rednerin zu dieser Aktuellen Debatte. Damit ist der Tagesordnungspunkt 4 erledigt. Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst.