Der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung hatte am Mittwoch, 6. November 2024, zu einem Fachgespräch geladen, bei dem die Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger in Sachsen-Anhalt im Fokus stand. Die Fraktion Die Linke hatte im August 2024 einen dahingehenden Antrag auf Selbstbefassung im Ausschuss eingebracht, die Mitglieder hatten sich daraufhin auf ein Fachgespräch verständigt.
In Sachsen-Anhalt würden derzeit circa drei Viertel der pflegebedürftigen Menschen von Angehörigen betreut, gibt Die Linke zu bedenken. Für die Personen, die die Care-Arbeit leisteten, bedeute dies Einsatzbereitschaft rund um die Uhr, kein Urlaub, keine Pausen, kein Durchatmen. „Neben der Sorge um die pflegebedürftige Person setzt den Betroffenen die eigene Erschöpfung durch diese Dauerbelastung zu ‒ und die bange Frage: Was, wenn ich ausfalle?“, erklärte Nicole Anger (Die Linke). Aus Sicht der beantragenden Fraktion fehle es in Sachsen-Anhalt an Unterstützungsstrukturen für pflegende Angehörige: Ehrenamtlich tätige Selbsthilfegruppen und Vereine seine zwar eine wertvolle und unverzichtbare Hilfe, jedoch könnten sie unmöglich umfassende Unterstützungsstrukturen ersetzen. Hier sei die Politik in der Pflicht, so Anger, die pflegenden Angehörigen müssten bedarfsgerecht unterstützt werden.
Wortmeldungen der Fachleute
„Pflege ist immer individuell zu sehen, Pflege lässt sich nicht verallgemeinern – das trifft auf den Gepflegten und gleichermaßen auf den Pflegenden zu“, erklärte Rose-Mary Raselowski von der 2022 gegründeten Selbsthilfegruppe pflegender Angehöriger in Magdeburg. Im häuslichen Bereich seien Pflegende oft rund um die Uhr in die Betreuungs- und Pflegearbeit eingebunden, dies führe zu einem starken Einschnitt in das Privatleben. Die Unterstützung durch Dritte (Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen) sei in dieser Situation enorm wichtig. Auffallend sei die oftmals vorherrschende Unkenntnis von Leistungsansprüchen und Hilfsangeboten wie die Pflegeberatung. Eine Pflegesituation treffe oft völlig unerwartet ein, ein Pflege-Lotse sei hier wünschenswert, der die Betroffenen durch die Angebote und Anforderungen führe, sagte Raselowski.
Die Wertschätzung der pflegenden Angehörigen lasse zu wünschen übrig, monierte Herbert Umlauft von der Selbsthilfegruppe pflegender Angehöriger in Magdeburg. Obwohl etwa 70 Prozent der zu Pflegenden (privat) daheim betreut würden, stünden die Pflegeunternehmen hier im Fokus. Die Pflegekassen müssten eine Pflegeberatungspflicht erfüllen – „aber welcher Bürger weiß denn sowas?“, fragte Umlauft. Er wünscht sich eine Fachstelle, die pflegende Angehörige betreut und berät, auch die Einrichtung eines Servicetelefons (24/7) sei wünschenswert, um unkompliziert Hilfe organisieren zu können.
Der Verein sei 1992 für die Gründung von Selbsthilfegruppen für an Krebs erkrankte Menschen gegründet worden, erklärte Katja Peters vom „Miteinander Füreinander – Landesverband für pflegende Angehörige e. V.“. Die Versorgungslücken in der Pflege könnten – auch in absehbarer Zeit – nur durch pflegende Angehörige geschlossen werden. Der Verein wolle die Selbsthilfe der Betroffenen stärken, er arbeite am Aufbau eines Härtefonds, um Betroffene zu unterstützen. Er kämpfe zudem für mehr Anerkennung, indem er für die Rechte der pflegenden Angehörigen eintrete. Weitere wichtige Ziele des Vereins seien der Abbau von Bürokratie, eine unabhängige Pflegeberatung, die Stärkung der häuslichen Pflege sowie der digitalen Strukturen in der Pflege.
Der Erfahrungsaustausch hebe die Isolation Einzelner auf und sorge für Entlastung, sagte Stephanie Schumann von der Selbsthilfekontaktstelle Pflege Halle-Saalekreis imDeutschen paritätischen Wohlfahrtsverband (Landesverband Sachsen-Anhalt e.V.). „Pflegebedürftigkeit ist keine Frage des Alters“, so Schumann. Die Betroffenen benötigten schnellstmöglich Informationen und Antworten auf ihre Fragen und ganz konkrete Unterstützung, in der Folge erst erwachse der Bedarf, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Betroffene Menschen seien oft nicht umfänglich über eine Pflegeunterstützung aufgeklärt. Vielfach sei der Wunsch nach einer beratenden und unterstützenden Stelle lautgeworden – als flächendeckendes Angebot. Schumann warb dafür, das Konzept der Pflegestützpunkte zu unterstützen und Hilfe leichter zugänglich zu machen.
Der Beratungsbedarf in der Pflege sei in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen, viele Betroffene fänden sich im bürokratischen System nicht zurecht, oft fehle es schlichtweg an kompetenten Beratenden, monierte Pascale Schinkitz von der Fachstelle für ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB). Fehlende Beratung führe zu nicht genutzten Hilfsangeboten und damit wiederum zur Überlastung der Pflegenden. Eine zentrale und rund um die Uhr erreichbare Servicestelle sei wünschenswert, so Schinkitz.
Man habe seit nunmehr 24 Jahren mit Menschen in der Pflege zu tun, unter anderem in der Wohnberatung, so Ivonne Jahn, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Prävention im Alter (PiA). Man verfolge hier den Leitsatz „ambulant vor stationär“, hierfür gebe es vielfältige Möglichkeiten. PiA leiste durch verschiedene Projekte unter anderem auch Unterstützung bei der digitalen Schiene in der Pflege – wie man ein Handy bedient, wie man Apps nutzt und Informationen aus dem Internet zieht.
Die Landesseniorenvertretung sei in ganz Sachsen-Anhalt unterwegs, sagte Cornelia Stegemann, dabei sei bereits deutlich geworden, dass nicht alle Menschen mit der Digitalisierung klarkämen. Auffallend sei auch die Zunahme von Singlehaushalten, was im Falle einer Pflegebedürftigkeit besondere Bedeutung zukomme. Bedenke man, das fast drei Viertel der zu Pflegenden zuhause betreut würden, werde die enorme Leistung der pflegenden und betreuenden Angehörigen erst deutlich. Stegemann warb für den Aufbau von Pflegenetzwerken, denn die Menschen seien zunehmend auf Hilfe von außerhalb der Familie angewiesen.
Mit Einführung der Pflegeversicherung vor rund dreißig Jahren habe man das private Thema Pflege erst in die Öffentlichkeit gebracht, erinnerte Dr. Klaus Holst vom Verband der Ersatzkassen e. V. (Landesvertretung Sachsen-Anhalt). Die große Last der Pflege werde nach wie vor von den Familien getragen. Die knappen Versicherungsgelder müssten vernünftig eingesetzt werden, daraus resultiere auch der bürokratische Aufwand.
Nach dem Fachgespräch
Am Ende des Fachgesprächs wurde der Antrag der Fraktion Die Linke auf Selbstbefassung mit dem Thema „Situation pflegender Angehöriger verbessern“ vom Sozialausschuss für erledigt erklärt. Damit sei das Thema aber keineswegs abgehakt, wie die Abgeordnete Nicole Anger (Die Linke) betonte. Vielmehr sei auf Basis der Aussagen der Fachleute und Betroffenen der Landesregierung einiges an „Hausaufgaben“ mit auf den Weg gegeben worden. Auch der Ausschuss selbst und der Landtag als Ganzes würden sich dem Thema weiterhin widmen.